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Urteilskopf

116 Ia 285


44. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. Juni 1990 i.S. Initiativkommitee für die Beibehaltung der bisherigen Schreibweise der Ortsnamen der Gemeinde Buttisholz gegen Regierungsrat des Kantons Luzern (staatsrechtliche Beschwerde)

Regeste

Gemeindeautonomie.
1. Allgemeine Grundsätze; die Gemeinden dürfen Aufgaben dann übernehmen, wenn lokale Interessen berührt sind und die Aufgabenerfüllung durch die Gemeinde möglich und sinnvoll ist (E. 3a).
2. Die Regelung der Schreibweise von Ortsnamen übersteigt den Rahmen der typisch lokalen Angelegenheiten und kann daher nicht zum Autonomiebereich einer Gemeinde gerechnet werden (E. 3b).

Sachverhalt ab Seite 286

BGE 116 Ia 285 S. 286
Am 16. August 1988 reichten Otto Bucheli und verschiedene Mitbeteiligte beim Gemeinderat von Buttisholz eine von 900 Stimmberechtigten unterzeichnete Gemeindeinitiative ein. Der Text der Initiative lautet wie folgt:
"Antrag an die Gemeindeversammlung:
Der Gemeindeversammlung wird beantragt, die bisherige Schreibweise (nicht
durch die Nomenklaturkommission beschlossene Schreibweise) der Quartier-,
Weiler-, Hof-, Haus- und Strassennamen beizubehalten und die
Gemeindeverwaltung anzuweisen, die durch die Gemeindeversammlung
beschlossene Schreibweise anzuwenden."
Mit Schreiben vom 6. Oktober 1988 an das Initiativkomitee erklärte der Gemeinderat die Initiative für ungültig, da sie einen Gegenstand betreffe, der nicht in die Zuständigkeit der Stimmberechtigten falle.
Eine gegen diesen Entscheid erhobene Stimmrechtsbeschwerde wies der Regierungsrat des Kantons Luzern am 7. April 1989 ab, soweit er darauf eintrat.
Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:
(2.- Eine Initiative darf nicht höherrangigem Recht widersprechen. Das Bundesgericht lässt die Frage offen, ob die Initiative in allen Teilen bundesrechtskonform sei.)

