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Urteilskopf

101 II 339


57. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 4. Dezember 1975 i.S. Sch. gegen "Patria" Schweiz. Lebensversicherungs-Gesellschaft auf Gegenseitigkeit.

Regeste

Rücktrittsrecht des Versicherers vom Versicherungsvertrag wegen Verletzung der Anzeigepflicht durch den Versicherten (Art. 6 VVG).
Im Hinblick auf das Art. 6 VVG zugrundeliegende Vertrauensprinzip sollte der Versicherer bei der unrichtigen Beantwortung der Fragen nach Gefahrstatsachen durch den Versicherten nur dann eine Verletzung der Anzeigepflicht geltend machen und vom Versicherungsvertrag zurücktreten können, wenn die Fragen im Versicherungsantrag allgemeinverständlich abgefasst sind.

Sachverhalt ab Seite 340

BGE 101 II 339 S. 340
Aus dem Sachverhalt:

A.- Sch. unterzeichnete am 15. Januar 1969 als Antragsteller und zu versichernde Person ein ihm vom Agenten S. der Versicherungsgesellschaft "PATRIA" vorgelegtes Antragsformular für eine Einzel-Krankenversicherung. Gestützt darauf kam mit Wirkung ab 1. Februar 1969 ein Krankenversicherungsvertrag zustande. Das Antragsformular enthielt unter der Ziffer IV eine Reihe von Fragen über den Gesundheitszustand des Sch. Auf die Frage, von welchen Ärzten er in den letzten fünf Jahren behandelt oder untersucht worden sei, lautete die Antwort: (Von) "keinem". Auch die Frage, ob im gleichen Zeitraum eine Urin-, Blut-, Röntgenuntersuchung oder ein Elektrokardiogramm gemacht worden sei, wurde mit "nein" beantwortet. Das gleiche trifft sodann für eine ganze Anzahl von Fragen nach besonderen Krankheiten oder gesundheitlichen Beschwerden zu, die in Ziffer IV/6 unter lit. a) - 1) aufgeführt waren und mit dem Satz eingeleitet wurden:
"Haben Sie oder hatten Sie jemals: ...". Insbesondere wurde die in lit. f) enthaltene Frage nach "Rheumatismus, Lumbago, Ischias, Erkrankungen oder Verletzungen der Wirbelsäule" verneint.
Die Versicherungsgesellschaft erbrachte in der Folge auf Grund des Krankenversicherungsvertrages Leistungen zugunsten von Sch. in der Höhe von Fr. 4'082.--. Mit Schreiben
BGE 101 II 339 S. 341
vom 29. September 1971 an Sch. erklärte sie den Rücktritt vom Versicherungsvertrag wegen einer Verletzung der Anzeigepflicht. Sie stützte sich auf eingezogene Auskünfte und machte geltend, dass sich Sch. im Jahre 1967 von Dr. med. H. wegen Lumbago habe behandeln lassen und sich in diesem Zusammenhang auch einer Röntgenuntersuchung habe unterziehen müssen, was er im Antragsformular nicht angegeben habe. Sie weigerte sich, die von Sch. geforderten weiteren Leistungen zu erbringen, und verlangte die bereits geleisteten Zahlungen von ihm zurück.

B.- Sch. reichte in der Folge Klage gegen die Versicherungsgesellschaft ein mit dem Antrag auf Bezahlung von Fr. 15'458.50 nebst 5% Zins seit 24. August 1971. Die Versicherungsgesellschaft ihrerseits erhob Widerklage im Betrage von Fr. 4'082.-- nebst 5% Zins seit 30. September 1971. Das Bezirksgericht hiess die Klage mit Urteil vom 28. November 1974 im Umfang von Fr. 14'405.20 gut und wies die Widerklage ab.
Das Obergericht schützte die von der Beklagten eingereichte Berufung, wies die Klage ab und verpflichtete den Kläger in Gutheissung der Widerklage, der Beklagten den Betrag von Fr. 4'082.-- nebst 5% Zins seit 8. Juni 1972 zu bezahlen. Es betrachtete die im Versicherungsantrag nicht erwähnte Behandlung des Klägers wegen Lumbago als erhebliche Tatsache, welche der Beklagten für sich allein das Recht zum Vertragsrücktritt gegeben habe, wenn sie dem Kläger bei der Antragstellung bekannt gewesen sei oder hätte bekannt sein müssen. Sollte der Kläger nicht gewusst haben, was Lumbago sei, hätte er sich beim Agenten der Beklagten nach dem Sinn dieses Ausdrucks erkundigen müssen.

