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Urteilskopf

129 II 232


23. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. Swisscom Fixnet AG gegen Bundesamt für Kommunikation sowie Rekurskommission des Eidgenössischen Departementes für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
2A.619/2002 vom 10. März 2003

Regeste

Art. 55 Abs. 2 und 3 VwVG, Art. 20 Abs. 5 und Art. 22 VRSK; Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde an eine eidgenössische Rekurskommission.
Art. 55 Abs. 3 VwVG und Art. 20 Abs. 5 VRSK ermächtigen den Präsidenten einer eidgenössischen Rekurskommission zum Entscheid über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Das Reglement der Rekurskommission UVEK überträgt diese Entscheidbefugnis auf den Instruktionsrichter; eine solche Regelung ist mit dem übergeordneten Bundesrecht nicht vereinbar. Der Zwischenentscheid, mit welchem der Instruktionsrichter der Rekurskommission UVEK das Begehren um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt hat, ist aufzuheben und die Sache wird an die Rekurskommission UVEK zurückgewiesen zu neuem Entscheid über das Begehren durch den Kommissionspräsidenten (E. 2).

Sachverhalt ab Seite 233

BGE 129 II 232 S. 233
Die Swisscom Fixnet AG (Swisscom) stellt heute noch den meisten Teilnehmern am Telefonverkehr die Verbindung, den physischen Zugang zum öffentlichen Telefonnetz zur Verfügung. Will ein Teilnehmer am Telefonverkehr eine Konkurrentin der Swisscom als Anbieterin von Fernmeldediensten wählen, setzt dies voraus, dass die Swisscom dieser im Sinne von Art. 11 des Fernmeldegesetzes vom 30. April 1997 (FMG; SR 784.10) Interkonnektion gewährt. Um den Zugang zu den Diensten einer jeden Anbieterin technisch zu gewährleisten, steht unter anderem die so genannte Carrier Preselection (CPS) zur Verfügung. Im Zusammenhang mit den diesbezüglich erforderlichen Schaltungen fallen bei der Swisscom Informationen an.
Das Bundesamt für Kommunikation (Bundesamt) eröffnete am 25. März 2002 ein Aufsichtsverfahren um abzuklären, ob die Swisscom im Zusammenhang mit CPS-Schaltungen erworbene Informationen, die es als Interkonnektionsinformationen qualifiziert, in rechtswidriger Weise verwende. Mit Verfügung vom 11. November 2002 stellte es fest, die Swisscom habe die in Art. 50 Abs. 2 der Verordnung vom 31. Oktober 2001 über Fernmeldedienste (FDV; SR 784.101.1) statuierte Pflicht, Interkonnektionsinformationen über Teilnehmer nur im Rahmen der Interkonnektionsverfahren zu verwenden, sowie Art. 60 Abs. 1 FDV und das durch Art. 43 FMG geschützte Fernmeldegeheimnis verletzt (Ziff. 1 des Dispositivs). Es forderte die Swisscom Fixnet AG gestützt auf Art. 58 Abs. 2 FMG auf, die Verwendung von vertraulichen Interkonnektionsinformationen im Zusammenhang mit Fernmeldedienstleistungen und Marketingaktivitäten unverzüglich zu unterlassen und dem Bundesamt spätestens 30 Tage nach Eröffnung der Verfügung mitzuteilen,
BGE 129 II 232 S. 234
was sie diesbezüglich unternommen habe (Ziff. 2). Einer allfälligen Beschwerde gegen diese Anordnung entzog das Bundesamt gestützt auf Art. 55 Abs. 2 VwVG die aufschiebende Wirkung (Ziff. 5).
Gegen diese Verfügung des Bundesamtes erhob die Swisscom Verwaltungsbeschwerde an die Rekurskommission des Eidgenössischen Departementes für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Rekurskommission UVEK); sie stellte insbesondere den Antrag, Ziff. 5 des Dispositivs der angefochtenen Verfügung aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Verwaltungsbeschwerde (hinsichtlich der Verpflichtung, CPS-Informationen nicht mehr zu verwenden) wiederherzustellen. Der Instruktionsrichter der Rekurskommission UVEK wies das Gesuch um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung mit Zwischenentscheid vom 6. Dezember 2002 ab.
Am 20. Dezember 2002 hat die Swisscom gegen diesen Zwischenentscheid (Zwischenverfügung) Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben mit dem Antrag, diesen aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der vor der Rekurskommission hängigen Verwaltungsbeschwerde wiederherzustellen.
Das Bundesgericht heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut und hebt den angefochtenen Zwischenentscheid auf.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Die Beschwerdeführerin (...) bestreitet die Zuständigkeit des Instruktionsrichters zum Entscheid über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (...).

