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Urteilskopf

124 V 368


62. Urteil vom 30. September 1998 i.S. B. gegen SWICA Gesundheitsorganisation und Versicherungsgericht des Kantons Aargau

Regeste

Art. 67, Art. 72 Abs. 2 KVG; Art. 110 KVV: Beginn der Taggeldleistungspflicht.
Art. 72 Abs. 2 KVG unterscheidet zwischen der Entstehung des Anspruchs und dem Leistungsbeginn.
Art. 110 KVV schiebt nicht die Entstehung des Taggeldanspruchs, die in Art. 72 Abs. 2 Satz 1 KVG geregelt ist, hinaus, sondern befreit die Krankenkasse von der an sich bestehenden Taggeldleistungspflicht.

Sachverhalt ab Seite 368

BGE 124 V 368 S. 368

A.- B., geboren 1955, war bis 31. Mai 1996 bei der SWICA Gesundheitsorganisation, Winterthur, kollektiv für ein Taggeld von 90% des versicherten Lohnes ab dem 61. Tag bei Krankheit und bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Unfall und Berufskrankheit versichert. Per 1. Juni 1996 trat er infolge Stellenwechsels in die Einzelversicherung "Salaria" der SWICA über, wo ebenfalls eine Wartefrist von 60 Tagen vereinbart wurde. Seit 19. Februar 1996 war er wegen einer Berufskrankheit (chronisch-rezidivierendes Ekzem an beiden Händen) zu 100% arbeitsunfähig und erhielt dafür von der SUVA bis zum Behandlungsabschluss am 19. Juni 1996 ein Taggeld von 163 Franken. In der Folge war er wegen Krankheit weiterhin vollumfänglich arbeitsunfähig.
Mit Verfügung vom 12. November 1996 teilte die SWICA B. mit, die 60tägige Wartefrist habe am 20. Juni 1996 zu laufen begonnen und am 18. August 1996 geendet; das Krankengeld werde ab 19. August 1996 ausbezahlt. Diese Verfügung bestätigte die SWICA mit Einspracheentscheid vom 10. Februar 1997.
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B.- Die dagegen eingereichte Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 28. Mai 1997 ab.

C.- B. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, ihm sei in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids ein Krankentaggeld ab 20. Juni 1996 zuzusprechen; (...).
Während die SWICA auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, beantragt das Bundesamt für Sozialversicherung deren Gutheissung.

Erwägungen

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1. a) Nach Art. 67 Abs. 1 KVG kann, wer in der Schweiz Wohnsitz hat oder erwerbstätig ist und das 15., aber noch nicht das 65. Altersjahr zurückgelegt hat, bei einem Versicherer nach Art. 68 KVG eine Taggeldversicherung abschliessen. Die Taggeldversicherung kann als Kollektivversicherung abgeschlossen werden (Art. 67 Abs. 3 KVG). Das Gesetz enthält in Art. 72 KVG Bestimmungen insbesondere zum Anspruchsbeginn (Abs. 2), zur Dauer des Anspruchs (Abs. 3) sowie zur Kürzung der Leistung bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit (Abs. 4) und bei Überentschädigung (Abs. 5). Nach Abs. 2 dieses Artikels entsteht der Taggeldanspruch, wenn die versicherte Person mindestens zur Hälfte arbeitsunfähig ist (Satz 1). Ist nichts anderes vereinbart, so entsteht der Anspruch am dritten Tag nach der Erkrankung (Satz 2). Der Leistungsbeginn kann gegen eine entsprechende Herabsetzung der Prämie aufgeschoben werden (Satz 3). Wird für den Anspruch auf Taggeld eine Wartefrist vereinbart, während welcher der Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung verpflichtet ist, so kann die Mindestbezugsdauer des Taggeldes um diese Frist verkürzt werden (Satz 4).
b) Gemäss Kollektivvertrag Nr. 199 1401 ist die Wartefrist (von 60 Tagen) pro Kalenderjahr nur einmal zu bestehen und wird an die Leistungsdauer angerechnet. Sie ist nicht neu zu bestehen, wenn innerhalb eines Monats nach Wiederaufnahme der Arbeit eine Wiedererkrankung mit mindestens 25%iger Arbeitsunfähigkeit eintritt. Diese Bestimmung deckt sich mit Art. 8 Abs. 1 der Zusatzbedingungen Taggeldversicherung Salaria, Ausgabe 1996 (nachfolgend: Zusatzbedingungen), wo zusätzlich festgehalten wird, dass die Wartefrist am Tag der ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit beginnt. Der Anspruch auf Taggeld beginnt mit dem Tag, für welchen der behandelnde Arzt oder Chiropraktor den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, die einen Lohn-
BGE 124 V 368 S. 370
und Erwerbsausfall zur Folge hat, bescheinigt (Art. 5 Abs. 1 Zusatzbedingungen). Nach Art. 27 lit. a Satz 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), Ausgabe 1996, der den Übertritt von der Kollektiv- in die Einzelversicherung regelt, werden die Übertretenden im gleichen Umfang versichert, wie sie vorher in der Kollektivversicherung versichert waren.

