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Urteilskopf

117 Ia 202


36. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 29. Mai 1991 i.S. Schweizerische Eidgenossenschaft gegen Kanton Basel-Landschaft, Susanne Leutenegger Oberholzer sowie Landrat, Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft (staatsrechtliche Klage)

Regeste

Art. 113 Abs. 1 Ziff. 1 BV und Art. 83 lit. a OG: Kompetenzkonflikt zwischen Bund und Kanton Basel-Landschaft; Verordnung über die Behandlung von Staatsschutzakten des Bundes.
1. Verfahren der staatsrechtlichen Klage: Zulässigkeit der Klage im vorliegenden Fall (E. 1b); Parteien (E. 1c); Anwendung von Art. 91-96 OG (E. 1d).
2. Gegenstand des Verfahrens der staatsrechtlichen Klage bildet einzig die Frage nach der Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Kanton hinsichtlich der Einsicht in die Staatsschutzakten. Organstreitigkeiten und gesetzliche Grundlage der Überwachung sind nicht zu prüfen (E. 2).
3. Der Bund als Gemeinwesen ist für die Sorge auf dem Gebiete seiner innern und äussern Sicherheit aufgrund einer ungeschriebenen Kompetenz zuständig (E. 4a, b und d); Praxis der Ausübung dieser Zuständigkeit (E. 4c); Grenzen dieser Bundeskompetenz, insbesondere hinsichtlich der kantonalen Befugnisse (E. 5).
4. Der Bund ist für die Behandlung der Staatsschutzakten zuständig (E. 6). Er kann materielle und formelle Regeln für deren Einsichtnahme erlassen; die Zentralisierung der Beurteilung von Einsichtsgesuchen und der Einbezug der von den kantonalen Behörden angelegten Akten sind kompetenzgemäss (E. 7). Der Bund hat sich mit dem Erlass der Verordnung über die Behandlung von Staatsschutzakten im Rahmen seiner Zuständigkeit gehalten.
5. Folgen der Gutheissung der staatsrechtlichen Klage (E. 8 und 9).

Sachverhalt ab Seite 205

BGE 117 Ia 202 S. 205
Im Anschluss an die Veröffentlichung des Berichtes der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) vom 22. November 1989 (BBC 1990 I 637) ersuchte Susanne Leutenegger Oberholzer die Behörden des Kantons Basel-Landschaft um Einsicht in Staatsschutzakten. Die Kantonspolizei trat auf das Gesuch nicht ein und stellte gestützt auf die Verordnung des Bundesrates über die Behandlung von Staatsschutzakten dessen Weiterleitung an den Sonderbeauftragten für die Behandlung der Staatsschutzakten in Aussicht. Susanne Leutenegger Oberholzer gelangte darauf an den Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft. Dieser wies die Beschwerde gegen die Verfügung der Kantonspolizei ab, auf das Gesuch um Einsicht in die Akten des eidgenössischen Staatsschutzes nicht einzutreten und dieses an den Sonderbeauftragten weiterzuleiten (Ziff. 1 des Dispositivs).
Diesen Entscheid focht Susanne Leutenegger Oberholzer u.a. beim Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft an. Das Verwaltungsgericht hiess die Beschwerde mit Urteil vom 7. November 1990 teilweise gut, hob Ziff. 1 des Dispositivs des regierungsrätlichen Entscheides auf und wies die Angelegenheit zur materiellen Prüfung des die Staatsschutzakten des Bundes betreffenden Einsichtsbegehrens an den Regierungsrat zurück (Ziff. 1 des Dispositivs) (teilweise publiziert in: BJM 1991 S. 12 und SJZ 87/1991 S. 68). Das Verwaltungsgericht führte aus, die Zuständigkeit zum Erlass generell-abstrakter Normen im Bereiche des Staatsschutzes sei in erster Linie Sache der Bundesversammlung,
und der Bundesrat könne verfassungsunmittelbare Verordnungen nur bei zeitlicher Dringlichkeit und für beschränkte Zeit erlassen. Es fehle daher an der Kompetenz zur Beobachtung und Verhütung von die innere Sicherheit gefährdenden Handlungen und ebenso für den Erlass der bundesrätlichen Verordnung über die Behandlung von Staatsschutzakten. Diese Verordnung könne sich ebensowenig auf Art. 17 Abs. 3 Bundesstrafprozess stützen, da damit in keiner Weise eine politische Polizei geschaffen worden sei. Angesichts dieser Rechtslage sei für die Frage der Akteneinsicht vielmehr allein kantonales Recht anwendbar.
In der Folge hat die Schweizerische Eidgenossenschaft, vertreten durch das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement, beim Bundesgericht staatsrechtliche Klage erhoben. Sie stellte folgende Rechtsbegehren:
"1.- Es sei festzustellen, dass die präventive Polizei des Bundes über ausreichende verfassungsrechtliche und gesetzliche Grundlagen verfügt und dass der Bundesrat zuständig ist, die Behandlung von Staatsschutzakten des Bundes und dabei insbesondere die Einsichtsgewährung zu regeln.
2.- Es sei die Nichtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 7. November 1990 in der Beschwerdesache Leutenegger Oberholzer Susanne gegen den Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft betreffend Akteneinsichtsrecht festzustellen. Eventualiter sei das Urteil aufzuheben.
3.- Es sei festzustellen, dass der Bundesrat zur Beurteilung der Beschwerde von Susanne Leutenegger Oberholzer vom 5. Juli 1990 zuständig ist, soweit die Beschwerde nicht durch den Entscheid des Bundesgerichts betreffend die staatsrechtliche Klage des Kantons Genf gegen die Eidgenossenschaft vom 18. Juli 1990 gegenstandslos wird.
4.- Eventualantrag: Es sei die vorliegende Eingabe als verwaltungsrechtliche Klage entgegenzunehmen.
5.- Es sei durch vorsorgliche Verfügung den Behörden des Kantons Basel-Landschaft sofort zu untersagen, in die in ihrem Kanton vorhandenen Staatsschutzakten des Bundes Einsicht zu gewähren."
Susanne Leutenegger Oberholzer sowie der Landrat und das Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft sind in das bundesgerichtliche Verfahren einbezogen worden. Durch Gewährung der aufschiebenden Wirkung (Art. 94 OG) ist der Vollzug des verwaltungsgerichtlichen Urteils aufgeschoben worden.
Das Bundesgericht heisst die staatsrechtliche Klage gut, soweit darauf eingetreten werden kann.
BGE 117 Ia 202 S. 206

Erwägungen

Erwägungen:

