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Urteilskopf

130 V 560


82. Urteil i.S. IV-Stelle des Kantons Aargau gegen Schweizerische Bundesbahnen SBB, betreffend D., und Versicherungsgericht des Kantons Aargau
I 202/04 vom 11. Oktober 2004

Regeste

Art. 52 Abs. 1, Art. 59 ATSG; Art. 103 lit. a OG: Einsprachelegitimation.
Die Legitimation zur Erhebung einer Einsprache ist in gleicher Weise zu beurteilen wie im erstinstanzlichen Beschwerdeverfahren nach Art. 59 ATSG und damit entsprechend der Praxis zu Art. 103 lit. a OG (Erw. 3.2).
Legitimation von Drittpersonen, insbesondere des Arbeitgebers, im Allgemeinen (Erw. 3.4-3.6).
Der Arbeitgeber ist nicht bereits deshalb legitimiert, gegen die einen Rentenanspruch verneinende Verfügung der IV-Stelle Einsprache zu erheben, weil die Zusprechung einer Rente seine Lohnfortzahlungspflicht reduzieren würde oder er die Drittauszahlung verlangen könnte (Erw. 4).

Sachverhalt ab Seite 561

BGE 130 V 560 S. 561

A. Der 1944 geborene, bei den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) angestellte D. meldete sich am 9. Oktober 2000 bei der Invalidenversicherung an und beantragte eine Rente. Die IV-Stelle des Kantons Aargau lehnte das Leistungsbegehren mit Verfügung vom 20. Juni 2003 ab. Dagegen erhoben die SBB Einsprache, auf welche die Verwaltung mit Entscheid vom 4. September 2003 nicht eintrat. Zur Begründung wurde erklärt, die Arbeitgeberin sei nicht legitimiert, die Verfügung anzufechten.

B. In Gutheissung der hiegegen erhobenen Beschwerde hob das Versicherungsgericht des Kantons Aargau den Einspracheentscheid auf und wies die Sache zur weiteren Behandlung im Sinne der Erwägungen an die IV-Stelle zurück (Entscheid vom 24. März 2004).

C. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde stellt die IV-Stelle das Rechtsbegehren, es sei der kantonale Entscheid aufzuheben.
Die SBB schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) deren Gutheissung beantragt.

Erwägungen

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1. Streitig und zu prüfen ist einzig, ob das kantonale Gericht den Entscheid der IV-Stelle, auf die gegen die Verfügung vom 20. Juni 2003 erhobene Einsprache nicht einzutreten, zu Recht aufgehoben hat. Die strittige Verfügung hat somit nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Eidgenössische Versicherungsgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

2. Die Beschwerdegegnerin macht in der vorinstanzlichen Beschwerdeschrift sowie in ihrer Vernehmlassung und der zusätzlichen Stellungnahme vom 12. August 2004 geltend, sie sei gemäss Gesamtarbeitsvertrag verpflichtet, bei Arbeitsverhinderung wegen
BGE 130 V 560 S. 562
Krankheit oder Unfall den Lohn während einer Dauer von bis zu zwei Jahren weiterhin auszurichten. Taggeld- und Rentenleistungen von Sozialversicherungen würden jedoch angerechnet. Bei Zusprechung einer Rente der Invalidenversicherung reduziere sich daher der Lohnfortzahlungsanspruch. Sie als Arbeitgeberin habe damit ein schutzwürdiges Interesse an der Abänderung der einen Rentenanspruch verneinenden Verwaltungsverfügung und sei deshalb zu deren Anfechtung legitimiert. Die Vorinstanz gelangte zum gleichen Ergebnis. Sie erwog, die Lohnfortzahlung stelle eine Vorschussleistung im Hinblick auf allfällige Ansprüche des Arbeitnehmers gegenüber der Invalidenversicherung dar. Die Arbeitgeberin sei daher berechtigt, die direkte Auszahlung von Rentennachzahlungen an sich selbst zu verlangen. Denjenigen Personen, welche eine derartige Drittauszahlung beanspruchen können, sei Parteistellung (Art. 34 ATSG) einzuräumen, und mit dieser sei die Legitimation zur Erhebung von Rechtsmitteln verbunden. Die Beschwerde führende IV-Stelle macht demgegenüber geltend, die Frage einer Drittauszahlung habe sich vorliegend nicht gestellt. Die Arbeitgeberin werde daher durch die Verfügung vom 20. Juni 2003 in ihren Rechten und Pflichten nicht berührt. Dieselbe Auffassung vertritt das BSV.

