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Urteilskopf

119 III 37


11. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 20. Januar 1993 i.S. SLT-Gläubiger und 2 Mitbeteiligte sowie Spar- und Leihkasse Thun in Liquidation (Rekurs)

Regeste

Nachlassstundung einer Bank: Kommissär/Sachwalter; Liquidation der Bank (Art. 30 und Art. 37 BankG; Art. 2 Verordnung betreffend das Nachlassverfahren von Banken und Sparkassen).
1. Den Vorschriften, welche das Nachlassverfahren von Banken regeln, lässt sich keine Grundlage zur Ernennung von zwei Sachwaltern entnehmen (E. 3a).
Die Aufteilung der Funktionen von Kommissär und Sachwalter einerseits und der Liquidatoren anderseits ist, zur Vermeidung von Interessenkollisionen, zwingend (E. 7). 2. Fachliche Fähigkeiten des Kommissärs bzw. Sachwalters (E. 3b, E. 6).
3. Fortführung der Liquidation in begrenztem Rahmen unter Aufsicht des Sachwalters (E. 4, 8).

Sachverhalt ab Seite 38

BGE 119 III 37 S. 38

A.- Der Präsident der Eidgenössischen Bankenkommission ordnete am 3. Oktober 1991 die einstweilige Schliessung der Schalter und Bancomat-Stellen der Spar- und Leihkasse Thun und deren Niederlassungen bis 18. Oktober 1991 an. Gleichzeitig wurde die ATAG Ernst & Young AG als Beobachterin eingesetzt. Am 18. Oktober 1991 beschloss die Eidgenössische Bankenkommission, der Spar- und Leihkasse Thun die Bewilligung zur Ausübung der Geschäftstätigkeit als Bank zu entziehen, und bestellte die ATAG Ernst & Young AG zur Liquidatorin der in Liquidation getretenen Bank.
Am 17. Oktober 1991 reichte die Spar- und Leihkasse Thun bei der Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern ein Gesuch um Stundung gemäss Art. 29 des Bundesgesetzes über die Banken und Sparkassen (vom 8. November 1934, SR 952.0; BankG) ein; eventuell ersuchte sie um Nachlassstundung (im Sinne von Art. 37 BankG und Art. 295 SchKG). Das erstere Gesuch wurde von der kantonalen Aufsichtsbehörde mit Entscheid vom 4. November 1991 endgültig abgewiesen, und das letztere Gesuch
BGE 119 III 37 S. 39
wurde zur Zeit abgewiesen. Indessen gewährte die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts der Spar- und Leihkasse Thun am 18. Dezember 1991 Bankenstundung für die Dauer eines Jahres und wies die Sache zur Durchführung der Bankenstundung an die kantonale Aufsichtsbehörde zurück (siehe BGE 117 III 83 ff.).
Am 18. Oktober 1991 war die ATAG Ernst & Young AG zur provisorischen Kommissärin im Sinne von Art. 29 Abs. 1bis BankG ernannt worden.

B.- Die Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern ernannte am 9. Januar 1992 Paul Freiburghaus, eidg. dipl. Buchhalter und eidg. dipl. Bücherexperte, zum Kommissär im Sinne von Art. 30 BankG. Es wurde ihm bewilligt, auf die Infrastruktur der Freiburghaus-Treuhand-Gruppe zurückzugreifen.
Der vom Kommissär am 12. August 1992 erstattete Bericht über die Vermögenslage der Spar- und Leihkasse Thun zeigte eine massive Überschuldung in der Grössenordnung von 170 Millionen Franken auf.

