Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
Urteilskopf

117 II 90


20. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 15. Januar 1991 i.S. C. S.A. gegen K. S.A. (Berufung)

Regeste

Art. 4 IPRG. Gerichtsstand des Arrestortes.
Abgesehen vom "leeren" Arrest begründet jeder Arrest für die gesamte in der Prosequierungsklage geltend gemachte Forderung einen Gerichtsstand am schweizerischen Arrestort, sofern der Arrest für die gleiche Forderung bewilligt worden war (E. 3 und 4).

Sachverhalt ab Seite 90

BGE 117 II 90 S. 90

A.- Die luxemburgische K. S.A. machte gegenüber der belgischen C. S.A. eine Forderung von US-$ 1'959'000.-- geltend. Am
BGE 117 II 90 S. 91
24. Januar 1990 liess sie für diese Forderung Guthaben der C. S.A. bei der X. Bank in Zürich im Wert von rund Fr. 40'000.-- verarrestieren. Den Arrest prosequierte sie mit Zahlungsbefehl vom 29. Januar 1990 und - auf den Rechtsvorschlag der C. S.A. hin - mit Klage vom 13. März 1990 über Fr. 2'987'475.-- nebst Zins und Kosten beim Handelsgericht des Kantons Zürich als Arrestort. Die Beklagte bestritt den Arrestgerichtsstand.

B.- Mit Beschluss vom 25. Juni 1990 bejahte das Handelsgericht den Arrestgerichtsstand nach Art. 4 IPRG und verwarf die Unzuständigkeitseinrede der Beklagten. Mit Berufung an das Bundesgericht beantragt die Beklagte erfolglos, den Beschluss vom 25. Juni 1990 aufzuheben und die Sache mangels eines Arrestgerichtsstandes zur Abschreibung an die Vorinstanz zurückzuweisen, eventuell das Bestehen eines solchen Gerichtsstandes bloss im Umfang des Wertes der verarrestierten Gegenstände festzustellen.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Beide Parteien sind im Ausland domizilierte Firmen; die Klägerin hat in der Schweiz einen Arrest auf Vermögenswerte der Beklagen erwirkt. Der Fall unterliegt der internationalen Zuständigkeitsordnung des neuen Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (Art. 1 Abs. 1 lit. a IPRG; STAEHELIN, Das neue Bundesgesetz über das internationale Privatrecht, BJM 1989 S. 169 ff., S. 174 f.).
Gemäss Art. 4 IPRG kann die Klage auf Prosequierung des Arrestes am schweizerischen Arrestort erhoben werden, sofern das IPRG keinen anderen Gerichtsstand in der Schweiz vorsieht (vgl. dazu SCHNYDER, Das neue IPRG-Gesetz, 2. A. 1990, S. 25; STAEHELIN, a.a.O. S. 175 f.). Einen anderen Gerichtsstand nach IPRG behauptete auch die Beklagte nicht, macht jedoch geltend, der Arrestgerichtsstand sei nach richtiger Auslegung von Art. 4 IPRG oder als Ergebnis einer Lückenfüllung dann nicht oder jedenfalls nur für den Gegenwert des Arrestgutes gegeben, wenn es sich um einen im Verhältnis zur Forderung "fast leeren" Arrest handle.