1. a) Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit der vorliegenden staatsrechtlichen Klage von Amtes wegen (BGE 117 Ia 238, BGE 106 Ib 158 E. 1, BGE 103 Ib 248 E. 1; WALTER HALLER, BV-Kommentar, Rz. 12 zu Art. 113; WILHELM BIRCHMEIER, Handbuch des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege, S. 288).
b) Nach Art. 113 Abs. 1 Ziff. 1 BV bzw. Art. 83 lit. a OG beurteilt das Bundesgericht im Verfahren der staatsrechtlichen Klage Kompetenzkonflikte zwischen Bundesbehörden einerseits und kantonalen Behörden andererseits. Im vorliegenden Fall macht die Eidgenossenschaft einen solchen Kompetenzkonflikt geltend. Ein solcher hat sich dadurch ergeben, dass auf der einen Seite der Bund beansprucht, über die Gewährung von Einsicht in die Staatsschutzakten des Bundes in ausschliesslicher Kompetenz zu befinden; mit der Verordnung über die Behandlung von Staatsschutzakten des Bundes vom 5. März 1990 (StaVo; SR 172.014 = AS 1990 386) sind Regeln formeller und materieller Natur zur Einsichtsgewährung erlassen und ein Sonderbeauftragter für die Durchführung eingesetzt worden. Auf der andern Seite ist mit dem kantonal letztinstanzlichen Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Basel-Landschaft angeordnet worden, dass die kantonalen Behörden in Anwendung von kantonalem Recht (materieller und formeller Natur) Gesuche um Einsicht in Staatsschutzakten zu behandeln haben. Damit ist zwischen dem Bund und dem Kanton Basel-Landschaft ein Kompetenzkonflikt entstanden, der Gegenstand eines Verfahrens der staatsrechtlichen Klage nach Art. 83 lit. a OG bilden kann (vgl. BIRCHMEIER, a.a.O., S. 292 f.).
Der vorliegende Kompetenzkonflikt ist angesichts der Regelung und Tätigkeit auf Bundesebene und in Anbetracht des verwaltungsgerichtlichen Urteils konkreter und aktueller Natur (vgl. BGE 103 Ia 333; BIRCHMEIER, a.a.O., S. 285 f.; HALLER, a.a.O., Rz. 17). Die staatsrechtliche Klage ist an keine Frist gebunden, da ausschliesslich das öffentliche Interesse an der Kompetenzordnung in Frage steht (BGE 74 I 29 E. 1; ULRICH HÄFELIN/WALTER HALLER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 2. Auflage 1988, N 1769; FRITZ FLEINER/ZACCARIA GIACOMETTI, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Zürich 1949, S. 876); es ist daher unerheblich, dass die Eidgenossenschaft eine Frist von dreissig Tagen seit Eröffnung des verwaltungsgerichtlichen Urteils eingehalten hat.
BGE 117 Ia 202 S. 207
Staatsrechtliche Streitigkeiten werden vom Bundesgericht im Rahmen der gestellten Anträge sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht frei geprüft (BGE 106 Ib 158 E. 1b, mit Hinweisen). Das Bundesgericht kann im Urteil Feststellungen über die streitigen Kompetenzfragen treffen oder Rechtssetzungs- bzw. Rechtsanwendungsakte aufheben (vgl. BIRCHMEIER, a.a.O., S. 287 und 289; HÄFELIN/HALLER, a.a.O., N 1771; FLEINER/GIACOMETTI, a.a.O., S. 876). Soweit die Eidgenossenschaft derartige Feststellungs- und Aufhebungsanträge stellt, sind diese dem Grundsatze nach - und vorbehältlich der nachfolgenden Erwägungen - zulässig.
Daraus ergibt sich, dass die staatsrechtliche Klage im vorliegenden Fall zulässig ist. Damit scheidet die eventualiter eingereichte verwaltungsrechtliche Klage im Sinne von Art. 116 lit. g OG aus, da diese nach Art. 117 lit. a OG gegenüber der staatsrechtlichen Klage subsidiär ist.
c) Im Verfahren der staatsrechtlichen Klage treten als Parteien die Eidgenossenschaft und der betroffene Kanton auf (vgl. HÄFELIN/HALLER, a.a.O., N 1755; FLEINER/GIACOMETTI, a.a.O., S. 875; WALTHER BURCKHARDT, Kommentar der Schweizerischen Bundesverfassung, 3. Auflage 1931, S. 776). Für den Bund handelt grundsätzlich der Bundesrat, der im vorliegenden Fall das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement mit der Vertretung vor dem Bundesgericht beauftragt hat. In einem vom Bund eingeleiteten Kompetenzkonfliktsverfahren tritt grundsätzlich die kantonale Regierung für den Kanton auf (BGE 74 I 162 E. 3; BIRCHMEIER, a.a.O., S. 294; HÄFELIN/HALLER, a.a.O., N 1766 f.). Nach § 77 Abs. 1 lit. b der Kantonsverfassung des Kantons Basel-Landschaft vertritt der Regierungsrat den Kanton nach innen und aussen. Im vorliegenden Fall sind Susanne Leutenegger Oberholzer sowie der Landrat und das Verwaltungsgericht als weitere Beteiligte im Sinne von Art. 93 Abs. 1 OG und der Rechtsprechung ins Verfahren einbezogen worden (vgl. BGE 100 Ia 447 E. 1, BGE 90 I 12, BGE 75 I 47; WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, S. 222, mit Hinweisen). Diese können im Verfahren eigenständige Begehren stellen. Der Antrag des Regierungsrates, die Klage gutzuheissen, kann daher nicht die Abschreibung des Verfahrens wegen Klageanerkennung zur Folge haben.
d) Susanne Leutenegger Oberholzer hatte am 4. Februar 1991 darum ersucht, sie wegen ihres unmittelbaren Interesses am Ausgang des Verfahrens als weitere Beteiligte im Sinne von Art. 93
BGE 117 Ia 202 S. 208
Abs. 1 OG
ins Verfahren einzubeziehen; demgegenüber hat sie in ihrer Eingabe vom 18. März 1991 beantragt, es seien grundsätzlich die Bestimmungen des BZP und zusätzlich Art. 91 und 95 OG als Spezialbestimmungen für anwendbar zu erklären und dementsprechend sei sie als Intervenientin im Sinne von Art. 15 Abs. 3 BZP anzuerkennen.
Das Organisationsgesetz enthält keinen Hinweis darauf, nach welchen Verfahrensbestimmungen staatsrechtliche Klagen im Sinne von Art. 83 OG zu behandeln sind. In der Literatur wird angenommen, dass die Regeln des staatsrechtlichen Beschwerdeverfahrens analog angewendet werden und über Art. 40 OG allenfalls Bestimmungen des BZP herangezogen werden können (BIRCHMEIER, a.a.O., S. 287; HÄFELIN/HALLER, a.a.O., N 1770; FLEINER/GIACOMETTI, a.a.O., S. 876). Das Bundesgericht hat in konstanter Praxis die Verfahrensbestimmungen insbesondere von Art. 91-96 OG immer auf derartige Verfahren angewendet (BGE 106 Ib 154). Diese Praxis kann nicht mit dem Hinweis in Zweifel gezogen werden, die Art. 84 ff. OG gingen systematisch und vom Wortlaut her von einem Beschwerde- und eben nicht von einem Klageverfahren aus. Diese Lösung ist entgegen der Auffassung von Susanne Leutenegger Oberholzer auch hinsichtlich von weiteren Verfahrensbeteiligten sachgerecht: Private können im Verfahren der staatsrechtlichen Klage wegen der allein streitigen Kompetenzfrage weder Partei noch Nebenintervenienten sein (BGE 24 Ia 91 E. 2; BIRCHMEIER, a.a.O., S. 287; vgl. HÄFELIN/HALLER, a.a.O., N 1755 und 1766). Doch können sie, wie oben dargelegt und für Susanne Leutenegger Oberholzer vom Bundesgericht angeordnet, wegen ihrer Interessen am Ausgang des Verfahrens als weitere Beteiligte im Sinne von Art. 93 Abs. 1 OG auftreten und ihre Rechte geltend machen. Demnach ist auch im vorliegenden Verfahren auf die Bestimmungen über die staatsrechtliche Beschwerde abzustellen.