C.- Am 13. Oktober 1992 stellte die ATAG Ernst & Young AG den Antrag, Paul Freiburghaus sei als Kommissär abzuberufen und als Kommissärin sei sie, eventuell ein vom Obergericht des Kantons Bern bezeichneter Bankfachmann einzusetzen. Die Liquidatorin wies auf Spannungen zwischen ihr und Freiburghaus hin, meldete erhebliche Zweifel an dessen fachlicher Eignung an und gab der Meinung Ausdruck, die von Freiburghaus in Rechnung gestellten Honorare sprengten die in der Branche üblichen Richtlinien.
Die Eidgenössische Bankenkommission vertrat in ihrer Vernehmlassung die Auffassung, die Funktionen des Liquidators und des Kommissärs (später des Liquidators und des Sachwalters) seien zusammenzulegen. Sie wurde in dieser Auffassung von der Nationalbank unterstützt.
Mit Entscheid vom 26. November 1992 erkannte die Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern folgendes:
"1. Das Gesuch auf Abberufung des Kommissärs wird
abgewiesen.
2. Der Spar + Leikkasse Thun in Liquidation wird mit Wirkung
ab 1. Januar 1993 eine Nachlassstundung gemäss Art. 37 BaG für
die Dauer von sechs Monaten gewährt.
3. Zum Sachwalter wird ernannt:
Herr Paul Freiburghaus-Haehlen, dipl. Bücherexperte,
Frutigenstrasse 16, 3601 Thun.
BGE 119 III 37 S. 40
4. Die Bankenstundung wird bis 31. Dezember 1992 verlängert.
5. Der Spar + Leihkasse Thun in Liquidation wird bewilligt,
während der Nachlassstundung unter dem Gesichtspunkt der
Gleichstellung der Gläubiger 45% aller am 3. Oktober 1991
bestehenden Guthaben auszubezahlen.
Eine weitere Liquidationstätigkeit während der
Nachlassstundung wird nicht
bewilligt. Vorbehalten bleiben spätere konkrete Bewilligungen
gemäss Art. 2 VNB.
6. Die Firma ATAG Ernst & Young AG und Herr Paul
Freiburghaus werden eingeladen, im Sinne der Erwägungen unter
Ziff. II 2 c) und d) zu den Fragen der Geschäftstätigkeit und
der Arbeitsteilung binnen 10 Tagen Stellung zu nehmen und Anträge
zu unterbreiten. In der Folge findet mit Liquidatorin und
Sachwalter bei der Aufsichtsbehörde eine Sitzung statt.
7. Die Firma ATAG Ernst & Young AG und Herr Paul
Freiburghaus werden eingeladen, binnen 20 Tagen zur Frage der
zukünftigen Tarifierung Stellung zu nehmen und Anträge zu
stellen. In der Folge wird die Aufsichtsbehörde mit der
Eidgenössischen Bankenkommission Rücksprache nehmen und
insbesondere auch abklären, wer für die Genehmigung der
Rechnungen der Liquidatorin zuständig ist.
8. Über die Anträge des Gläubigervereins auf Orientierung
der Öffentlichkeit bezüglich des Status und der Kosten des
Kommissärs wird später entschieden. Das Problem wird vorerst mit
Liquidatorin und Kommissär besprochen."

D.- Der Verein der SLT-Gläubiger, die Hobby AG und Ruth Suhner erhoben gegen diesen Entscheid der Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern am 10. Dezember 1992 Rekurs bei der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts. Sie beantragten die Bestellung von einem oder zwei Sachwaltern, nicht aber Paul Freiburghaus, und verlangten, dass in Abänderung von Ziff. 5 Abs. 2 des Dispositivs des angefochtenen Entscheides der Spar- und Leihkasse Thun in Liquidation eine weitere Liquidationstätigkeit zu gestatten sei.
Mit Rekurs vom 10. Dezember 1992 wandte sich auch die Spar- und Leihkasse Thun in Liquidation, handelnd durch die Liquidatorin ATAG Ernst & Young AG, an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts. Sie beantragte, Ziff. 3 und Ziff. 5 Abs. 2 des Entscheides der Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern seien aufzuheben und die ATAG Ernst & Young AG sei als Sachwalterin in der Nachlassstundung der Spar- und Leihkasse Thun einzusetzen, eventuell sei die Sache zur Ernennung eines Bankfachmannes als Sachwalter an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sodann stellte sie den Antrag:
BGE 119 III 37 S. 41
"Der Rekurrentin sei die Fortführung der
Liquidationstätigkeit zu bewilligen mit der Einschränkung, dass
bis zur Bestätigung eines allfälligen Nachlassvertrages keine
Auszahlungen an die Gläubiger vorzunehmen sind ausser den
Abschlagszahlungen, die in Ziffer 5 Absatz 1 des Entscheids der
Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen vom 26.
November 1992 bezeichnet sind (45 Prozent aller am 3. Oktober
1991 bestehenden Guthaben der Gläubiger), und ausser den
Auszahlungen, die durch die Pfandbriefgesetzgebung gedeckt sind.
Insbesondere sei der Rekurrentin zu gestatten, auch fortan
hängige Geschäfte abzuwickeln, Massnahmen zur Erhaltung des
Vermögens zu treffen, Aktiven nach Dringlichkeit und unter
Wahrung der Gläubigerinteressen zu verwerten, rechtmässig
erhobene Aussonderungsansprüche zu erfüllen und
Verantwortlichkeitsansprüche geltend zu machen."