2.1 Gemäss Art. 55 Abs. 3 VwVG entscheidet die Beschwerdeinstanz oder bei Kollegialbehörden deren Vorsitzender über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin hätte der angefochtene Entscheid angesichts des Wortlauts dieser Bestimmung einzig vom Präsidenten der Rekurskommission gefällt werden können. Sie beruft sich zudem auf Art. 20 Abs. 5 der Verordnung vom 3. Februar 1993 über Organisation und Verfahren eidgenössischer Rekurs- und Schiedskommissionen (Organisationsverordnung, VRSK; SR 173.31), welcher ebenfalls ausdrücklich (bloss) den Präsidenten zur Verfügung über vorsorgliche Massnahmen ermächtigt; die Delegation dieser Befugnis an den Instruktionsrichter sei nicht erlaubt und ohnehin nicht in zulässiger Form erfolgt.
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Der Präsident der Rekurskommission weist in der Vernehmlassung auf Art. 18 VRSK hin; nach dessen Absatz 1 obliegt ihm die administrative Leitung der Kommission. Zudem erwähnt er das gestützt auf diese Leitungskompetenz erlassene Kommissionsreglement vom 27. März 2000, nach dessen Art. 10 Abs. 3 die Instruktionsrichterinnen und Instruktionsrichter ermächtigt sind, unter anderem Verfügungen betreffend den Erlass vorsorglicher Massnahmen zu treffen und zu unterschreiben.

2.2 Zu Beginn des Verfahrens vor der Rekurskommission bezeichnet der Kommissionspräsident aus der Mitte der am Entscheid mitwirkenden Richter einen Instruktionsrichter (Art. 21 Abs. 2 VRSK). Art. 22 VRSK umschreibt die Tätigkeit des Instruktionsrichters. Gemäss Art. 22 Abs. 1 VRSK klärt dieser den Sachverhalt ab und erhebt darüber Beweis; zu diesem Zweck kann er Zwischenverfügungen erlassen und insbesondere einen weiteren Schriftenwechsel oder eine mündliche Verhandlung unter seinem Vorsitz anordnen. Art. 22 Abs. 2 VRSK bestimmt, dass er die Instruktion in der Regel selbständig führt; bestimmte Vor- und Zwischenfragen kann (aber muss er nicht) den anderen Richtern, die am Entscheid mitwirken, unterbreiten.
Nicht in Art. 22 VRSK angeführt ist die Befugnis, vorsorgliche Massnahmen zu treffen; diese sind in Art. 20 Abs. 5 VRSK unter den Vorkehrungen erwähnt, welche der Präsident bei der "Einleitung des Verfahrens" (Marginale von Art. 20 VRSK) trifft. Damit wird nebst den Vorgaben von Art. 55 Abs. 2 und 3 VwVG dem Umstand Rechnung getragen, dass viele Rekurskommissionen im Wesentlichen aus nebenamtlich tätigen Richtern zusammengesetzt sind; die Fähigkeit der Kommission, erste Anordnungen innert nützlicher Frist zu treffen, bleibt nur gewahrt, wenn der Präsident (welcher häufig, allenfalls nebst dem Vizepräsidenten, einziges vollamtliches Mitglied ist) ermächtigt wird, das Nötigste selber vorzukehren.

