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Urteilskopf

99 III 52


12. Entscheid vom 3. Dezember 1973 i.S. X.

Regeste

Pfändung eines Anspruchs gegen eine Personalfürsorgestiftung.
Pfändbarkeit einer Forderung mit ungewissem Fälligkeitstermin (Erw. 3).
Schätzungswert einer solchen Forderung (Erw. 4).

Sachverhalt ab Seite 52

BGE 99 III 52 S. 52

A.- Als Fürsorgeeinrichtung für das ausländische Flugpersonal
BGE 99 III 52 S. 53
errichtete die Swissair zusammen mit der "Foreign Pilots Association in Swissair" eine Stiftung mit dem Namen "Alters- und Hinterlassenenfonds für ausländische Besatzungsmitglieder der Swissair" (im folgenden "Fonds" genannt). Gemäss dem Fondsreglement vom 9. Juni 1971 wird das Vermögen dieses Fonds, das ausschliesslich zu Fürsorgeleistungen zugunsten der ausländischen Besatzungsmitglieder bzw. deren Angehörigen und Hinterbliebenen zu verwenden ist, hauptsächlich durch Beiträge der Swissair, aber auch durch freiwillige Leistungen der Destinatäre geäufnet. Es ist in Grundeigentum oder in erstklassige schweizerische und ausländische Anlagen zu investieren. Jedem Destinatär steht ein Forderungsrecht gegen den Fonds zu. Dessen Höhe bestimmt sich nach dem jeweiligen Stand des Stiftungsvermögens und wird periodisch berechnet. Die Forderung wird indessen erst fällig, wenn der Destinatär aus der Stiftung ausscheidet, d.h. im Falle des Todes, der Invalidität, des Ausscheidens aus dem Flugdienst oder des Übertritts in eine andere Versicherungseinrichtung der Swissair. Sie darf weder verpfändet noch abgetreten werden und ist, soweit gesetzlich zulässig, der Zwangsvollstreckung entzogen. Immerhin kann sie zur Sicherstellung eines dem Destinatär von der Swissair gewährten Darlehens oder zur Verrechnung mit einem durch die Stiftung gewährten Grundpfanddarlehen verwendet werden.

B.- G. X., deutscher Staatsangehöriger, ist Pilot bei der Swissair. Er ist dem Alters- und Hinterlassenenfonds angeschlossen. Im Scheidungsprozess der Eheleute X. berechnete das Obergericht des Kantons Thurgau seinen Anspruch gegen den Fonds auf ca. Fr. 240 000.-- und sprach der Ehefrau davon nach deutschem Recht Fr. 90 000.-- als Zugewinnanteil zu. Diesen Betrag setzte die Ehefrau in Betreibung. Mit Pfändungsurkunde Nr. 6408 vom 7./11. Mai 1973 pfändete das Betreibungsamt Kreuzlingen diverses Mobiliar und das Auto des Schuldners sowie dessen Anspruch gegen den Fonds "für den Fall seines Austrittes aus der Swissair, bis zum Betrage von Fr. 90 353.20" nebst Zins und Kosten. Den Wert des Anspruchs schätzte es indessen lediglich auf Fr. 1.-. Deshalb pfändete es zusätzlich vom Lohnguthaben des Schuldners bei der Swissair Fr. 3234.90 pro Monat.

C.- Hiegegen führte der Schuldner Beschwerde mit dem Antrag, der Anspruch gegen den Fonds sei mit Fr. 240 000.-- zu bewerten und es sei die Lohnpfändung demzufolge aufzuheben.
BGE 99 III 52 S. 54
Mit Entscheid vom 18. Mai 1973 hiess der Präsident des Bezirksgerichts Kreuzlingen als untere kantonale Aufsichtsbehörde die Beschwerde gut, hob die Pfändung auf und wies das Betreibungsamt an, diese im Sinne der Erwägungen neu vorzunehmen, d.h. insbesondere die Positionen 1-16 der Pfändungsurkunde (Mobiliar und Auto) aus der Pfändung zu entlassen, die Position 17 (Anspruch gegen den Fonds) neu zu schätzen und die Lohnpfändung aufzuheben.
Mit Beschluss vom 25. Juni 1973 schützte die Rekurskommission des Obergerichtes des Kantons Thurgau als obere kantonale Aufsichtsbehörde eine Beschwerde der Gläubigerin gegen diesen Entscheid und stellte die ursprüngliche Pfändung wieder her.

