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Urteilskopf

113 IV 126


34. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 29. September 1987 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau gegen D. (Nichtigkeitsbeschwerde)

Regeste

Art. 40 SVG, 16 Abs. 3 und 29 Abs. 4 VRV. Verwendung von Warnsignalen.
1. Die Verwendung des Blaulichts ohne Wechselklanghorn auf einer dringlichen Dienstfahrt (Ambulanz) kann insbesondere bei Dunkelheit den Verhältnissen angemessen sein.
2. Dringlichkeit einer Dienstfahrt (Art. 16 Abs. 3 VRV) fällt nicht nur bei Lebensgefahr, sondern prinzipiell bei jeder Verletzung in Betracht, die eine rasche Verlegung in ein Spital erfordert.

Sachverhalt ab Seite 126

BGE 113 IV 126 S. 126
Der in Samedan als Apotheker tätige D. ist Inhaber eines Krankentransportunternehmens. Am 20. Januar 1986 transportierte er mit eingeschaltetem Blaulicht eine Frau, die ein schweres Knietrauma links erlitten hatte und unter einem leichten Schock stand, von einem Arzt in St. Moritz zur Operation nach Bern. In dem von der Polizei kontrollierten Abschnitt auf der Autobahn N 1 von der Einfahrt Dietikon bis nach Neuenhof über eine Distanz von ca. 3 km fuhr er nachts bei bedecktem Himmel und leichtem Regen mit einer Geschwindigkeit von 110-120 km/h auf der zweiten Überholspur.
Mit Strafbefehl des Bezirksamts Baden vom 25. Juni 1986 wurde der Sanitätsfahrer D. unter anderem wegen missbräuchlicher Verwendung des Blaulichtes zu einer Busse von Fr. 120.-- verurteilt. Auf seine Einsprache hin sprach ihn das Bezirksgericht Baden am 10. Februar 1987 von diesem und den anderen Vorwürfen frei. Dieser Freispruch wurde vom Obergericht des Kantons Aargau am 9. Juli 1987 bestätigt.
BGE 113 IV 126 S. 127
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, den Freispruch aufzuheben und die Sache zur Bestrafung von D. wegen missbräuchlicher Verwendung des Blaulichts an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Nichtigkeitsbeschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. a) Ob, wie die Staatsanwaltschaft meint, die Beanspruchung des besonderen Vortrittsrechtes nur beim kumulativen Einsatz sowohl des Blaulichtes wie auch des Martinshornes zulässig ist, braucht vorliegendenfalls nicht entschieden zu werden, da dem Beschwerdegegner nicht vorgeworfen wird, das besondere Vortrittsrecht beansprucht zu haben. Zu entscheiden ist einzig, ob ein Verletztentransport unter den vorliegenden Umständen mit andauernd eingeschaltetem Blaulicht durchgeführt werden darf.
b) Das Gesetz regelt die Frage, wann Sanitätsfahrzeuge Blaulicht einsetzen dürfen, nur unvollkommen. Art. 27 Abs. 2 SVG sagt lediglich, wie sich andere Verkehrsbeteiligte beim Wahrnehmen der besonderen Warnsignale verhalten müssen. Art. 100 Ziff. 4 SVG gestattet unter gewissen Voraussetzungen Verkehrsregelverletzungen auf einer dringlichen Dienstfahrt. In Art. 16 Abs. 1 und 2 VRV werden die Pflichten der anderen Verkehrsteilnehmer konkretisiert und in Abs. 3 wird klargestellt, dass die besonderen Warnsignale nur gebraucht werden dürfen, solange die Fahrt dringlich ist. Art. 29 Abs. 4 VRV verbietet in Konkretisierung von Art. 40 SVG den unnötigen Einsatz von Blaulicht und Wechselklanghörnern.
c) Sonderregeln für dringliche Fahrten von Sanitätsfahrzeugen stellen eine Konkretisierung der Grundsätze betreffend den rechtfertigenden Notstand (Art. 34 Ziff. 2 StGB i.V.m. Art. 102 Ziff. 1 SVG) dar. Sie beruhen auf dem Grundgedanken, dass im Interesse von Leben und Gesundheit eines Menschen gewisse Verkehrsregelverletzungen hingenommen werden müssen (vgl. BGE 106 IV 1 ff.).
Vorliegendenfalls hatte D. von einem Arzt den Auftrag erhalten, einen medizinisch indizierten und als dringlich bezeichneten Patiententransport vorzunehmen. Er war also gehalten, die Patientin schnell und sicher von St. Moritz nach Bern zu transportieren. Die Fahrt mit Blaulicht war ein den Verhältnissen angemessenes Mittel
BGE 113 IV 126 S. 128
zur Erreichung dieses Zieles, indem er damit auch bei Respektierung der Höchstgeschwindigkeitsvorschriften schneller und, was vor allem für den transportierten Patienten von Bedeutung ist, in regelmässiger, durch wenige Bremsungen beeinträchtigte Fahrt vorankommen konnte. Von einer unnötigen Verwendung des Blaulichtes kann somit keine Rede sein. Vielmehr handelte es sich um einen angemessenen Gebrauch einer besonderen Warnvorrichtung auf einer dringlichen Fahrt.
Entgegen der Beschwerdeführerin ist Dringlichkeit nicht nur bei Lebensgefahr anzunehmen, sondern kommt prinzipiell bei jeder Verletzung in Betracht, die eine rasche Verlegung in ein bestimmtes Spital erforderlich macht. Dass D. sich trotz Dringlichkeit an die gesetzliche Höchstgeschwindigkeit gehalten hat, spricht nicht gegen den dringlichen Charakter der Fahrt, sondern dafür, dass er der Sicherheit des Transportes sowie der Verhältnismässigkeit der eingesetzten Mittel die nötige Beachtung geschenkt hat.
d) Auch aufgrund des Merkblattes über die Verwendung von Blaulicht und Wechselklanghorn (Beilage zum Kreisschreiben des EJPD vom 1. November 1974) muss das Verhalten des D. als korrekt bezeichnet werden. Dort wird nämlich ausgeführt, bei nächtlichen Einsatzfahrten könne "die Betätigung des Blaulichtes ohne Wechselklanghorn zur Lärmvermeidung solange angezeigt sein, als der Führer ohne wesentliche Abweichung von den Verkehrsregeln, und insbesondere ohne Beanspruchung eines besondern Vortritts, rasch vorankommt".

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 2

Referenzen

BGE: 106 IV 1

Artikel: Art. 40 SVG, Art. 16 Abs. 3 VRV, Art. 27 Abs. 2 SVG, Art. 100 Ziff. 4 SVG mehr...