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Urteilskopf

109 II 43


12. Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. Januar 1983 i.S. Nutzholz AG gegen Hubert (Berufung)

Regeste

Aktionärbindungsvertrag.
Abstimmungsvereinbarung; rechtsmissbräuchliche Umgehung statutarischer Vinkulierungsvorschriften (Art. 686, 692 OR; Art. 2 Abs. 2 ZGB).

Sachverhalt ab Seite 43

BGE 109 II 43 S. 43

A.- Am 24. Juni 1958 wurde in Wohlen die Fass- und Holzwarenfabrik AG (FHW) mit einem Aktienkapital von Fr. 225'000.-- gegründet. Die 225 Namenaktien zu Fr. 1'000.-- können nach den Statuten nur mit Zustimmung des Verwaltungsrats übertragen werden, die ohne Grundangabe verweigert werden darf. In den Geschäftsjahren 1964 und 1965 traten Verluste ein. Im Hinblick auf eine drohende Liquidation schlossen die Aktionäre Nutzholz AG und Ernst Dubler am 26. Februar 1965 eine Vereinbarung, mit welcher Dubler das Stimmrecht von 60 Aktien auf die Dauer von zehn Jahren an die Nutzholz AG zedierte, der er die Aktien in Depot gab. Die Nutzholz AG sollte so zusammen mit ihren 55 Aktien die Stimmenmehrheit bekommen und durch ihren Herrn Fellmann die Geschäftsleitung ausüben, während Dubler sich als Verwaltungsrat zur Verfügung stellte, der die Weisungen Fellmanns zu befolgen hatte. Dubler sollte als Senior-Chef gelten, mindestens für die Zeit der Stimmrechtszession eine jährliche Vergütung von Fr. 3'000.-- erhalten und sich nach Massgabe seines gesundheitlichen Wohlbefindens für die Interessen der Gesellschaft einsetzen. Schliesslich wurde Dubler die Gunst eingeräumt, gegebenenfalls für seine 60 Aktien der Nutzholz AG ein faires Übernahmeangebot zu unterbreiten.
BGE 109 II 43 S. 44
Am 19. März 1965 teilte Dubler der Nutzholz AG mit, er betrachte diese Vereinbarung als unverbindlich. Am 20. April 1965 beschloss die Generalversammlung der FHW mehrheitlich, einschliesslich der Stimmen Dublers und gegen die Stimmen der Nutzholz AG, die Liquidation der Gesellschaft. Die Nutzholz AG fühlte sich als Aktionärin und Lieferantin der FHW durch diese Liquidation geschädigt und gab im Nachlass des am 14. April 1978 verstorbenen Ernst Dubler eine Forderung von 1,5 Mio. Franken ein.

B.- Am 30. April 1979 erhob die Nutzholz AG beim Bezirksgericht Bremgarten gegen den Willensvollstrecker Dublers und gegen elf als Nebenintervenienten auftretenden Erben Klage auf Bezahlung von Fr. 587'755.50 nebst Zins.
Nach Durchführung eines Beweisverfahrens wies das Bezirksgericht am 29. Oktober 1981 die Klage ab, ebenso am 28. Mai 1982 das Obergericht des Kantons Aargau.

C.- Die Klägerin hat gegen das Urteil des Obergerichts Berufung eingelegt. Sie beantragt, das Urteil sei aufzuheben und die Klage im Betrag von Fr. 587'755.50 nebst Zins gutzuheissen. Der Beklagte und die Nebenintervenienten beantragen Abweisung der Berufung.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Im Unterschied zum Bezirksgericht sieht das Obergericht in der Vereinbarung vom 26. Februar 1965 nicht einen Aktionärbindungsvertrag als vertragliche Verpflichtung, sondern eine Stimmrechtszession als Verfügungsgeschäft. Dem ist zuzustimmen, weil Dubler sich nicht verpflichtete, sein Stimmrecht in einem bestimmten Sinn auszuüben, sondern dieses direkt der Klägerin übertrug. Ein solches Vorgehen ist nicht zulässig, weil bei vinkulierten Namensaktien ohne Zustimmung der Gesellschaft zwar vermögensrechtliche Ansprüche, nicht aber das Stimmrecht übertragen werden können, wie das Obergericht mit Recht festhält (BGE 90 II 239 E. 2; BGE 83 II 302 E. 4). Das Verfügungsgeschäft ist demnach ungültig. Die Klägerin kann daraus keinen Rechtsanspruch ableiten.

