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Urteilskopf

111 IV 87


22. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. März 1985 i.S. H. gegen Polizeirichteramt der Stadt Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)

Regeste

1. Art. 3 Abs. 2 und 4 SVG: Die Einrichtung gebührenpflichtiger Parkplätze stellt eine Verkehrsbeschränkung dar, zu deren Anordnung die Kantone befugt sind (E. 2).
2. Art. 70 ff. StGB; Verfolgungsverjährung: Die zürcherische Nichtigkeitsbeschwerde gemäss §§ 428 ff. StPO/ZH ist nach der für den Kassationshof verbindlichen Feststellung des Obergerichtes ein ausserordentliches Rechtsmittel, das die Rechtskraft des im kantonalen Verfahren angefochtenen (in casu einzelrichterlichen) Urteils nicht hemmt (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 87

BGE 111 IV 87 S. 87
Am 18. Juni 1981 parkierte H. seinen Personenwagen in der Wilfriedstrasse in Zürich auf einem markierten und mit einer Parkuhr versehenen Parkfeld, ohne die Uhr durch Einwurf der Gebühr von Fr. 0.20 in Gang zu setzen. Nachdem das Polizeirichteramt der Stadt Zürich ihn deswegen am 20. August 1981 mit Fr. 20.-- gebüsst, H. gerichtliche Beurteilung verlangt und der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Zürich den Schuldspruch
BGE 111 IV 87 S. 88
am 26. Februar 1982 bestätigt hatte, hob das Obergericht des Kantons Zürich dieses Urteil am 9. Dezember 1982 auf und wies die Sache zur Durchführung einer neuen Hauptverhandlung an den Einzelrichter zurück. Dieser kam der Weisung am 17. Februar 1983 nach, ohne indessen einen Entscheid zu fällen.
Am 2. März 1983 parkierte H. in der Seefeldstrasse in Zürich erneut auf einem markierten Parkplatz, ohne die Parkuhr durch Einwurf der vorgeschriebenen Gebühr in Gang gesetzt zu haben. Nach seiner Bestrafung durch das Polizeirichteramt der Stadt Zürich mit Fr. 40.-- Busse verlangte er erneut eine gerichtliche Beurteilung, worauf der Einzelrichter die beiden Verfahren vereinigte und H. am 8. September 1983 "der wiederholten Widerhandlung gegen Art. 27 Abs. 1 SVG in Verbindung mit Art. 48 Abs. 6 SSV (Nichtingangsetzen der Parkuhr)" schuldig sprach und mit einer Busse von Fr. 60.-- bestrafte.
Gegen dieses Urteil reichte H. eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde ein. Am 24. Oktober 1984 hiess das Obergericht des Kantons Zürich das Rechtsmittel teilweise gut, soweit es den Kostenspruch des Urteils vom 8. September 1983 betraf, den es selber korrigierte. Im übrigen wies es die Beschwerde ab.
H. führt Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht mit dem Antrag, der Beschluss des Obergerichtes sei aufzuheben, soweit damit die kantonale Nichtigkeitsbeschwerde abgewiesen wurde, und es sei die Sache zu seiner Freisprechung, eventuell zur weiteren Untersuchung und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Kassationshof weist die Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Der Beschwerdeführer bestreitet die Gesetzmässigkeit der Art. 48 Abs. 6 SSV/1979 und 35 Abs. 3 SSV/1963. Eine Gebührenerhebung sei dem SVG völlig fremd, und die beiden Bestimmungen könnten sich auf keine Delegationsnorm stützen. Zum Erlass von gesetzesvertretenden Verordnungen aber sei der Bundesrat nicht befugt.
Die Rüge hält nicht stand. Die vom Beschwerdeführer bemängelten Verordnungsbestimmungen regeln lediglich das Signal, mit dem gebührenpflichtige Parkplätze zu kennzeichnen sind, und haben in keiner Weise die Gebührenerhebung selber zum Gegenstand. Die Einrichtung gebührenpflichtiger Parkplätze stellt denn auch eine örtliche Verkehrsmassnahme, und zwar eine funktionelle
BGE 111 IV 87 S. 89
Verkehrsbeschränkung im Sinne des Art. 3 Abs. 4 SVG dar, zu deren Erlass gemäss Abs. 2 des genannten Artikels die Kantone befugt sind (BGE 89 I 536 E. 3; s. auch BGE 108 Ia 113, BGE 104 IV 24), die diese Kompetenz an die Gemeinden delegieren können. Die Frage, ob die Gebühr, welche der Beschwerdeführer beim Parkieren hätte entrichten sollen, eine zureichende gesetzliche Grundlage habe, beurteilt sich demnach anhand der einschlägigen kantonalen Bestimmungen, deren Überprüfung dem Bundesgericht im Verfahren der Nichtigkeitsbeschwerde entzogen ist. Hierfür ist die staatsrechtliche Beschwerde gegeben (s. BGE 89 I 535 81 I 180). Dass der Bundesrat aber zur Regelung der im Strassenverkehr geltenden Signale ermächtigt ist, erhellt ohne weiteres aus Art. 5 Abs. 3 und 106 Abs. 1 SVG.

