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Urteilskopf

128 II 282


33. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen Verwaltungsgericht des Kantons Aargau (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
6A.29/2002 vom 2. Juli 2002

Regeste

Art. 16 Abs. 2 und 3 lit. a, Art. 36 Abs. 3 SVG; Missachtung des Vortritts beim Linksabbiegen.
Trifft einen Motorfahrzeuglenker mehr als nur ein leichtes Verschulden, ist der Führerausweis selbst bei einem über lange Jahre ungetrübten fahrerischen Leumund grundsätzlich zu entziehen (E. 3.5; Bestätigung der Rechtsprechung).

Sachverhalt ab Seite 282

BGE 128 II 282 S. 282

A.- X. fuhr am 27. Dezember 1999 um 18.30 Uhr, nach Einbruch der Dunkelheit, mit seinem Personenwagen in Fislisbach auf der Sommerhaldenstrasse von Dättwil in Richtung Mellingen. Auf der Höhe des Restaurants Sommerhalden hielt er an, um nach links abzubiegen. In der Ferne sah er ein Fahrzeug, das sich ihm auf der Gegenfahrbahn näherte. Anschliessend beobachtete er das Geschehen auf dem links gegenüberliegenden Parkplatz sowie auf dem Trottoir und fuhr an, ohne mit einem Kontrollblick zu prüfen, ob die Gegenfahrbahn für ihn frei war. Beim Abbiegen stiess er mit dem
BGE 128 II 282 S. 283
entgegenkommenden vortrittsberechtigten Fahrzeuglenker zusammen. Beide Lenker wurden leicht verletzt. Die Fahrzeuge erlitten Totalschaden. Der Unfall ereignete sich ausserorts auf einer geraden Nebenstrasse. Die Fahrbahn war trocken, und es gab keinen Niederschlag. Die signalisierte Höchstgeschwindigkeit betrug 60 km/h.
X., geboren 1923, besitzt den Führerausweis der Kategorie B mindestens seit dem Jahre 1963, möglicherweise auch länger. Bisher wurde gegen ihn noch nie eine Administrativmassnahme angeordnet.

B.- Am 10. März 2000 verurteilte das Bezirksamt Baden X. wegen Missachtung des Vortrittsrechts beim Linksabbiegen gemäss Art. 90 Ziff. 1 i.V.m. Art. 36 Abs. 3 SVG (SR 741.01) zu einer Busse von Fr. 200.-. Der Strafbefehl erwuchs in Rechtskraft.
Am 27. April 2000 verfügte das Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau einen Führerausweisentzug von einem Monat. Das Departement des Innern des Kantons Aargau wies am 4. Juli 2001 eine dagegen erhobene Beschwerde von X. ab. Mit Urteil vom 23. Januar 2002 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau die von X. eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab.

C.- X. führt eidgenössische Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Hauptantrag, den Entscheid des Verwaltungsgerichtes aufzuheben, vom Entzug des Führerausweises abzusehen und das Administrativverfahren mit einer Verwarnung zu erledigen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. (...)

