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Urteilskopf

81 IV 329


73. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. Dezember 1955 i.S. Altherr gegen Justizdirektion des Kantons Appenzell A.Rh.

Regeste

Art. 335 Ziff. 1 Abs. 1 StGB.
Die Kantone dürfen Amtspflichtverletzungen, welche nicht unter die Vorschriften des StGB fallen, als übertretung mit Strafe bedrohen.

Sachverhalt ab Seite 329

BGE 81 IV 329 S. 329

A.- Das Obergericht des Kantons Appenzell A.Rh. verurteilte am 25. Juli 1955 Hans Altherr wegen fortgesetzter Hinderung einer Amtshandlung und fortgesetzter Amtspflichtverletzung gemäss Art. 39 des Einführungsgesetzes zum StGB zu Fr. 200.-- Busse. Die Amtspflichtverletzung erblickte es darin, dass Altherr als Untersuchungsrichter der Gemeinde Gais wiederholt Straffälle unter Umgehung der Justizdirektion oder des Justizdirektors überwiesen und, ohne dazu befugt gewesen zu sein, verschiedene Verfahren eingestellt habe.

B.- Gegen dieses Urteil reichte Altherr Nichtigkeitsbeschwerde ein mit den Anträgen, es sei aufzuheben und das Obergericht anzuweisen, ihn freizusprechen. Er macht u.a. geltend, Art. 39 EGzStGB, welcher die vorsätzliche oder grob fahrlässige Amtspflichtverletzung mit Haft oder Busse bedrohe, sofern nicht andere Strafbestimmungen zur
BGE 81 IV 329 S. 330
Anwendung gelangen, sei bundesrechtswidrig. Der Bundesgesetzgeber habe die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Beamten abschliessend geregelt.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:
Der Beschwerdeführer ist von der Vorinstanz auch in Anwendung von Art. 39 des kantonalen Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch wegen Amtspflichtverletzung verurteilt worden. In der Nichtigkeitsbeschwerde wird geltend gemacht, die bundesrechtliche Ordnung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Beamten sei abschliessend. Die Kantone seien daher nicht befugt, Amtspflichtverletzungen als Übertretungen mit Strafe zu bedrohen.
Ob Amtspflichtverletzungen, welche nicht unter die Vorschriften des eidg. Strafgesetzbuches fallen, von den Kantonen als Übertretungen bestraft werden können, hat das Bundesgericht bisher offen lassen können (BGE 74 IV 158), ist aber unbedenklich zu bejahen. Dafür spricht schon, dass es sich dabei um die Übertretung kantonaler Verwaltungsvorschriften handelt, die mit Strafe zu bedrohen Art. 335 Ziff. 1 Abs. 2 StGB den Kantonen unbeschränkt vorbehält. Sodann ist die ersatzlose Streichung des bezüglichen Vergehenstatbestandes der Art. 223 bzw. 232 der Vorentwürfe von 1903 bzw. 1908 durch die zweite Expertenkommission (Protokolle 5 S. 402 ff., 6 S. 149 ff.) wesentlich bloss auf die Schwierigkeiten der Abgrenzung gegenüber dem Disziplinarstrafrecht zurückzuführen. Wenn dabei darauf hingewiesen wurde, dass "regelmässig" die Disziplinarbestimmungen ausreichen, um die in den vorhergehenden Artikeln (jetzt Art. 312 ff. StGB, sowie Art. 57 des Post- und Art. 39 des Telegraphen- und Telephonverkehrsgesetzes) nicht besonders mit Strafe bedrohten Amtspflichtverletzungen zu ahnden, also deswegen davon abgesehen wurde, von Bundes wegen die kantonalen Beamten einem derartigen Blankettgesetz zu unterwerfen, so ergibt sich daraus gar nichts gegen die Zulässigkeit eines entsprechenden kantonalen Übertretungstatbestandes, auf den
BGE 81 IV 329 S. 331
doch diejenigen Kantone angewiesen sind, die (abweichend von der erwähnten "Regel") keine ausreichenden Disziplinarbestimmungen aufgestellt haben. Den Kantonen aber von Bundes wegen eine ausreichende Ausgestaltung ihres Disziplinarrechts aufzudrängen, geht nicht an; vielmehr muss es ihnen anheimgestellt bleiben, darüber zu befinden, inwieweit sie die Ahndung von nicht im StGB geordneten Amtspflichtverletzungen kantonaler Beamter ihren Strafgerichten anvertrauen wollen anstatt bloss den vorgesetzten Behörden, denen das Disziplinarrecht zu handhaben obliegt. Dass der Bundesgesetzgeber auf den bisherigen Übertretungstatbestand des Art. 53 litt. f des Bundesstrafrechts-Gesetzes von 1853 gänzlich verzichtete, erklärt sich zwanglos daraus, dass er es selbst in der Hand hat, das Disziplinarrecht für die Bundesbeamten als genügenden Ersatz dafür auszugestalten. Somit ist die Regelung des Strafgesetzbuches, welches nur bestimmte, besonders qualifizierte und schwere Amtspflichtverletzungen als Verbrechen oder Vergehen mit Strafe bedroht, nicht als abschliessend zu betrachten. Den Kantonen bleibt vorbehalten, für leichtere Amtspflichtverletzungen ihrer öffentlichen Funktionäre nicht nur zusätzliche Disziplinar-, sondern auch Übertretungstatbestände zu schaffen. Dies ist in vielen Kantonen, so auch in Appenzell A.Rh. geschehen (vgl. HAFTER: Besonderer Teil S. 826 /827). Art. 39 des EG zum StGB des Kantons Appenzell A.Rh., welcher bestimmt, dass die Behördenmitglieder und Beamte, die ihre Amtspflichten vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzen, sofern nicht andere Strafbestimmungen zur Anwendung gelangen, mit Haft oder Busse bestraft werden, ist nach dem Gesagten nicht bundesrechtswidrig. Ob die Vorinstanz das kantonale Strafrecht richtig angewendet hat, kann der Kassationshof nicht überprüfen (Art. 269 Abs. 1 BStP).

Dispositiv

Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Dispositiv

Referenzen

Artikel: Art. 335 Ziff. 1 Abs. 1 StGB, Art. 335 Ziff. 1 Abs. 2 StGB, Art. 312 ff. StGB, Art. 269 Abs. 1 BStP