3. H. macht geltend, der Vorfall vom 18. Juni 1981 sei verjährt. Aus dem angefochtenen Urteil ergebe sich, dass am 26. Februar 1982 ein erster Entscheid hierüber ergangen sei. Dieser sei jedoch vom Obergericht am 9. Dezember 1982 aufgehoben worden, und ein neues erstinstanzliches Urteil sei erst am 8. September 1983 gefällt worden. In diesem Zeitpunkt sei die absolute Verjährung von zwei Jahren eingetreten gewesen. Die gegenteilige Auffassung der Vorinstanz, welche von einem nicht publizierten Urteil des Bundesgerichts vom 23. November 1981 i.S. L. M. c. Statthalteramt Uster ausgehe und die Verfolgungsverjährung während der Hängigkeit der kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde nicht laufen lasse, sei bundesrechtswidrig. Nach früherer richtiger Praxis des Obergerichts Zürich (ZR 73/1974 Nr. 36) und des Bundesgerichts (BGE 69 IV 106) laufe die Verfolgungsverjährung auch während eines kantonalen Kassationsverfahrens, sofern der kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde von Amtes wegen Suspensiveffekt zukomme. In ZR 77/1978 Nr. 63 habe das Obergericht eine Praxisänderung vollzogen, ohne sich mit der früheren Argumentation auseinanderzusetzen, wonach bei einem einzelrichterlichen Urteil, gegen das eine Nichtigkeitsbeschwerde ergriffen wurde und das deshalb nicht vollstreckbar sei, nicht von einem abschliessenden, das kantonale Verfahren beendenden Entscheid die Rede sein könne. Im angeführten nicht veröffentlichten Urteil habe das Bundesgericht zwar die Praxis des Obergerichts geschützt. Es sei dabei aber von völlig falschen Voraussetzungen bezüglich der "Wirkungen der Ergreifung der kantonalrechtlichen Nichtigkeitsbeschwerde im Kanton Zürich" ausgegangen; es habe fälschlicherweise angenommen, beim Urteil
BGE 111 IV 87 S. 90
des Einzelrichters in Strafsachen handle es sich - ungeachtet der Ergreifung des Rechtsmittels der kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde - um einen vollstreckbaren, das kantonale Verfahren abschliessenden Entscheid. Das stehe jedoch in klarem Widerspruch zu § 429 Abs. 1 StPO/ZH. Für die Beurteilung der Verjährungsfrage sei einzig darauf abzustellen, ob bis zum Ablauf der absoluten Verjährungsfrist ein vollstreckbar gewordenes Urteil ergangen sei. Erst mit der Fällung eines vollstreckbaren oder vollstreckbar werdenden Urteils finde das kantonale Verfahren seinen Abschluss und höre der Lauf der Verfolgungsverjährung auf. Das sei beim Entscheid des Einzelrichters vom 26. Februar 1982 nicht der Fall gewesen. Es sei somit daran festzuhalten, dass die Verfolgungsverjährung, die am 18. Juni 1981 begonnen habe, am 18. Juni 1983 abgelaufen sei, weil in dieser Zeit nie ein vollstreckbar gewordenes Urteil ergangen sei. Zur Zeit des einzelrichterlichen Urteils vom 8. September 1983 sei die Verfolgungsverjährung bereits eingetreten gewesen. Selbst wenn man jedoch mit BGE 105 IV 98 auf die oberinstanzliche Kognitionsbefugnis abstellen wollte, wäre das Ergebnis dasselbe. Anders als die im genannten Entscheid behandelte Nichtigkeitsbeschwerde gemäss Neuenburger StPO gebe die zürcherische Nichtigkeitsbeschwerde dem Obergericht die Möglichkeit, selber einen neuen Entscheid zu fällen (§ 437) und somit einen in unterer Instanz Verurteilten freizusprechen. Es komme also dem zürcherischen Rechtsmittel ein sehr erheblicher Devolutiveffekt zu.