2. Die Eidgenossenschaft hat mit ihrer staatsrechtlichen Klage eine Reihe von Begehren gestellt. Für die Prüfung, ob diese zulässig sind, gilt es vorerst, den zulässigen Streitgegenstand des vorliegenden staatsrechtlichen Klageverfahrens näher zu umschreiben.
a) Im Verfahren der staatsrechtlichen Klage nach Art. 83 lit. a OG können vom Bundesgericht Kompetenzkonflikte zwischen dem Bund und den Kantonen beurteilt werden. Wie oben dargelegt, besteht dieser im vorliegenden Fall darin, dass sowohl der
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Bund als auch der Kanton Basel-Landschaft beanspruchen, über Gesuche um Einsicht in die Staatsschutzakten zu befinden und hierfür die eigenen (materiellen und formellen) Bestimmungen anzuwenden. Gegenstand des Verfahrens ist somit die Abgrenzung der behördlichen Zuständigkeiten zwischen den sich gegenüberstehenden Gemeinwesen und die Ausscheidung der Kompetenzen von Bund und Kanton. Es geht damit um die Verbandskompetenz und die Frage, ob der Bund bzw. der Kanton die von der Kompetenzordnung gezogene Grenze beachtet habe. Damit fallen als Gegenstand des staatsrechtlichen Klageverfahrens Streitigkeiten der Abgrenzung zwischen einzelnen Behörden innerhalb des einen Gemeinwesens ausser Betracht (BIRCHMEIER, a.a.O., S. 285 und 291; HÄFELIN/HALLER, a.a.O., N 1755 und 1757; HALLER, a.a.O., Rz. 25; FLEINER/GIACOMETTI, a.a.O., S. 872). Organstreitigkeiten und Fragen nach der Organkompetenz sind demnach nicht zu beurteilen; hierfür stehen andere Rechtsbehelfe zur Verfügung wie etwa der Entscheid der (vereinigten) Bundesversammlung nach Art. 85 Ziff. 13 BV (und Art. 92 BV) über Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bundesbehörden. Die Frage, ob das betreffende Gemeinwesen von seiner (behaupteten) Zuständigkeit in der richtigen Art und Weise Gebrauch gemacht hat, betrifft nicht die Abgrenzung der Zuständigkeiten und ist daher im Verfahren der staatsrechtlichen Klage grundsätzlich nicht zu behandeln. Immerhin ist die Frage nach der richtigen Ausübung der Kompetenz des einen Gemeinwesens insofern auch zu überprüfen, als sie von der formellen Zuständigkeitsfrage bisweilen nur schwer getrennt werden und daher auf die Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Kanton Auswirkungen haben kann (vgl. HALLER, a.a.O., Rz. 25; BIRCHMEIER, a.a.O., S. 290 f. und 293 f.; FLEINER/GIACOMETTI, a.a.O., S. 873 f.; BURCKHARDT, a.a.O., S. 774 ff.).
b) Das Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft hat in seinem Urteil dem Bundesrat die Kompetenz abgesprochen, gestützt auf die Bundesverfassung bzw. den Bundesstrafprozess die Überwachung zu Staatsschutzzwecken anzuordnen und Regeln über die Einsicht in Staatsschutzakten zu erlassen. Als Folge hat die Eidgenossenschaft vor dem Bundesgericht um Feststellung ersucht, dass die präventive Polizei des Bundes über eine hinreichende verfassungsmässige und gesetzliche Grundlage verfüge und der Bundesrat zum Erlass der Regelung der Behandlung von Staatsschutzakten zuständig sei (Ziff. 1).
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Auf dieses Begehren kann nur zum Teil eingetreten werden: In der Kompetenzauseinandersetzung zwischen dem Bund und dem Kanton Basel-Landschaft kann es ausschliesslich um die Frage gehen, ob der Bund als solcher für den Staatsschutz im allgemeinen und allenfalls zur Einrichtung einer präventiven Polizei zuständig sei. Hingegen kann grundsätzlich nicht beurteilt werden, in welcher Art und Weise der Bund von dieser behaupteten Kompetenz Gebrauch gemacht hat; insbesondere steht nicht zur Diskussion, ob auf Bundesebene das richtige Organ (Bundesversammlung oder Bundesrat) gehandelt hat und ob dabei die richtige Rechtssetzungsstufe und -form gewählt worden ist. Angesichts der konkreten Kompetenzstreitigkeit, die sich ausschliesslich auf die Beurteilung der Akteneinsicht bezieht (E. 1b), ist die Bundeszuständigkeit im Bereiche des Staatsschutzes allerdings nur hinsichtlich der Behandlung der Staatsschutzakten, nicht hingegen für den Staatsschutz und die präventive Polizei im allgemeinen zu prüfen. - Darüber hinaus ist auch nicht darüber zu befinden, ob die sog. politische Polizei über eine hinreichende gesetzliche Grundlage im Sinne des Legalitätsprinzips nach Bundesverfassungsrecht oder Europäischer Menschenrechtskonvention verfüge (vgl. beispielsweise im Bereiche der persönlichen Freiheit und von Art. 8 EMRK zur Überwachung von verdächtigen Personen BGE 109 Ia 279 E. 4 sowie Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 24. April 1990 i.S. Kruslin, Série A vol. 176-A = RUDH 1990 S. 164). Denn die Frage nach der hinreichenden gesetzlichen Grundlage betrifft die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Bund und Kantonen nicht. - Hinsichtlich der Behandlung von Staatsschutzakten kann daher ebensowenig geprüft werden, ob der Bundesrat die Verordnung über die Behandlung von Staatsschutzakten hat erlassen dürfen; es ist lediglich zu untersuchen, ob der Bund als solcher - in der Kompetenzauseinandersetzung gegenüber dem Kanton Basel-Landschaft - zur Regelung der Akteneinsicht in formeller und materieller Hinsicht und zur Durchführung des Einsichtsverfahrens zuständig ist. - Demnach kann auf Ziff. 1 des Klagebegehrens nur insoweit eingetreten werden, als mit ihr die Feststellung verlangt wird, der Bund als solcher sei für den Staatsschutz im Bereiche der Staatsschutzakten und für die Behandlung von Staatsschutzakten zuständig.
Gleich verhält es sich mit Ziff. 3 des Klagebegehrens: Unter diesem Gesichtswinkel kann lediglich geprüft werden, ob eine Bundesbehörde oder eine kantonale Instanz zur Beurteilung der
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gegen den Entscheid des Regierungsrates gerichteten Beschwerden zuständig ist. Die Abgrenzung zwischen Bundesrat und Bundesgericht erfolgt im Meinungsaustausch nach Art. 96 OG bzw. auf Entscheid der Bundesversammlung hin.
Der Antrag nach Ziff. 2, es sei das Urteil des Verwaltungsgerichts nichtig zu erklären bzw. aufzuheben, ist an sich zulässig. Aus der Begründung der Eidgenossenschaft geht indessen hervor, dass sich die staatsrechtliche Klage ausschliesslich gegen Ziff. 1 des verwaltungsgerichtlichen Urteils richtet. Demnach ist die Prüfung des Begehrens darauf zu beschränken.
c) Zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens kann zusätzlich angefügt werden, dass in keiner Weise in materieller Hinsicht Anspruch und Umfang der Einsicht von Susanne Leutenegger Oberholzer in die sie betreffenden Staatsschutzakten zu beurteilen sind. Hierüber haben nach Klärung der Zuständigkeitsfrage vielmehr die entsprechenden Behörden zu befinden.