3.

3.1 Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Dessen verfahrensrechtliche Neuerungen sind - sofern nicht bereits unter dem bisherigen Recht eine Rechtsmittelfrist zu laufen begonnen hat und soweit mit dem neuen Recht keine grundlegend neue Verfahrensordnung geschaffen wurde - prinzipiell mit dem Tag ihres In-Kraft-Tretens sofort und in vollem Umfang anwendbar (BGE 130 V 4 Erw. 3.2, BGE 130 V 93 Erw. 3.2, 220 Erw. 3.2, BGE 129 V 115 Erw. 2.2, je mit Hinweisen). Da die Verfügung der IV-Stelle am 20. Juni 2003 und somit unter der Geltung des neuen Rechts erging, richtet sich das Verfahren vorbehältlich abweichender spezialgesetzlicher Bestimmungen nach dem ATSG (Art. 1 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 2 ATSG).

3.2 Gemäss Art. 52 Abs. 1 ATSG kann gegen Verfügungen, mit Ausnahme der prozess- und verfahrensleitenden Entscheide, Einsprache erhoben werden. Wer dazu legitimiert ist, lässt sich der Norm nicht entnehmen. Aus dem Grundsatz der Einheit des
BGE 130 V 560 S. 563
Verfahrens (BGE 122 V 375 mit Hinweisen; vgl. auch Art. 98a Abs. 3 OG) ergibt sich indessen, dass die entsprechenden Voraussetzungen nicht enger umschrieben werden können als im nachfolgenden gerichtlichen Beschwerdeverfahren. Mit Blick auf die mit der Einführung des Einspracheverfahrens bezweckte nochmalige Überprüfung der Sache durch die Verwaltung vor einer allfälligen Inanspruchnahme der Gerichte (vgl. UELI KIESER, ATSG-Kommentar: Kommentar zum Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000, Zürich 2003, N 2 und 4 zu Art. 52) rechtfertigt es sich andererseits nicht, die Legitimationsvoraussetzungen für die Einsprache weiter zu fassen als im Beschwerdeverfahren. Die Befugnis zur Erhebung einer Einsprache ist daher in gleicher Weise zu bestimmen wie für das kantonale Beschwerdeverfahren nach Art. 59 ATSG (KIESER, a.a.O., N 29 zu Art. 52). Danach ist zur Beschwerde berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Diese Begriffe sind ebenso auszulegen wie für das bundesrechtliche Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren nach Art. 103 lit. a OG (BGE 130 V 390 f. Erw. 2.2; Urteil M. vom 18. Dezember 2003, C 221/03, Erw. 2).

3.3 Nach Art. 103 lit. a in Verbindung mit Art. 132 OG ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidgenössische Versicherungsgericht berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Die Rechtsprechung betrachtet als schutzwürdiges Interesse im Sinne von Art. 103 lit. a OG jedes praktische oder rechtliche Interesse, welches eine von einer Verfügung betroffene Person an deren Änderung oder Aufhebung geltend machen kann. Das schutzwürdige Interesse besteht somit im praktischen Nutzen, den die Gutheissung der Beschwerde dem Verfügungsadressaten verschaffen würde, oder - anders ausgedrückt - im Umstand, einen Nachteil wirtschaftlicher, ideeller, materieller oder anderweitiger Natur zu vermeiden, welchen die angefochtene Verfügung mit sich bringen würde. Das rechtliche oder auch bloss tatsächliche Interesse braucht somit mit dem Interesse, das durch die von der Beschwerde führenden Person als verletzt bezeichnete Norm geschützt wird, nicht übereinzustimmen. Immerhin wird verlangt, dass die Person durch die angefochtene Verfügung stärker als jedermann betroffen ist und in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache steht (BGE 127 V 3 Erw. 1b, BGE 127 V 82
BGE 130 V 560 S. 564
Erw. 3a/aa, BGE 125 V 342 Erw. 4a, je mit Hinweisen). Diesem Erfordernis kommt dann eine ganz besondere Bedeutung zu, wenn nicht der Verfügungsadressat im materiellen Sinn, sondern ein Dritter den Entscheid anficht (BGE 127 V 82 Erw. 3a/aa mit Hinweisen).