E.- Am 22. Dezember 1992 bewilligte die Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern dem Sachwalter den Beizug von Hilfspersonen, regelte das dem Sachwalter zustehende Weisungs- und Aufsichtsrecht näher und sprach sich zur Aufgabenteilung zwischen Liquidatorin und Sachwalter aus. Sodann traf sie Anordnungen bezüglich der Geschäftstätigkeit der Spar- und Leihkasse Thun in Liquidation und erliess eine Bestimmung bezüglich der Honorierung von Liquidatorin und Sachwalter.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

I.3. Rekurs der SLT-Gläubiger und zweier Mitbeteiligter
Ihr Begehren um Bestellung von einem oder zwei Sachwaltern, nicht aber von Paul Freiburghaus, begründen die Rekurrenten damit, dass Freiburghaus dem Amt nicht gewachsen sei und dass für jedermann erkennbare Unstimmigkeiten zwischen Freiburghaus und der ATAG Ernst & Young AG beständen; diese führen nach der Darstellung in der Rekursschrift "gegenseitig einen Grabenkrieg". Die Rekurrenten erachten die Anwendung von Art. 37 Abs. 1ter BankG durch die Nachlassbehörde als zu eng; nach ihrer Meinung wäre die Nachlassbehörde nicht verpflichtet gewesen, Freiburghaus nur deshalb, weil er vorher Kommissär gewesen ist, zum Sachwalter zu ernennen. Auch habe die Nachlassbehörde zu Unrecht einen wichtigen Grund, welcher die Abberufung des Kommissärs zu rechtfertigen vermöchte, verneint.
a) Den Vorschriften, welche das Nachlassverfahren von Banken regeln, lässt sich keine Grundlage zur Ernennung von zwei Sachwaltern entnehmen, wie dies die Rekurrenten begehren. Gemäss
BGE 119 III 37 S. 42
Art. 37 Abs. 1 BankG ernennt die Nachlassbehörde, wenn eine Bank das Gesuch um Nachlassstundung gestellt hat, einen provisorischen Sachwalter, dem bis zum Entscheid über das Gesuch oder bis zur Konkurseröffnung die gleichen Befugnisse wie dem ordentlichen Sachwalter zustehen. Entspricht die Nachlassbehörde dem Gesuch um Nachlassstundung, so ernennt sie - gemäss Art. 37 Abs. 1ter BankG - definitiv einen Sachwalter, falls nicht schon ein Kommissär bestellt ist. Die Nachlassbehörde hat sich also an diese Vorschriften gehalten, wenn sie den zuvor zum Kommissär bestellten Paul Freiburghaus mit ihrem Entscheid vom 26. November 1992 als Sachwalter eingesetzt hat.
Im übrigen erscheint es als widersprüchlich, wenn die Rekurrenten einerseits der Befürchtung Ausdruck geben, dass die Tätigkeit des Sachwalters und der Liquidatorin grosse Summen koste, und anderseits die Bestellung von zwei Sachwaltern fordern.
b) Es besteht kein Anlass, an den fachlichen Fähigkeiten von Paul Freiburghaus, der die Fähigkeitszeugnisse als eidg. dipl. Buchhalter und eidg. dipl. Bücherexperte besitzt, grundsätzlich zu zweifeln. Konkret vermögen denn auch die Rekurrenten nichts darzutun, was die Fähigkeit von Paul Freiburghaus, im vorliegenden Fall als Kommissär und Sachwalter zu wirken, in Frage stellen könnte.
Den Schwerpunkt ihrer Argumentation legen die Rekurrenten nun aber auf den Umstand, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Paul Freiburghaus und der ATAG Ernst & Young AG gestört sei. Dabei übersehen sie jedoch, dass es nicht in erster Linie um dieses Vertrauensverhältnis geht, sondern um das Vertrauen, das die Nachlassbehörde in den Kommissär und künftigen Sachwalter setzen kann. Dem angefochtenen Entscheid ist nun aber zu entnehmen, dass die zwischen Freiburghaus und der ATAG Ernst & Young AG unbestreitbar bestehenden Spannungen für die Nachlassbehörde noch nicht so schwerwiegend sind, dass sie ihr eigenes Vertrauen in Freiburghaus erschüttert sieht.
Die Liquidation einer Bank ist keine alltägliche Sache. Es liegt in der Natur der Aufgaben, die damit verbunden sind und von Gesetzes wegen auf mehrere Organe verteilt werden, dass es zu Friktionen kommt. Der Kommissär und der Sachwalter üben - zusammen mit der Nachlassbehörde - die Aufsicht über die Bank bzw. die als ihr Organ handelnden Liquidatoren aus (vgl. Art. 33 Abs. 1 und Art. 34 lit. b BankG; Art. 2 Abs. 2 und Art. 9 der Verordnung betreffend das Nachlassverfahren von Banken und Sparkassen (vom 11. April 1935; VNB, SR 952.831)). Wenn aus dieser - vom Gesetzgeber gewollten -
BGE 119 III 37 S. 43
Konstellation heraus Meinungsverschiedenheiten entstehen, so ist dies nicht aussergewöhnlich.
Die Unstimmigkeiten zwischen dem Kommissär und der Liquidatorin müssen auf jeden Fall - sofern sie eine gewisse Zeit gedauert haben - so tiefgreifend sein, dass die geordnete Liquidation der Bank gefährdet ist, um eine Abberufung zu rechtfertigen. Wenn die Nachlassbehörde im vorliegenden Fall die wichtigen Gründe, welche Art. 30 Abs. 2 BankG für die Abberufung des Kommissärs verlangt, als nicht gegeben betrachtet hat, so hat sie durchaus im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens entschieden.

