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Urteilskopf

102 II 286


42. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 4. Mai 1976 i.S. Mössinger gegen Akademikergemeinschaft für Erwachsenenfortbildung AG.

Regeste

Art. 1 Abs. 1 UWG.
1. Wer in Werbetexten für Fernunterricht weitere Informationen verspricht und Interessenten, die sich daraufhin melden, ohne Ankündigung durch Vertreter zuhause aufsuchen lässt, handelt noch nicht unlauter im Sinne des UWG (Erw. 2).
2. Unlauteren Wettbewerb begeht hingegen, wer seine Fernschule öffentlich als die grösste der Schweiz rühmt, obschon sich dies bei objektiver Betrachtungsweise nicht sagen lässt (Erw. 3).

Erwägungen ab Seite 286

BGE 102 II 286 S. 286
Aus den Erwägungen:

2. Nach dem angefochtenen Urteil warb der Beklagte durch Inserate und Postsendungen für seinen Fernunterricht und liess Interessenten, die ihm daraufhin einen "Bon" oder eine Antwortkarte sandten, durch Vertreter aufsuchen. Das Handelsgericht hält dieses Vorgehen des Beklagten für unlauter,
BGE 102 II 286 S. 287
besonders weil die Interessenten nach der Werbung schriftliches Informationsmaterial erwarten durften, statt dessen aber zunächst unangemeldet den Besuch eines Vertreters bekommen hätten; ihr Vertrauen werde dadurch in unzulässiger oder gar arglistiger Weise ausgenützt und ihre Entschlussfreiheit oft beeinträchtigt; sie würden irregeführt und überrumpelt, was namentlich einem Bildungsinstitut nicht anstehe und deshalb als wettbewerbswidrig gelten müsse.
a) Die Werbung nimmt auf wirtschaftlichem Gebiet nicht selten Formen an, die vom Publikum als lästig empfunden werden. Das gilt insbesondere für unerbetene Vertreterbesuche, z.B. bei Brautleuten oder Neuvermählten, die in der Absicht aufgesucht werden, Verträge über Aussteuer oder Versicherungen abzuschliessen; ferner für Werbedrucksachen, die an alle Haushaltungen versandt oder verteilt werden und häufig den Briefkasten füllen. Ein Missbrauch des wirtschaftlichen Wettbewerbs im Sinne von Art. 1 Abs. 1 UWG wird darin im allgemeinen jedoch nicht erblickt. So gelten namentlich unangemeldete Vertreterbesuche selbst nach deutschem Recht, das weiter geht und eher strenger ist als das schweizerische, nicht als widerrechtlich (BAUMBACH/HEFERMEHL, Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 11. Auflage 1974, N. 50 zu § 1; M. LEHMANN, in GRUR 76 (1974) S. 133 ff.; D. REIMER, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in den Mitgliedstaaten der EWG, Bd. III Deutschland, N. 795 und 798; TROLLER, Immaterialgüterrecht, 2. Auflage, II S. 1054; VON BÜREN, Kommentar zum Wettbewerbsgesetz, S. 46 N. 20).
Das heisst nicht, dass unangemeldete Besuche wie überhaupt Bemühungen von Vertretern, mit Kunden Verhandlungen aufzunehmen oder Verträge abzuschliessen, nicht gegen Treu und Glauben verstossen können, wenn Vertreter sich dabei aufdringlich gebärden, arglose Kunden durch Überraschung für Geschäfte zu gewinnen oder sie sonst in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise zu beeinflussen suchen. Auf solches Gebaren dürfte denn auch zurückgehen, dass in der Öffentlichkeit und in den eidgenössischen Räten, wie das Handelsgericht einleitend bemerkt, nach Vorschriften gerufen wird, um anstössigen oder gerissenen Praktiken von Vertretern gegenüber Kunden wirksam zu begegnen. Im vorliegenden Fall kommt darauf indes nichts an, da das Handelsgericht nicht danach forschte, wie die Vertreter sich bei den
BGE 102 II 286 S. 288
Interessenten aufführten, sondern bloss die vom Beklagten selber angewandte Methode beurteilte. Dass es beifügte, der Vertreter komme, um den Interessenten zu bearbeiten, ändert nichts; denn dies lässt sich, wie bereits das Kassationsgericht ausführte, von jedem Vertreter sagen.
b) Fragen kann sich also bloss, ob die Handlungsweise des Beklagten zu beanstanden sei, weil er Personen, die durch Einsendung des Gutscheines oder der Antwortkarte ihr Interesse an einem Kurs bekundeten, einen Vertreter ins Haus schickte, ohne sie in den Inseraten oder andern Werbemassnahmen darauf aufmerksam zu machen, wie das Handelsgericht ihm in Urteilsspruch Ziff. 2 vorhält.