3.4 Die Beschwerdegegnerin als Arbeitgeberin des Versicherten ist weder im formellen noch im materiellen Sinn Adressatin der streitigen Verfügung. Ihre Legitimation ist daher nach den für eine Drittbeschwerde geltenden Regeln zu beurteilen. Die besondere, beachtenswerte, nahe Beziehung zur Streitsache, welche als Umschreibung des in Art. 103 lit. a OG erwähnten Erfordernisses des Berührtseins verstanden werden kann (ISABELLE HÄNER, Die Beteiligten im Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, Zürich 2000, S. 251 f. Rz 521), ist mit Bezug auf den oder die Verfügungsadressaten regelmässig erfüllt, sodass ihm nur in Ausnahmefällen selbstständige Bedeutung zukommt. Dagegen sind Dritte durch die Verfügung als solche definitionsgemäss insofern nicht "berührt", als diese ihnen nicht direkt Rechte einräumt oder Pflichten auferlegt (BGE 125 V 343 Erw. 4a). Ihre Legitimation setzt neben dem Bestehen eines tatsächlichen, beispielsweise wirtschaftlichen Interesses am Inhalt der streitigen Verfügung voraus, dass eine hinreichende Beziehungsnähe (PIERRE MOOR, Droit administratif, Bd. II: Les actes administratifs et leur contrôle, 2. Aufl., Bern 2002, S. 630 Nr. 5.6.2.1; RHINOW/ KOLLER/KISS, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht des Bundes, Basel 1996, S. 243 Rz 1274) respektive eine Betroffenheit von genügender Intensität (HÄNER, a.a.O., S. 254 Rz 527) vorliegt, was mit Bezug auf die konkrete Konstellation geprüft werden muss (vgl. BGE 125 V 343 Erw. 4a).

3.5 Bei der Beurteilung der Intensität der Betroffenheit ist danach zu unterscheiden, ob das Rechtsmittel gegen eine den Verfügungsadressaten begünstigende Verfügung gerichtet ist (Drittbeschwerde "contra Adressat", vgl. GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 158 f.; HÄNER, a.a.O., S. 327 Rz 711 ff.), oder ob es, wie vorliegend, zu dessen Gunsten erhoben werden soll (Drittbeschwerde "pro Adressat"; GYGI, a.a.O., S. 161 f.; HÄNER, a.a.O., S. 351 Rz 761 ff.). Wenn im letzteren Fall der Verfügungsadressat selbst kein Rechtsmittel ergreift, kommt die Legitimation des Dritten ausserhalb förmlicher gesetzlicher Anerkennung nur in Betracht, wenn der Dritte ein selbstständiges, eigenes Rechtsschutzinteresse an der Beschwerdeführung für sich in Anspruch nehmen kann (nicht
BGE 130 V 560 S. 565
veröffentlichtes Urteil C. des Bundesgerichts vom 26. Oktober 1995, 2A.309/1993; RHINOW/KOLLER/KISS, a.a.O., S. 244 f. Rz 1277; GYGI, Vom Beschwerderecht in der Bundesverwaltungsrechtspflege, in: recht 1986 S. 10 f.; vgl. auch HÄNER, a.a.O., S. 355 Rz 766 ff., mit weiteren Hinweisen).
Der Umstand, dass jemand Gläubiger des Verfügungsadressaten ist, genügt bei der Drittbeschwerde "pro Adressat" nicht, um das schutzwürdige Interesse und damit die Beschwerdelegitimation zu begründen (BGE 101 V 123 Erw. 1b; ZAK 1979 S. 123 Erw. 2b; nicht veröffentlichtes Urteil C. des Bundesgerichts vom 26. Oktober 1995, 2A.309/1993). Ein faktisches (wirtschaftliches) Interesse an einer Abänderung der Verfügung ist diesfalls zwar gegeben. Die notwendige Beziehungsnähe liegt jedoch nur vor, wenn der Drittperson durch die streitige Verfügung ein unmittelbarer Nachteil entsteht (BGE 125 V 343 Erw. 4a mit Hinweisen). Die Gläubigereigenschaft allein reicht dafür nicht aus. Aus dem selben Grund verneinte das Eidgenössische Versicherungsgericht die Beschwerdebefugnis eines Privatversicherers gegen die Leistungen verweigernde Verfügung der obligatorischen Unfallversicherung. Es erwog, der Umstand, dass der Privatversicherer durch einen Entscheid anderen Inhalts in die Lage versetzt würde, seine Leistungen zu kürzen, stelle lediglich eine Reflexwirkung der an die versicherte Person gerichteten Verfügung des Unfallversicherers dar. Die erforderliche unmittelbare nachteilige Auswirkung auf die Situation des Privatversicherers sei deshalb nicht gegeben (BGE 125 V 345 oben Erw. 4d).