I.4. In Ziff. 5 des Dispositivs des angefochtenen Entscheides hat die Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern der Spar- und Leihkasse Thun in Liquidation die Bewilligung dazu erteilt, den Gläubigern 45 Prozent aller am 3. Oktober 1991 bestehenden Guthaben auszuzahlen, so wie dies an einen Teil der Gläubiger bereits geschehen ist. Eine weitere Liquidationstätigkeit während der Nachlassstundung wurde demgegenüber nicht bewilligt. Vorbehalten bleiben spätere konkrete Bewilligungen gemäss Art. 2 VNB.
a) Nach der Meinung der Rekurrenten ist der Bank die bisherige Aktivität weiterhin zu gestatten, da es sich lediglich um die Liquidation handle.
Die Einstellung der Liquidation für die Dauer eines Jahres wäre mit erheblichen Nachteilen - insbesondere im Hinblick auf das Eintreiben von Guthaben der Bank - verbunden; und sie hätte zur Folge, dass die Gläubiger ein Jahr länger auf ihre Befriedigung warten müssten.
Damit sehen die Rekurrenten indessen darüber hinweg, dass dank der von ihnen angefochtenen Anordnung im Entscheid der Nachlassbehörde auch jene Gläubiger bis zu 45 Prozent ihres Guthabens ausbezahlt erhalten werden, welche bis jetzt einer solchen Auszahlung noch nicht teilhaftig geworden sind. Wenn die Nachlassbehörde die Fortführung einer freien Aktivität der Bank auch während der Stundung bewilligte, so würde dadurch der Nachlassvertrag präjudiziert. Es wird im angefochtenen Entscheid denn auch zutreffend darauf hingewiesen, dass während der Stundung alle Kräfte dafür eingesetzt werden sollten, um einen befriedigenden Nachlassvertrag zu erarbeiten.
b) Die Nachlassbehörde hat - wie aus Ziff. 5 Abs. 2 ihres Entscheides vom 26. November 1992 mit dem Hinweis auf Art. 2 VNB hervorgeht - nicht übersehen, dass bestimmte Geschäftstätigkeiten, welche im Interesse der Bank bzw. ihrer Gläubiger liegen,
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ausnahmsweise auch während der Stundung zu bewilligen sind. Sie hat insbesondere Massnahmen zur Erhaltung des bestehenden Vermögens, die Verwertung einzelner Aktiven nach Dringlichkeit und die Erfüllung rechtmässig erworbener Aussonderungsansprüche vor Augen. Damit aber ungünstige Präjudizierungen des Nachlassvertrages unterbleiben, ist es durchaus sachgerecht und angemessen, wenn für derartige Geschäfte im Sinne von Art. 2 VNB die Zustimmung des Sachwalters einzuholen ist.
Eine Verletzung von Bundesrecht ist in Ziff. 5 Abs. 2 des Dispositivs des Entscheides der Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern vom 26. November 1992 nicht zu erblicken.

