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Urteilskopf

81 IV 124


26. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 6. Mai 1955 i.S. S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz.

Regeste

Art. 335 Ziff. 1 Abs. 1 StGB.
Die Kantone können nicht die einfache widernatürliche Unzucht als Übertretung mit Strafe bedrohen.

Sachverhalt ab Seite 125

BGE 81 IV 124 S. 125

A.- S. traf in der Nacht vom 5./6. November 1953, angetrunken aus einem Wirtshaus kommend, den K., der ebenfalls Wirtshäuser besucht hatte. Die beiden gingen auf Vorschlag K.s, der den andern als Homosexuellen kannte und bei ihm Geld zu verdienen hoffte, an einen abgelegenen Ort. Dort griffen sie sich gegenseitig an das Geschlechtsglied. Da S. kein Geld geben wollte, kam es zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf S. den K. mit einem Messer in die Schulter stach.

B.- S. wurde vom Kantonsgericht von Schwyz am 28. Juni 1954 wegen einfacher Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) und einfacher widernatürlicher Unzucht (§ 18 Abs. 1 EG zum StGB) zu einer bedingt löschbaren Busse von Fr. 40.- verurteilt. Der Einrede des S., § 18 Abs. 1 EG zum StGB sei bundesrechtswidrig, hielt es entgegen, die einfache widernatürliche Unzucht erschöpfe sich nicht in einem Verstoss gegen die Sittlichkeit, als was die Kantone sie kaum mit Strafe bedrohen dürften, sondern sie verletze auch die öffentliche Ordnung, da es, wie auch der vorliegende Fall zeige, im Anschluss an solche Handlungen sehr oft zu tätlichen Auseinandersetzungen komme. Recht oft komme es, worauf im Ständerat hingewiesen worden sei, auch zu Erpressungen, wenn jemand widernatürliche Unzucht getrieben habe. Ausserdem belästigten die sogenannten Strichjungen die Öffentlichkeit. Als Verstoss gegen die öffentliche Ordnung regle das Strafgesetzbuch die einfache widernatürliche Unzucht weder positiv noch negativ. Somit sei die Ahndung solcher Handlungen dem kantonalen Übertretungsstrafrecht anheimgestellt.

C.- S. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Freisprechung. In der Verurteilung wegen einfacher widernatürlicher Unzucht sieht er einen Verstoss gegen Bundesrecht, weil in den Beratungen über das Strafgesetzbuch zum Ausdruck gekommen sei, dass solche Handlungen straflos zu bleiben hätten und die Übertretungstatbestände auf dem Gebiete der Sittlichkeit in Art. 205 ff. StGB abschliessend geregelt seien.
BGE 81 IV 124 S. 126

D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz beantragt, die Nichtigkeitsbeschwerde sei abzuweisen.

Erwägungen

Der Kassationshof zieht in Erwägung:

