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Urteilskopf

113 II 140


26. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 30. April 1987 i.S. Sch. gegen W. (Berufung)

Regeste

Rechtsstellung der Erben nach bäuerlichem Erbrecht (Art. 620 ff. ZGB).
Alle Mitglieder der Erbengemeinschaft, um deren landwirtschaftliches Heimwesen gestritten wird, müssen - sofern sie sich nicht ausdrücklich der Beteiligung am Prozess enthalten - wenigstens vor der oberen kantonalen Instanz die Möglichkeit erhalten, sämtliche tatsächlichen und rechtlichen Argumente vorzutragen und von der mit voller Kognition urteilenden Behörde prüfen zu lassen (E. 2b, c).
Das bäuerliche Erbrecht lässt es nicht zu, dass ein Nichterbe auf Kosten der Erben beim Eigentumserwerb begünstigt wird. Die Begünstigung muss streng auf den Kreis der Erben begrenzt bleiben, sofern diese nicht freiwillig der beabsichtigten Übertragung des landwirtschaftlichen Gewerbes zum Ertragswert an einen Dritten zustimmen (E. 6).

Sachverhalt ab Seite 140

BGE 113 II 140 S. 140

A.- Die Erbengemeinschaft des Peter W.-W. ist Eigentümerin eines landwirtschaftlichen Gewerbes, welches seit mehreren Jahren
BGE 113 II 140 S. 141
von Peter W. jun., Sohn des Gustav W.-W., zusammen mit seinem nun 77 Jahre alten Onkel bewirtschaftet wird. Peter W. jun. trat im Jahr 1982 an die Erbengemeinschaft mit dem Ersuchen heran, ihm das landwirtschaftliche Gewerbe zum Ertragswert zu überlassen. Dem am 26. März 1985 vorgelegten Abtretungsvertrag versagten indessen drei Miterben die Zustimmung. Da Peter W. jun. nicht Erbe ist, verlangte sein 1917 geborener Vater Gustav W.-W. am 7. Februar 1986 die Zuweisung der fünf genannten Parzellen zum Ertragswert im Sinne von Art. 620 ZGB an ihn.

B.- Der Einwohnergemeinderat von G. entsprach diesem Gesuch mit Beschluss vom 26. Februar 1986. Er bestimmte in Ziffer 2 des Dispositivs, dass eine Abtretung des Betriebes von Gustav W.-W. an seinen Sohn Peter, der seit Jahren auf diesem Betrieb arbeite und ihn seit einigen Jahren selber führe, gleichzeitig zu erfolgen habe. Sodann wird in Ziffer 3 vorgesehen, dass der Übernahmepreis dem Preis entsprechen müsse, den Gustav W.-W. bezahlt habe. Die grossen Investitionen, die dieser Betrieb noch habe - wird beigefügt -, erlaubten keinen höheren Übernahmepreis; andernfalls wäre die Existenz des Betriebes in Frage gestellt.
Gegen diesen Beschluss reichte die Miterbin Margrit Sch. beim Regierungsrat des Kantons Uri Beschwerde ein. Diese wurde am 3. November 1986 abgewiesen.