C.- Der Kläger führt gegen das obergerichtliche Urteil Berufung an das Bundesgericht. Er stellt den Antrag, die Beklagte sei in Aufhebung des angefochtenen Urteils zu verpflichten, ihm Fr. 14'405.20, d.h. den ihm von der ersten Instanz zugesprochenen Betrag, nebst 5% Zins seit 24. August 1971 zu bezahlen, und die Widerklage sei abzuweisen.
Die Beklagte beantragt die Abweisung der Berufung.
Das Bundesgericht heisst die Berufung gut und hebt das angefochtene Urteil auf. Es weist die Sache zur Ergänzung des Sachverhalts im Sinne der Erwägungen und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
BGE 101 II 339 S. 342

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. In dem vom Kläger unterzeichneten Versicherungsantrag wurde die in Ziffer IV/6/f) gestellte Frage nach "Rheumatismus, Lumbago, Ischias, Erkrankungen oder Verletzungen der Wirbelsäule" mit "nein" beantwortet. Diese Antwort war insofern unrichtig, als der Kläger in der Zeit vom 22. September bis 3. Oktober 1967 von Dr. med. H. wegen akuten Lumbagos behandelt worden war. Der Kläger hatte im kantonalen Verfahren geltend gemacht, er habe weder gewusst, was Lumbago sei, noch habe ihm der Arzt damals gesagt, dass er an Lumbago leide. Die Vorinstanz hat die Richtigkeit dieser Behauptungen nicht geprüft. Sie hat jedoch angenommen, der Kläger hätte, wenn ihm der Ausdruck "Lumbago" unbekannt gewesen sein sollte, den Vertreter der Beklagten nach dem Sinn dieses Wortes fragen müssen. Hätte er dies getan und wäre ihm der Ausdruck "Lumbago" mit Kreuzschmerzen übersetzt worden, so hätte er die Frage nicht verneinen dürfen, weil ihm habe bekannt sein müssen, dass er im Jahre 1967 wegen solcher Schmerzen den Arzt Dr. H. aufgesucht hatte.
In der Berufungsschrift wird beanstandet, dass die Vorinstanz ihrem Entscheid die Hypothese zugrundegelegt habe, der Agent der Beklagten wäre in der Lage gewesen, dem Kläger auf entsprechende Frage hin zu erläutern, dass unter "Lumbago" Kreuzschmerzen zu verstehen seien; nichts in den Akten erlaube einen solchen Schluss. Sodann wird geltend gemacht, eine Verletzung der Anzeigepflicht setze voraus, dass die Fragestellung auch für einen medizinischen Laien klar und verständlich sei. Der Antragsteller müsse in der Lage sein, ohne Einholung fachmedizinischer Auskünfte richtig und wahrheitsgetreu zu antworten. Diese Voraussetzung treffe für den Begriff "Lumbago" nicht zu, der eine grosse Vielfalt medizinischer Tatbestände umfasse und einem medizinischen Laien nicht bekannt sein könne.
a) Die Erheblichkeit einer Gefahrstatsache, deren Nichtanzeige den Versicherer zum Vertragsrücktritt berechtigt, wird nach Art. 4 Abs. 3 VVG nur vermutet, wenn eine schriftliche Frage des Versicherers in bestimmter, unzweideutiger Fassung auf diese Tatsache gerichtet war. Wird Lumbago als Sammelbegriff für Kreuzschmerzen oder Schmerzen in der Lendengegend verstanden, entbehrt die im Antragsformular der Beklagten
BGE 101 II 339 S. 343
enthaltene Frage an sich nicht der erforderlichen Bestimmtheit und Klarheit. Wer diese Bedeutung des Ausdrucks "Lumbago" kennt, kann nicht darüber im unklaren sein, dass Beschwerden wie jene, wegen welcher der Kläger im Jahre 1967 den Arzt Dr. H. aufgesucht hat, angezeigt werden müssen.