3. Art. 335 Ziff. 1 Abs. 1 StGB behält den Kantonen die Gesetzgebung über das Übertretungsstrafrecht soweit vor, als es nicht Gegenstand der Bundesgesetzgebung ist.
Nach der Rechtsprechung des Kassationshofes zu dieser Bestimmung (BGE 68 IV 41, 110,BGE 70 IV 85, 132,BGE 71 IV 47) sind die Kantone nicht schon dann berechtigt, einen bestimmten Tatbestand zur Übertretung zu erheben, wenn er nicht vom eidgenössischen Recht mit Strafe bedroht ist. Die Nichtaufnahme eines Tatbestandes in das Strafgesetzbuch kann bedeuten, dass er überhaupt straflos bleibe, also auch nicht als kantonale Übertretung geahndet werden dürfe. Diesen Sinn hat das Schweigen des Strafgesetzbuches dann, wenn dieses Gesetz die Angriffe auf ein bestimmtes Rechtsgut durch ein geschlossenes System von Normen regelt. Behandelt es dagegen ein bestimmtes strafrechtliches Gebiet überhaupt nicht, oder stellt es nur einige wenige Tatbestände daraus unter Strafe, um den von Kanton zu Kanton wechselnden Ansichten über die Strafwürdigkeit oder Straflosigkeit einer bestimmten Handlung Rechnung zu tragen, so bleibt Raum für kantonales Übertretungsstrafrecht.
Für das Gebiet der Unzucht zwischen Personen gleichen Geschlechts enthält das Strafgesetzbuch ein geschlossenes System von Normen. Abgesehen von den Tatbeständen der Nötigung zu unzüchtigen Handlungen (Art. 188), Schändung (Art. 189), Unzucht mit Schwachsinnigen, Kindern unter sechzehn Jahren, unmündigen Pflegebefohlenen, Anstaltspfleglingen und dergleichen (Art. 190-193), die sowohl heterosexuelle als auch homosexuelle Handlungen umfassen, regelt es in Art. 194 die ausgezeichneten Fälle widernatürlicher Unzucht, nämlich die Verführung Unmündiger zur Vornahme oder Duldung solcher Handlungen
BGE 81 IV 124 S. 127
(Abs. 1), deren Erwirkung durch Missbrauch der Notlage, eines Amts- oder Dienstverhältnisses oder einer auf ähnliche Weise begründeten Abhängigkeit (Abs. 2) und die gewerbsmässigen unzüchtigen Handlungen mit Personen gleichen Geschlechts (Abs. 3). Damit bringt es zum Ausdruck, dass der Bundesgesetzgeber nur diese schweren Fälle als strafwürdig erachtet, einfache widernatürliche Unzucht dagegen straflos zu bleiben hat. Dass das die Meinung der gesetzgebenden Behörden war, ergibt sich klar auch aus den Beratungen der Bundesversammlung, die, nicht ohne Widerstand, Art. 194 gutgeheissen hat (vgl. StenBull, Sonderausgabe, NatR 376 ff., 392 ff., 519 ff., StR 189 ff.).
Ob die Kantone dennoch berechtigt wären, einfache widernatürliche Unzucht als Verstoss gegen die öffentliche Ordnung mit Übertretungsstrafe zu belegen, kann sich nicht fragen, da ein Verstoss gegen die öffentliche Ordnung nicht vorliegt. Die einfache widernatürliche Unzucht tritt öffentlich sowenig in Erscheinung wie z.B. die einfache Unzucht zwischen Personen verschiedenen Geschlechts, die von Bundesrechts wegen straflos zu bleiben hat (BGE 68 IV 110). Auch spielen sich die damit gelegentlich verbundenen Tätlichkeiten und Erpressungen ihrem Wesen nach nicht in der Öffentlichkeit ab. Das Treiben der Strichjungen sodann fällt unter Art. 194 Abs 3 und gegebenenfalls unter Art. 205 oder 206 StGB; dass die einfache widernatürliche Unzucht gegen die öffentliche Ordnung verstosse, ergibt sich aus ihm nicht.
§ 18 des schwyzerischen EG zum StGB, wonach mit Haft oder Busse zu bestrafen sei, wer an einer Person des gleichen Geschlechtes im Alter von mehr als sechzehn Jahren eine unzüchtige Handlung verübt oder an sich eine solche Handlung von einer Person des gleichen Geschlechtes duldet, ist somit bundesrechtswidrig. Die Vorinstanz hat den Beschwerdeführer von der Anschuldigung der einfachen widernatürlichen Unzucht freizusprechen.
BGE 81 IV 124 S. 128

Dispositiv

Demnach erkennt der Kassationhof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird dahin teilweise gutgeheissen, dass das Urteil des Kantonsgerichtes von Schwyz vom 28. Juni 1954 aufgehoben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers von der Anklage der einfachen widernatürlichen Unzucht und zur Bestrafung wegen einfacher Körperverletzung an die Vorinstanz zurückgewiesen wird.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 3

Dispositiv

Referenzen

Artikel: Art. 335 Ziff. 1 Abs. 1 StGB, Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 StGB, Art. 205 ff. StGB, Art. 205 oder 206 StGB