4. Aufgrund der vorstehenden Umschreibung des Gegenstandes des vorliegenden Verfahrens (E. 2) ist im folgenden die Klage der Eidgenossenschaft gegen den Kanton Basel-Landschaft materiell zu prüfen. Hierfür ist von der Frage nach der Zuständigkeit des Bundes (im Sinne der Verbandskompetenz) in den Bereichen der innern und äussern Sicherheit auszugehen.
Die Eidgenossenschaft beruft sich in ihrer Klage zunächst einmal auf eine stillschweigende Kompetenz des Bundes für den Bereich des präventiven Staatsschutzes als einer notwendig mitgegebenen primären Staatsaufgabe. Demgegenüber hat das Verwaltungsgericht nicht so sehr zu einer derartigen ungeschriebenen Verbandskompetenz als vielmehr nach Art. 102 BV zur Zuständigkeit des Bundesrates als Organ des Bundes in diesem Bereich Stellung genommen.
a) Es kann in dieser Hinsicht angenommen werden, dass dem Bund als Gemeinwesen grundsätzlich die Kompetenz zusteht, für seine innere und äussere Sicherheit zu sorgen. Diese Zuständigkeit fällt dem Bund wegen seiner Staatlichkeit als notwendige mitgegebene primäre Staatsaufgabe zu und ist im Bestand des gesamtschweizerischen Gemeinwesens als solchem begründet (vgl. KURT
EICHENBERGER, BV-Kommentar, Rz. 149 sowie Rz. 156 zu Art. 102; RAINER J. SCHWEIZER, Notwendigkeit und Grenzen einer gesetzlichen Regelung des Staatsschutzes, in: ZBl 92/1991 S. 299, mit weitern Hinweisen). Dabei handelt es sich nicht um eine Zuständigkeit, welche dem Bund von der Bundesverfassung
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explizit zugeschrieben wird, sondern um eine ungeschriebene oder stillschweigende Bundeskompetenz; solche ungeschriebene Zuständigkeiten werden in der Doktrin im allgemeinen anerkannt (vgl. DIETRICH SCHINDLER, BV-Kommentar, Rz. 70 zu Art. 85; JEAN-FRANÇOIS AUBERT, BV-Kommentar, Rz. 92 zu Art. 85; JEAN-FRANÇOIS AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, supplément 1967-1982, Ziff. 616; und allgemein PETER SALADIN, BV-Kommentar, Rz. 125 ff. sowie 132 zu Art. 3; YVO HANGARTNER, Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen, Bern und Frankfurt 1974, S. 69 ff.; JEAN-FRANÇOIS AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, Ziff. 620 ff.).
b) Diese Bundeskompetenz im Bereiche der innern und äussern Sicherheit kommt trotz ihrer ungeschriebenen Natur in verschiedener Hinsicht zum Ausdruck. Zum einen verweist Art. 2 BV als einen der Hauptzwecke des Bundes auf die Handhabung von Ruhe und Ordnung im Innern. Diese Bestimmung stellt nach allgemeiner Auffassung zwar keine Kompetenzausscheidung zwischen dem Bund und den Kantonen dar und weist dem Bund keine Zuständigkeiten zu, entbehrt indessen auch nicht jeglicher rechtlicher Bedeutung (vgl. AUBERT, BV-Kommentar, Rz. 21 zu Art. 2; PETER SALADIN, BV-Kommentar, Rz. 133 zu Art. 3); die Sorge für die innere und äussere Freiheit gehört zum Bestand des Gemeinwesens (vgl. EICHENBERGER, a.a.O., Rz. 149 zu Art. 102). Ähnlich verhält es sich zum andern mit den Bestimmungen in Art. 85 BV (insbesondere Ziff. 6 und 7) und in Art. 102 BV (insbesondere Ziff. 9 und 10). Diese umschreiben auf dem Gebiete der innern und der äussern Sicherheit die Zuständigkeiten der Bundesversammlung einerseits und des Bundesrates andererseits und nehmen damit die sog. horizontale Kompetenzausscheidung zwischen einzelnen Bundesorganen vor. Die Zuschreibung von Zuständigkeiten an Organe setzt indessen die materielle Verbandskompetenz voraus (SCHINDLER und AUBERT, a.a.O., Rz. 70 und 91 zu Art. 85; EICHENBERGER/SCHINDLER, a.a.O., Rz. 5 und 6 zu Art. 102; vgl. den Überblick bei BEAT SCHELBERT, Die rechtliche Bewältigung ausserordentlicher Lagen im Bund, Diss. Bern 1986, S. 185 ff.). In diesem Sinne kommen dem Bund im Bereiche der innern und äussern Sicherheit tatsächlich auch entsprechende Kompetenzen zu.
c) Darüber hinaus zeigt eine historische Betrachtung der Bundesanwaltschaft und der Sicherheitsvorkehren auf Bundesebene, dass die Zuständigkeit für die Sorge von innerer und äusserer Sicherheit vom Bund stets in Anspruch genommen worden ist.
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Eine ständige Bundesanwaltschaft ist erstmals im Jahre 1849 geschaffen, später indessen durch eine Ordnung mit einem lediglich im Einzelfall ernannten Bundesanwalt abgelöst worden (Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 5. Juni 1849, Offizielle Sammlung, Band I, 1848/1850, S. 65; Art. 37 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 27. Brachmonat 1874, AS Band I, 1875, S. 137 (147)). Der Bundesanwalt hatte insbesondere die Verrichtungen der Staatsanwaltschaft bei der Anklagekammer und dem Kassationsgericht zu besorgen sowie die Voruntersuchung in streitigen Fällen von Heimatlosigkeit und Zivilprozesse vor dem Bundesgericht im Interesse der Eidgenossenschaft zu führen (Art. 45 Organisationsgesetz von 1849; Bundesgesetz über den Geschäftskreis und die Besoldung des Generalanwaltes vom 20. Dezember 1850, Offizielle Sammlung, Band II, 1850/1851, S. 167). Das Amt des ständigen Bundesanwaltes wurde im Jahre 1889 wiederhergestellt (Bundesgesetz über die Bundesanwaltschaft vom 28. Juni 1889, BS 1 406). Nach Art. 3 hatte der Bundesanwalt unter anderem die Fremdenpolizei und entsprechende Untersuchungen hinsichtlich Handlungen zu überwachen, welche die innere und äussere Sicherheit der Schweiz gefährdeten.
In der Folge sind in Volksabstimmungen verschiedene Vorlagen auf dem Gebiete der innern und äussern Sicherheit abgelehnt worden (vgl. Verzeichnis von Referendumsvorlagen, dringlichen Bundesbeschlüssen, Initiativbegehren und eidgenössischen Abstimmungen, BBl 1970 II 1665 (1706 ff.)). Im Jahre 1933 unterbreitete der Bundesrat die Botschaft zu einem Bundesgesetz über den Schutz der öffentlichen Ordnung (sog. Lex Häberlin II, BBl 1933 I 753); der auf Art. 64bis BV gestützte Entwurf bedrohte mit Strafe die Aufforderung zu Verbrechen oder Vergehen, den Landfriedensbruch, die Aufforderung und Verleitung zur Verletzung militärischer Dienstpflichten, Widerhandlungen gegen Versammlungsverbote sowie Amtshandlungen ausländischer Beamter und politischer Nachrichtendienste für das Ausland. Die Vorlage vom 13. Oktober 1933 ist auf Referendum hin in der Volksabstimmung vom 11. März 1934 abgelehnt worden.
Noch im Jahre 1934 ist eine Verfassungsinitiative zum Schutze der Armee und gegen ausländische Spitzel eingereicht worden (BBl 1934 III 596). Der Bundesrat arbeitete eine Botschaft zu einem Bundesbeschluss aus (BBl 1935 I 742). Der entsprechende Bundesbeschluss vom 21. Juni 1935 betreffend den Schutz der
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Sicherheit der Eidgenossenschaft stützte sich auf Art. 2, Art. 64bis, Ziff. 6 und 7 von Art. 85 sowie auf Ziff. 9 und 10 von Art. 102 BV, wurde - unter Ausschluss des Referendums - dringlich erklärt und sofort in Kraft gesetzt (AS 1935 482). Er enthielt gewisse, in der Volksabstimmung vom 11. März 1934 abgelehnte Bestimmungen. Insbesondere stellte er Amtshandlungen für einen fremden Staat und den politischen, militärischen und wirtschaftlichen Nachrichtendienst zugunsten des Auslandes unter Strafe; zusätzlich wurde der Bundesanwaltschaft "zur einheitlichen Durchführung des Fahndungs- und Informationsdienstes im Interesse der Wahrung der innern und äussern Sicherheit der Eidgenossenschaft das nötige Personal beigegeben" (Art. 8). Dieser Bundesbeschluss wurde mit dem Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 16. Dezember 1943 formell aufgehoben (Art. 169, AS 1944 271 (325)); die materiellen Bestimmungen sind ins Strafgesetzbuch übernommen worden; die Vorschrift von Art. 8 ist modifiziert und ergänzt neu als Abs. 3 in Art. 17 des Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege (BStP, ursprünglicher Text AS 1934 685) eingefügt worden (Art. 168 OG, AS 1944 271 (318)).
Im Bundesratsbeschluss betreffend den Polizeidienst der Bundesanwaltschaft hat der Bundesrat im Jahre 1958, gestützt u.a. auf Art. 70 und Ziff. 8 und 10 von Art. 102 BV den Polizeidienst der Bundespolizei umschrieben (SR 172.213.52, AS 1958 267). Sodann sind weitere Vorlagen auf dem Gebiete der innern und äussern Sicherheit ausgearbeitet worden: Mit dem Bundesbeschluss über die Unterstützung der "Interkantonalen Mobilen Polizei" vom 4. Juni 1969 sollten von seiten des Bundes spezielle Polizeieinheiten unterstützt werden; das Vorhaben scheiterte am Widerstand der Kantone; der Bundesbeschluss stützte sich auf Art. 85 Ziff. 7 BV (AS 1969 525). Schliesslich verabschiedeten die Eidgenössischen Räte am 9. März 1978 das Bundesgesetz über die Erfüllung sicherheitspolizeilicher Aufgaben des Bundes (BBl 1978 I 652). Danach hätten die Kantone dem Bund Polizeikräfte zur Erfüllung sicherheitspolizeilicher Aufgaben, besonders im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Terror zur Verfügung stellen sollen. Das Gesetz, welches sich ausdrücklich auf die "Zuständigkeit des Bundes zur Erfüllung seiner Aufgaben im sicherheitspolizeilichen Bereich" abstützte (vgl. insbes. die Botschaft des Bundesrates, BBl 1977 II 1279 (1287 ff.)), wurde auf Referendum hin in der Volksabstimmung vom 3. Dezember 1978 verworfen.
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Dieser historische Rückblick zeigt lediglich auf, in welchem Ausmass entsprechende Bundeskompetenzen in Anspruch genommen worden sind, vermag indessen über die Zulässigkeit im einzelnen kaum etwas auszusagen (vgl. auch AUBERT, BV-Kommentar, Rz. 92 zu Art. 85; SCHELBERT, a.a.O., S. 185-198, mit weitern Hinweisen und Beispielen).
d) An den vorstehenden Erwägungen über die stillschweigende Kompetenz des Bundes vermag auch eine Betrachtung unter dem Gesichtswinkel von Art. 3 BV nichts zu ändern. Diese Verfassungsbestimmung bringt in allgemeiner Weise die Aufgabenaufteilung zwischen dem Bund und den Kantonen zum Ausdruck, und Praxis und Lehre nehmen an, dass damit die Staatsaufgaben lückenlos zwischen dem Bund und den Kantonen verteilt sind (vgl. SALADIN, a.a.O., Rz. 121 zu Art. 3). Wie oben dargelegt, wird aber auch anerkannt, dass dem Bund ungeschriebene oder stillschweigende Zuständigkeiten zukommen (vgl. SALADIN, a.a.O., Rz. 125 ff., mit weitern Hinweisen). Das hat zur Folge, dass der Bund im betreffenden Bereich zuständig ist und demnach die umfassende subsidiäre Zuständigkeit der Kantone (vgl. SALADIN, a.a.O., Rz. 76 zu Art. 3) nicht zum Zuge kommt. Die Kantone können demnach nicht gestützt auf Art. 3 BV Zuständigkeiten beanspruchen, welche dem Bund bereits aufgrund stillschweigender Zuweisung zukommen.
e) Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass der Bund als Gemeinwesen für die Sorge auf dem Gebiete der innern und äussern Sicherheit grundsätzlich zuständig ist. Mit der Anerkennung dieser Zuständigkeit wird indessen, wie oben dargelegt, nicht zur Frage Stellung genommen, welches Organ auf Bundesebene zum Handeln berechtigt ist und in welchen Formen und unter welchen Voraussetzungen im einzelnen von dieser Zuständigkeit Gebrauch gemacht werden darf.