D.- Gegen diesen Beschluss rekurrierte der Schuldner an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts, mit den Anträgen:
"1. Der angefochtene Entscheid sei aufzuheben.
2. Die Lohnpfändung in Betreibung Nr. 6408 des Betreibungsamtes Kreuzlingen sei aufzuheben und es sei in Pos. 17 der Pfändungsurkunde der Anspruch des Schuldners an den Alters- und Hinterlassenenfonds für ausländische Besatzungsmitglieder der Swissair statt mit Fr. 1.- mit Fr. 93 000.-- einzusetzen.
3. Der vorliegenden Beschwerde sei aufschiebende Wirkung zu verleihen unter Mitteilung an die Kasse der Swissair, dass die Lohnpfändung einstweilen nicht in Kraft tritt."
Die Gläubigerin beantragt Abweisung des Rekurses.

E.- Das Gesuch um Erteilung der aufschiebenden Wirkung wurde mit Verfügung vom 2. November 1973 abgewiesen.

Erwägungen

Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

1. Die obere Aufsichtsbehörde hat die Pfändung des Betreibungsamtes vom 7./11. Mai 1973 vollumfänglich, also auch hinsichtlich des Mobiliars (Pos. 1-16 der Pfändungsurkunde), wieder hergestellt. Der Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Entscheids könnte daher dahin verstanden werden, dass der Schuldner auch die Wiederherstellung der Mobiliarpfändung anfechten möchte. Auf einen solchen Antrag wäre indessen mangels Begründung nicht einzutreten (Art. 79 Abs. 1 OG).

2. Gemäss Art. 95 SchKG, der die Reihenfolge der Pfändung der Vermögensstücke regelt, soll die Pfändung in erster Linie das bewegliche Vermögen des Schuldners mit Einschluss
BGE 99 III 52 S. 55
der gewöhnlichen Forderungen und hierauf das unbewegliche Vermögen erfassen. Reicht dies zur Deckung nicht aus, sind die Lohnguthaben und in letzter Linie diejenigen Vermögensstücke zu pfänden, die der Schuldner als Dritten gehörig bezeichnet oder die von Dritten beansprucht werden (BGE 97 III 117 /118 mit Hinweisen).
Im vorliegenden Fall hat das Betreibungsamt Mobiliar im Schätzungswert von Fr. 22 293.-- gepfändet. Davon wurden Gegenstände im Gesamtwert von Fr. 5150.-- von Dritten zu Eigentum angesprochen (Pos. 3, 4 und 11 der Pfändungsurkunde), und der Personenwagen des Schuldners, geschätzt auf Fr. 12 000.--, wurde als Kompetenzstück bezeichnet. Der Schätzungswert des in erster Linie zu pfändenden Mobiliars beläuft sich somit auf Fr. 5143.--. Zum beweglichen Vermögen, das vor dem Lohn zu pfänden ist, gehört sodann auch der gepfändete Teil des Anspruchs des Schuldners gegen den Fonds. Übersteigt der Schätzungswert dieses Teils zusammen mit demjenigen des gepfändeten Mobiliars die Betreibungssumme, so ist die Lohnpfändung aufzuheben. Entscheidend für den Ausgang des Verfahrens ist somit die Schätzung des Anspruchs gegen den Fonds.

