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Urteilskopf

108 Ib 301


56. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 13. Oktober 1982 i.S. Bagci gegen Bundesanwaltschaft und Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (Einsprache gemäss Auslieferungsgesetz)

Regeste

Auslieferung. Europäisches Auslieferungsübereinkommen.
1. Gehilfenschaft zu einem Tötungsdelikt (E. 3).
2. Kein politisches Delikt (E. 4).
3. Die in der Schweiz begangene Teilnahme an einer im Ausland ausgeführten Haupttat gilt nach dem Grundsatz der Akzessorietät der Teilnahme als im Ausland verübt (E. 5).

Sachverhalt ab Seite 301

BGE 108 Ib 301 S. 301
Auf Ersuchen der italienischen Strafverfolgungsbehörden wurde der türkische Staatsangehörige Omer Bagci am 3. Juni 1982 in Solothurn in Auslieferungshaft gesetzt. Mit Note vom 15. Juni 1982 ersuchte die italienische Botschaft in Bern um die Auslieferung Bagcis. Es wird ihm im wesentlichen vorgeworfen, er habe zu dem von seinem Landsmann Mehmet Ali Agca am 13. Mai 1981 gegen Papst Johannes Paul II in Rom begangenen Attentat Beihilfe geleistet, indem er die Tatwaffe, eine Browning-Pistole, in der Schweiz aufbewahrt und sie Agca am 9. Mai 1981 nach Mailand gebracht und dort übergeben habe.
BGE 108 Ib 301 S. 302
Bagci widersetzt sich der Auslieferung mit der Begründung, er könne nicht als am Attentat beteiligt gelten, weil er über Agcas Plan nicht orientiert gewesen sei.
Das Bundesgericht weist die Einsprache in diesem Punkte ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Zu entscheiden bleibt, ob Bagci wegen Gehilfenschaft zu einem Tötungsdelikt ausgeliefert werden dürfe. Er bestreitet dies, indem er ausführen lässt, er habe nicht gewusst, wozu Agca die ihm übergebene Pistole verwenden werde. Sein Anwalt bemerkt weiter, es verhalte sich offensichtlich nicht so, dass die Tat ohne die Mitwirkung von Bagci nicht begangen worden wäre, weshalb dieser nicht als Teilnehmer am Delikt betrachtet werden könne.
a) Der Standpunkt, Gehilfenschaft setze voraus, dass die Tat ohne die Handlung des Gehilfen nicht begangen worden wäre, widerspricht einhelliger Lehre und Rechtsprechung (BGE 92 IV 114; BGE 88 IV 27; BGE 78 IV 7; VITAL SCHWANDER, Das schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Aufl., S. 135, N. 267a; GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, S. 345). Es genügt vielmehr jeder kausale Beitrag des Gehilfen, der das Verbrechen fördert, so dass sich die Tat ohne seine Mitwirkung anders abgespielt hätte (BGE 98 IV 85 mit Verweisungen). In diesem Sinne war die Übergabe der Tatwaffe durch Bagci an Agca ohne Zweifel objektiv ein kausaler Beitrag zur Tat Agcas.
b) Notwendig ist indes, dass die Hilfeleistung vorsätzlich erfolgt (Art. 25 StGB). Dieses Element bestreitet Bagci sinngemäss, wenn er ausführt, er habe nicht gewusst, wofür Agca die ihm übergebene Pistole benötige.
In tatbeständlicher Hinsicht ist diejenige Darstellung massgebend, die im Auslieferungsbegehren und in den begleitenden Akten, namentlich im Haftbefehl, enthalten ist. Das Bundesgericht ist nicht befugt, den ihm dargelegten Tatbestand zu überprüfen, unter dem einzigen Vorbehalt, dass dieser keine offensichtlichen Irrtümer, Lücken oder Widersprüche enthalte (BGE 106 Ib 299 E. 2, BGE 105 Ib 425 /426 E. 4b mit Verweisungen). Dies gilt auch für den subjektiven Tatbestand, zu dem vor allem das Wissen des Angeschuldigten gehört. In dieser Hinsicht wird im Haftbefehl ausgeführt, Agca habe Bagci telefonisch ersucht, die bei ihm hinterlegte Pistole nach Mailand zu bringen, weil er sie für seine terroristische
BGE 108 Ib 301 S. 303
Tätigkeit benötige, die ihm, Bagci, bereits bekannt gewesen sei. Im Begleitschreiben vom 7. Juni 1982, das eine ausführlichere Darstellung der äusseren Tatumstände enthält, wird zum Wissen Bagcis ausgeführt, nach den Aussagen Agcas sei Bagci dessen terroristische Aktivität gut bekannt gewesen. Es wird somit nicht gesagt, Bagci habe den genauen Verwendungszweck der Waffe gekannt, als er sie Agca übergeben habe.
Indessen folgt daraus nicht, das sich Bagci - immer vorausgesetzt, dass sich die Dinge so abgespielt haben, wie dies im Auslieferungsbegehren und im Haftbefehl dargestellt wird - nicht der Gehilfenschaft zu einem Tötungsversuch schuldig gemacht hätte. Wer für einen Freund, dessen terroristische Tätigkeit ihm generell bekannt ist, eine Pistole mit Munition aufbewahrt mit dem Versprechen, sie ihm zu jedem gewünschten Zeitpunkt in einen anderen Staat zu überbringen, und wer dann die Weisung erhält, sich zur Übergabe dieser Waffe an einem genau bestimmten Tag und zu einer genau bestimmten Stunde an einer bestimmten Stelle einer ausländischen Stadt, einzufinden, die für ihn erst nach einer vielstündigen Reise erreichbar ist, muss nicht nur in ganz allgemeiner Form damit rechnen, dass sein Freund von dieser Waffe in naher Zukunft gegenüber einem Menschen Gebrauch macht; er nimmt diese Folge vielmehr bewusst in Kauf und billigt sie. Das nach der Begriffsbestimmung von Art. 25 StGB für Gehilfenschaft erforderliche Merkmal des Vorsatzes erscheint somit jedenfalls in der Form des Eventualvorsatzes als erfüllt (vgl. zu diesem Begriff BGE 103 IV 67 f. E. 1; BGE 101 IV 46 E. 4 mit Verweisungen). Darauf, dass Bagci nach der im Haftbefehl enthaltenen Darstellung des Sachverhalts möglicherweise nicht wusste, auf welchen Menschen Agca zu schiessen beabsichtige, kann es nicht ankommen. Der Gehilfe braucht die beabsichtigte Tat nicht in ihren Einzelheiten zu kennen, und jedes Menschenleben ist grundsätzlich in gleicher Weise durch das Strafrecht geschützt. Die Bagci zur Last gelegte Tat erfüllt somit auch nach schweizerischer Lehre und Rechtsprechung den Tatbestand der Gehilfenschaft zu einem Tötungsdelikt und stellt mithin ein Auslieferungsdelikt dar. Dass die Schweiz einen Tatbestand des Attentats gegen ein Staatsoberhaupt nicht kennt, steht dieser Lösung nicht entgegen. Die rechtliche Qualifikation des Sachverhaltes ist Sache des ersuchenden Staates. Für die Auslieferung genügt es, wenn der Sachverhalt als solcher auch nach schweizerischem Recht unter eine Norm fällt, welche die Auslieferung gestattet (BGE 101 Ia 409 /410 E. 4, 595 E. 5a; HANS
BGE 108 Ib 301 S. 304
SCHULTZ, Das schweizerische Auslieferungsrecht, Basel, 1953, S. 358/359).