a) Dem Beschwerdeführer ist zuzugestehen, dass die erste der ihm zur Last gelegten Übertretungen, die am 18. Juni 1981 begangen wurde, am 17. Juni 1983 absolut verjährt war, wenn die Verjährungsfrist während des kantonalen Nichtigkeitsbeschwerdeverfahrens nicht geruht haben sollte. Bezüglich der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde hat der Kassationshof in langjähriger Rechtsprechung entschieden, dass dieses ausserordentliche Rechtsmittel - unter Vorbehalt seiner Einlegung durch den öffentlichen oder einen privaten Ankläger (BGE 105 IV 309 ff., BGE 97 IV 156 f.) - die Verfolgungsverjährung, die mit dem letztinstanzlichen kantonalen Entscheid aufhörte, nicht in Gang setzt. Nur wenn der Kassationshof in Gutheissung der vom Verurteilten eingereichten Nichtigkeitsbeschwerde das angefochtene kantonale Urteil aufhebt und die Sache zur Fortsetzung der Strafverfolgung an das kantonale Gericht zurückweist, beginnt die Verfolgungsverjährung wieder und läuft der noch nicht abgelaufene Teil derselben
BGE 111 IV 87 S. 91
von der Eröffnung des bundesgerichtlichen Urteils an weiter (BGE 92 IV 173 mit Verweisungen).
b) Diese Grundsätze hat das Bundesgericht auch auf der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde analoge kantonale kassatorische Rechtsmittel übertragen (BGE 96 IV 53 E. 3; BGE 105 IV 98 : Kassationsbeschwerde NE; das nichtveröffentlichte Urteil des Kassationshofes vom 23. November 1981 i.S. L. M.: Nichtigkeitsbeschwerde ZH). Dabei hat das Bundesgericht es für die Beantwortung der Frage, ob ein erstinstanzliches kantonales Urteil den Lauf der Verfolgungsverjährung beende, als massgeblich erachtet, ob dieses in formelle Rechtskraft erwächst; denn das Ende der Verfolgungsverjährung hängt nicht von der Vollstreckbarkeit des Urteils, sondern von dessen formeller Rechtskraft ab (BGE 105 IV 98 in Verbindung mit 310). Diese aber tritt ein, wenn das unterinstanzliche kantonale Urteil nur mit einem ausserordentlichen kantonalen Rechtsmittel angefochten werden kann, und ein solches ist gegeben, wenn ihm überwiegend der Devolutiveffekt abgeht. Entscheidend ist demnach der Umfang der oberinstanzlichen Kognitionsbefugnis (s. hierzu SCHULTZ, ZBJV 117/1981 S. 24). Diese wird durch das kantonale Verfahrensrecht bestimmt, dessen Auslegung durch den kantonalen Richter das Bundesgericht bindet (Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP).