II.6. Rekurs der Spar- und Leihkasse Thun in Liquidation
a) Die Spar- und Leihkasse Thun in Liquidation verlangt vor Bundesgericht nicht mehr ausdrücklich die Abberufung von Paul Freiburghaus als Kommissär, widersetzt sich aber seiner Ernennung zum Sachwalter. Wie oben (E. 3b) bereits ausgeführt, vermögen indessen die Unstimmigkeiten zwischen Freiburghaus und der ATAG Ernst & Young AG, wie sie aufgrund der heutigen Aktenlage festzustellen sind, den Vertrauensentzug gegenüber Freiburghaus noch nicht zu rechtfertigen.
Im Zusammenhang mit der Kritik an den fachlichen Fähigkeiten von Paul Freiburghaus wird von der Rekurrentin geltend gemacht, es mangle ihm an den notwendigen Kenntnissen des Bankfaches. Nun ist aber Freiburghaus nicht nur im Besitz der erwähnten eidgenössischen Fähigkeitsausweise, sondern verfügt auch über eine breite Erfahrung als Inhaber eines Treuhandbüros. Was die Kenntnisse des Bankfaches im besondern anbetrifft, ist darauf hinzuweisen, dass er Verwaltungsrat einer Bank mit Sitz in Steffisburg ist, womit zugleich erwiesen ist, dass ihm die wirtschaftlichen Verhältnisse der Region vertraut sind. Die fachliche Kompetenz von Freiburghaus reicht somit aus, um die Aufgaben zu erfüllen, welche das Gesetz dem Sachwalter überträgt. Er steht ja zudem nicht allein da, sondern kann - gerade was bankspezifische Probleme anbetrifft - auf die Kenntnisse und Erfahrungen in Banksachen zurückgreifen, welche die Mitarbeiter der Liquidatorin einbringen.
b) Wenn von der Rekurrentin der Eventualantrag gestellt wird, es sei ein Bankfachmann als Sachwalter zu ernennen, so stellt sich vorab
BGE 119 III 37 S. 45
die Frage, ob der zu findende Bankfachmann auch über die weiteren breiten Kenntnisse verfügt, welche Paul Freiburghaus zu eigen sind. Fest steht auf jeden Fall, dass sich ein neu zu ernennender Sachwalter in das umfangreiche Dossier einarbeiten müsste, mit dem sich Freiburghaus über viele Monate hinweg vertraut gemacht hat. Solche neue Einarbeitung muss nicht zuletzt aus Kostengründen, wenn immer möglich, vermieden werden.
Zwar würden auch die Eidgenössische Bankenkommission und die Nationalbank eine andere Lösung als das parallele Wirken von Freiburghaus und der ATAG Ernst & Young AG vorziehen. Sie gehen dabei aber von der unrichtigen Auffassung aus, dass die gesetzliche Ordnung eine Zusammenlegung der Funktionen von Sachwalter und Liquidatoren erlaube.

