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Urteilskopf

104 Ib 199


34. Urteil vom 10. November 1978 i.S. Inderbitzin gegen Regierungsrat des Kantons Schwyz

Regeste

Gewässerschutz; Art. 9 Abs. 1 GSchG.
Enteignung des Durchleitungsrechts für den Bau einer Abwasserleitung verbunden mit einem Überbauverbot und einer Wegbedingung der sich aus Art. 693 ZGB ergebenden Ansprüche. Eine solche rechtliche Sicherung des Trasses einer öffentlichen Kanalisationsleitung ist in der Regel durch das Enteignungsrecht gemäss Art. 9 GSchG gedeckt.

Sachverhalt ab Seite 199

BGE 104 Ib 199 S. 199
Mit Beschluss vom 29. Oktober 1976 erwarb die Gemeinde Schwyz, gestützt auf eine entsprechende Ermächtigung des Regierungsrates des Kantons Schwyz, auf dem Enteignungsweg das Durchleitungsrecht für den Bau einer Abwasserleitung durch die dem Thomas Inderbitzin gehörende Parzelle Kat. Nr. 546 in Ibach. Die nach kantonalem Recht vom zuständigen Gemeinderat erlassene Enteignungsverfügung enthält folgende Umschreibung des beanspruchten Durchleitungsrechts:
"Das Recht bezieht sich auf den Bau, Betrieb und Unterhalt einer Leitung
mit 20 bis 50 cm Durchmesser samt den notwendigen Nebenanlagen
(Schacht). Das Recht gilt vorbehaltlos, namentlich darf Thomas Inderbitzin
weder die Verlegung der Leitung verlangen noch diese überbauen."
BGE 104 Ib 199 S. 200
Der Regierungsrat des Kantons Schwyz wies am 3. Januar 1978 die von Inderbitzin hiegegen eingereichte Beschwerde ab. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt Inderbitzin, es sei in Aufhebung der Beschlüsse des Gemeinderates und des Regierungsrates festzustellen, dass die Wegbedingung "der Bestimmung aus Art. 693 ZGB in dieser Form nicht zulässig sei". Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab aus folgenden

Erwägungen

Erwägungen:

1. Die in Frage stehende Enteignung wird auf Art. 9 Abs. 1 GSchG gestützt, der folgenden Wortlaut hat:
"Wenn Gründe des öffentlichen Wohles bestehen, kann die Kantonsregierung
das Enteignungsrecht selbst ausüben oder Gemeinden, andern
Korporationen des öffentlichen Rechtes, Zweckverbänden und privaten
Unternehmungen gewähren, damit sie die zur Errichtung von Anlagen
und Schutzzonen, die im Interesse des Gewässerschutzes geboten sind,
erforderlichen dinglichen Rechte erwerben können." Obschon der Kanton Schwyz auf die für Zwecke des Gewässerschutzes notwendigen Expropriationen nicht das eidgenössische, sondern das kantonale Enteignungsverfahren anwendbar erklärt (§ 9 kant. VV/GSchG vom 24. Oktober 1973), ist die hier strittige Gewährung des Enteignungsrechtes doch eine gemäss Art. 9 GSchG zu lösende Frage des Bundesrechts. Die Enteignung des Durchleitungsrechtes erfolgte in Anwendung von Art. 9 GSchG; gegen die letztinstanzliche kantonale Entscheidung in dieser Sache ist daher gemäss Art. 97 ff. OG die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig, weil es sich um eine auf öffentliches Recht des Bundes gestützte Verfügung (Art. 5 VwVG) handelt.

2. Über die Leitungsführung und die Anordnung des Schachtes bestehen zwischen den Parteien keine Differenzen mehr. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde bezieht sich ausschliesslich auf die Wegbedingung der aus Art. 693 ZGB sich ergebenden Rechte.
Die in den zwei Vernehmlassungen des Eidg. Departements des Innern mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck gebrachte Meinung, das Risiko einer spätern Verlegung hätte sich - ohne allzu grosse Kosten - vermutlich durch eine andere Leitungsführung (längs der Parzellengrenze) verringern lassen, ist hier nicht näher zu prüfen. Der Beschwerdeführer hat eine solche
BGE 104 Ib 199 S. 201
Änderung des Planes offenbar nie verlangt. Er macht auch im vorliegenden Verfahren nicht etwa geltend, wenn die Leitung längs der Parzellengrenze verlegt worden wäre, könnte er auf die Ansprüche aus Art. 693 ZGB verzichten. Ob in einem zur Zeit nicht eingezonten Gebiet im Hinblick auf eine in ferner Zukunft mögliche Überbauung die Durchschneidung einer Parzelle durch eine Kanalisationsleitung mit Mehrkosten von Fr. 17'000.- vermieden werden soll, obschon auch die technisch einfachere und billigere Lösung eine allfällige spätere Parzellierung und Überbauung keineswegs verhindert, kann hier dahingestellt bleiben. Die Leitungsführung wurde nicht angefochten und bildet daher nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