5. Im folgenden sind, soweit erforderlich, die Grenzen dieser Bundeszuständigkeit speziell im Hinblick auf die Kompetenzabgrenzung zwischen dem Bund und den Kantonen kurz darzulegen, bevor die mit dem vorliegenden Verfahren aufgeworfene Streitfrage im einzelnen behandelt wird (E. 6).
Bei der Ausübung der Kompetenzen im Bereiche der innern und äussern Sicherheit haben die Organe des Bundes die verfassungsrechtliche Ordnung zu beachten. Diese Bindung an die Verfassung kommt für den Bundesrat in der Einleitung zu Art. 102 BV ausdrücklich zum Ausdruck, gilt indessen aufgrund der
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Rechtsprechung und angesichts von Art. 71 BV auch für die Bundesversammlung (BGE 64 I 372 f.; EICHENBERGER, a.a.O., Rz. 8 ff. zu Art. 102; vgl. die Übersicht bei SCHELBERT, a.a.O., 191 f.). Sie bezieht sich einerseits auf die Beachtung der Grundrechte und zielt andererseits auf die Respektierung der Zuständigkeiten anderer Staatsorgane und insbesondere der Kantone ab (EICHENBERGER, a.a.O., Rz. 12 ff. zu Art. 102).
Hinsichtlich der Wahrung von Ruhe und Ordnung betrifft dies insbesondere die Kantone. Diesen kommt für ihr Gebiet primär die allgemeine Polizeihoheit zu. Die Befugnis zum Schutze der öffentlichen Sicherheit und Ordnung besteht für die Kantone - in gleicher Weise wie für den Bund - schon wegen ihres Bestandes als selbständiges Gemeinwesen (EICHENBERGER, a.a.O., Rz. 156 zu Art. 102; SCHWEIZER, a.a.O., S. 300; vgl. auch AUBERT, BV-Kommentar, Rz. 90 zu Art. 85; SALADIN, a.a.O., Rz. 132 zu Art. 3). Angesichts dieser kantonalen Befugnis einerseits und der oben beschriebenen des Bundes andererseits ergeben sich damit in diesem Bereiche parallele oder konkurrierende Zuständigkeiten (AUBERT, Traité, Ziff. 707). Demnach sind der Bund für seine eigene Sicherheit, die Kantone für die ihre zuständig. Wo im einzelnen die Grenze zu ziehen ist, wird in der Literatur unterschiedlich beantwortet: Zum einen wird ausgeführt, der Bund könne unter Umständen an die Stelle der Kantone treten und er sei auf jeden Fall insofern zuständig, als seine eigene Sicherheit in Frage stehe (EICHENBERGER, a.a.O., Rz. 158 f. zu Art. 102); zum andern wird die Auffassung vertreten, dem Bund komme die Zuständigkeit dann zu, wenn die Kantone ihre Aufgabe nicht wahrnehmen könnten (SALADIN, a.a.O., Rz. 132 zu Art. 3; vgl. auch SCHWEIZER, a.a.O., S. 299 f.). Wie es sich damit verhält, braucht angesichts des Gegenstandes des vorliegenden Klageverfahrens nicht im einzelnen geprüft zu werden. Es genügt die Feststellung, dass parallele Zuständigkeiten von Bund und Kantonen bestehen und dass der Bund die allgemeinen Polizeikompetenzen der Kantone zu beachten hat.