c) Im vorliegenden Fall stellt das Obergericht unter Berufung auf seine seit 1978 bestehende Praxis (ZR 77/1978 Nr. 63) fest, die in der zürcherischen StPO geregelte Nichtigkeitsbeschwerde sei ein ausserordentliches Rechtsmittel, das keine freie und volle Überprüfung des Prozessstoffes zulasse, vielmehr bei Gutheissung bloss die Aufhebung rechtskräftiger Entscheide bezwecke, auch wenn es in beschränktem Umfang reformatorische Wirkungen habe. Davon hat der Kassationshof auszugehen, und es steht dem Beschwerdeführer nicht zu, die Auslegung des kantonalen Verfahrensrechts durch die Vorinstanz als unrichtig zu bemängeln. Im übrigen bestehen - wie das Bundesgericht in dem oben angeführten nichtveröffentlichten Urteil i.S. L. M. entschieden hat - keine überzeugenden dogmatischen Gründe, die eigene Rechtsprechung betreffend den Einfluss ausserordentlicher Rechtsmittel auf den Lauf der Verfolgungsverjährung zu ändern. Solche werden auch vom Beschwerdeführer nicht vorgebracht. Seine Argumentation stützt sich zur Hauptsache auf die fehlende Vollstreckbarkeit des einzelrichterlichen Entscheides. Damit übersieht er jedoch, dass es nach der oben angeführten Rechtsprechung des Bundesgerichts
BGE 111 IV 87 S. 92
nicht hierauf, sondern auf den Charakter des Rechtsmittels und dessen Wirkungen auf die formelle Rechtskraft des angefochtenen Entscheides ankommt (s. auch BGE BGE 101 IV 395 E. 3). Soweit in der Beschwerde aber auf diesem Boden gefochten und geltend gemacht wird, es bestehe zwischen der in BGE 105 IV 100 erwähnten Kassationsbeschwerde des Neuenburger Strafprozessrechts und der zürcherischen Nichtigkeitsbeschwerde ein wesentlicher Unterschied, so ist dem entgegenzuhalten, dass nach den im genannten Urteil enthaltenen Feststellungen des Neuenburger Kassationshofes das neuenburgische Rechtsmittel seinerseits kein rein kassatorisches ist, sondern eine Mischung von Kassation und Berufung darstellt, indem auch hier der Kassationsrichter in beschränktem Umfang selber ein neues Urteil fällen kann. Selbst wenn aber der Devolutiveffekt der zürcherischen Nichtigkeitsbeschwerde etwas weiter reichen sollte als derjenige der neuenburgischen Kassationsbeschwerde, müsste es für den Kassationshof dabei sein Bewenden haben, dass die Vorinstanz das bei ihr eingelegte Rechtsmittel als ein ausserordentliches bezeichnet, das dem Eintritt der formellen Rechtskraft des einzelrichterlichen Urteils nicht entgegensteht (s. BGE 107 IV 2).
Ist dem aber so, hat die Verfolgungsverjährung bezüglich der ersten dem Beschwerdeführer zur Last fallenden Übertretung mit dem Urteil des Einzelrichters vom 26. Februar 1982 ihr vorläufiges Ende genommen und ist sie erst wieder durch das obergerichtliche Urteil vom 9. Dezember 1982 in Gang gesetzt worden. Dass unter diesen Prämissen die vom Obergericht angestellte Berechnung unrichtig sei, behauptet der Beschwerdeführer nicht. Geht man aber von dieser aus, ist die vorinstanzliche Annahme, die absolute Verfolgungsverjährung sei am 8. September 1983 noch nicht eingetreten gewesen, nicht zu beanstanden.

Inhalt

Ganzes Dokument:
Regeste: deutsch französisch italienisch

Erwägungen 2 3

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