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Urteilskopf

127 III 580


100. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. Juli 2001 i.S. A. gegen X. (Berufung)

Regeste

Art. 65 SVG und Art. 44 Abs. 2 UVG; Haftungsprivileg des Arbeitgebers; direktes Forderungsrecht gegen den Versicherer.
Das Haftungsprivileg ist auch im Prozess zu berücksichtigen, den eine bei einem Berufsunfall mit dem Motorfahrzeug ihres Arbeitgebers verletzte Arbeitnehmerin aufgrund des direkten Forderungsrechts gegen den Versicherer führt (E. 1 und 2).

Sachverhalt ab Seite 581

BGE 127 III 580 S. 581
A. verursachte am 19. April 1990 mit dem Geschäftswagen ihrer Arbeitgeberin einen Selbstunfall und erlitt dabei Verletzungen. Die Arbeitgeberin ist bei den X. Versicherungen als Halterin des Fahrzeugs haftpflichtversichert.
A. reichte am 1. April 1999 eine Teilklage gegen die X. Versicherungen ein mit dem Begehren, die Beklagte zur Zahlung einer Genugtuung von Fr. 50'000.- abzüglich der von der SUVA zu leistenden Integritätsentschädigung zu verpflichten. Das Amtsgericht Luzern-Stadt wies die Klage mit Urteil vom 16. Juni 2000 ab. Gleich entschied das Obergericht des Kantons Luzern auf Appellation der Klägerin mit Urteil vom 12. März 2001. Beide kantonalen Gerichte kamen zum Ergebnis, dass gemäss Art. 44 Abs. 2 UVG (Bundesgesetz über die Unfallversicherung vom 20. März 1981; SR 832.20) keine Haftung der Beklagten bestehe, weil dieser kein Verschulden am Unfall vorgeworfen werden könne.
Mit Berufung beantragt die Klägerin dem Bundesgericht, das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 12. März 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin aus dem Unfallereignis vom 19. April 2001 im Sinne einer Teilklage eine Genugtuungssumme von Fr. 50'000.- zuzüglich 5% Zins seit 19. April 1990, abzüglich der durch die SUVA noch zuzusprechenden Integritätsentschädigung zu entrichten.
Die Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung, soweit auf sie einzutreten sei.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Gemäss Art. 44 Abs. 2 UVG steht dem obligatorisch versicherten Arbeitnehmer aus einem Berufsunfall gegen seinen Arbeitgeber nur ein Haftpflichtanspruch zu, wenn dieser den Unfall absichtlich oder grobfahrlässig herbeigeführt hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts beinhaltet Art. 44 Abs. 2 UVG sowohl ein Haftungs- wie auch ein Regressprivileg (BGE 125 IV 153 E. 2b/bb; BGE 123 III 280 E. 2). Mit der Berufung wird diese Praxis nicht grundsätzlich in Frage gestellt, indes eingewendet, dass sie nicht anwendbar
BGE 127 III 580 S. 582
sei, wenn das unmittelbare Forderungsrecht des Geschädigten gegen den Versicherer gemäss Art. 65 SVG in Frage stehe.