3.6 Die Rechtsmittellegitimation des Arbeitgebers zu Gunsten des Arbeitnehmers wurde im Bereich der Arbeitslosenversicherung bejaht für den Fall, dass jener, wenn die streitige Verfügung Bestand haben sollte, während einer Arbeitsunterbrechung zur Lohnzahlung verpflichtet wäre (ARV 1979 Nr. 22 S. 113, Nr. 25 S. 124). Mit Bezug auf die obligatorische Unfallversicherung erkannte das Eidgenössische Versicherungsgericht, der Arbeitgeber, welcher einen Teil der Versicherungsprämien bezahlt und nach einem Unfall den Lohn vorgeschossen habe, sei durch eine Verfügung, welche dem verunfallten Arbeitnehmer die Versicherteneigenschaft abspricht oder einen Leistungsanspruch verneint, offensichtlich betroffen und habe ein schutzwürdiges Interesse an ihrer Aufhebung (BGE 106 V 222 Erw. 1; RKUV 1989 Nr. U 73 S. 239 Erw. 1b). In BGE 120 V 39 Erw. 2b war die Frage zu entscheiden, ob die Arbeitgeberin befugt
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sei, den eine bei ihr angestellte Person betreffenden Entscheid anzufechten, mit welchem der Krankenversicherer die Ausrichtung von Taggeldern verweigert hatte. Das Gericht erwog, die Beschwerdeführerin sei Partei des Kollektivversicherungsvertrages und zumindest teilweise für die Prämien aufgekommen. Damit müsse ihr zweifellos ein erhebliches Interesse an der korrekten Ausrichtung der versicherten Leistungen zugebilligt werden. Angesichts der aus Art. 324a OR folgenden, bei Ausbleiben der vereinbarten Versicherungsleistungen allenfalls aktuell werdenden Lohnfortzahlungspflicht sei ihr Interesse an der Aufhebung oder Änderung der angefochtenen Verfügung auch als schutzwürdig im Sinne von Art. 103 lit. a OG zu qualifizieren. Mit Bezug auf die Familienzulagen in der Landwirtschaft wurde der Arbeitgeber ebenfalls als zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert erachtet, dies in Analogie zur arbeitslosenversicherungsrechtlichen Praxis (BGE 120 V 498 Erw. 1b/bb am Ende). Nicht gegeben war dagegen die Legitimation der Arbeitgeberin zur Anfechtung einer Verfügung, mit welcher die Versicherteneigenschaft einiger Angestellter verneint und die Rückerstattung der bezahlten AHV/IV/EO-Beiträge angeordnet wurde. Die der Arbeitgeberin entstehenden Unannehmlichkeiten reichten nicht aus, um die Beschwerdelegitimation zu begründen (BGE 110 V 150 f. Erw. 2c).

4.