2. Es bleibt zu prüfen, ob die Stimmrechtszession durch Konversion in ein gültiges Rechtsgeschäft umgedeutet werden könne, wie es die Partner abgeschlossen hätten, wenn ihnen die Unwirksamkeit der Zession bekannt gewesen wäre (BGE 103 II 184, BGE 93 II 452 E. 5 mit Hinweisen).
BGE 109 II 43 S. 45
Die Klägerin anerkennt zu Recht, dass ihr die Umdeutung der Vereinbarung in eine auf Mandat beruhende Stimmrechtsvollmacht nichts hilft, weil ein Widerruf zulässig und damit die Stimmabgabe Dublers nicht vertragswidrig gewesen wäre (Art. 34 Abs. 1, Art. 404 Abs. 1 OR). Sie macht indessen geltend, das Geschäft könne in eine einfache Gesellschaft umgedeutet werden. Der Beklagte hält dem entgegen, die höchst einseitige Bindung Dublers schliesse eine einfache Gesellschaft aus. Es könne bestenfalls ein Innominatkontrakt vorliegen.
Für die Ansicht der Klägerin spricht, dass der Vertrag vom 26. Februar 1965 sich in der Einleitung auf das Bemühen berief, die Veräusserung der Firma zu vermeiden und eine Sanierung herbeizuführen. Zu diesem Zweck sollte der Klägerin mit der Abtretung der Stimmen Dublers eine Stimmenmehrheit verschafft werden (55 eigene und 60 abgetretene von insgesamt 225 Stimmen). In der Folge sollte zwar Dubler Verwaltungsrat der Gesellschaft werden, aber völlig dem von der Klägerin eingesetzten Geschäftsführer unterstellt sein. Das entspricht nicht der Situation einer einfachen Gesellschaft, wie sie namentlich in Form eines Aktionärpools bzw. -syndikats bestehen kann, sondern eher einem einseitigen Aktionärbindungsvertrag sui generis (vgl. zur Unterscheidung insbesondere BÜRGI, Art. 692 OR N. 35 ff.; PATRY, Précis de droit suisse des sociétés, vol. II S. 56 ff.; PATRY in ZSR 78/1959 II S. 42a ff. und 125a; GLATTFELDER in ZSR 78/1959 II S. 161a und 229a ff.; DOHM, Les accords sur l'exercice du droit de vote de l'actionnaire, Diss. Genf 1971, S. 120, 126; LÜBBERT, Abstimmungsvereinbarungen in den Aktien- und GmbH-Rechten der EWG-Staaten, der Schweiz und Grossbritanniens, Baden-Baden 1971, S. 249 ff.). Wie es sich damit verhält, braucht indessen nicht abschliessend geprüft zu werden, da eine solche Vereinbarung im vorliegenden Fall ohnehin unbeachtlich wäre.

