Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
Urteilskopf

85 I 140


23. Urteil vom 17. Juni 1959 i.S. Konkursmasse der Conrad Sigg A.-G. gegen Schiller, Confluentia A.-G. und Kassationsgericht des Kantons Zürich.

Regeste

Kantonaler Zivilprozess, Sicherstellung für Gerichtskosten und Parteientschädigung. Kantonale Bestimmung, wonach die Klagpartei kautionspflichtig ist, wenn es sich um eine Aktiengesellschaft handelt, die sich in Liquidation befindet (§ 59 Ziff. 5 zürch. ZPO).
Beschwerde wegen Willkür, rechtsungleicher Behandlung und Verletzung des Bundesrechts gegen den Entscheid, der auf Grund dieser Bestimmung auch die Konkursmasse einer Aktiengesellschaft kautionspflichtig erklärt.

Sachverhalt ab Seite 141

BGE 85 I 140 S. 141

A.- Die zürch. Zivilprozessordnung (ZPO) bestimmt in § 59:
"Für die Prozesskosten und für die Prozessentschädigung hat die Partei, welche als Kläger oder Widerkläger auftritt. ... angemessene Kaution zu leisten,
.....2.
wenn innert der letzten fünf Jahre über sie Konkurs eröffnet oder in einer Betreibung gegen sie Verwertung angeordnet ... wurden ...
.....5.
wenn es sich um eine Aktiengesellschaft oder Genossenschaft handelt, die sich in Liquidation befindet oder welcher der Aufschub der Konkurseröffnung bewilligt wurde."

B.- Im Juli 1958 reichte die Konkursmasse der Aktiengesellschaft Conrad Sigg AG beim Handelsgericht des Kantons Zürich zwei Klagen ein, die eine gegen Paul Schiller auf Bezahlung von Fr. 90'000.-- und die andere gegen die Confluentia AG auf Bezahlung von Fr. 105'876.25. Es handelt sich zur Hauptsache um Anfechtungsansprüche im Sinne von Art. 286 ff. SchKG.
Auf Begehren der Beklagten legte das Handelsgericht der Klägerin gestützt auf § 59 Ziff. 2 und 5 ZPO Prozesskautionen von Fr. 4'500.-- und Fr. 6'000.-- auf. Das Obergericht des Kantons Zürich, bei dem die Klägerin Rekurse einlegte, hob diese Kautionsauflagen mit Beschlüssen vom 27. Januar 1959 auf und wies die Kautionsbegehren ab. Es nahm an, weder der Kautionsgrund von Ziff. 2 noch derjenige von Ziff. 5 des § 59 ZPO sei gegeben, weil die Konkursmasse mit der Gemeinschuldnerin nicht identisch,
BGE 85 I 140 S. 142
sondern ein Sondervermögen mit eigener Verwaltung und Zweckbestimmung sei.
Die Beklagten erhoben hiegegen Nichtigkeitsbeschwerde wegen Verletzung klaren Rechts (§ 344 Ziff. 9 zürch. ZPO). Das Kassationsgericht des Kantons Zürich hiess diese Beschwerden mit Urteil vom 17. April 1959 gut und stellte die Kautionsauflagen des Handelsgerichtes wieder her. Die Begründung dieses Entscheides lässt sich wie folgt zusammenfassen: Als Grundsatz klaren Rechts habe zu gelten, dass für die Frage der Kautionspflicht nicht der Wortlaut, sondern der wirkliche Sinn des Gesetzes massgebend sei. Die Auffassung des Obergerichts, dass der Kautionsgrund von § 59 Ziff. 2 ZPO nicht zutreffe, sei vertretbar, wie das Kassationsgericht schon früher entschieden habe (SJZ 52 S. 130). Dagegen sei die Beschwerde inbezug auf § 59 Ziff. 5 ZPO begründet. Dieser Kautionsgrund könne sinngemäss nur so ausgelegt werden, dass er den Fall der Klage der Konkursmasse (sowie der Liquidationsmasse bei Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung; ZR 57 Nr. 65) mitumfasse. § 59 Ziff. 5 ZPO ordne die Kautionspflicht an, weil die Gefahr bestehe, dass bei der Liquidation versäumt werde, ausreichende Rückstellungen für die Prozesskosten vorzunehmen. Im Hinblick hierauf sei die Kautionspflicht noch viel eher bei konkursmässiger Liquidation einer AG am Platz, zumal die Konkursverwaltung das Ergebnis der Verwertung und die Höhe der Prozesskosten nicht mit Sicherheit voraussehen könne. Ausser Frage stehe, dass sich die Konkursmasse im Sinne von § 59 Ziff. 5 ZPO in Liquidation befinde. Der Kautionspflicht lasse sich auch nicht entgegenhalten, die Konkursmasse sei keine AG, wie in § 59 Ziff. 5 ZPO vorausgesetzt werde. Wenn die Masse auch parteifähig sei, so sei sie doch das Vermögen der in Liquidation befindlichen AG. Sei die AG in Liquidation kautionspflichtig, so sei daher unabweisbar, dass es auch die Konkursmasse der AG sein müsse. Was hiegegen eingewendet werde, schlage nicht durch. Dass die Kautionspflicht folgerichtig auf die Liquidation einer
BGE 85 I 140 S. 143
Einzelfirma ausgedehnt werden müsste, treffe nicht zu, da das Gesetz die Kautionspflicht nur bei Liquidation von Aktiengesellschaften und Genossenschaften vorsehe. Davon, dass die Kautionsauflage bundesrechtswidrig sei, könne nicht die Rede sein; auch wenn der Konkursmasse die unentgeltliche Rechtspflege nicht bewilligt werden könne, werde einer Masse mit geringen Mitteln die Verfolgung ihrer Rechte doch nicht verunmöglicht, sei doch den Konkursgläubigern zuzumuten, die Prozesskosten nötigenfalls vorzuschiessen.

