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Urteilskopf

113 Ib 133


23. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 1. Juli 1987 i.S. Edwin Badertscher Architekturbüro AG gegen Politische Gemeinde Seuzach, Verwaltungsgericht des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

Regeste

Art. 5 Abs. 2 RPG, materielle Enteignung: Umzonung eines landwirtschaftlich genutzten Landes von einer Wohnzone mit Schutzbestimmungen in das übrige Gemeindegebiet.
Verneinung einer enteignungsähnlichen Wirkung wegen des Erfordernisses eines Quartierplanverfahrens, mangelnder Bauentwicklung im fraglichen Gebiet und Fehlens besonderer Gründe (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 133

BGE 113 Ib 133 S. 133
Die Edwin Badertscher Architekturbüro AG ist Eigentümerin des Grundstückes Nr. 1176 am "Chirchhoger" in Seuzach. Gemäss dem Zonenplan von 1969/70 lag die Parzelle zum grösseren Teil in einer Wohnzone
BGE 113 Ib 133 S. 134
mit Schutzbestimmungen und zum kleineren Teil im übrigen Gemeindegebiet. Das Grundstück wird landwirtschaftlich genutzt. Es wird im Süden durch die Kirchgasse, die in diesem Abschnitt im Eigentum einer Flurgenossenschaft steht, sowie im Westen und Norden durch je einen weiteren landwirtschaftlichen Flurweg begrenzt. In einer Entfernung von 70-120 m östlich der Parzelle verläuft die Kirchhügelstrasse.
Bei einer Revision des Zonenplanes beschloss die Gemeindeversammlung am 13. Dezember 1974, den bisher in der Wohnzone mit Schutzbestimmungen gelegenen Teil der Parzelle Nr. 1176 ebenfalls dem übrigen Gemeindegebiet zuzuteilen. Diese Zonenplanrevision wurde nach Ablehnung eines Rekurses der Badertscher AG vom Regierungsrat am 1. Juli 1977 (publiziert am 6. August 1977) genehmigt. Die Badertscher AG meldete hierauf am 2. Mai 1978 einen Entschädigungsanspruch wegen materieller Enteignung an. Mangels Einigung wurde das enteignungsrechtliche Schätzungsverfahren durchgeführt. Mit Entscheid vom 20. Dezember 1983 bejahte die Schätzungskommission IV einen enteignungsähnlichen Eingriff und verpflichtete die Gemeinde Seuzach zur Bezahlung einer Entschädigung von Fr. 930'750.--.
Kurz zuvor, am 28. Oktober 1983, hatte die Gemeinde Seuzach im Rahmen einer Anpassung der Bau- und Zonenordnung an das Zürcher Planungs- und Baugesetz vom 7. September 1975 (PBG) die Zoneneinteilung des Grundstückes Nr. 1176 in dem Sinne geändert, dass der ursprünglich in der Wohnzone mit Schutzbestimmungen gelegene Teil der Reservezone zugewiesen wurde. Der restliche Teil blieb im übrigen Gemeindegebiet.
Die Gemeinde Seuzach erhob gegen den Entscheid der Schätzungskommission Einsprache und liess im Klageverfahren vor Verwaltungsgericht beantragen, es sei festzustellen, dass sie der Badertscher AG keine Entschädigung aus materieller Enteignung schulde. Mit Entscheid vom 17. Januar 1986 hiess das Gericht die Klage gut. Es stellte fest, dass die Gemeinde Seuzach der Badertscher AG aus der öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkung durch die Zuweisung eines Teils des Grundstückes Nr. 1176 in das übrige Gemeindegebiet gemäss der Bau- und Zonenordnung der Gemeinde Seuzach vom 13. Dezember 1974 keine Entschädigung schulde.
Eine gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde weist das Bundesgericht ab.
BGE 113 Ib 133 S. 135

Erwägungen

Aus der Erwägungen:

3. (Begriff der materiellen Enteignung, s. BGE 112 Ib 389 E. 3 mit zahlreichen Hinweisen.)

4. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall führt zu folgendem Ergebnis:
a) Massgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob die Beschwerdeführerin zufolge der Einweisung eines Teiles ihres Grundstückes in das übrige Gemeindegebiet materiell enteignet wurde, ist das Inkrafttreten des Zonenplanes vom 13. Dezember 1974, somit der 6. August 1977. Von diesem Stichtag an durften auf der entsprechenden Fläche im wesentlichen nur Bauten errichtet werden, die der landwirtschaftlichen Nutzung dienen (Art. 36 der Bauordnung Seuzach von 1966).
b) Ob unter den gegebenen Umständen die Zuweisung des in Frage stehenden Abschnittes der Liegenschaft der Beschwerdeführerin in das übrige Gemeindegebiet einer Enteignung gleichkommt (Art. 5 Abs. 2 RPG), hängt entscheidend davon ab, ob im massgebenden Zeitpunkt - somit August 1977 - eine Überbauung mit hoher Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft hätte verwirklicht werden können. Gemäss den hiefür in erster Linie massgebenden rechtlichen Gegebenheiten könnte dies nur angenommen werden, wenn die Beschwerdeführerin in der Lage und Willens gewesen wäre, die fehlende Baureife ihrer Liegenschaft aus eigener Kraft herbeizuführen. Sie bejaht dies mit dem Hinweis auf die Möglichkeit eines privaten Quartierplanverfahrens.
c) Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung spricht das Erfordernis einer Erschliessungsplanung und Parzellarordnung gegen die mit hoher Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft zu erwartende Überbauung eines Grundstücks. Auch ergibt sich aus der Notwendigkeit der Zustimmung des Gemeinderates zur Einleitung des Quartierplanverfahrens und der Genehmigung durch die kantonale Baudirektion (§ 132 PBG), dass der von allen Grundeigentümern zu stellende Antrag auf Verfahrenseinleitung rechtzeitig vor dem massgebenden Stichtag gestellt werden muss (BGE 110 Ib 34 E. 4a; BGE 106 Ia 377 E. 3e).
Im vorliegenden Fall wies die Gemeindeversammlung von Seuzach den in Frage stehenden Parzellenabschnitt dem übrigen Gemeindegebiet bereits Ende 1974 zu. Die Beschwerdeführerin erhob dagegen Einsprache; sie hatte jedoch weder vor noch nach dem Beschluss der Gemeindeversammlung Schritte unternommen, um im Einverständnis aller Eigentümer des Beizugsgebiets ein Quartierplanverfahren einzuleiten. Sie anerkennt, dass ein Quartierplan
BGE 113 Ib 133 S. 136
Voraussetzung für die Herbeiführung der Baureife ihres Grundstückes bildet. Mangels Einleitung des privaten Quartierplanverfahrens bestand daher im massgebenden Zeitpunkt der Rechtskraft der Zonenplanänderung die rechtliche Möglichkeit nicht, die Baureife des Areales durch Projektierung und Erstellung der Feinerschliessungsanlagen herbeizuführen.
Die Beschwerdeführerin kritisiert diese Rechtsprechung, die massgebend auf die am Stichtag geltende Rechtslage abstellt, als zu streng. Doch übersieht sie, dass der Eigentümer eines ausserhalb des bestehenden Baugebietes gelegenen unerschlossenen Areals seit jeher die baurechtlichen Voraussetzungen für eine Überbauung abzuwarten hatte, sofern er sie nicht selbst schaffen konnte. Dabei hatte er auch mit den nicht in seiner Macht stehenden Rechtsänderungen sowie den im kantonalen Recht regelmässig vorbehaltenen Genehmigungen für Erschliessungsanlagen zu rechnen. Auch gemäss dem früheren Zürcher Baugesetz für Ortschaften mit städtischen Verhältnissen war der Gemeinderat in pflichtgemässer Ermessensausübung berechtigt, eine Baubewilligung bis zum Vorliegen eines genehmigten Quartierplans zu verweigern. Die Gemeinde Seuzach unterstand diesem Gesetz in gleicher Weise, wie dies für die Gemeinde Oberstammheim zutraf (BGE 110 Ib 34 E. 4a; Zürcher Gesetzessammlung, 5. Band der am 1. Januar 1961 in Kraft stehenden Erlasse, Anhang zum BauG, S. 45).