4.1 Falls der Versicherte eine Rente der Invalidenversicherung zugesprochen erhält, wird die Beschwerdegegnerin von ihrer Pflicht zur Lohnfortzahlung teilweise befreit. Diese Rechtsfolge ist gesamtarbeitsvertraglich vorgesehen und würde (in anderem Rahmen) auch von Gesetzes wegen eintreten (Art. 324b OR ist bei Zusprechung einer Rente der Invalidenversicherung anwendbar, sofern die Erwerbseinbusse direkt auf die Invalidität zurückgeht [nicht veröffentlichtes Urteil S. des Bundesgerichts vom 28. April 1998, 4C.499/1997]). Laut der vorstehend wiedergegebenen Rechtsprechung genügt dieses wirtschaftliche Interesse jedoch bei einer Drittbeschwerde "pro Adressat" für sich allein nicht, um die Legitimation zu begründen, sondern es ist zusätzlich erforderlich, dass der Beschwerdegegnerin aus der streitigen Verfügung ein unmittelbarer Nachteil erwächst. Die zitierten, die Legitimation des Arbeitgebers bejahenden Urteile begründeten dieses Ergebnis einerseits mit den direkten Auswirkungen des Entscheids auf seine Leistungspflicht gegenüber der versicherten Person und andererseits mit dem
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engen Zusammenhang der jeweiligen Versicherung zum konkreten Arbeitsverhältnis. Ein solcher wurde neben der Arbeitslosenversicherung insbesondere für die obligatorische Unfallversicherung, welche ebenfalls eine Arbeitnehmerversicherung darstellt (vgl. Art. 1a UVG), sowie hinsichtlich einer von der Arbeitgeberin für ihr Personal abgeschlossenen Krankentaggeldversicherung bejaht. Diese Beurteilung lässt sich jedoch nicht auf die Eidgenössische Invalidenversicherung übertragen. Letztere ist als Versicherung für die gesamte Bevölkerung konzipiert (Art. 1b IVG in Verbindung mit Art. 1a AHVG) und vom Bestehen eines Anstellungsverhältnisses unabhängig. Im bereits zitierten Entscheid BGE 110 V 150 f. Erw. 2c wurde denn auch die Legitimation des Arbeitgebers zur Anfechtung einer die Versicherteneigenschaft seiner Angestellten in der AHV/IV/EO betreffenden Verfügung verneint und dies unter anderem, in bewusstem Gegensatz zur obligatorischen Unfallversicherung, mit der Rechtsnatur dieser Versicherungszweige begründet. Das Gericht erwog, letztere seien einzig im Interesse der versicherten Personen geschaffen worden und dienten nicht dem Zweck, die Arbeitgeberin von irgendwelchen rechtlichen Verpflichtungen zu entlasten (BGE 110 V 151 Erw. 2c). Im Zusammenhang mit der Anfechtung einer Leistungsverfügung ist die Legitimation nicht anders zu beurteilen. Die Verbindung zwischen der umstrittenen Verfügung und dem der Beschwerdegegnerin entstehenden wirtschaftlichen Nachteil weist somit nicht bereits deshalb die praxisgemäss erforderliche Unmittelbarkeit auf, weil das wirtschaftliche Interesse der Beschwerdegegnerin ihre Eigenschaft als Arbeitgeberin betrifft.

4.2 Die Vorinstanz erachtete es als entscheidend, dass die Beschwerdegegnerin Vorschussleistungen im Hinblick auf eine allfällige Rente der Invalidenversicherung erbracht habe und deshalb gemäss Art. 22 Abs. 2 ATSG sowie (für die Zeit bis Ende 2002) Art. 50 Abs. 2 IVG in Verbindung mit Art. 85bis IVV die direkte Auszahlung einer entsprechenden Nachzahlung verlangen könne. Denjenigen Personen, welche berechtigt sind, die Drittauszahlung zu verlangen, sei im Sinne von Art. 34 ATSG Parteistellung einzuräumen. Damit verbunden sei die Befugnis, einen Entscheid auf dem Rechtsmittelweg anzufechten.
Nach der Rechtsprechung ist ein Arbeitgeber, dessen Gesuch um Drittauszahlung einer Rente abgelehnt wurde, berechtigt, gegen
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den Entscheid über den Auszahlungsmodus Beschwerde und gegen den diesbezüglichen Entscheid Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu erheben (nicht veröffentlichte Urteile S. vom 30. Dezember 1994, I 142/94, und E. vom 14. Mai 1986, I 350/85). Eine darüber hinausgehende, also nicht nur den Auszahlungsmodus, sondern den grundsätzlichen und umfangmässigen Leistungsanspruch als solchen betreffende Beschwerdebefugnis wurde ihm dagegen im Bereich der Invalidenversicherung nicht zuerkannt. Die Nennung der im Sinne von Art. 20 oder Art. 22 Abs. 2 ATSG eine Drittauszahlung verlangenden Person als Partei gemäss Art. 34 ATSG bei KIESER, (a.a.O., S. 380, N 7 zu Art. 34), auf welchen sich die Vorinstanz beruft, dürfte sich denn auch, wie die Beschwerdeführerin annimmt, auf die Situation beziehen, dass der Auszahlungsmodus streitig ist. Der Umstand, dass die Drittauszahlung der Rente an die Beschwerdegegnerin als Arbeitgeberin in Frage kommen könnte, begründet daher deren Legitimation zur Anfechtung eines Entscheids, welcher den Rentenanspruch verneint, ebenfalls nicht.

