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Urteilskopf

122 V 291


43. Auszug aus dem Urteil vom 12. September 1996 i.S. S. gegen Ausgleichskasse des Kantons Aargau und Versicherungsgericht des Kantons Aargau

Regeste

Art. 22 Abs. 1, 2 und 3, Art. 23 Abs. 1 und 4, Art. 23bis Abs. 2 AHVV: Bindungswirkung der Steuermeldung hinsichtlich des Realisierungszeitpunktes eines beitragspflichtigen Einkommens.
An der Rechtsprechung gemäss AHI 1993 S. 240 Erw. 2c, wonach den Steuermeldungen bezüglich des Realisierungszeitpunktes eines beitragspflichtigen Einkommens, namentlich im Rahmen der Erhebung eines Sonderbeitrages nach Art. 23bis AHVV, keine Bindungswirkung zukommt, kann nicht festgehalten werden.

Erwägungen ab Seite 291

BGE 122 V 291 S. 291
Aus den Erwägungen:

5. Nach dem Gesagten kann der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall aus der von ihm geltend gemachten Unmassgeblichkeit der Steuermeldung hinsichtlich des Realisierungszeitpunktes eines
BGE 122 V 291 S. 292
Einkommens nichts zu seinen Gunsten ableiten. Davon, dass der Provisionsanspruch - wenn überhaupt - im Jahre 1990 entstanden ist, muss vielmehr selbst nach der Darstellung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ausgegangen werden. Nachdem sich indessen schon die Vorinstanz mit der Frage nach der diesbezüglichen Verbindlichkeit der Steuermeldung und der dazu ergangenen Rechtsprechung auseinandergesetzt hat und dieser Aspekt in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wiederum aufgegriffen wird, ist an dieser Stelle näher darauf einzugehen.
a) In ZAK 1986 S. 582 Erw. 2b erkannte das Eidg. Versicherungsgericht, dass die Grundsätze über die Verbindlichkeit der Angaben der Steuerbehörden nach Art. 23 Abs. 4 AHVV auch im Rahmen von Art. 17 lit. d und Art. 23bis AHVV (in der bis Ende 1994 gültig gewesenen Fassung) anwendbar seien; die Ausgleichskassen hätten daher bei der Ermittlung eines beitragspflichtigen Liquidationsgewinnes von den von der Steuerverwaltung festgestellten Tatsachen auszugehen, zu welchen auch der Zeitpunkt des Eintritts eines Liquidationsgewinnes gehöre; es bestehe kein hinreichender sachlicher Grund, für diese Frage eine eigenständige Ermittlungspflicht der Ausgleichskasse vorzuschreiben. Die Bindungswirkung der Steuermeldung hinsichtlich des Realisierungszeitpunktes eines Liquidationsgewinnes bestätigte das Eidg. Versicherungsgericht in der Folge wiederholt (ZAK 1989 S. 549 Erw. 4, AHI 1993 S. 223 Erw. 4b in fine und 232 Erw. 3a).
In ZAK 1989 S. 307 Erw. 2b befand das Eidg. Versicherungsgericht weiter, dass die Steuermeldung für die Ausgleichskasse auch in bezug auf das Kalenderjahr, in welchem der Versicherte ein Einkommen aus einer nebenberuflichen, gelegentlich ausgeübten selbständigen Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 22 Abs. 3 AHVV erzielt hat, verbindlich sei, und im nicht veröffentlichten Urteil B. vom 18. Mai 1992 hielt es fest, dass die Rechtsprechung in ZAK 1986 S. 582 Erw. 2b und ZAK 1989 S. 307 Erw. 2b auch bezüglich des Zeitpunkts der Realisierung des Einkommens im Rahmen der Beitragsfestsetzung nach Art. 22 Abs. 1 AHVV gelte.
Im nicht veröffentlichten Urteil W. vom 14. Mai 1991 bestätigte das Eidg. Versicherungsgericht seine Rechtsprechung, wonach die Bindung von Verwaltung und Sozialversicherungsrichter an die Feststellungen der Steuerverwaltung auch im Rahmen der Erhebung eines Sonderbeitrages nach Art. 23bis AHVV auf betragliche Gesichtspunkte beschränkt ist. Dabei stellte es in Erw. 3b klar, dass aus der in RCC 1988 S. 483 Erw. 4d wiedergegebenen, in BGE 114