4. a) Der Wortlaut von Art. 4 IPRG enthält keinerlei Anhaltspunkte für die Auffassung der Beklagten. Einzige Voraussetzung für den Arrestgerichtsstand ist der Arrest. Nichts deutet darauf hin, dass ein Arrestgerichtsstand nur dann begründet wird, wenn das Arrestgut einen Mindestwert aufweist.
BGE 117 II 90 S. 92
b) Für die streitige Frage, ob ein Arrest mit fast keinem Haftungssubstrat einen Gerichtsstand am Arrestort nach Art. 4 IPRG begründet, ist nicht nur auf den Wortlaut dieser Vorschrift abzustellen, sondern auch auf deren Sinn und Zweck (BGE 114 Ia 196 E. 3b sowie Art. 1 Abs. 1 ZGB und MEIER-HAYOZ, N. 38 f. zu Art. 1 ZGB). Dabei kommt der aus den Materialien ersichtlichen Regelungsabsicht des Gesetzgebers bei neueren Erlassen wie dem am 1. Januar 1989 in Kraft gesetzten IPRG für die Auslegung eine ausschlaggebende Bedeutung zu (BGE 114 Ia 196 f.):
Vor dem 1. Januar 1989 war die Regelung des Gerichtsstandes für die Arrestprosequierung den Kantonen überlassen (BGE 95 II 206 E. 2; STRÄULI/MESSMER, N. 30 zu § 9 ZPO/ZH), die den Gerichtsstand am Arrestort, wenngleich mit unterschiedlicher Ausgestaltung, in den Grenzen von Art. 59 BV und unter Berücksichtigung bestehender Staatsverträge anerkannten (dazu GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 3. A. 1979, S. 89 f.; STAEHELIN, a.a.O. S. 175). Als der Bundesgesetzgeber für den internationalen Bereich den eidgenössischen Arrestgerichtsstand des Art. 4 IPRG schuf, knüpfte er an die kantonale Ordnung an (Botschaft zum Bundesgesetz über das internationale Privatrecht vom 10. November 1982, BBl 1983 I S. 299 f.). Die Botschaft lässt erkennen, dass die bisherige Regelung bewahrt werden sollte, bis sie durch internationale Rechtsentwicklungen überholt würde, welche die Bedeutung des Arrestgerichtsstandes zurückdrängen (Botschaft a.a.O.; vgl. WALDER, Einführung in das internationale Zivilprozessrecht der Schweiz, S. 165 § 5 Rz. 15; SCHNYDER, a.a.O. S. 25).
Das nach der Absicht des Bundesgesetzgebers mit Art. 4 IPRG in das Bundesrecht übernommene kantonale Recht hatte die Zulässigkeit der Prosequierungsklage am Arrestgerichtsstand nicht davon abhängig gemacht, dass das Arrestgut zur Deckung der Forderung ausreiche. Selbst ein geringer Wert des Arrestguts, der nach Abzug der Kosten die Forderung nicht einmal teilweise deckte, genügte zur Begründung des Arrestgerichtsstandes. Dieser wurde nur verweigert, wenn überhaupt keine Vermögenswerte vom Arrestbeschlag erfasst worden waren; damit sollte verhindert werden, dass ein Kläger durch Sucharreste bei Banken den ihm genehmen Gerichtsstand bestimmen konnte (je mit Hinweisen STRÄULI/MESSMER, N. 31 zu § 9 ZPO/ZH; JOLIDON, Procédure civile bernoise, S. 46, Rz. 212.15; LEUCH, N. 5 zu Art. 25 ZPO/BE; JAEGER, N. 11 zu Art. 278 SchKG). Auch das Bundesgericht verlangte als Voraussetzung für den kantonalrechtlichen
BGE 117 II 90 S. 93
Arrestgerichtsstand einzig das Vorhandensein von Arrestgut schlechthin (vgl. BGE 63 III 40 f. mit Hinweis); zudem musste die Forderung, für die der Arrest bewilligt worden war, mit der Forderung, für welche der Arrest prosequiert wurde, identisch sein (BGE 110 III 98).
c) Somit ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte von Art. 4 IPRG kein vom Wortlaut abweichender Sinn. Das Abstellen auf das Vorhandensein von Arrestgut ungeachtet seines Wertes entspricht auch dem Grundgedanken sowohl der früheren kantonalen Regelung wie des heutigen Art. 4 IPRG. Durch den Arrestgerichtsstand soll der Gläubiger in die Lage versetzt werden, dort ein Urteil zu erstreiten, wo er verwertbares Vermögen mit Arrest belegt hat; durch den Arrestgerichtsstand nicht sichergestellt wird jedoch, dass dieses Vermögen zu seiner Befriedigung ausreicht. Prosequiert der Gläubiger den Arrest, obwohl das Arrestgut nur geringen Wert aufweist, so mag er dies in der Erwartung tun, dass er im Zeitpunkt der Urteilsvollstreckung zusätzlich zum Arrestgut auf anderes Vermögen werde greifen können. Zu beurteilen, ob das zu erwartende Vollstreckungssubstrat die Prosequierung rechtfertigt, bleibt auf jeden Fall dem Entscheid des Gläubigers anheimgestellt. Das Risiko, trotz erfolgreicher Prosequierung mangels Vollstreckungssubstrats leer auszugehen, würde dem Gläubiger auch nicht durch die mit dem Hauptbegehren der Beklagten befürwortete Auslegung oder Lückenfüllung abgenommen, nach welcher der Arrestgerichtsstand ja bloss bei den "fast leeren" Arresten ausgeschlossen sein soll. Dass eine solche vom Gesetzgeber niemals gewollte Regelung ausserdem zu einer vollständigen Ungewissheit über das Vorhandensein eines Arrestgerichtsstands führen würde, liegt auf der Hand.
Die im Eventualbegehren verlangte Beschränkung des Arrestgerichtsstands auf den zu erwartenden Verwertungserlös aus dem Arrestgut ist ebenso abwegig. Sie hätte zur Folge, dass der Gläubiger einer Forderung, welche den mutmasslichen Erlös übersteigt, den Mehrbetrag an einem anderen Ort einklagen müsste, obwohl im Zeitpunkt der Prosequierungsklage weder der Verwertungserlös aus dem Arrest noch das anderweitig zu erzielende Verwertungsergebnis feststeht. So ist im vorliegenden Fall keineswegs gewiss, dass die Klägerin bei der Vollstreckung eines in Zürich erstrittenen Urteils auf die verarrestierten Guthaben von rund Fr. 40'000.-- beschränkt bleiben wird; unbekümmert um die Vollstreckungsmöglichkeiten im Ausland steht für die Schweiz kraft
BGE 117 II 90 S. 94
Art. 61 BV fest, dass die Klägerin aufgrund eines solchen Urteils auf alle in diesem Land befindlichen Vermögenswerte wird greifen können. Wäre der neue und in der verspäteten Eingabe der Beklagten vom 9. Oktober 1990 vorgebrachte Einwand, die Klägerin versuche in der Schweiz weitere Arreste zu suchen, zulässig (Art. 54 Abs. 1 und 55 Abs. 1 lit. c OG), spräche er nicht gegen, sondern für die Zulässigkeit des Gerichtsstandes am Arrestort Zürich, scheint doch in der Schweiz noch weiteres Vollstreckungssubstrat vorhanden zu sein als die verarrestierten Guthaben.
d) Wie bereits nach altem Recht begründet abgesehen vom "leeren" Arrest auch nach Art. 4 IPRG jeder Arrest für die gesamte in der Prosequierungsklage geltend gemachte Forderung einen Arrestgerichtsstand, sofern für diese gleiche Forderung Arrest genommen worden war.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 3 4

Referenzen

BGE: 114 IA 196, 95 II 206, 110 III 98

Artikel: Art. 4 IPRG, § 9 ZPO, Art. 1 Abs. 1 lit. a IPRG, Art. 1 Abs. 1 ZGB mehr...