3. Wie dargelegt, darf eine Gemeindeinitiative nicht gegen die ranghöhere übergeordnete Kantonsverfassung verstossen. Der
BGE 116 Ia 285 S. 287
Regierungsrat führt im angefochtenen Entscheid aus, die in der Initiative geregelte Materie könne nicht dem autonomen Bereich der Gemeinde gemäss § 87 KV zugerechnet werden, da diese keine Gemeindeaufgabe darstelle. Weder die Staatsverfassung noch das Gesetz weise diese Aufgabe den Gemeinden zu. Sinn und Bedeutung der Festsetzung der Schreibweise liege darin, dass sie für Orts- und Hofnamen in jeder Beziehung gleich angewendet werde. Dieses öffentliche Interesse an einer gewissen Ordnung gehe über die Belange der Gemeinde hinaus. Demgegenüber stellen sich die Beschwerdeführer auf den Standpunkt, die Schreibweise der Ortsnamen gehöre in den autonomen ursprünglichen Hoheitsbereich einer Gemeinde, da sie die Identität der Gemeinde betreffe.
a) Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist eine Gemeinde in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht diesen Bereich nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt (BGE 115 Ia 44; BGE 114 Ia 169 E. 2a; je mit Hinweisen). Ob und inwieweit eine Gemeinde in einem bestimmten Bereich autonom ist, richtet sich nach dem kantonalen Verfassungs- und Gesetzesrecht; teilweise werden auch ungeschriebene und historisch gewachsene Autonomiebereiche anerkannt (BGE 114 Ia 170 E. b mit Hinweisen). Die luzernischen Gemeinden haben das Recht, "ihre Angelegenheiten" innert den verfassungsmässigen und gesetzlichen Schranken selbständig zu besorgen (§ 87 Abs. 1 Satz 1 KV). Die Gemeinden sind somit für alle lokalen öffentlichen Aufgaben zuständig, die nicht Sache des Staates sind. In diesem Rahmen dürfen sie selbst Aufgaben übernehmen, die als kantonales oder gar nationales Anliegen empfunden werden, wenn lokale Interessen berührt sind und die Aufgabenerfüllung durch die Gemeinde möglich und sinnvoll ist. Dazu gehören vorwiegend Gegenstände, die sich auf das Gemeindegebiet und die Gemeindeeinwohner beziehen. Bei nichtlokalen Angelegenheiten müssen besondere gesetzliche Ermächtigungen vorliegen, bevor die Gemeinde handeln darf (BGE 96 I 30 f.; YVO HANGARTNER, Rechtsetzung durch Gemeinden, in Festschrift für Otto K. Kaufmann, Bern 1989, S. 209; YVO HANGARNTER, Neuere Entwicklungen der Gemeindeautonomie, in BZl 84/1983 S. 526; THOMAS PFISTERER, Die neuere Entwicklung der Gemeindeautonomie, insbesondere im Kanton Aargau, in ZbJV 125/1989, S. 15 f.). Wo der Charakter des Lokalen gewahrt oder verlassen wird, ist durch Werturteil der zuständigen Organe im konkreten Fall zu entscheiden.
BGE 116 Ia 285 S. 288
In der Regel ist eine Gemeinde dann zuständig, wenn das lokale Interesse überwiegt (KURT EICHENBERGER, Verfassung des Kantons Aargau, Aarau 1986, S. 353 N. 11; HENRI ZWAHLEN, L'autonomie communale à la lumière de la jurisprudence récente du Tribunal fédéral suisse, in Mélange Marcel Bridel, Lausanne 1968, S. 639). In diesem Sinne besitzt die Gemeinde - ähnlich einem Individuum - grundsätzlich ein Recht auf ihren eigenen Namen und geniesst gegenüber dem Kanton einen gewissen Namensschutz; dieser darf beispielsweise den Gemeindenamen nicht beliebig abändern.
b) Im vorliegenden Fall geht es jedoch weder um den Gemeindenamen noch um die Benennung der Quartiere, Weiler, Höfe, Häuser und Strassen. Streitig ist lediglich deren Schreibweise. Die Beschwerdeführer bestehen auf der Bisherigen, während der Regierungsrat seinen Entscheid mit dem öffentlichen Interesse an der Einheitlichkeit der Schreibweise rechtfertigt. Ein solches allgemeines, gesamtkantonales Interesse ist anzuerkennen. Es wäre in der Tat nicht sinnvoll, wenn jede Gemeinde ihre eigene Schreibweise einführen würde. Die kantonalen Regeln, wie sie im Reglement des Justizdepartementes vom 29. August 1978/26. März 1980 niedergelegt wurden, sind gesamthaft betrachtet gerechtfertigt. Es geht nicht nur um ein allgemeines Ordnungsanliegen, sondern um Interessen des Rechtsverkehrs und der Verwaltung. Zu denken ist an den privaten schriftlichen Verkehr, abgeschlossene Verträge und an die Einträge von Adressen und Ortsbezeichnungen in Registern und Büchern. Von Bedeutung ist dies auch für den Schutz von Handel und Gewerbe sowie von Dritten, einschliesslich der nicht am Ort ansässigen Bürger. Dagegen kann das Interesse der Gemeinde an der Verbundenheit ihrer Einwohner mit ihrem Gebiet, an der Identifikation und am Zusammenhang zwischen Familien- und Ortsnamen, entgegen der Meinung der Beschwerdeführer, nicht aufkommen. Dieses Interesse wird durch die Modernisierung und Vereinheitlichung der Schreibweise nicht derart stark beeinträchtigt, dass eine Gemeindezuständigkeit anzuerkennen wäre. Mit dem Regierungsrat und dem Gemeinderat ist daher davon auszugehen, dass die Regelung der Schreibweise von Ortsnamen den Rahmen der typisch lokalen Angelegenheiten übersteigt und demnach nicht zum Autonomiebereich einer Gemeinde gerechnet werden kann. Der Regierungsrat hat daher die Initiative zu Recht als ungültig erklärt, da sie kantonalem Verfassungsrecht widerspricht.
BGE 116 Ia 285 S. 289
c) Gestützt auf diese Erwägungen erübrigt es sich zu prüfen, ob gemeindeintern der Gemeinderat oder die Stimmberechtigten für den Entscheid über die Schreibweise der Ortsnamen zuständig sei, da es gar nicht um eine Angelegenheit der Gemeinde geht.