BGE 122 V 291 S. 293
V 72 nicht publizierten Formulierung "... la soumission à l'impôt annuel spécial sur les bénéfices en capital au sens de l'art. 43 AIFD - dont l'art. 23bis RAVS fait dépendre la perception de la cotisation AVS spéciale - relève de la compétence exclusive des autorités fiscales, échappant ainsi au pouvoir d'examen des organes de l'AVS et du juge des assurances sociales" (vgl. deutsche Übersetzung in ZAK 1988 S. 457 Erw. 4d) keine absolute Verbindlichkeit der Steuermeldung über Fragen masslicher Art hinaus abzuleiten sei.
Wie das Eidg. Versicherungsgericht in AHI 1993 S. 232 zusammenfassend festhielt, hat es somit die Verbindlichkeitswirkung der Steuermeldung im Bereich der Sonderbeitragsfestsetzung namentlich in betraglicher Hinsicht oder aber in bezug auf die Frage nach dem Eintrittszeitpunkt des Liquidationsgewinnes gelten lassen, nicht aber bezüglich der beitragsrechtlichen Qualifikation des Einkommens oder des Einkommensbezügers sowie der Buchführungspflicht eines Betriebes.
b) In AHI 1993 S. 240 Erw. 2b erinnerte das Eidg. Versicherungsgericht in einem Streit um den Zeitpunkt der Realisierung eines Überführungsgewinnes im Gefolge einer Erbschaft daran, dass es im nicht veröffentlichten Urteil W. vom 14. Mai 1991 unter Hinweis auf BGE 114 V 75 (= ZAK 1988 S. 454) die Bindung von Verwaltung und Sozialversicherungsrichter an die Steuermeldung über Fragen masslicher Art hinaus, wie sie das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) bei Liquidationsgewinnen im Rahmen von Art. 23bis AHVV forderte, abgelehnt habe. Daran anknüpfend gelangte es in Erw. 2c zum Schluss, in konsequenter Anwendung dieser Rechtsprechung bestehe auch keine Bindung nach Art. 23 Abs. 4 AHVV bezüglich des Realisierungszeitpunktes eines Liquidationsgewinnes oder einer Wertvermehrung; hierbei handle es sich nicht um eine Frage der Bemessung des massgebenden Einkommens, das durch den Realisierungszeitpunkt höchstens indirekt beeinflusst werden könne; vielmehr gehe es ebenfalls um eine Rechtsfrage, welche die Ausgleichskasse analog der beitragsrechtlichen Qualifikation des Einkommens bzw. Einkommensbezügers grundsätzlich frei zu prüfen habe; allerdings solle sie sich dabei in der Regel auf die Steuermeldung verlassen und eigene nähere Abklärungen nur vornehmen, wenn sich ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der Steuermeldung ergeben; in diesem Sinne sei die Rechtsprechung zu präzisieren.
c) Zu dieser Lockerung der Verbindlichkeit der Steuermeldungen bemerkte das BSV in AHI 1993 S. 187 f., dass damit zweifellos zahllose
BGE 122 V 291 S. 294
Streitigkeiten heraufbeschworen würden, sei doch die Verjährung in der AHV strenger geregelt als im Steuerrecht; versöhnlich möge immerhin stimmen, dass nach den Ausführungen des Eidg. Versicherungsgerichts nähere Abklärungen durch die Ausgleichskassen nur dann angezeigt seien, wenn "ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit" der Steuermeldung bestehen, und die Ausgleichskassen über den nötigen Raum verfügen müssten, "um offensichtlichen Mängeln Rechnung zu tragen"; sollte sich der Entscheid der Steuerbehörden betreffend Buchführungspflicht, Abgrenzung Geschäfts-/Privatvermögen und Realisierungszeitpunkt als offensichtlich unrichtig bzw. willkürlich erweisen, sei eine unumstössliche Bindung tatsächlich fragwürdig; ein Abweichen von der Steuermeldung könne sich in einem solchen Fall aufdrängen; beim gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung scheine es allerdings offen, wie qualifiziert unrichtig die