C.- Mit Eingabe vom 9. Dezember 1986 erhob Margrit Sch. gegen den Entscheid des Regierungsrates des Kantons Uri Berufung an das Bundesgericht. Diese wurde gutgeheissen, soweit darauf eingetreten werden konnte.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. b) Nun scheint aber die Berufungsklägerin, wie sich ihren diesbezüglich nicht ganz klaren Ausführungen entnehmen lässt, die Beurteilung der vorliegenden Streitigkeit in einem einseitigen Verwaltungsverfahren zu beanstanden. Sie hat im kantonalen Beschwerdeverfahren die Zuständigkeit des Gemeinderates von G. bestritten und darauf hingewiesen, dass der Richter für die Beurteilung der - streitigen - Zuweisung zum Ertragswert zuständig sei. Für den Fall, dass sich keine Einigung erzielen lasse, werde sie die Erbteilungsklage anhängig machen.
Nach Art. 621 Abs. 1 ZGB entscheidet im Streitfall "die zuständige Behörde" über die Zuweisung des Gewerbes unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse der Erben. Das Bundesrecht
BGE 113 II 140 S. 142
überlässt es somit den Kantonen, zu bestimmen, ob die umstrittene Frage der Übernahme eines landwirtschaftlichen Gewerbes durch einen Erben vom Richter oder von einer Verwaltungsbehörde zu entscheiden sei. Mit der Befugnis, die zuständige Behörde zu bestimmen, ist aber nicht auch das Verfahren den Kantonen völlig frei gestellt. Vielmehr ist der Verwirklichung des Bundesrechts dadurch Sorge zu tragen, dass sämtliche am zivilrechtlichen Anspruch beteiligten Personen - insbesondere die Erbengemeinschaft bzw. die einzelnen ihr angehörenden Erben - Gelegenheit erhalten, sich am Verfahren mit allen Rechten und Pflichten zu beteiligen, somit Anträge, Behauptungen und Beweismittel vorbringen oder diese widerlegen können.
Diese Gewähr auf Verfahrensbeteiligung ist nicht geboten, wenn die erste kantonale Instanz ein Gesuch um ungeteilte Zuweisung eines Bestandteil einer Erbschaft bildenden landwirtschaftlichen Gewerbes entgegennimmt und so behandelt, wie wenn es sich zum Beispiel um ein Subventionsgesuch handeln würde oder wie wenn es um eine Angelegenheit der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit ginge, ohne dass die betroffenen Miterben in das Verfahren einbezogen werden. Unter dem Blickwinkel des Bundesrechts muss es freilich genügen, wenn die Erbengemeinschaft, um deren landwirtschaftliches Heimwesen gestritten wird, wenigstens vor der oberen kantonalen Instanz die Möglichkeit erhält, sämtliche tatsächlichen und rechtlichen Argumente vorzutragen und von der mit voller Kognition urteilenden Behörde prüfen zu lassen. Das trifft offensichtlich im Verfahren vor dem Regierungsrat des Kantons Uri zu. Nachdem die Berufungsklägerin schon dort durch einen Rechtsanwalt vertreten war, hätte sie mindestens damit rechnen können, dass der Regierungsrat selber über die streitige Angelegenheit mit freier Prüfungsbefugnis materiell entscheiden würde, und sie hätte daher mit ihrer Beschwerde alles vorbringen können und müssen, was nach ihrer Auffassung zu beurteilen gewesen wäre. Insoweit demnach die Rüge der Verletzung von Art. 4 BV im vorliegenden Verfahren überhaupt als eine Rüge der Verletzung von Bundesrecht entgegengenommen werden könnte, erwiese sie sich als unbegründet.
c) Hingegen erweist sich der angefochtene Entscheid unter einem anderen Gesichtspunkt als bundesrechtswidrig: In einem Verfahren um ungeteilte Zuweisung eines landwirtschaftlichen Gewerbes müssen von Bundesrechts wegen sämtliche Erben einbezogen werden. In welcher Form dies geschieht, bestimmt sich nach kantonalem
BGE 113 II 140 S. 143
Recht (BGE 90 II 4 E. 1). Die Erben können sich freilich auch ausserhalb eines solchen Prozesses halten; doch muss klar und eindeutig feststehen, dass sie bereit sind, sich einem Zuweisungsentscheid, der gegenüber allen Erben seine Wirkung entfalten muss, zu unterziehen.
Dem angefochtenen Entscheid lässt sich nun aber nichts über die Stellungnahme der übrigen Erben entnehmen. Bekannt ist nur, dass sich offenbar drei Erben einem Teilungsvertrag widersetzt haben, worauf Gustav W.-W. das vorliegende Verfahren in Gang gesetzt hat. Der Regierungsrat des Kantons Uri wird deshalb in einem neuen Verfahren die Erben des Peter W.-W. noch einzubeziehen haben.