II.7. Die Rekurrentin stellt denn auch den Antrag, die ATAG Ernst & Young AG sei als Sachwalterin während der Nachlassstundung einzusetzen, was darauf hinausliefe, dass die Funktionen von Sachwalter und Liquidatoren zusammengelegt werden.
a) Zutreffend ist die Auffassung der Rekurrentin, dass die von der Eidgenössischen Bankenkommission eingesetzten Liquidatoren in gewisser Hinsicht eine im öffentlichen Interesse liegende Funktion ausüben, nämlich insoweit, als sie auch die Gläubigerinteressen zu wahren haben. Das ergibt sich schon daraus, dass im Augenblick der Liquidation die Interessen der Bank an einem trotz der widrigen Umstände möglichst günstigen wirtschaftlichen Ausgang mit denselben Interessen der Gläubiger zusammentreffen. Damit wird jedoch nicht die Tatsache aus der Welt geschafft, dass die Liquidatoren an die Stelle der Bankorgane treten.
Wegen der möglichen Interessenkollision kommen sie als Sachwalter sowenig in Frage wie die bankengesetzliche Revisionsstelle oder die obligationenrechtliche Kontrollstelle (BODMER/KLEINER/LUTZ, Kommentar zum schweizerischen Bankengesetz, N. 46 zu Art. 36-37).
b) Gemäss Art. 30 Abs. 1 BankG sind mit der Bewilligung der Stundung ein oder mehrere sachkundige Personen als Kommissäre der Bank zu bestellen; und nach Art. 33 Abs. 1 BankG muss die Bank, die einen Nachlassvertrag anstrebt, dem Kommissär ihre Anträge zur Begutachtung unterbreiten. Beides kann nicht weniger gelten, wenn die Bank gleichzeitig in Liquidation tritt.
Die Notwendigkeit des Sachwalters ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 VNB, wonach im Einverständnis mit dem Sachwalter die erforderlichen Anordnungen zur Erhaltung des Vermögensstandes und zur Verhinderung der Begünstigung einzelner Gläubiger zum Nachteil
BGE 119 III 37 S. 46
der andern zu treffen sind. Sodann holt der Sachwalter - gemäss Art. 8 Abs. 1 VNB - die Erklärung der zuständigen Bankorgane über die Anerkennung oder Bestreitung der angemeldeten, nicht aus den Büchern ersichtlichen Forderungen ein.
Aus all diesen Vorschriften ergibt sich, dass die Aufteilung der Funktionen von Kommissär und Sachwalter einerseits und der Liquidatoren anderseits zur Vermeidung von Interessenkollisionen zwingend ist. Wenn im Fall, wo sich eine Bank in Liquidation befindet, etwas anderes gelten sollte - von welcher Annahme insbesondere im Hinblick auf die Gläubigerinteressen ernsthaft nicht ausgegangen werden kann -, so hätte das im Gesetz ausdrücklich zum Ausdruck kommen müssen. Mangels solcher ausdrücklicher Anordnung aber sind die erwähnten Vorschriften analog anzuwenden.
c) Hat sich nach dem Gesagten ergeben, dass die Funktion des Sachwalters nicht mit der von der ATAG Ernst & Young AG wahrgenommenen Funktion der Liquidatorin zusammengelegt werden kann und dass Paul Freiburghaus als genügend sachkundig für die Aufgabe des Kommissärs bzw. Sachwalters zu betrachten ist, so kann dem Antrag der Rekurrentin, es sei die ATAG Ernst & Young AG als Sachwalterin einzusetzen, und ihrem Eventualantrag, es sei ein Bankfachmann zum Sachwalter zu ernennen, nicht entsprochen werden.