6. a) Mit der vorliegenden staatsrechtlichen Klage ersucht die Eidgenossenschaft um die Feststellung, dass der Bund im Bereiche der präventiven Polizei im allgemeinen zuständig ist und insbesondere über die Behandlung der Staatsschutzakten befinden könne. Wie oben dargelegt (E. 2b), bezieht sich der vorliegende konkrete Kompetenzkonflikt nicht auf die präventive Polizei im allgemeinen, sondern ausschliesslich auf die Behandlung der
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Staatsschutzakten. Die Frage nach einem eidgenössischen Staatsschutz ist daher lediglich im Zusammenhang mit der Behandlung der Staatsschutzakten zu prüfen.
b) Nach Art. 3 StaVo gelten als Staatsschutzakten nach Personen erschlossene Informationen in Karteien und Dossiers der Bundesanwaltschaft und der kantonalen Nachrichten- oder Spezialdienste. Diese sind im Interesse der innern und äussern Sicherheit angelegt worden und sollen dem eidgenössischen Staatsschutz dienen. Unter Staatsschutz werden alle nicht militärischen und nicht aussenpolitischen Massnahmen im Interesse der innern und äussern Sicherheit der Eidgenossenschaft verstanden (vgl. Bericht des Bundesrates über die Sicherheitspolitik der Schweiz (Konzeption der Gesamtverteidigung) vom 27. Juni 1973, BBl 1973 II 112 ff. (140)). Sie sollen die gegen die Sicherheit des Landes gerichteten Handlungen frühzeitig erkennen und ihnen mit polizeilichen Abwehrmassnahmen und strafrechtlicher Verfolgung und Sanktion begegnen (vgl. SCHWEIZER, a.a.O., S. 286). Demgemäss besorgt der Polizeidienst der Bundesanwaltschaft nach dem Bundesratsbeschluss aus dem Jahre 1958 die Beobachtung und Verhütung von Handlungen, die geeignet sind, die innere oder äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft zu gefährden (politische Polizei), und führt die gerichtspolizeilichen Ermittlungen bei der Verfolgung der strafbaren Handlungen gegen die innere oder äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft (gerichtliche Polizei) (BRB vom 29. April 1958 betreffend den Polizeidienst der Bundesanwaltschaft, SR 172.213.52 = AS 1958 267). Die Karteien und Dossiers enthalten demgemäss unter anderem Informationen über laufende Ermittlungsverfahren und Erkenntnisse im Bereiche der Terrorbekämpfung, der Spionageabwehr und des organisierten Verbrechens (vgl. Art. 5 Abs. 2 lit. a StaVo). Sie sind in Zusammenarbeit zwischen eidgenössischen und kantonalen Behörden angelegt worden und weisen auch Informationen von ausländischen Sicherheits- und Nachrichtendiensten auf (vgl. Art. 5 Abs. 2 lit. c StaVo).
Die Karteien und Dossiers enthalten damit Angaben über Terrorbekämpfung, Spionageabwehr und organisiertes Verbrechen. Es versteht sich von selbst, dass diese Bereiche in zentraler Weise die innere und äussere Sicherheit des Bundes betreffen. Gleich verhält es sich mit den Hinweisen ausländischer Sicherheitsdienste, welche für die Eidgenossenschaft in den genannten Bereichen im Einzelfall wie auch hinsichtlich längerfristiger Strategien von unmittelbarer Bedeutung sind. Die Tragweite bezieht sich auf Angaben
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sowohl präventiver als auch repressiver Natur. Damit enthalten die Karteien und Dossiers Angaben, welche für den Bund in seiner Sorge um die innere und äussere Sicherheit von unmittelbarem Interesse sind.
Die Karteien und Dossiers betreffen mit den erwähnten Angaben die Interessen der Eidgenossenschaft als gesamtes Gemeinwesen. Neben dem Bund werden zwar auch die Kantone in ihren Sicherheitsbelangen betroffen. Dieser Umstand vermag indessen an der unmittelbaren Tragweite der vorhandenen Staatsschutzakten für den Bund nichts zu ändern. Denn die Sicherheitsinteressen greifen über die einzelnen Kantone hinaus auf die Eidgenossenschaft als Ganzes. Hingegen ist den kantonalen Interessen bei der Beurteilung von Umfang und Gebrauch der Zuständigkeit durch den Bund Rechnung zu tragen (unten E. 7b). - Ebensowenig kann die Betroffenheit der Eidgenossenschaft durch die Art und Weise des in den letzten Jahren betriebenen Staatsschutzes in Zweifel gezogen werden. Denn eine Beurteilung derartiger Tätigkeiten fällt zum vornherein schwer (vgl. SCHWEIZER, a.a.O., S. 291 und 292); und auch das Festhalten von allenfalls unbedeutenden Ereignissen vermag am grundsätzlichen Interesse des Bundes nichts zu ändern.
Diese Zusammenstellung zeigt, dass die Staatsschutzakten mit ihren Angaben den Bund in seiner Sorge um die innere und äussere Sicherheit unmittelbar betreffen und damit einen Bereich berühren, für den der Bund, wie dargelegt, grundsätzlich zum Handeln befugt ist. Dies bedeutet, dass der Bund auch für die Behandlung dieser Staatsschutzakten zuständig ist und über deren Verwendung befinden kann. Insbesondere etwa die Offenlegung solcher Staatsschutzakten mit all den möglichen und oben beschriebenen Angaben vermag in zentraler Weise in die Sorge um die innere und äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft einzugreifen und die Erfüllung des Staatsschutzauftrages zu gefährden (vgl. Art. 1 Abs. 1 StaVo). Aus diesen Gründen kommt dem Bund die ausschliessliche Kompetenz zur Behandlung der Staatsschutzakten zu.