2. Nach Art. 65 SVG (SR 741.01) hat der Geschädigte im Rahmen der vertraglichen Versicherungsdeckung ein Forderungsrecht unmittelbar gegen den Versicherer (Abs. 1). Es können ihm keine Einreden aus dem Versicherungsvertrag oder aus dem Bundesgesetz vom 2. April 1908 über den Versicherungsvertrag (VVG; SR 221.229.1) entgegengehalten werden (Abs. 2). Der Versicherer hat ein Rückgriffsrecht gegen den Versicherungsnehmer oder den Versicherten, soweit er nach dem Versicherungsvertrag oder dem VVG zur Ablehnung oder Kürzung seiner Leistung befugt wäre (Abs. 3).
a) Das SVG räumt dem Geschädigten mit Art. 65 die Befugnis ein, statt des Halters als des eigentlich Haftpflichtigen dessen Versicherer als Ersatzschuldner zu belangen. Damit entsteht von Gesetzes wegen ein vom Versicherungsvertrag unabhängiges Rechtsverhältnis zwischen dem Geschädigten und dem Versicherer (OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Besonderer Teil, Bd. II/2, 4. Aufl., Zürich 1989, § 25 Rz. 24 und § 26 Rz. 150; BUSSY/RUSCONI, Code suisse de la circulation routière, 3. Aufl., Lausanne 1996, N. 1.1 zu Art. 65 SVG). Zusammen mit dem Einredeausschluss nach Art. 65 Abs. 2 SVG ist dieses Rechtsverhältnis dazu bestimmt, die Rechtslage zu vereinfachen und die Rechte der geschädigten Person besser zu schützen und zu gewährleisten, dass deren Ansprüche tatsächlich befriedigt werden (OFTINGER/STARK, a.a.O., § 26 Rz. 150; BUSSY/RUSCONI, a.a.O., N. 1.3 und N. 2.1.1 zu Art. 65 SVG; SCHAFFHAUSER/ZELLWEGER, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Bd. II, Rz. 1656). Der Gesetzgeber wollte mit dem direkten Forderungsrecht erreichen, dass die Ersatzansprüche des Geschädigten nicht durch Einreden aus dem Versicherungsvertrag geschmälert werden können (Botschaft des Bundesrates zum Entwurf eines Bundesgesetzes über den Strassenverkehr vom 24. Juni 1955, BBl 1955 II 1 ff., S. 41). Art. 65 SVG bezweckt mithin die Erleichterung und Sicherung der Durchsetzbarkeit des gegenüber dem Schädiger bestehenden Haftungsanspruchs, nicht aber dessen Erweiterung. Das Forderungsrecht gegen den Versicherer reicht deshalb nicht weiter als der Ersatzanspruch gegen den Schädiger selbst. Die Leistungspflicht der Versicherung richtet sich im Grundsatz und im Umfang nach der Haftpflicht des Schädigers oder des Halters. Diese bestimmt, ob und wieviel der Versicherer zahlen muss, wobei die Garantiesumme gemäss Versicherungsvertrag die Obergrenze bildet (REY, Ausservertragliches Haftpflichtrecht, 2. Aufl., Zürich
BGE 127 III 580 S. 583
1998, Rz. 1339). Das unmittelbare Forderungsrecht nach Art. 65 SVG hat somit zur Folge, dass der Versicherer unter den gleichen Voraussetzungen und im gleichen Umfang haftet wie der Fahrzeughalter oder Schädiger (BGE 115 II 156 E. 1 S. 157).
b) Im soeben zitierten Entscheid hatte das Bundesgericht die Frage zu beurteilen, ob sich der Versicherer gegenüber dem Geschädigten auf einen Befreiungsgrund berufen kann, der mit der besonderen Beziehung zwischen dem Geschädigten und der schadenverursachenden Person zusammenhängt. Es ging um den Fall einer Lenkerin, die einen Selbstunfall verursacht hatte, bei dem ihr Kind getötet worden war. Die vom Ehemann gegen den Versicherer eingeklagte Genugtuungsforderung wurde mit der Begründung abgewiesen, die Voraussetzungen von Art. 47 OR seien wegen der ehelichen Gemeinschaft nicht gegeben; darauf könne sich auch der Versicherer berufen. In diesem Zusammenhang wurde hervorgehoben, dass diese Lösung auch dem Schutz der Ehegemeinschaft diene, da sonst die als Solidarschuldnerin haftende Ehefrau auf dem Regressweg vom Fahrzeughalter belangt werden könnte (BGE 115 II 156 E. 2 S. 159).
Analog fällt beim vorliegenden Sachverhalt in Betracht, dass dem Versicherer als Korrelat zum Einredeausschluss das Recht zum Regress auf den Versicherungsnehmer zusteht (Art. 65 Abs. 2 und 3 SVG; BGE 119 II 289 E. 1c S. 292). Die Beschränkung der Haftung des Arbeitgebers nach Art. 44 UVG ist nicht allein durch die ihm obliegende Zahlung der Prämien der Betriebsunfallversicherung für die Arbeitnehmer gerechtfertigt, sondern sie bezweckt auch die Erhaltung des Arbeitsfriedens durch weitgehende Ausschaltung von Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (ALFRED KELLER, Haftpflicht im Privatrecht, Bd. I, 5. Aufl., Bern 1993, S. 452; BECK, Der Regress auf Familienangehörige und Arbeitnehmer, in: Alfred Koller (Hrsg.), Haftpflicht- und Versicherungsrechtstagung 1995, S. 123). Dieses Ziel würde verfehlt, wenn der Arbeitgeber auf dem Regressweg in Fällen zur Zahlung verpflichtet werden könnte, in denen er sich bei direkter Inanspruchnahme durch den geschädigten Arbeitnehmer auf das Privileg berufen könnte. Entgegen der Auffassung der Klägerin behält das Haftungsprivileg somit auch bei unmittelbarer Beanspruchung des Versicherers seine Bedeutung. Daran vermag nichts zu ändern, dass es auch Fälle geben mag, in welchen der Versicherer aufgrund eines ungültigen Versicherungsnachweises haftet, ohne dass ein Rückgriff in Frage kommt (vgl. Art. 68 Abs. 2 SVG).

Inhalt

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Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 1 2

Referenzen

BGE: 115 II 156, 125 IV 153, 123 III 280, 119 II 289

Artikel: Art. 65 SVG, Art. 44 Abs. 2 UVG, Art. 65 Abs. 2 SVG, Art. 47 OR mehr...