C.- Gegen dieses Urteil des Kassationsgerichts führt die Konkursmasse der Conrad Sigg AG staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, es sei aufzuheben. Es wird geltend gemacht, der Entscheid sei willkürlich, verstosse gegen die Rechtsgleichheit und verletze Bundesrecht. Die Begründung dieser Rügen ist, soweit notwendig, aus den nachstehenden Erwägungen ersichtlich.

D.- Das Kassationsgericht des Kantons Zürich hat auf Vernehmlassung verzichtet. Die Beschwerdegegner Paul Schiller und Confluentia AG beantragen die Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Die Beschwerdeführerin nimmt an, das Bundesgericht habe den angefochtenen Entscheid frei zu überprüfen. Das trifft indessen lediglich zu, soweit mit der Beschwerde geltend gemacht wird, dass das SchKG und damit Bundesrecht verletzt sei (BGE 85 I 21 mit Verweisungen), nicht dagegen, soweit die Auslegung und Anwendung von § 59 Ziff. 5 zürch. ZPO wegen Verletzung von Art. 4 BV beanstandet wird. Die von der Beschwerdeführerin für freie Überprüfung angerufenen Urteile BGE 67 I 68, BGE 77 I 46 und BGE 78 I 196 betreffen Beschwerden wegen Verletzung von Staatsverträgen, bei denen die Kognition des Bundesgerichts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht grundsätzlich frei ist (BGE 85 I 44 mit Verweisungen), oder Beschwerden wegen Verletzung des bundesrechtlichen,
BGE 85 I 140 S. 144
unmittelbar aus Art. 4 BV folgenden Armenrechtsanspruches, bei welchen dem Bundesgericht wenigstens die freie rechtliche Überprüfung zusteht (BGE 78 I 195 Erw. 3 mit Verweisungen). Die Beschwerdeführerin verlangt jedoch nicht das Armenrecht und könnte es auch nicht, da sie zugegebenermassen die Mittel zur Prozessführung besitzt und zudem als Konkursmasse die unengeltliche Prozessführung nicht beanspruchen kann (BGE 61 III 172). Die Anwendung kantonaler Gesetzesvorschriften über die Kautionspflicht wie § 59 zürch. ZPO kann das Bundesgericht nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel des Art. 4 BV, der Willkür und rechtsungleichen Behandlung nachprüfen.