6. Aus den kantonalen Entscheiden geht hervor, dass Gustav W.-W. das landwirtschaftliche Gewerbe nicht für sich selbst, sondern für seinen Sohn Peter übernehmen möchte. Insbesondere der Beschluss des Einwohnergemeinderates von G. lässt erkennen, dass Gustav W.-W. das Gewerbe nur übernehmen möchte, weil sein Sohn, der nicht Erbe des Peter W.-W. ist, von der Begünstigung nach bäuerlichem Erbrecht ausgeschlossen bleibt. Gustav W.-W. wurde deshalb verpflichtet, die Grundstücke zum Ertragswert an seinen Sohn zu Eigentum zu übertragen. In diesem Vorgehen liegt nicht nur - wie die Berufungsklägerin zutreffend geltend macht - eine klare Umgehung der erbrechtlichen Vorschriften, insbesondere von Art. 620 ff. ZGB, sondern auch eine Umgehung des Weiterveräusserungsverbots gemäss Art. 218 ff. OR und des Gewinnanteilsrechts der Miterben gemäss Art. 619 ff. ZGB.
Die Rechtsprechung lässt zwar zu, dass ein landwirtschaftliches Gewerbe gestützt auf Art. 620 Abs. 1 ZGB von einem Erben übernommen wird, der es nicht selber bewirtschaften will (BGE 110 II 331 E. 3c; BGE 107 II 34 ff. E. 3; BGE 92 II 222 ff.; NEUKOMM/CZETTLER, Das bäuerliche Erbrecht, 5. Auflage Brugg 1982, S. 84 ff.). Vorausgesetzt wird aber, dass der Übernehmer das Gewerbe verpachtet oder einem Verwalter zur Bewirtschaftung überlässt. Unter dem Gesichtspunkt der Eignung, die nach Art. 620 Abs. 1 ZGB eine subjektive Voraussetzung für die ungeteilte Zuweisung ist, muss daher der Übernehmer fähig sein, den richtigen Pächter oder Verwalter auszuwählen und die Bewirtschaftung durch diesen zu überwachen (NEUKOMM/CZETTLER, a.a.O., S. 86).
Aus dem angefochtenen Entscheid ergibt sich nun, dass das landwirtschaftliche Gewerbe kaum zur Pacht, sondern offenbar zu Eigentum an Peter W. jun. übertragen werden soll. Unter rein
BGE 113 II 140 S. 144
agrarpolitischen Gesichtspunkten würde diese Übertragung vom Erben Gustav W.-W. an dessen Sohn zwar der Zielsetzung des bäuerlichen Erbrechts durchaus entsprechen. Es wäre aus dieser Sicht wünschbar, wenn der bereits seit Jahren das Gewerbe bewirtschaftende Peter W. jun. es weiter bearbeiten könnte und damit die Zerstückelung vermieden würde. Diese Übernahme liesse auch erwarten, dass der Landwirtschaftsbetrieb nachkommenden Generationen dient, was dem Sinn und Geist des bäuerlichen Erbrechts entspricht.
Indessen lässt es das bäuerliche Erbrecht nicht zu, dass ein Nichterbe auf Kosten der Erben beim Eigentumserwerb begünstigt wird. Die Begünstigung muss streng auf den Kreis der Erben begrenzt bleiben, sofern diese nicht freiwillig der beabsichtigten Übertragung des landwirtschaftlichen Gewerbes zum Ertragswert an einen Dritten zustimmen. Daher geht es auch nicht an, dass ein Dritter ein landwirtschaftliches Gewerbe zu den günstigen Übernahmebedingungen des bäuerlichen Erbrechts dadurch erwirbt, dass ein Erbe sich dieses nach Massgabe der Art. 620 ff. ZGB ungeteilt zuweisen lässt und in der Folge an einen Nichterben - und mag dies, wie im vorliegenden Fall, der Sohn sein - zu Eigentum überträgt. Auch wenn ein solches Vorgehen in der hier zu beurteilenden Streitsache verständlich erscheint, weil es einem als tüchtig bezeichneten Jungbauern unter annehmbaren Bedingungen zu einem Landwirtschaftsbetrieb verhelfen würde, brauchen sich die Miterben eine derart ausweitende Anwendung der Bestimmungen des bäuerlichen Erbrechts nicht gefallen zu lassen. Der vorliegende Fall unterscheidet sich denn auch von dem in BGE 111 II 326 ff. veröffentlichten Entscheid dadurch, dass hier auf die Interessen von Miterben Rücksicht zu nehmen ist; jedenfalls vorweg sind sie als Übernehmer nicht auszuschliessen.
Das bedeutet allerdings nicht, dass eine ungeteilte Zuweisung an Gustav W.-W. zum vornherein ausgeschlossen wäre. Es ist nur nicht zulässig, mit der Abweisung der Beschwerde von Margrit Sch. Ziffer 2 des Beschlusses des Einwohnergemeinderates von G. ohne weiteres zu genehmigen und damit im praktischen Ergebnis einem Verkauf der Grundstücke zum Ertragswert an einen Dritten zulasten der Erbengemeinschaft zuzustimmen, wie es der Regierungsrat des Kantons Uri getan hat. Dieser hat vielmehr noch abzuklären, ob Gustav W.-W. allenfalls bereit ist, den Landwirtschaftsbetrieb für sich selbst - wenn auch nicht zur Selbstbewirtschaftung - zu übernehmen, und ob er dazu im Sinne der
BGE 113 II 140 S. 145
Rechtsprechung auch geeignet ist, selbst wenn das Gewerbe nicht sogleich weiterveräussert würde. Seine Eignung ist gegenüber der Eignung anderer Miterben, deren Stellungnahme bis jetzt nicht bekannt ist (oben E. 2c), wie auch gegenüber der Eignung der Berufungsklägerin abzuwägen, sofern sich diese um die Übernahme des ungeteilten Landwirtschaftsgutes bewerben. Auf die Eignung des Sohnes Peter W. allein, die nicht in Zweifel gezogen wird, kann es dabei nicht ankommen. Diese wäre aber allenfalls im Sinne von Art. 621 Abs. 1 ZGB bei Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse der - zur Übernahme gewillten - Erben beachtlich (vgl. BGE 107 II 34 E. 3; auch BGE 111 II 329).

Inhalt

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Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 2 6

Referenzen

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