Mit diesem Vorhalt setzt das Handelsgericht sich freilich in Widerspruch zu den eigenen Erwägungen, lässt es darin doch eine Ankündigung des Vertreterbesuches "in der Reaktion der Firma auf die Interessenmeldung" genügen. Angesichts dieses Widerspruches ist von dem im Urteilsspruch enthaltenen Vorwurf auszugehen, zumal Entscheidungsgründe an der Rechtskraft des Urteils grundsätzlich nicht teilnehmen (BGE 99 II 174 mit Zitaten) und der Beklagte gerade bei Feststellungs- und Unterlassungsansprüchen, wie hier, eine genaue Umschreibung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe verlangen darf (BGE 84 II 457, BGE 93 II 59). Nach dem Urteilsspruch hält das Handelsgericht das Vorgehen des Beklagten aber unbekümmert darum für unlauter, ob der Vertreterbesuch nach dem Eingang der Interessenmeldung jeweils noch besonders angekündigt wurde.
Eine solche Ankündigung taugt übrigens für sich allein nicht, unzulässige Wettbewerbshandlungen von zulässigen zu unterscheiden. Durfte ein Interessent nach der Werbung des Beklagten auf seine Anmeldung hin schriftliches Informationsmaterial erwarten, wie das Handelsgericht annimmt, so ist nicht zu ersehen, was er einer besondern Mitteilung des Beklagten, das Material werde ihm durch einen Vertreter überbracht, entgegenhalten könnte. Denn damit wird nicht gesagt, wie der Vertreter sich verhalten, ob er sich als blosser Bote oder als zurückhaltender Studienberater benehmen oder ob er stracks darauf ausgehen werde, den Interessenten mit allen Mitteln zu einem Geschäftsabschluss zu bewegen, mag die zuletzt erwähnte Möglichkeit nach der Erfahrung auch näher liegen.
BGE 102 II 286 S. 289
c) Das Handelsgericht geht in Urteilsspruch Ziff. 2 davon aus, dass die Interessenten "Informationsmaterial anforderten". In den Erwägungen stellt es dagegen fest, der Beklagte habe den Interessenten allgemein nähere Auskünfte oder Informationen versprochen. Diese Feststellung betrifft tatsächliche Verhältnisse und bindet daher das Bundesgericht. Sie stimmt überein mit den Werbetexten, auf die das angefochtene Urteil verweist. In einigen dieser Texte bot der Beklagte freilich ein "Schulprogramm" an; er verband indes auch dieses Angebot mit dem Versprechen, alle weiteren Auskünfte erteilen zu wollen.
Das Handelsgericht erklärt zu Recht, mit solchen Versprechen werde zunächst offen gelassen, ob nähere Auskünfte schriftlich oder mündlich gegeben würden; es nimmt aber an, in erster Linie erwarte der Leser gleichwohl schriftliches Informationsmaterial, rechne also nicht mit einem Vertreterbesuch. Diese Annahme der Vorinstanz ist keine tatsächliche Feststellung, die das Bundesgericht bände. Welcher Sinn dem vom Beklagten in den Werbetexten geäusserten Willen nach der allgemeinen Lebenserfahrung beigelegt werden muss, ist vielmehr eine Rechtsfrage, die vom Bundesgericht frei überprüft werden kann (BGE 99 II 84 und 329 mit Hinweisen). Die Texte sind so auszulegen, wie der unbefangene Durchschnittsleser sie in guten Treuen verstehen durfte (BGE 87 II 347, BGE 88 II 55, BGE 90 IV 45, BGE 94 IV 36).
Bei dieser Betrachtungsweise lässt sich entgegen der Auffassung des Handelsgerichtes aber nicht sagen, der Interessent habe vorweg nur mit schriftlichen Informationen rechnen dürfen; nach den vom Beklagten gebrauchten allgemeinen Wendungen musste der Kunde sich auch auf mündliche Auskünfte und damit auf einen Besuch gefasst machen, selbst wenn ihm ein solcher nicht erwünscht war.
Durften die Interessenten sich vorliegend aber nicht darauf verlassen, zunächst bloss schriftliche Informationen zu erhalten, so verstiess der Beklagte nicht gegen berechtigte Erwartungen, wenn er sie auf ihre Meldung hin durch einen Vertreter aufsuchen liess. Eine Enttäuschung erweckten Vertrauens, wie sie ein Verstoss gegen Treu und Glauben voraussetzen würde (TROLLER, a.a.O. II S. 1047; MERZ, N. 402 und 431 ff. zu Art. 2 ZGB), ist darin nicht zu erblicken, mag die Werbung des Beklagten auch weder klar noch offen gewesen sein; unlauter
BGE 102 II 286 S. 290
im Sinne des UWG war sie deswegen noch nicht. Da der Beklagte ganz allgemein weitere Auskünfte versprach, aber keine schriftlichen Informationen zusicherte, kann auch nicht von einer eigentlichen Irreführung oder davon die Rede sein, der Beklagte habe sich den Zutritt zu den Kunden für seine Vertreter erschwindelt. Das liesse sich angesichts der von ihm gebrauchten Wendung selbst dann nicht sagen, wenn er den Vertreterbesuch in seiner Werbung absichtlich nicht erwähnt haben sollte. Damit ist auch dem weiteren Vorhalt, die Interessenten würden durch einen unangemeldeten Vertreterbesuch überrumpelt und in ihrer Entscheidungsfreiheit in unerträglichem Masse beeinträchtigt, der Boden entzogen.