b) In der unrichtigen Mitteilung oder Verschweigung einer erheblichen Gefahrstatsache ist indessen nach Art. 6 VVG nur dann eine Verletzung der Anzeigepflicht zu erblicken, wenn der Antragsteller die betreffende Tatsache kannte oder kennen musste. Die Vorinstanz hat nicht abgeklärt, ob der Kläger den Ausdruck "Lumbago" kannte, weil sie annahm, er hätte sich verneinendenfalls nach der Bedeutung dieses Wortes erkundigen müssen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist ein Antragsteller in der Tat verpflichtet, den Vertreter der Versicherung nach dem Sinn eines ihm völlig unbekannten Wortes zu fragen (BGE BGE 96 II 212). Eine solche Fragepflicht ist zweifellos dort gerechtfertigt, wo es sich um Ausdrücke handelt, die - wenn auch vielleicht nicht in ihrem genauen technischen Sinngehalt - in weiten Kreisen der Bevölkerung bekannt sind und auch im täglichen Leben gebraucht werden. Diese Voraussetzung war im Falle von BGE 96 II 212 eindeutig erfüllt. Der dort in einer Frage enthaltene Ausdruck "Bronchitis" ist weit verbreitet und in der Alltagssprache gebräuchlich. Dass der Anzeigepflichtige in jenem Streitfall diesen Ausdruck überhaupt nicht kannte, war eine Ausnahme.
Anders verhält es sich indessen mit dem Wort "Lumbago". Dessen Bedeutung ist in der deutschen Schweiz den meisten Leuten unbekannt. Wenn eine Versicherungsgesellschaft einen solchen wenig bekannten Ausdruck in ihr Antragsformular aufnimmt, zwingt sie damit den Grossteil ihrer Kunden, sich über die Bedeutung dieses Wortes näher zu erkundigen. Man kann sich daher fragen, ob auch in solchen Fällen am Grundsatz der Erkundigungspflicht festzuhalten sei. Die Fragen des Versicherers sollten doch vernünftigerweise so formuliert sein, dass die meisten Leute sie verstehen können, ohne sich nach dem Sinn einzelner Ausdrücke erkundigen zu müssen. In aller Regel sind auch die Versicherungsagenten, die den Antragstellern die schriftlich formulierten Fragen vorzulegen pflegen, nicht in der Lage, solche medizinische Fachausdrücke genügend zu erklären. Es stellt eine Begünstigung des Versicherers
BGE 101 II 339 S. 344
dar, wenn er bei der unrichtigen Beantwortung der Fragen nach Gefahrstatsachen durch den Versicherten eine Verletzung der Anzeigepflicht geltend machen und vom Vertrag zurücktreten kann, obwohl er diese Fragen in einer nicht allgemein verständlichen Weise abgefasst hat. Im Hinblick auf das dem Art. 6 VVG zugrundeliegende Vertrauensprinzip sollte sich der Versicherer nur insoweit auf die Richtigkeit der Antworten verlassen dürfen, als die Fragen im Versicherungsantrag allgemeinverständlich formuliert sind.
Ob am Grundsatz der Erkundigungspflicht des Antragstellers auch in derartigen Fällen festgehalten werden soll, mag hier indessen offen bleiben, da eine Verletzung der Anzeigepflicht auf jeden Fall nur mit grosser Zurückhaltung angenommen werden darf. Prüft man die in Ziffer IV/6/f) des Antragsformulars der Beklagten gestellte Frage mit der gebotenen Strenge, fällt auf, dass das allgemein nur wenig bekannte Wort "Lumbago" auf gleicher Stufe steht wie "Rheumatismus", "Ischias" sowie "Erkrankungen und Verletzungen der Wirbelsäule". Diese Ausdrücke erwecken aber - jedenfalls in der Umgangssprache - die Vorstellung bestimmter Krankheiten. So liegt es für den medizinischen Laien nahe, auch unter dem Wort "Lumbago" eine Krankheit besonderer Art zu vermuten. Es drängt sich in keiner Weise der Gedanke auf, Lumbago könnte lediglich eine Sammelbezeichnung für bestimmte Schmerzen sein, die ganz verschiedene Krankheitsursachen haben können. Mit einer solchen Möglichkeit muss deshalb nicht gerechnet werden, weil