Von dieser Rechtsprechung abzuweichen, besteht kein Anlass. Doch schliesst die Feststellung, im massgebenden Zeitpunkt hätten die rechtlichen Möglichkeiten für die Schaffung der Baureife aus eigener Kraft nicht bestanden, nicht aus, alle weiteren Umstände des konkreten Falles zu berücksichtigen. Der Beschwerdeführerin ist darin beizupflichten, dass es nicht anginge, einzig auf den fehlenden Antrag für die Einleitung eines privaten Quartierplanverfahrens abzustellen, wenn eine Baulandumlegung - wie sie dies unter Umständen als möglich erachtet - an einer Sitzung vereinbart und ein Quartierplan nachgewiesenermassen in kürzester Zeit realisiert werden könnte. So verhält es sich jedoch im vorliegenden Falle nicht.
Auch wenn die Erschliessbarkeit des Areales nicht fraglich ist, hätten dessen Feinerschliessung und der Anschluss an die Hauptstränge der übergeordneten Erschliessungsanlagen sorgfältiger Abklärung bedurft. Die Überbauung, die mit dem Quartierplan festzusetzen gewesen wäre, hätte überdies auf das schützenswerte Ortsbild des Chirchhogers Rücksicht
BGE 113 Ib 133 S. 137
nehmen müssen. Desgleichen wäre die Erschliessung und Überbauung auf das angrenzende Familiengartenareal abzustimmen gewesen. Schliesslich hätte auch die Unterquerung des Chrebsbaches näher abgeklärt werden müssen. Für die in Betracht kommenden Lösungen wäre das Einverständnis aller betroffenen Eigentümer sowie die Zustimmung der Gemeinde und des Kantons erforderlich gewesen. Hiefür wäre - wie das Verwaltungsgericht mit Recht annehmen durfte - mit einem längeren Zeitaufwand und einem ungewissen Ausgang zu rechnen gewesen. Das Gericht hat daher in Übereinstimmung mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung richtigerweise ausgeschlossen, dass am massgebenden Stichtag mit hoher Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft eine Überbauung der nicht baureifen Liegenschaft der Beschwerdeführerin zu erwarten gewesen wäre.
d) Besondere Umstände, welche zu einem von der Regel abweichenden Ergebnis führen, liegen im vorliegenden Fall nicht vor. Dem Entscheid der Schätzungskommission vom 20. Dezember 1983 kann entnommen werden, dass die Beschwerdeführerin das Land im Jahre 1961 zu einem Preis von Fr. 18.--/m2 gekauft hat, als es noch nicht eingezont war. Sie hat es als Reserve im Hinblick auf eine spätere Überbauung erworben. Als erfahrene Architekturfirma musste sie wissen, dass eine Überbauung nur nach Planungs- und Erschliessungsmassnahmen realisiert werden konnte. Dass hiefür mit längerem Zeitaufwand zu rechnen war, ergibt sich aus der Lage des Landes am Rande des Siedlungsgebietes.
Der Augenschein hat die Feststellungen des Verwaltungsgerichts bestätigt, wonach sich die bauliche Entwicklung von Seuzach vor allem gegen Osten hin und dies schwergewichtig in der Gegend des Bahnhofes vollzog. Die Instruktionsverhandlung hat ergeben, dass der frühere Zonenplan aus dem Jahre 1969/70 eine zu ausgedehnte Bauzonenfläche ausgeschieden hatte. Gemäss dem Zürcher Planungs- und Baugesetz vom 7. September 1975 musste daher das Baugebiet verkleinert werden (§ 47 PBG). Dass hiefür das unerschlossene, eher peripher gelegene Areal unterhalb des Chirchhogers dem übrigen Gemeindegebiet zugewiesen wurde, liegt auf der Hand.
e) Da, wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, die Zuweisung des fraglichen Parzellenteils in das übrige Gemeindegebiet keine materielle Enteignung bedeutete, hat das Verwaltungsgericht die an und für sich im vorliegenden Verfahren ebenfalls zu berücksichtigende Zuteilung in
BGE 113 Ib 133 S. 138
die Reservezone im Jahre 1983 zu Recht nicht mehr in seine Betrachtungen einbezogen.
Gemäss § 65 PBG umfasst die Reservezone jene Flächen, welche keiner andern Zone zugewiesen sind. In dieser Zone ist zur Zeit an Bautätigkeit höchstens zugelassen, was Art. 24 RPG erlaubt. Doch sind die Nutzungspläne in angemessenen Zeitabständen zu überprüfen, zu überarbeiten und anzupassen, wenn sich die Verhältnisse erheblich geändert haben (Art. 21 Abs. 2 RPG). Die Gemeinde Seuzach ist sich offenbar ihrer Überprüfungspflicht gemäss Art. 21 Abs. 2 RPG bewusst, vertritt sie doch in ihrer Vernehmlassung die Meinung, dass sich nach den heutigen Planungsgrundlagen die Wiedereinzonung der Reservezone aufdränge, wenn sich der Bedarf dafür abzeichne.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 3 4

Referenzen

BGE: 110 IB 34, 112 IB 389, 106 IA 377

Artikel: Art. 5 Abs. 2 RPG, Art. 21 Abs. 2 RPG, § 132 PBG, § 47 PBG mehr...