2. Es steht nach den Akten fest und ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer ab 19. Februar 1996 zunächst wegen einer Berufskrankheit und später wegen einer anderen Krankheit zu 100% arbeitsunfähig war und daher, gestützt auf den Kollektivvertrag bzw. ab 1. Juni 1996 auf die Einzelversicherung, grundsätzlich Anspruch auf die vereinbarten Versicherungsleistungen hatte. Umstritten ist einzig der Beginn des Leistungsanspruchs.
a) Dem klaren Wortlaut nach unterscheidet Art. 72 Abs. 2 KVG zwischen der Entstehung des Anspruchs und dem Leistungsbeginn. Während nach Satz 1 dieser Bestimmung der Taggeldanspruch mit der mindestens hälftigen Arbeitsunfähigkeit entsteht, kann der Leistungsbeginn nach Satz 3 aufgeschoben werden. Wohl schränkt Satz 2 diese Regelung insofern ein, als der Anspruch erst am dritten Tag nach der Erkrankung entsteht, wenn nichts anderes vereinbart ist. Diese Bestimmung findet indessen im vorliegenden Fall keine Anwendung, da nach Art. 5 Abs. 1 der Zusatzbedingungen der Anspruch auf Taggeld mit dem Tag beginnt, für welchen der behandelnde Arzt oder Chiropraktor den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, die einen Lohn- und Erwerbsausfall zur Folge hat, bescheinigt. Nach dem Gesagten steht fest, dass nach Art. 72 Abs. 2 KVG nicht der Taggeldanspruch an sich, sondern lediglich der Leistungsbeginn aufgeschoben, d.h. eine sogenannte Wartefrist vereinbart werden kann. Diese beginnt mit der Entstehung des Taggeldanspruchs zu laufen. Diese Betrachtungsweise deckt sich im übrigen auch mit der in den Zusatzbedingungen der Beschwerdegegnerin festgehaltenen Regelung, wonach die Wartefrist am Tag der ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit zu laufen beginnt (Art. 8 Abs. 1).
b) Von den Bestimmungen über die Entstehung des Anspruchs und den Leistungsbeginn sind die Koordinationsregeln nach Art. 110 ff. KVV zu unterscheiden, die der Bundesrat gestützt auf Art. 78 KVG erlassen hat. Entgegen der von der Vorinstanz bestätigten Ansicht der SWICA enthält insbesondere Art. 110 KVV keine Ausführungen zum Anspruch auf Versicherungsleistungen der Krankenversicherung. Dieser Artikel (in der bis
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31. Juli 1998 gültig gewesenen Fassung) stellt vielmehr eine Rang- oder Prioritätenordnung auf: Wenn in einem Versicherungsfall Leistungen der Krankenversicherung mit gleichartigen Leistungen der Unfallversicherung nach dem Unfallversicherungsgesetz (UVG), der Militärversicherung oder der Invalidenversicherung zusammentreffen, gehen die Leistungen dieser anderen Sozialversicherungen vor. Die Krankenversicherung muss somit nicht leisten (Maurer, Das neue Krankenversicherungsrecht, S. 118 f.). Bereits die Wortwahl dieses Artikels schliesst eine Auslegung im Sinne der Beschwerdegegnerin aus: Leistungen der Krankenversicherung und einer anderen Sozialversicherung können nur zusammentreffen, wenn darauf bereits ein Anspruch besteht. Dieser Artikel regelt damit allein - aber immerhin - die Vorleistungspflicht der anderen Sozialversicherungen.
c) Zusammenfassend schiebt Art. 110 KVV nicht die Entstehung des Taggeldanspruchs, die in Art. 72 Abs. 2 Satz 1 KVG geregelt ist, hinaus, sondern befreit die Krankenkasse von der an sich bestehenden Taggeldleistungspflicht.

3. Werden die in Erw. 2 gewonnenen Erkenntnisse auf den vorliegenden Fall angewendet, ergibt sich, dass der Beschwerdeführer ab 20. Juni 1996 Taggeldleistungen der SWICA beanspruchen kann.
Er war seit 19. Februar 1996 infolge Berufskrankheit, die ebenfalls unter den Krankheitsbegriff des Art. 2 Abs. 1 KVG fällt (vgl. Maurer, a.a.O., S. 119), zu 100% arbeitsunfähig. An diesem Tag entstand grundsätzlich der Anspruch auf Taggelder und begann die 60tägige Wartefrist gemäss Kollektivvertrag zu laufen. Letztere endete am 20. April 1996, womit der Leistungsbeginn an sich auf den 21. April 1996 fiel. Da die SUVA aufgrund von Art. 110 KVV zu diesem Zeitpunkt noch Taggelder von 163 Franken ausrichtete, war die SWICA ihrerseits von der Leistungspflicht befreit. Zum Zeitpunkt, als die SUVA ihre Zahlungen wegen Abschlusses der Behandlung der Berufskrankheit einstellte (20. Juni 1996), war die Wartefrist von 60 Tagen gemäss Versicherungspolice längst abgelaufen, so dass die SWICA dem Beschwerdeführer ab 20. Juni 1996 für die weiterdauernde, aber nun nicht mehr berufskrankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit das vereinbarte Taggeld zu erbringen hat.
Nichts an diesem Ergebnis zu ändern vermag der Umstand, dass der Beschwerdeführer während bestehender Krankheit von der Kollektiv- in die Einzelversicherung wechselte, wird doch der Besitzstand beim Übertritt von der Kollektiv- in die Einzelversicherung der SWICA gewahrt (Art. 27 lit. a Satz 1 AVB).

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Sachverhalt

Erwägungen 1 2 3

Referenzen

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