3. Das Handelsgericht stellt in Urteilsspruch Ziff. 3 fest, der Beklagte habe unlauteren Wettbewerb begangen, indem er sein Institut in den Werbetexten als "grösste Fernschule der Schweiz" bezeichnete. Der Beklagte bestreitet diese Behauptung nicht, sondern bloss, dass er damit im Sinne des UWG wider Treu und Glauben gehandelt habe.
a) Das Handelsgericht nimmt an, dass die Schulen der Parteien sich insbesondere nach Gattung, Zielsetzung, Kursdauer und Kündigungsmöglichkeiten voneinander unterschieden, sich unter dem Gesichtspunkt des Umsatzes und der Schülerzahl aber miteinander vergleichen liessen. Es führte darüber ein Beweisverfahren durch und verschaffte sich auch Angaben über eine dritte Fernschule.
Seine Feststellungen, die der Beklagte mit der kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde umsonst anzufechten versucht hat, betreffen tatsächliche Verhältnisse und binden deshalb das Bundesgericht. Das gilt auch von der Annahme der Vorinstanz, dass die Schülerzahlen der drei Fernschulen einander recht nahe kommen, jene des Beklagten sich aber eher unter dem Durchschnitt der beiden andern halte. Der vom Beklagten dagegen erhobene Einwand, es stehe nicht fest, ob er nicht allenfalls doch am meisten Schüler habe, ist unzulässige Kritik an der Beweiswürdigung und daher nicht zu hören. Er übersieht zudem, dass das Handelsgericht ihm mit guten Gründen und unwidersprochen den Beweis für seine Selbstberühmung auferlegt, er diesen Beweis aber nicht erbracht und daher die Folgen davon zu tragen hat. Seine Beweispflicht ergab sich daraus, dass er behauptete, er führe die grösste Fernschule der Schweiz; für die Wahrheit dieser Behauptung hatte er einzustehen,
BGE 102 II 286 S. 291
da die Zulässigkeit vergleichender Werbung zumindest voraussetzt, dass sie objektiv wahr ist (BGE 87 II 116 mit Hinweisen, ferner BGE 94 IV 38).
b) Diese Voraussetzung ist hier mit Bezug auf die Schülerzahl, welche nach allgemeiner Auffassung mehr als irgendein anderes Merkmal die Grösse einer Schule kennzeichnet, nicht erfüllt. Dass erhebliche Unterschiede in der Dauer und im Aufwand der Kurse den Vergleich der Schülerzahl mangelhaft machen können, hilft darüber nicht hinweg und hat das Handelsgericht zu Recht nicht veranlasst, auf den Umsatz der Parteien abzustellen. Gewiss ist der Umsatz industrieller oder kommerzieller Betriebe ein geeigneter Massstab für die Grösse eines Unternehmens. Bei Schulen verhält es sich wegen der Aufgabe, die ihnen zukommt, jedoch wesentlich anders. Selbst bei Privatschulen, in denen gewerbsmässig Unterricht erteilt wird, kann der Umsatz je nach den Kosten und Leistungen, die berücksichtigt werden, sehr verschieden ausfallen. Die Bemühungen der Parteien um eine Vereinbarung über gleiche Bemessungsgrundlagen zeigen denn auch, dass der Umsatz nicht für eine allgemein gültige Unterscheidung taugt. Wieso der Durchschnittsleser aus den Werbetexten des Beklagten einen anderen Schluss ziehen sollte, ist unerfindlich. Bei öffentlichen und gemeinnützigen Schulen ist es zum vorneherein verfehlt, von einem Umsatz zu reden. Der Einwand, Privatschulen arbeiteten mit Gewinn und müssten deshalb nach ihrem Umsatz verglichen werden, steht dem Beklagten umsoweniger an, als er in einer Pressenotiz von 1967 sein Institut selber unter Berufung auf die Schülerzahl als grösstes Fernlehrinstitut der Schweiz rühmte.
Solche Selbstberühmungen sind mit Rücksicht auf allgemeine Interessen am Bildungswesen nach eher strengen Massstäben zu beurteilen. Schon deshalb lässt die Behauptung des Beklagten sich nicht als reklamehafte Übertreibung abtun. Sie war nicht bloss objektiv unwahr, sondern als ernst zu nehmende Aussage auch geeignet, Interessenten irrezuführen (vgl. TROLLER, a.a.O. II S. 1088; VON BÜREN, a.a.O. S. 71 N. 10 und S. 74 N. 6). Ebensowenig befreit den Beklagten, dass die Schulen der Klägerin der Vorbereitung auf die Maturitätsprüfung dienen, er dagegen die grösste Fernschule mit technisch-wirtschaftlichen Kursen führe oder seine Schule andere an Aufwand und Leistungen übertreffe, Für solche Einschränkungen ist seinen Werbetexten nichts zu entnehmen.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Erwägungen 2 3

Referenzen

BGE: 99 II 174, 84 II 457, 93 II 59, 99 II 84 mehr...

Artikel: Art. 1 Abs. 1 UWG, Art. 2 ZGB