II.8. a) Die Rekurrentin bezeichnet sodann das von der Nachlassbehörde angeordnete grundsätzliche Verbot der Fortführung der Liquidation (Ziff. 5 Abs. 2 des Dispositivs des angefochtenen Entscheides) als sachwidrig. Die Liquidation sei zwingend und deren Unterbrechung würde die Gläubigerinteressen beeinträchtigen - macht die Rekurrentin geltend -, und ohne Liquidationshandlungen sei es gar nicht möglich, der Anordnung der Nachlassbehörde nachzukommen, wonach 45 Prozent aller am 3. Oktober 1991 bestehenden Guthaben auszuzahlen sind. Als Beispiele von Handlungen, die wegen der Anordnung der Nachlassbehörde unterlassen werden müssten, nennt die Rekurrentin die Betreibungen auf Grundpfandverwertung, den Verkauf überbelehnter Liegenschaften, den Freihandverkauf oder die Versteigerung angefangener Bauprojekte, die Veräusserung von dem Preiszerfall ausgesetzten Grundstücken, die Herausgabe von Schuldbriefen und ganz allgemein das Eintreiben von Forderungen. Die Rekurrentin behauptet sodann, es könnten monatlich 20 Millionen Franken in das Vermögen der Spar- und Leihkasse Thun in Liquidation zurückgeführt werden; geschehe dies nicht, weil die Liquidation unterbrochen werde, so ergebe sich innert
BGE 119 III 37 S. 47
zwölf Monaten ein Zinsausfall von 7,2 Millionen Franken. Weiter wäre es nach Auffassung der Rekurrentin sachgemäss, wenn die Auszahlung der pfandgesicherten Darlehensforderungen der Pfandbriefzentralen nicht unter das Liquidationsverbot fiele; und sie weist schliesslich auf die Verantwortlichkeitsansprüche hin, die gestützt auf Art. 40 ff. BankG ohne Verzug geltend gemacht werden müssen.
b) Die Rekurrentin übersieht indessen, dass eine weitere Liquidationstätigkeit durch die Anordnung der Nachlassbehörde nicht rundweg ausgeschlossen wird. Allerdings bedarf diese Aktivität, nach Art. 2 VNB, der Zustimmung des Sachwalters. Es darf von Paul Freiburghaus als Sachwalter erwartet werden, dass er wohl zu entscheiden weiss, in welchen Fällen er seine Zustimmung geben darf und in welchen nicht.
Nachdem die Nachlassbehörde am 22. Dezember 1992 die Aufgabenteilung zwischen Liquidatorin und Sachwalter näher geregelt und Anordnungen bezüglich der Geschäftstätigkeit der Spar- und Leihkasse Thun in Liquidation getroffen hat, ist zusätzlich dafür gesorgt, dass die Liquidation in einem begrenzten Rahmen fortgesetzt werden kann. Am Ende aber steht die Aufgabe, einen möglichst günstigen Nachlassvertrag abzuschliessen.
Paul Freiburghaus und die ATAG Ernst & Young AG sind aufgerufen, die ihnen gestellte anspruchsvolle Aufgabe gewissenhaft - das heisst insbesondere auch: im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen und der Anordnungen der Nachlassbehörde - und mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Kräften zu erfüllen und alles zu vermeiden, was die Erfüllung der Aufgabe beeinträchtigt. Der Sachwalter und die Liquidatorin mögen sich stets bewusst sein, dass sie ihre Tätigkeit unter den Augen einer grossen Zahl von Bankgläubigern ausüben, die entgegen jeder Erwartung ihre Forderungen gefährdet sehen, und dass sie deshalb eine besondere Verantwortung tragen.

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Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Referenzen

BGE: 117 III 83

Artikel: Art. 2 VNB, Art. 30 und Art. 37 BankG, Art. 37 Abs. 1ter BankG, Art. 33 Abs. 1 und Art. 34 lit. b BankG mehr...