2. Das Obergericht und die Beschwerdeführerin lehnen die Anwendung von § 59 Ziff. 5 ZPO auf die Beschwerdeführerin vor allem deshalb ab, weil die Konkursmasse einer AG mit der in Liquidation befindlichen AG nicht identisch sei. Diese mangelnde Identität, die sich insbesondere darin äussert, dass die Anfechtungsansprüche nach Art. 286 ff. SchKG wohl zum Konkursvermögen, nicht aber zum Vermögen der AG gehören, genügt jedoch nicht, um den Standpunkt des Kassationsgerichts als unhaltbar, willkürlich erscheinen zu lassen. Das Kassationsgericht hat zwar sowohl früher (SJZ 52 S. 129) als auch im vorliegenden Falle die Auffassung, dass die Konkursmasse nicht nach § 59
Ziff. 2 ZPO kautionspflichtig sei, geschützt, und zwar, wie es im früheren Entscheid erklärte, weil der Konkurs nicht über die Konkursmasse, sondern über den Gemeinschuldner erklärt worden sei. Nach dieser Überlegung wäre folgerichtig auch § 59 Ziff. 5 ZPO nicht auf eine Konkursmasse anzuwenden. Indessen ist dieser Schluss nicht zwingend. Vielmehr ist selbständig zu prüfen ob sich die Auffassung, die Konkursmasse einer AG diene nicht nur der Liquidation, sondern sei selber "eine AG, die sich in Liquidation befindet", mit dem Wortlaut und dem Sinn von § 59 Ziff. 5 ZPO vereinbaren lässt.
Diese Bestimmung wurde, wie der angefochtene Entscheid
BGE 85 I 140 S. 145
zutreffend ausführt, erlassen, weil die Gefahr besteht, dass die Liquidatoren einer AG, die einen Prozess anheben, es versäumen, ausreichende Rückstellungen für allfällige Prozesskosten und Prozessentschädigungen vorzunehmen. Der Gesetzgeber dürfte dabei nur die ordentliche Liquidation der AG nach den Vorschriften des OR im Auge gehabt haben, weshalb auch die Zürcher Gerichte die Bestimmung während Jahrzehnten nur auf diese Liquidation angewendet haben. Das würde freilich die Anwendung auf die Konkursliquidation nicht ausschliessen, wenn die erwähnte Gefahr auch bei dieser Art der Liquidation im gleichen oder ähnlichen Masse bestünde. Das Kassationsgericht scheint dies anzunehmen, wenn es erklärt, die Kautionspflicht sei bei der konkursmässigen Liquidation der AG "noch viel eher am Platze" als bei der freiwilligen Liquidation. Das trifft jedoch nicht zu. Der amtliche Charakter auch der von den Gläubigern gewählten Konkursverwaltung (vgl. Art. 241 SchKG und die Bemerkungen von JAEGER zu dieser Bestimmung) bietet eine erhöhte Gewähr, dass bei der Liquidation die Mittel zur Bezahlung der Kosten hängiger Prozesse zurückgestellt werden. Dazu kommt, was das Kassationsgericht in diesem Zuzammenhang ganz übersieht, dass die der Konkursmasse im Falle des Unterliegens auferlegten Prozesskosten Massaschulden darstellen und daher vor allen Konkursforderungen zu begleichen sind (BGE 61 III 172), während die einer freiwillig liquidierenden AG auferlegten Prozesskosten, sofern es zum Konkurs kommt, als gewöhnliche Kurrentforderungen im letzten Range stehen. Im Hinblick hierauf verdient die Auslegung, wonach § 59 Ziff. 5 ZPO nur für die ordentliche Liquidation der AG nach OR gilt, den Vorzug vor derjenigen des Kassationsgerichts, das die Bestimmung auch auf die konkursmässige Liquidation der AG anwenden möchte. Ob die Auslegung des Kassationsgerichts mit dem Wortlaut und Sinn schlechthin unvereinbar, geradezu willkürlich ist, erscheint immerhin als zweifelhaft, kann jedoch dahingestellt bleiben, da sie, wie
BGE 85 I 140 S. 146
im folgenden zu zeigen ist, zu einer rechtsungleichen Behandlung führt und schon aus diesem Grunde gegen Art. 4 BV verstösst.