nicht einzusehen ist, weshalb dann nicht einfach nach Kreuz- oder Lendenschmerzen gefragt wird, was für jedermann verständlich wäre. Durfte der Kläger aber davon ausgehen, unter Lumbago sei eine bestimmte, ihm allerdings unbekannte Krankheit zu verstehen, an der er bisher noch nie gelitten habe, bedeutete die Nichtangabe unfallmässig ausgelöster Kreuzschmerzen keine Verletzung der Anzeigepflicht. Vielmehr durfte sich der Kläger - die Richtigkeit seiner Sachdarstellung vorausgesetzt - sagen, er habe damals weder an einer eigentlichen Krankheit gelitten, noch habe sich sein Sturz auf die Dauer nachteilig ausgewirkt, nachdem er, wie er geltend macht, später nie mehr an Kreuz- oder Rückenschmerzen gelitten hat.
Nicht zu überzeugen vermag ferner die Argumentation der Vorinstanz, der Kläger hätte wegen der andern, in der gleichen
BGE 101 II 339 S. 345
Ziffer enthaltenen Ausdrücke "Rheumatismus", "Ischias" sowie "Erkrankungen und Verletzungen der Wirbelsäule" Anlass gehabt anzunehmen, es werde nach pathologischen Erscheinungen in der Rückengegend gefragt. Hiegegen spricht schon der Begriff "Rheumatismus", der sich keineswegs nur auf Erkrankungen in der Rückengegend bezieht. Dazu kommt, dass der Kläger auch nicht unbedingt Anlass gehabt hätte, die Behandlung vom Jahre 1967 zu erwähnen, wenn ganz allgemein nach Rückenerkrankungen gefragt worden wäre. Durch einen Unfall ausgelöste Kreuzschmerzen, die nach relativ kurzer Behandlungsdauer abklingen und nicht wieder auftreten, müssen von einem medizinischen Laien nicht als eigentliches Rückenleiden aufgefasst werden, das beim Abschluss einer Krankenversicherung anzugeben ist. Anders wäre es nur, wenn in allgemeinverständlicher Form nach Rückenschmerzen gefragt worden wäre. Was schliesslich die Frage nach Erkrankungen und Verletzungen der Wirbelsäule anbetrifft, kann dem Kläger zugestimmt werden, wenn er ausführt, dass er auf Grund der ihm vom Arzt gemachten Angaben keinen Anlass zur Anzeige der in Frage stehenden Behandlung gehabt habe. Der Kläger beruft sich in diesem Zusammenhang wie bereits im kantonalen Verfahren darauf, der Arzt habe lediglich von einer altersbedingten Abnützung der Wirbelsäule gesprochen. Eine solche wird landläufig in der Tat weder als Erkrankung noch als Verletzung der Wirbelsäule betrachtet.
Auch wenn aus den dargelegten Gründen in der objektiv falschen Beantwortung der Frage nach Lumbago entgegen dem angefochtenen Urteil keine Verletzung der Anzeigepflicht zu erblicken ist, kann das Bundesgericht die Sache nicht endgültig beurteilen. Eine Gutheissung der Klage wäre trotz Verneinung der Erkundigungspflicht nur möglich, wenn feststehen würde, dass der Kläger den Ausdruck "Lumbago" tatsächlich nicht gekannt habe. Die Vorinstanz hat diese Frage ausdrücklich offengelassen. Auch hat sie die Behauptung des Klägers, der Arzt habe ihm im Jahre 1967 nicht gesagt, dass er an Lumbago leide, nicht überprüft. Die Beklagte ihrerseits hat sich im obergerichtlichen Verfahren gegen die Richtigkeit der Darstellung des Klägers ausgesprochen. Der Sachverhalt bedarf insofern noch der Ergänzung, weshalb die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen ist, damit sie über die aufgeworfenen Fragen tatsächliche Feststellungen treffe.

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Considérants 2

références

ATF: 96 II 212

Article: Art. 6 VVG, Art. 4 Abs. 3 VVG

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