3. Zunächst stellt sich indessen die Frage, ob dieser Anspruch überhaupt pfändbar sei. Pfändbar sind grundsätzlich alle Vermögensrechte des Schuldners. Blosse Anwartschaften können dagegen nicht gepfändet werden, da deren Verwertung zu einer sinnlosen Vermögensverschleuderung führen würde (BGE 97 III 26 /27 mit Hinweisen,BGE 73 III 150/151). Beim Anspruch des Schuldners handelt es sich jedoch nicht nur um eine Anwartschaft. Wie aus Art. 6 Abs. 1 des Fondsreglements hervorgeht, steht vielmehr jedem Destinatär schon vor seinem Ausscheiden aus der Stiftung ein eigentliches Forderungsrecht gegen den Fonds zu, dessen Höhe jederzeit berechnet werden kann. Dieses Recht kann zur Sicherstellung eines durch die Swissair gewährten Darlehens oder zur Verrechnung mit einem durch die Stiftung gewährten Grundpfanddarlehen verwendet werden. Es liegt also nicht eine bedingte Forderung vor, deren Entstehung vom Eintritt einer ungewissen Tatsache abhinge (dies incertus an; vgl. VON TUHR/SIEGWART, OR II S. 484). Ungewiss ist lediglich der Fälligkeitstermin, denn es steht nicht fest, wann der Schuldner aus der Stiftung ausscheiden wird (dies incertus quando; vgl. VON TUHR/SIEGWART, a.a.O.). Eine solche noch nicht fällige (betagte) Forderung ist pfändbar (BGE 53 III 32, 156; A. STAEHELIN,
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Probleme aus dem Grenzbereich zwischen Privat- und Zwangsvollstreckungsrecht, S. 29; JAEGER, N. 11 zu Art. 91 SchKG).
Die Bestimmung im Fondsreglement, wonach der Anspruch der Zwangsvollstreckung entzogen sei, steht der Pfändbarkeit nicht entgegen, denn diese kann durch privatrechtliche Vereinbarung, von bestimmten Ausnahmen abgesehen (Art. 519 Abs. 2 OR und Art. 92 Ziff. 7 SchKG), nicht ausgeschlossen werden (BGE 84 III 22; STAEHELIN, a.a.O. S. 5; MEYER, Personalvorsorge und Zwangsvollstreckung, BlSchK 1969 S. 99; SIEGRIST, Die Vermögensrechte der Destinatäre von betrieblichen Personalvorsorgeeinrichtungen im Lichte des SchKG, Diss. Zürich 1967, S. 96 f.).
Ob der Anspruch allenfalls auf Grund von Art. 92 Ziff. 10 oder 93 SchKG nicht oder nur beschränkt gepfändet werden dürfe, weil die Fürsorgeleistung unter anderem auch im Falle der Invalidität oder des Todes des Schuldners erbracht werden muss (vgl.BGE 78 III 107ff.), braucht nicht geprüft zu werden, da sich dieser nicht darauf berufen hat, sondern im Gegenteil beantragt, der Anspruch sei zum Schätzungswert von Fr. 93 000.-- zu pfänden. Ein Verzicht auf die Geltendmachung der Unpfändbarkeit wäre im vorliegenden Fall zulässig, da es sich nicht um ein Vermögensstück handelt, das dem Schuldner und seinen Angehörigen aus Gründen der Menschlichkeit und der öffentlichen Ordnung belassen werden müsste (BGE 84 III 36 Erw. 5).