2.3 In der Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legt der Präsident der Rekurskommission Wert auf den Umstand, dass die Rekurskommission ausschliesslich aus vollamtlichen, rechtskundigen Richtern zusammengesetzt ist (Art. 8 Abs. 2 des Kommissionsreglements in Verbindung mit Art. 8 VRSK). In der Tat misst die Organisationsverordnung selber dem Kriterium Vollamtlichkeit massgebliche Bedeutung bei. Vorerst müssen neben dem Präsidenten bloss die vollamtlichen
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Richter rechtskundig sein (Art. 3 Abs. 2 VRSK). Gemäss Art. 10 VRSK können nebst den Präsidenten oder den Vizepräsidenten auch (aber nur) die vollamtlichen Richter als Einzelrichter entscheiden. Unter anderem können sie Nichteintretensentscheide fällen, wenn offensichtlich unzulässige Rechtsmittel oder Klagen erhoben werden (Art. 10 lit. b VRSK); sie können offensichtlich unbegründete Rechtsmittel oder Klagen abweisen und offensichtlich begründete Rechtsmittel oder Klagen gutheissen (Art. 10 lit. c VRSK); schliesslich sind sie zuständig für Nichteintreten, Abweisung und Gutheissung von Rechtsmitteln oder Klagen, wenn es sich um vermögensrechtliche Ansprüche mit einem Streitwert unter 5000 Franken handelt (Art. 10 lit. d VRSK). Dem vollamtlichen Richter werden mithin umfassende Kompetenzen zur selbständigen Streiterledigung eingeräumt. Es liesse sich daher ebenfalls denken, dem als Instruktionsrichter eingesetzten vollamtlichen Richter die Kompetenz zu verleihen, über vorsorgliche Massnahmen wie die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zu entscheiden. Dafür könnte namentlich sprechen, dass der schon in einem frühen Verfahrensstadium für einen konkreten Fall eingesetzte Instruktionsrichter im Hinblick auf eine sachgerechte Verfahrensinstruktion sich von Anfang an vertiefter mit einem Dossier befassen kann als der mit sämtlichen neu eingehenden Beschwerden befasste Kommissionspräsident; die dabei gegebenenfalls gewonnenen Erkenntnisse könnten schon für die Beurteilung der Frage der aufschiebenden Wirkung verwendet werden, was insbesondere den Parteien zugute käme.

2.4 Nun sind dies Überlegungen, die der Gesetz-, allenfalls der Verordnungsgeber berücksichtigen kann und die bei der Rechtsanwendung für die Auslegung herangezogen werden können. Das Gesetz ist aber in erster Linie nach seinem Wortlaut auszulegen. Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, u.a. dann, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass er nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Grund und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben (BGE 128 V 116 E. 3b S. 118 f. mit Hinweisen).
Der Wortlaut von Art. 55 Abs. 3 VwVG ist klar. Das Gesetz erlaubt, dass nicht die Beschwerdeinstanz in voller Besetzung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung entscheiden muss. Der Gesetzgeber hat das Problem der Dringlichkeit solcher Entscheidungen erkannt und eine Lösung geschaffen, die dem Rechnung trägt, indem er den Präsidenten der Beschwerdeinstanz zum Entscheid ermächtigt hat. In Ziff. 1 Abs. 3 lit. a der
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Schlussbestimmungen der Änderung des Bundesrechtspflegegesetzes vom 4. Oktober 1991 ist dem Bundesrat nicht die Kompetenz erteilt worden, vom VwVG abzuweichen. Er hat in Art. 20 Abs. 5 VRSK Entscheide über vorsorgliche Massnahmen gemäss Art. 55 und 56 VwVG denn auch ausdrücklich dem Kommissionspräsidenten übertragen. Diese Zuständigkeitsregelung ist ebenfalls klar und erscheint nicht interpretationsbedürftig. Sie bietet eine praktikable, den Bedürfnissen eines geordneten Verfahrensablaufs angemessene Lösung. Die Voraussetzungen, vom Wortlaut der gesetzlichen Regelung abzuweichen, sind daher nicht erfüllt. Ein zur administrativen Leitung und Aufsicht erlassenes Kommissionsreglement kann, auch unter dem Gesichtspunkt der Delegationsgrundsätze, keine abweichende Zuständigkeitsordnung vorsehen.

2.5 Daraus ergibt sich, dass der Instruktionsrichter der Rekurskommission UVEK nicht befugt war, die angefochtene Zwischenverfügung zu erlassen. Der Mangel wird nicht dadurch geheilt, dass die Vernehmlassung der Rekurskommission, in der kein Antrag gestellt wurde, von deren Präsidenten unterzeichnet worden ist. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist somit schon wegen dieses Verfahrensmangels gutzuheissen, und die angefochtene Zwischenverfügung ist aufzuheben. Es obliegt dem Kommissionspräsidenten, erneut eine Zwischenverfügung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zu treffen.

Inhalt

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Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 2

Referenzen

BGE: 128 V 116

Artikel: Art. 20 Abs. 5 und Art. 22 VRSK, Art. 55 Abs. 3 VwVG, Art. 55 Abs. 2 und 3 VwVG, Art. 22 VRSK mehr...