3.5 Das Bundesgericht hat in BGE 126 II 202 E. 1c S. 206 erwogen, es sei einzuräumen, dass die Rechtsprechung, wonach in mittelschweren Fällen gemäss Art. 16 Abs. 2 Satz 1 SVG der Führerausweis in der Regel selbst bei einem über lange Jahre ungetrübten fahrerischen Leumund zu entziehen sei, als hart angesehen werden könne. Doch könne nur der Gesetzgeber etwas daran ändern, "sei es, dass er für Fälle dieser Art auch den bedingten Ausweisentzug vorsieht oder den Anwendungsbereich der Verwarnung bei gutem automobilistischen Leumund ausweitet auf den Bereich des mittelschweren Verschuldens." Der Gesetzgeber hat zeitlich nach diesem Entscheid am 14. Dezember 2001 eine Teilrevision des Strassenverkehrsgesetzes, namentlich der Bestimmungen zum Führerausweisentzug, beschlossen (BBl 2001 S. 6499 ff.). Die Referendumsfrist ist am 7. April 2002 ungenutzt abgelaufen. Die Gesetzesänderung ist zwar
BGE 128 II 282 S. 284
noch nicht in Kraft getreten, doch kann bei der Auslegung des geltenden Rechts auf laufende Revisionen Bezug genommen werden (vgl. BGE 110 II 293 E. 2a, e und f sowie E. 3a; BGE 117 IV 276 E. 3c, d und e; BGE 118 IV 52 E. 2c und d; BGE 127 IV 97 E. 1b; BGE 128 IV 3 E. 4c, 25). Es ist deshalb zu prüfen, ob die verabschiedete Teilrevision des Strassenverkehrsgesetzes Anlass gibt, die bisherige Rechtsprechung zu Art. 16 Abs. 2 SVG zu überdenken.
Der Gesetzgeber hat bei der Teilrevision des Strassenverkehrsgesetzes vom 14. Dezember 2001 offensichtlich die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Ausgangspunkt genommen. Statt einer Milderung des geltenden Rechts im Sinne der in BGE 126 II 202 E. 1c S. 206 aufgezeigten Möglichkeiten hat er die Normen jedoch erheblich verschärft. So hat er die doppelte Kann-Vorschrift in Art. 16 Abs. 2 SVG eliminiert. Gemäss Art. 16 Abs. 2 SVG in der revidierten Fassung (nachfolgend rev. F.) "wird der Lernfahr- oder Führerausweis entzogen oder eine Verwarnung ausgesprochen" nach "Widerhandlungen gegen die Strassenverkehrsvorschriften, bei denen das Verfahren nach dem Ordnungsbussengesetz vom 24. Juni 1970 ausgeschlossen ist". Eine leichte Widerhandlung begeht nach dem revidierten Gesetz, wer "durch Verletzung von Verkehrsregeln eine geringe Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft und ihn dabei nur ein leichtes Verschulden trifft" (Art. 16a Abs. 1 lit. a SVG rev. F.), eine mittelschwere, wer "durch Verletzung von Verkehrsregeln eine Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt" (Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG rev. F.). In leichten Fällen kann auf einen Führerausweisentzug nur verzichtet werden, wenn dem fehlbaren Fahrzeuglenker "in den vorangegangenen zwei Jahren der Ausweis" nicht "entzogen worden war und keine andere Administrativmassnahme verfügt wurde" (vgl. Art. 16a Abs. 2 und 3 SVG rev. F.). Bei einer mittelschweren Widerhandlung sieht das Gesetz neu zwingend den Entzug des Führerausweises für die Dauer von mindestens einem Monat vor (Art. 16b Abs. 2 lit. a SVG rev. F.). Der Gesetzgeber hat damit klargestellt, dass in mittelschweren Fällen künftig auch bei ungetrübtem fahrerischem Leumund zwingend ein Führerausweisentzug anzuordnen ist. Der mittelschwere Fall wird jedenfalls nach dem Gesetzeswortlaut zudem neu nicht mehr nach dem Grad des Verschuldens bestimmt, sondern allein danach, ob der Fahrzeuglenker eine Gefahr für die Sicherheit anderer geschaffen oder in Kauf genommen hat. Wie nach geltendem Recht und bisheriger Rechtsprechung wird der gute automobilistische Leumund auch künftig lediglich für die Festsetzung
BGE 128 II 282 S. 285
der Dauer des Führerausweisentzugs eine Rolle spielen (vgl. Art. 16 Abs. 3 SVG rev. F.).
Angesichts der dargelegten erheblichen Verschärfung der Normen zum Führerausweisentzug besteht heute kein Anlass zu einer Milderung der Rechtsprechung zum geltenden Recht.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 3

Referenzen

BGE: 126 II 202, 110 II 293, 117 IV 276, 118 IV 52 mehr...

Artikel: Art. 16 Abs. 2 SVG, Art. 36 Abs. 3 SVG, Art. 16 Abs. 2 Satz 1 SVG, Art. 16a Abs. 1 lit. a SVG mehr...