7. Aufgrund dieser Überlegungen ist im folgenden zu prüfen, ob der Bund mit der Verordnung über die Behandlung von Staatsschutzakten hinsichtlich der Abgrenzung zu den Kantonen von seiner Zuständigkeit richtigen Gebrauch gemacht hat. Wie bereits mehrfach betont, geht es dabei nicht um die Frage nach dem zuständigen Organ auf Bundesebene, sondern ausschliesslich um die Verbandskompetenz.
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a) Mit der genannten Verordnung bezweckt der Bund, den von Einträgen betroffenen Personen die Wahrung der Persönlichkeitsrechte zu ermöglichen und gleichzeitig die Erfüllung des Staatsschutzauftrages sicherzustellen (Art. 1 Abs. 1 StaVO). Hierfür wird das Einsichtsverfahren beim Bund zentralisiert: Ein vom Bundesrat eingesetzter Sonderbeauftragter nimmt die Staatsschutzakten in Obhut und befindet mit beschwerdefähiger Verfügung über die Einsichtsgesuche (Art. 1 Abs. 2, Art. 4, Art. 5 und Art. 8 StaVo); werden Gesuche um Einsicht bei kantonalen Behörden gestellt, so sind diese an den Sonderbeauftragten zum Entscheid weiterzuleiten (Art. 11 Abs. 1 StaVo).
Aufgrund dieser Ordnung wird das Verfahren über die Einsicht in Staatsschutzakten ausschliesslich den Organen des Bundes vorbehalten und beim Sonderbeauftragten zentralisiert. Sie hält sich an die oben dargelegte Zuständigkeit des Bundes, über die Behandlung von Staatsschutzakten zu befinden. Diese Kompetenz umfasst ohne Zweifel die Regelung des Verfahrens für die Behandlung der Staatsschutzakten und für die Gesuche um Einsicht. Die Zentralisierung erweist sich als sachgerecht, weil die Staatsschutzinteressen der Eidgenossenschaft selber betroffen sind und die Eigenart der Akten eine über den einzelnen Kanton hinausreichende Beurteilung erfordert (vgl. EICHENBERGER, a.a.O., Rz. 159 f. zu Art. 102; SCHWEIZER, a.a.O., S. 300). Unter diesem Gesichtswinkel hat sich der Bund mit der Regelung des Verfahrens im Rahmen seiner Zuständigkeit gehalten.
b) Als Staatsschutzakten gelten gemäss Art. 3 StaVo die Karteien und Dossiers der Bundesanwaltschaft bzw. der kantonalen Nachrichten- und Spezialdienste, soweit sie im Auftrage des Bundes erstellt worden sind. Nach Art. 11 Abs. 2 StaVo werden als Akten der Bundesanwaltschaft alle diejenigen betrachtet (inklusive die entsprechenden Vorarbeiten), welche die kantonalen Behörden an die Bundespolizei geleitet haben und die ihnen nicht zurückgeschickt worden sind. Die Verordnung bezieht damit alle Akten ein, die im Auftrage bzw. im Interesse der Eidgenossenschaft erstellt worden sind. Es gehören somit auch Akten dazu, die von den Kantonen angelegt worden sind.
Aufgrund des Geltungsbereiches der Verordnung werden alle diese Akten dem bei den Bundesorganen zentralisierten Einsichtsverfahren unterstellt. Diese Ordnung erweist sich auch hinsichtlich der von den kantonalen Behörden angelegten Aktenstücke als sachgerecht. Sie ist wegen der über die Kantone hinausreichenden
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Bedeutung für die innere und äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft notwendig. Eine sachgerechte Beurteilung der Akten liesse sich ohne diesen Einbezug nicht realisieren. Dabei werden die Zuständigkeiten der Kantone für ihren eigenen Bereich durchaus gewahrt. Die vom Sonderbeauftragten ausgeschiedenen und nicht vernichteten Akten gelten als kantonale Akten, und ihre Behandlung richtet sich materiell und formell nach kantonalem Recht (Art. 11 Abs. 3 StaVo). Auch weitere, von der Tätigkeit der Bundesanwaltschaft unabhängig erstellte Dossiers der Kantone unterstehen dem kantonalen Recht. Bei dieser Sachlage ist der Bund auch in dieser Hinsicht nicht über seine Zuständigkeit hinausgegangen.
c) Demnach kann zusammenfassend festgestellt werden, dass sich der Bund mit dem Erlass der Verordnung über die Behandlung von Staatsschutzakten im Rahmen seiner Zuständigkeit gehalten hat. Insofern ist die Klage der Eidgenossenschaft gutzuheissen.