Beurteilung durch die Steuerbehörden sein müsse, damit diese für die AHV nicht verbindlich sei; ungelöst sei auch die Frage, inwieweit diese Abklärungen von Amtes wegen zu tätigen seien bzw. inwieweit dem Versicherten eine Beweisführungslast obliege. Das BSV empfahl daher den Kassen, solange diese Fragen nicht endgültig beantwortet seien, derartige Abklärungen nur vorzunehmen, wenn der Versicherte den Realisierungszeitpunkt ausdrücklich bestreitet oder der Kasse sonstwie Anhaltspunkte für eine offensichtliche Unrichtigkeit der Beurteilung durch die Steuerbehörde vorliegen; sollten sich Abklärungen aufdrängen, würden sich die Kassen am besten an die Steuerbehörde wenden und diese um eine Begründung ersuchen, weshalb sie ihren Entscheid so und nicht anders gefällt habe; die schriftliche Auskunft der Steuerbehörde sei einem urteilenden Gericht zugänglich zu machen; es sei nicht zu erwarten, dass die Gerichte in Kenntnis der Überlegungen der Steuerbehörde leichthin anders entscheiden würden.
d) Das in AHI 1993 S. 239 publizierte Urteil beruht auf der Überlegung, dass die Steuermeldung zum Realisierungszeitpunkt eines Liquidationsgewinnes oder einer Wertvermehrung über eine blosse Frage masslicher Art hinausgehe; durch diesen Faktor werde die Bemessung des Erwerbseinkommens höchstens indirekt beeinflusst.
Die Frage des Realisierungszeitpunktes stellt sich nicht nur bei Sonderbeiträgen, wo dieser eine besondere Rolle spielt, sondern auch bei der ordentlichen Beitragserhebung für Selbständigerwerbende und sogar beim massgebenden Lohn Unselbständigerwerbender. Zuerst ist stets zu prüfen, ob überhaupt Erwerbseinkommen vorliegt. Wird dies bejaht, besteht im Lichte von Art. 23 Abs. 4 AHVV
BGE 122 V 291 S. 295
und der Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts Bindung der Ausgleichskassen an die Steuermeldung bezüglich der Höhe des massgebenden Einkommens und des betrieblichen Eigenkapitals. Die Bejahung der Bindungswirkung auch hinsichtlich des Realisierungszeitpunktes eines Einkommens ist folgerichtig. Dafür spricht schon die grundsätzliche Identität der Definition des Realisierungszeitpunktes im Steuer- und im AHV-Recht, wonach ein Erwerbseinkommen in dem Zeitpunkt als erzielt gilt, in welchem der Rechtsanspruch darauf erworben wurde (vgl. PAUL CADOTSCH, Die Verbindlichkeit der Steuermeldungen für die AHV-Beitragsfestsetzung, in: Archiv für Schweizerisches Abgaberecht Bd. 62 1993/94 S. 381 ff.). Das Massliche und der Realisierungszeitpunkt eines Einkommens hängen denn auch derart eng zusammen, dass es sich unter dem Blickwinkel von Art. 23 Abs. 4 AHVV nicht rechtfertigen lässt, diese beiden Aspekte unterschiedlich zu behandeln und beim Realisierungszeitpunkt eine Bindung der Ausgleichskasse an die Angaben der Steuerbehörden zu verneinen. Dass bei der Bestimmung des Realisierungszeitpunktes auch Rechtsfragen mitspielen können, ändert daran nichts. An der Betrachtungsweise in AHI 1993 S. 240 Erw. 2c, welche die Frage nach dem Realisierungszeitpunkt auf die gleiche Ebene wie diejenige nach der beitragsrechtlichen Qualifikation des Einkommens und des Einkommensbezügers rückt und demzufolge zur Verneinung der Bindungswirkung der Steuermeldung bezüglich des Realisierungszeitpunktes beitragspflichtiger Einkünfte führt, kann deshalb nicht festgehalten werden.

Inhalt

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Regeste: deutsch französisch italienisch

Erwägungen 5

Referenzen

BGE: 114 V 75

Artikel: Art. 23 Abs. 4 AHVV, Art. 23bis AHVV, Art. 23bis Abs. 2 AHVV, Art. 17 lit. d und Art. 23bis AHVV mehr...