4.3 Die Legitimation, einen bestimmten Anspruch auf dem Rechtsmittelweg geltend zu machen, steht in einem engen Zusammenhang mit der Befugnis, die versicherte Person bei der Verwaltung zum Bezug der entsprechenden Leistung anzumelden. Nach dem Grundsatz der Einheit des Prozesses vermittelt das im Rahmen von Art. 103 lit. a OG (und den damit inhaltsgleichen Normen) erforderliche Rechtsschutzinteresse auch bereits den Anspruch auf Erlass einer Verfügung (GYGI, a.a.O., S. 153). Ist eine Person berechtigt, die Anmeldung vorzunehmen, kommt ihr deshalb regelmässig auch die Legitimation zu, den streitigen Anspruch im Verwaltungsprozess selbstständig zu verfolgen (BGE 120 V 438 Erw. 2a mit Hinweisen). Gemäss dem seit 1. Januar 1984 in Kraft stehenden Art. 66 Abs. 1 IVV sind zur Geltendmachung des Anspruchs befugt: Der Versicherte, sein gesetzlicher Vertreter sowie Behörden oder Dritte, die den Versicherten regelmässig unterstützen oder dauernd betreuen. Behörden und Dritte, welche diese Voraussetzungen erfüllen, können auch die entsprechenden Entscheide auf dem Rechtsmittelweg weiterziehen (nicht veröffentlichtes Urteil P. vom 22. August 1995, I 32/95). Die Erfüllung der gesamtarbeitsvertraglich statuierten Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Lohnfortzahlung stellt jedoch keine regelmässige Unterstützung im Sinne von Art. 66 Abs. 1 IVV dar. Die Beschwerdegegnerin war demzufolge nach den invalidenversicherungsrechtlichen Bestimmungen nicht befugt, den
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Leistungsanspruch geltend zu machen. Dieser bereichsspezifischen, kompetenzgemäss auf Verordnungsstufe erlassenen Regelung ist bei der Auslegung der Legitimationsbestimmungen Rechnung zu tragen. Sie bildet keine Grundlage für die Bejahung der Legitimation der Beschwerdegegnerin zur Anfechtung der Verfügung vom 20. Juni 2003. Im Gegenteil steht sie - im Lichte der Einheit des Prozesses - einer solchen Lösung entgegen.

4.4 Wie das BSV zu Recht darlegt, erschiene die Bejahung einer generellen Rechtsmittellegitimation der zur Lohnfortzahlung verpflichteten Arbeitgeber im Rentenbereich der Invalidenversicherung auch mit Blick auf die damit verbundenen Parteirechte, etwa bezüglich Akteneinsicht, als problematisch. Während der rechtserhebliche Sachverhalt in den Bereichen der Arbeitslosenversicherung, der obligatorischen Unfallversicherung - jedenfalls solange die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers andauert -, der Krankentaggeldversicherung und der Familienzulagen in der Landwirtschaft regelmässig vergleichsweise klar begrenzt ist, hat die Invalidenversicherung den Gesundheitszustand einer Person in seiner Gesamtheit zu berücksichtigen. Die damit verbundenen Untersuchungen und deren Ergebnisse weisen deshalb ein weit höheres Mass an persönlichkeitsrechtlicher Sensibilität und Relevanz auf. Die einschränkende Regelung der Berechtigung zur Geltendmachung des Anspruchs in Art. 66 IVV trägt diesem Umstand Rechnung (vgl. BGE 120 V 438 Erw. 2b mit Hinweisen). Dieser Aspekt spricht ebenfalls dagegen, die Legitimation des Arbeitgebers im Rahmen der geltenden Normenlage generell zu bejahen. Falls eine Relativierung des persönlichkeitsschutzrechtlichen Gesichtspunktes zu Gunsten anderer Interessen als angezeigt erschiene, wäre es Sache der Organe von Gesetz- oder allenfalls Verordnungsgebung, die Rechtsgrundlagen entsprechend auszugestalten.

5. Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz die Legitimation der Beschwerdegegnerin zur Erhebung einer Einsprache gegen die Verfügung vom 20. Juni 2003 zu Unrecht bejaht. Ihr Entscheid ist dementsprechend aufzuheben. Das Verfahren ist kostenpflichtig (Umkehrschluss aus Art. 134 OG). Die Gerichtskosten sind ausgangsgemäss der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).

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