8. Aufgrund der vorstehenden Feststellung, dass der Bund zum Erlass der Verordnung über die Behandlung von Staatsschutzakten befugt war, gilt es im folgenden die Konsequenzen für das vorliegende Verfahren zu prüfen.
a) Die genannte Verordnung sieht klar vor, dass das Verfahren um Einsicht in die betroffenen Staatsschutzakten bei den Organen des Bundes zentralisiert ist. Diesen allein kommt die Aufgabe zu, über die Einsicht oder Geheimhaltung bzw. über die Vernichtung zu befinden. Angesichts dieser ausschliesslichen Zuständigkeit der Bundesorgane haben die kantonalen Behörden in keiner Weise die Kompetenz, die gleiche Frage zu beurteilen. Aus diesem Grunde war das Verwaltungsgericht nicht zuständig, über den Grundsatz der Akteneinsicht zu befinden und die kantonalen Behörden zur materiellen Prüfung des Einsichtsgesuches von Susanne Leutenegger Oberholzer anzuhalten. Mit seinem Entscheid hat es eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, welche ausschliesslich dem Bunde zukommt.
Damit stellt sich die Frage, welche Folge sich aus der Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts ergebe und ob sein Urteil nichtig zu erklären oder als anfechtbarer Entscheid aufzuheben sei. Fehlerhafte Verwaltungsakte sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung dann nichtig, wenn der ihnen anhaftende Mangel besonders schwer ist, wenn er offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist und wenn zudem die Rechtssicherheit durch die
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Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet ist (BGE 104 Ia 176 E. c, 116 Ia 219, BGE 114 Ib 184, BGE 113 IV 124 f., BGE 109 V 236 f., EuGRZ 1985 S. 621). Für den vorliegenden Fall wird die Zuständigkeit der Organe des Bundes, über Einsichtsgesuche zu befinden, durch die Verordnung über die Behandlung von Staatsschutzakten zwingend bestimmt, und es muss daher die Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts als schwerwiegender Mangel betrachtet werden. Angesichts von Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Verordnung kann auch die leichte Erkennbarkeit nicht verneint werden. Dem steht auch nicht der Umstand entgegen, dass das Verwaltungsgericht mit eingehender Begründung die (Organ-)Kompetenz des Bundesrates in Zweifel gezogen hat. Schliesslich wird durch die Annahme der Nichtigkeit die Rechtssicherheit in keiner Weise in Frage gestellt, da die materielle Prüfung des Einsichtsgesuches nicht vorweggenommen, sondern vielmehr von den Bundesorganen nun an die Hand genommen werden kann.
Demnach ist das Urteil des Verwaltungsgerichts hinsichtlich Ziff. 1 des Dispositivs, welche das Gesuch um Einsicht in die Staatsschutzakten betrifft, nichtig zu erklären.
b) Die Nichtigerklärung hat zur Folge, dass Ziff. 1 des Dispositivs des Entscheides des Regierungsrates wieder Gültigkeit erlangt. Dagegen hat Susanne Leutenegger Oberholzer beim Bundesgericht staatsrechtliche und verwaltungsgerichtliche Beschwerde erhoben. Über diese ist getrennt vom vorliegenden Verfahren zu einem späteren Zeitpunkt zu befinden.

9. Demnach ist die staatsrechtliche Klage der Eidgenossenschaft gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann, es wird festgestellt, dass der Bund mit der Verordnung über die Behandlung von Staatsschutzakten seinen Zuständigkeitsbereich gewahrt hat, und das Urteil des Verwaltungsgerichts wird in bezug auf Ziff. 1 des Dispositivs als nichtig erklärt.

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Artikel: Art. 102 BV, Art. 83 lit. a OG, Art. 91-96 OG, Art. 93 Abs. 1 OG mehr...