4. Zu Recht macht der Einsprecher nicht geltend, die Tat Agcas und seine Gehilfenschaft dazu seien als politische Delikte zu betrachten, was der Auslieferung nach Art. 3 EAUe entgegenstünde, und zwar entsprechend einem von der Schweiz zu diesem Artikel angebrachten Vorbehalt auch dann, wenn die betreffende Handlung wie hier in einem Anschlag gegen das Leben eines Staatsoberhauptes bestand (SR 0.353.1 S. 23 unten). Ein absolut politisches Delikt scheidet im vornherein aus, und auch ein sogenanntes relativ politisches Delikt kann nach der zurückhaltenden Auslegung dieses Begriffes durch die schweizerische Rechtsprechung nicht angenommen werden. Es mag genügen, in diesem Zusammenhang auf einige veröffentlichte Urteile aus neuester Zeit hinzuweisen (BGE 106 Ib 301 ff. E. 4; BGE 101 Ia 64 f. E. 5, 425 f. E. 6, 604 f. E. 6 mit Verweisungen).

5. Die Auslieferung ist zu verweigern, wenn sie wegen Straftaten verlangt wird, die mindestens teilweise auf dem Staatsgebiet der Schweiz begangen wurden, es sei denn, die Auslieferung müsse wegen weiterer strafbarer Handlungen auf dem Gebiet des ersuchenden Staates ohnehin bewilligt werden (Vorbehalt der Schweiz zu Art. 7 und 8 EAUe, SR 0.353.1 S. 24; BGE 101 Ia 402, 599 E. 6). Wie dargelegt, steht nur die Auslieferung wegen Gehilfenschaft zu einem Tötungsdelikt zur Diskussion. In dieser Hinsicht ist fraglich, ob die Handlungen Bagcis in der Schweiz (Aufbewahren der Waffe und ihre Mitnahme bis zur Landesgrenze) Gehilfenschaft darstellen. Die Frage kann indessen offen bleiben, weil auch die Annahme von Gehilfenschaft der Auslieferung nicht entgegenstände. Denn die in der Schweiz begangene Teilnahme an einer im Ausland ausgeführten Haupttat gilt nach dem Grundsatz der Akzessorietät als im Ausland verübt (BGE 104 IV 86 mit Hinweisen).