3. § 59 Ziff. 5 ZPO gilt nach seinem Wortlaut nur für Aktiengesellschaften und Genossenschaften, die sich in Liquidation befinden, und ist, wie das Kassationsgericht entschieden hat (ZR 50 Nr. 212), auf liquidierende Einzelfirmen nicht anwendbar. Hierin liegt, sofern die Bestimmung nur auf die ordentliche Liquidation angewendet wird, keine rechtsungleiche Behandlung. Während nämlich die (freiwillige) Liquidation einer Einzelfirma im wesentlichen ein tatsächlicher Vorgang ist und insbesondere die Haftung des Firmeninhabers für geschäftliche Schulden nicht berührt, hört die juristische Person mit der Löschung im Handelsregister zu existieren auf und kann nicht mehr belangt werden; Gläubiger, die vor der Löschung nicht befriedigt worden sind, haben nur die Möglichkeit, die Wiedereintragung im Handelsregister zu verlangen oder eine Verantwortlichkeitsklage gegen die Liquidatoren zu erheben. Diese besondern Verhältnisse bei der Liquidation juristischer Personen rechtfertigt es, die für den Fall der Liquidation angeordnete Kautionspflicht auf juristische Personen zu beschränken. Dagegen ist kein vernünftiger Grund ersichtlich, weshalb die Konkursmassen juristischer und natürlicher Personen inbezug auf die Kautionspflicht verschieden zu behandeln wären. Dass die juristischen Personen nach Konkursschluss zu existieren aufhören, während die natürlichen Personen weiterexistieren und zu neuem Vermögen kommen können, ist für die Frage der Kautionspflicht für die von der Konkursmasse angehobenen Prozesse ohne jede Bedeutung; denn die Kosten solcher Prozesse sind nicht persönliche Schulden des Gemeinschuldners, sondern Massaschulden (BGE 61 III 172), und es werden daher für sie, sofern sie aus dem Massavermögen nicht gedeckt werden können, keine Verlustscheine ausgestellt (JAEGER, N. 2 zu Art. 262 und N. 3 zu Art. 265 SchKG). Die Gefahr der Unerhältlichkeit der einer Konkursmasse
BGE 85 I 140 S. 147
im Falle des Unterliegens auferlegten Prozesskosten ist demnach im Konkurs der Aktiengesellschaften und Genossenschaften genau die gleiche wie in andern Konkursen, weshalb es eine mit Art. 4 BV nicht vereinbare Rechtsungleichheit darstellt, die Konkursmassen von Aktiengesellschaften und Genossenschaften in Gegensatz zu andern Konkursmassen kautionspflichtig zu erklären.
Diese Ungleichheit wiegt umso schwerer, als sie sich auf das Liquidationsverfahren in einer Weise auswirkt, die sich mit dem Sinn und Geist des SchKG schlecht verträgt. Um eine gleichmässige Befriedigung aller Gläubiger zu ermöglichen, sind grundsätzlich auch bestrittene Rechte durch die Konkursmasse selber auf dem Prozessweg geltend zu machen. Ist nun die Konkursmasse im Falle der Klageerhebung kautionspflichtig, so besteht beim Fehlen liquider Mittel die Gefahr, dass die Konkursmasse auch begründete Ansprüche nicht geltend machen kann und deren Abtretung nach Art. 260 SchKG anbieten muss, wodurch die kleinen Gläubiger, die das Prozessrisiko nicht zu übernehmen wagen, benachteiligt werden. Der Einwand des Kassationsgerichts, den Konkursgläubigern sei zuzumuten, der Konkursmasse die Prozesskosten nötigenfalls vorzuschiessen, schlägt nicht durch. Von dieser Möglichkeit ist zwar auch in BGE 24 I 496 und BGE 61 III 172 Erw. 2 die Rede. Allein die Konkursgläubiger sind zu solcher Vorschussleistung nicht verpflichtet (vgl. BGE 62 I 216), und es wird daher häufig dazu kommen, dass sowohl kleine wie grosse Gläubiger sie ablehnen, die kleinen aus Furcht vor weiteren Verlusten, die grossen in der Hoffnung, den Prozess dann als Abtretungsgläubiger im eigenen Interesse führen zu können. Ob die Auferlegung einer Prozesskaution an eine Konkursmasse im Hinblick auf diese aus dem Gesichtspunkt einer ordnungsgemässen Liquidation unerwünschten Folgen geradezu bundesrechtswidrig ist, wie die Beschwerdeführerin geltend macht, ist allerdings zweifelhaft, kann aber dahingestellt bleiben, da die vorliegend angefochtene Kautionsauflage nach dem Gesagten jedenfalls gegen den
BGE 85 I 140 S. 148
Grundsatz der Rechtsgleichheit verstösst und schon aus diesem Grunde aufzuheben ist.

Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Kassationsgerichtes des Kantons Zürich vom 17. April 1959 aufgehoben.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 1 2 3

Dispositiv

Referenzen

BGE: 85 I 21, 85 I 44

Artikel: § 59 Ziff. 5 ZPO, Art. 4 BV, Art. 286 ff. SchKG, § 59 Ziff. 2 ZPO mehr...