3. Ein Aktionärbindungsvertrag, namentlich auch in der Form einer Abstimmungsverpflichtung, ist grundsätzlich zulässig (BGE 88 II 174 E. 1; BÜRGI, Art. 692 OR N. 27 ff.; PATRY, Précis S. 58 ff.; PATRY, ZSR S. 62a ff.; GLATTFELDER, S. 225a, 245a ff., 262a; DOHM, insbesondere S. 90; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ, Einführung in das Schweizerische Aktienrecht, 2. Aufl. S. 48 und 158). Die Vereinbarung muss indessen die allgemeinen Schranken der Vertragsfreiheit beachten und darf weder gegen zwingende gesetzliche Vorschriften noch gegen die öffentliche Ordnung, die guten Sitten oder das Recht der Persönlichkeit verstossen (Art. 19 Abs. 2 OR).
BGE 109 II 43 S. 46
a) Das Obergericht erblickt in der streitigen Stimmrechtsvereinbarung eine Umgehung der statutarischen Vorschrift, dass die Namenaktien der FHW nur mit Zustimmung des Verwaltungsrats übertragen werden können. Damit werde u.a. eine nicht erwünschte Mehrheitsbildung verhindert, weshalb die Umgehung durch die Vereinbarung als offenbarer Rechtsmissbrauch keinen Rechtsschutz finden könne.
Die Klägerin stellt nicht in Abrede, dass sie mit der Vereinbarung (deren Ziffer 2 das auch festhält) die Mehrheitsstellung in der Gesellschaft erlangen wollte. Sie verneint jedoch eine Umgehung der Vinkulierungsvorschriften, weil der damalige einzige Verwaltungsrat Wullschleger sich verpflichtet habe, seine Aktien an die Klägerin zu verkaufen; er hätte sich daher als Verwaltungsrat sowenig wie Dubler in guten Treuen einer Übertragung der Aktien widersetzen dürfen. Wie es sich damit im einzelnen verhält, kann offen bleiben. Es ergibt sich schon aus der Einleitung der Vereinbarung klar, dass mit dem Stimmenerwerb der damalige Verwaltungsrat überspielt werden sollte. Die Partner erklärten darin, die Vereinbarung bezwecke, die vom Verwaltungsrat als unabwendbar erachtete Veräusserung der FHW zu vermeiden. Die streitige Vereinbarung lief daher offenkundig darauf hinaus, der Klägerin eine Mehrheitsstellung zu verschaffen, welche den Intentionen der Verwaltung widersprach und von dieser bei statutengemässem Vorgehen der Klägerin hätte verhindert werden können.
b) Stimmrechtsvereinbarungen, mit welchen statutarische Vinkulierungsbestimmungen umgangen werden sollen, sind rechtsmissbräuchlich und deshalb unbeachtlich (BGE 81 II 539 E. 3; BÜRGI, Art. 692 OR N. 32; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ, S. 158, GLATTFELDER, S. 267a ff.; PATRY, Précis S. 61, ZSR S. 47a f., 98a ff.). Dabei soll mit der Vinkulierung nicht nur verhindert werden, dass unliebsame Dritte Aktien erwerben und auf die Gesellschaft Einfluss nehmen können, sondern auch, dass einzelne Aktionäre ihre bisherige Stellung verstärken und ein bestehendes Gleichgewicht gefährden können. Sonst könnte ein Aktionär mit der durch die Vereinbarung gewonnenen Stimmenmehrheit den bisherigen Verwaltungsrat ersetzen und dann von der neuen, ihm genehmen Verwaltung die Übertragung der Aktien genehmigen lassen (BGE 81 II 540; 90 II 245; BÜRGI, Art. 686 OR N. 12 und 35, DOHM, S. 104).
c) Die Klägerin kann sich mithin nicht auf die Stimmrechtsvereinbarung berufen. Damit entfällt eine Vertragsverletzung durch
BGE 109 II 43 S. 47
Dubler. Die Klage ist bereits aus diesem Grund abzuweisen. Die Prüfung weiterer Fragen erübrigt sich; namentlich kann dahingestellt bleiben, ob die Vereinbarung auch als sittenwidrig zu betrachten wäre, die das Obergericht annimmt.

Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts (1. Zivilabteilung) des Kantons Aargau vom 28. Mai 1982 bestätigt.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 1 2 3

Dispositiv

Referenzen

BGE: 90 II 239, 83 II 302, 103 II 184, 93 II 452 mehr...

Artikel: Art. 686, 692 OR, Art. 2 Abs. 2 ZGB, Art. 34 Abs. 1, Art. 404 Abs. 1 OR, Art. 19 Abs. 2 OR mehr...