4. a) Streitigkeiten über die Höhe der Schätzung werden an sich von den kantonalen Aufsichtsbehörden endgültig beurteilt, da es sich dabei um Ermessensfragen handelt (Art. 19 Abs. 1 SchKG). Das Bundesgericht kann einen Entscheid über solche Fragen nur daraufhin prüfen, ob die kantonale Behörde bundesrechtliche Verfahrensvorschriften verletzt oder das ihr zustehende Ermessen überschritten habe (BGE 91 III 75, BGE 86 III 92 /93, BGE 83 III 66 /67).
b) Als Schätzungswert ist derjenige Betrag in die Pfändungsurkunde einzusetzen, der bei der Verwertung des gepfändeten Vermögensstückes mutmasslich erzielt werden kann (FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, I, 2. Aufl., S. 169). Die Vorinstanz befürchtet, die Verwertung des möglicherweise erst in lo-12 Jahren fälligen Anspruchs werde zu keinem befriedigenden
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Ergebnis führen. Wohl sei als sicher anzunehmen, dass die Drittschuldnerin, also der Fonds, auch im Zeitpunkt der Fälligkeit zahlungsfähig sein werde. Im übrigen bestünden aber zahlreiche Unsicherheitsfaktoren, so dass dem Anspruch kein praktischer Wert zukomme. Ungewiss ist indessen lediglich der Fälligkeitstermin. Ist die Forderung einmal fällig, so dürfte sich der Fonds der Auszahlung des gepfändeten Betrags wohl nicht mehr widersetzen. Der Ungewissheit hinsichtlich der Fälligkeit lässt sich dadurch begegnen, dass bei der Schätzung auf den spätest möglichen Verfall abgestellt wird. Gemäss dem Fondsreglement wird der Anspruch des Schuldners spätestens bei dessen Ausscheiden aus dem Flugdienst fällig, d.h. in 10-12 Jahren, nach den Ausführungen in der Rekursschrift sogar schon in 6 Jahren. Diskontiert man ausgehend von diesem Termin den Betrag von Fr. 90 353.20 - nur insoweit ist der Anspruch gepfändet - auf den heutigen Tag, so ergibt sich, dass dem gepfändeten Teil des Anspruchs ein beträchtlicher Wert zukommt. Die Schätzung der kantonalen Aufsichtsbehörde kann daher nicht richtig sein; diese überschritt damit das ihr zustehende Ermessen bei weitem.

5. Es ist nicht Sache des Bundesgerichts, den Anspruch gegen den Fonds selbst neu zu schätzen. Die Sache ist daher an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird zunächst abzuklären haben, wann der Anspruch spätestens fällig sein wird, d.h. wann der Schuldner spätestens aus dem Flugdienst der Swissair ausscheiden wird. Die Diskontierung wird sodann zu demjenigen Zinssatz vorzunehmen sein, der dem Satz für langfristige Anlagen entspricht. Ergibt sich dabei, dass die Differenz zwischen der Betreibungssumme auf der einen und dem neu errechneten Schätzungswert des Anspruchs nebst dem Wert des gepfändeten Mobiliars auf der andern Seite das auf die Dauer eines Jahres zu erwartende Resultat der Lohnpfändung übersteigt, so ist diese ohne weiteres zu bestätigen. Ist sie hingegen kleiner, so ist die Lohnpfändung in ihrer zeitlichen Dauer entsprechend zu reduzieren. Da wohl nicht mit einer solchen Reduktion gerechnet werden muss, jedenfalls nicht in erheblichem Ausmass, ist der Lohn einstweilen weiterhin zu pfänden.
Sollte eine neue Pfändung bzw. eine Nachpfändung nötig sein, weil das Verwertungsergebnis zur Deckung der Forderung nicht ausreicht, so wird sich das Betreibungsamt überlegen müssen, ob es nicht anstelle eines blossen Teilbetrages den gesamten Anspruch
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des Schuldners gegen den Fonds pfänden soll. Auf diese Weise liesse sich eine zweite Lohnpfändung mit grösster Wahr scheinlichkeit vermeiden.

Dispositiv

Demnach erkennt die Schuldbetr.- und Konkurskammer:
Der Rekurs wird teilweise gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, und der angefochtene Entscheid aufgehoben; die Sache wird im Sinne der Erwägungen zu neuer Schätzung des gepfändeten Anspruchs des Rekurrenten gegen den Alters- und Hinterlassenenfonds für ausländische Besatzungsmitglieder der Swissair (Pos. 17 der Pfändungsurkunde vom 7./11. Mai 1973) und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 1 2 3 4 5

Dispositiv

Referenzen

BGE: 97 III 117, 97 III 26, 84 III 22, 84 III 36 mehr...

Artikel: Art. 79 Abs. 1 OG, Art. 95 SchKG, Art. 91 SchKG, Art. 519 Abs. 2 OR mehr...