3. Zu prüfen bleibt, ob der mit einem Durchleitungsrecht belastete Grundeigentümer in jedem Fall das Recht behält, gemäss Art. 693 ZGB unter veränderten Verhältnissen eine seinen Interessen entsprechende Verlegung der Leitung zu verlangen oder ob das Gemeinwesen eine Dienstbarkeit enteignen kann, welche über das in Art. 691 ff. ZGB umschriebene Durchleitungsrecht hinausgeht und insbesondere einen allfälligen Anspruch des Belasteten auf künftige Leitungsverlegung ausschliesst.
a) Art. 693 ZGB, der für nachbarrechtliche Durchleitungen einen Verlegungsanspruch vorsieht und damit die Tragweite der Belastung erheblich vermindert, schafft nicht ein unabdingbares, durch Enteignung nicht aufhebbares Recht des mit irgendeiner Durchleitung belasteten Grundeigentümers. Es gibt Leitungen, die aus technischen Gründen nicht verlegt werden können (z.B. Hochspannungsleitungen in der Nähe eines Kraftwerkes oder Unterwerks) oder deren Verlegung so grosse Kosten verursachen würde, dass sie aus finanziellen Gründen nicht in Betracht kommt. Geht der Ersteller einer Leitung mit triftigen Gründen davon aus, er werde das einmal gewählte Leitungstrasse stets beanspruchen und könne das Risiko einer spätern Verlegung nicht auf sich nehmen, so wird er, soweit ihm das Enteignungsrecht zusteht, nicht nur die Durchleitung im Sinne von Art. 691 ff. beanspruchen, sondern die Einräumung einer seinen dauernden Bedürfnissen entsprechenden Dienstbarkeit verlangen. Die Enteignung für die Erstellung einer Durchleitung kann an sich ein Überbauungsverbot umfassen und den Verlegungsanspruch im Sinne von Art. 693 ZGB ausschliessen, sofern diese weitergehende Dienstbarkeit im öffentlichen Interesse
BGE 104 Ib 199 S. 202
liegt, also sachlich gerechtfertigt ist. Die stärkere Belastung der betroffenen Parzelle ist selbstverständlich entsprechend zu entschädigen.
b) Es besteht im allgemeinen ein erhebliches öffentliches Interesse daran, dass die Sammelleitungen der öffentlichen Kanalisation nicht überbaut werden, damit sie notfalls ohne Schwierigkeiten zugänglich sind. Aus technischen Gründen zur Wahrung optimaler Abflussverhältnisse und auch zur Vermeidung späterer zusätzlicher Kosten sollten die Abwasserleitungen der öffentlichen Kanalisation in der Regel nicht mit einem unbestimmten Verlegungsvorbehalt (Art. 693 ZGB) belastet, sondern auf unbestimmte Zeit gesichert sein. Finanzielle und technische Überlegungen sprechen für eine dauernde rechtliche Sicherung der einmal gewählten Leitungsführung. Das öffentliche Interesse an der Sicherung des einmal gewählten Trasses ist von erheblichem Gewicht und dürfte in der Regel das private Interesse an der uneingeschränkten künftigen Nutzung der betreffenden Parzelle weit überwiegen. Die Gründe des öffentlichen Wohles, die gemäss Art. 9 GSchG die Enteignung rechtfertigen, umfassen auch das Interesse an der Errichtung eines rechtlich gesicherten, leicht zugänglichen und nicht von Verlegungsbegehren bedrohten Netzes von öffentlichen Abwasserleitungen. Zwar ist denkbar, dass in besonderen Fällen der Verlegungsanspruch vorbehalten bleiben muss, weil die künftige Nutzung sich nicht abschätzen lässt und dem Gemeinwesen eine spätere Verlegung nach den für den Grundeigentümer auf dem Spiel stehenden Interessen zuzumuten ist. Grundsätzlich darf aber davon ausgegangen werden, dass die Konstanz und Unveränderlichkeit der Leitungsführung den Vorrang hat. Im übrigen ist es zunächst Sache des Erstellers der Anlage, im konkreten Fall abzuschätzen, ob er das vielleicht eher unwahrscheinliche Risiko einer spätern Leitungsverlegung in Kauf nehmen oder - gegen eine entsprechend höhere Entschädigung - ein unabänderliches Recht zur Durchleitung verbunden mit einem Überbauverbot beanspruchen will. Wird die Enteignung einer weitergehenden Dienstbarkeit zur Sicherung des Leitungstrasses verlangt, so muss von den zuständigen Behörden entschieden werden, ob das öffentliche Interesse für die Expropriation des beanspruchten dauernden Durchleitungsrechtes ausreicht oder ob die besondere Sachlage zur Wahrung des Verlegungsanspruchs des Grundeigentümers führt.
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Im vorliegenden Fall hat das Gemeinwesen sich entschlossen, die Parzelle des Beschwerdeführers in direkter Linie zu durchqueren. Das ist technisch die einfachste Lösung und hat im räumlichen Ausmass den geringsten Eingriff zur Folge. Sollte es je zur Überbauung des in Frage stehenden Grundstückes kommen, so würde die Sammelleitung verbunden mit dem Überbauungsverbot die Möglichkeit der Plazierung von Gebäuden etwas beeinträchtigen. Die Oberfläche über der Leitung kann aber stets für Strassen, Gartengebiet, Parkierungs- oder Lagerfläche benützt werden. Der Beschwerdeführer hat in keiner Weise dargetan, dass die beanspruchte Dienstbarkeit eine so erhebliche Behinderung der künftigen Überbauung zur Folge hätte, dass der verlangte Verzicht auf eine spätere Leitungsverlegung eine Beschränkung der Eigentümerbefugnisse wäre, welche im konkreten Fall eindeutig als schwerwiegender bezeichnet werden müsste, als die spätere Verlegung der Sammelleitung. Nur wenn die Interessenabwägung ergäbe, dass einerseits das private Eigentum in starkem Masse entwertet würde und anderseits diese Entwertung sich ohne Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses mit einer verhältnismässig einfachen und nicht sehr kostspieligen Leitungsverlegung vermeiden liesse, müsste die verlangte Sicherung des Leitungstrasses gemäss Art. 9 GSchG abgelehnt werden und der Anspruch auf spätere Leitungsverlegung gewahrt bleiben. Eine solche Interessenlage besteht hier nicht und wird vom Beschwerdeführer auch gar nicht behauptet.
c) Soweit eine Beeinträchtigung der Überbauungsmöglichkeit sich voraussehen lässt, handelt es sich nach den Akten um einen Eingriff, dessen Folgen sich durch eine Entschädigung angemessen abgelten lassen sollten und in ihrer Tragweite die Kosten einer nachträglichen Leitungsverlegung sicher nicht übersteigen.
Der Beschwerdeführer befürchtet, der Gemeinderat Schwyz wolle durch das gewählte Vorgehen eine besondere Entschädigung für das dauernde Bauverbot über der Leitung vermeiden. Es ist jedoch unbestritten, dass für das Bauverbot und die Wegbedingung des Verlegungsrechts eine Entschädigung bezahlt werden muss. Über die Höhe dieser Entschädigung ist in einem gesonderten Verfahren zu befinden. Das Bundesgericht hat sich zum Angebot der Gemeinde im vorgeschlagenen Dienstbarkeitsvertrag hier nicht zu äussern. Der Grundsatz der
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Entschädigungspflicht an sich wird vom Gemeinderat und vom Regierungsrat anerkannt.

4. Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die von einem Gemeinwesen verlangte rechtliche Sicherung des Trasses einer öffentlichen Kanalisationsleitung in der Regel durch das Enteignungsrecht gemäss Art. 9 GSchG gedeckt ist, da das öffentliche Interesse am Schutz vor einer Überbauung und vor Leitungsverlegungsbegehren im allgemeinen erheblich grösser ist, als das private Interesse des Grundeigentümers an der nachträglichen Beseitigung der durch die Durchleitung geschaffenen Behinderung der künftigen baulichen Nutzung. Diese grundsätzliche Interessenabwägung trifft auch im konkreten Fall zu. Es lassen sich den Rechtsschriften und den übrigen Akten keine Gesichtspunkte entnehmen, welche eine andere Wertung, d.h. einen klaren Vorrang des privaten Interesses an künftiger ungehinderter Überbauung, zu begründen vermöchten.

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Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 1 2 3 4

Referenzen

Artikel: Art. 693 ZGB, Art. 9 GSchG, Art. 9 Abs. 1 GSchG, Art. 97 ff. OG mehr...