112 Ia 14
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Urteilskopf
112 Ia 14
4. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. Januar 1986 i.S. T. gegen Regierungsrat des Kantons Luzern (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste
Art. 4 BV; unentgeltliche Rechtspflege im Verwaltungsbeschwerde- und Verwaltungsgerichtsverfahren.
Es besteht im Verwaltungsbeschwerde- und Verwaltungsgerichtsverfahren der Kantone ein unmittelbar aus Art. 4 BV fliessender Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, der nicht nur die ganze oder teilweise Befreiung von der Bezahlung der Verfahrenskosten, sondern auch, soweit dies zur Wahrung der Interessen des unbemittelten Bürgers erforderlich ist, die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes umfasst (E. 3c).
Das Bundesgericht hat eine staatsrechtliche Beschwerde gegen einen Entscheid, mit welchem der Regierungsrat des Kantons Luzern sich weigerte, den Beschwerdeführer von der Bezahlung der Verfahrenskosten im kantonalen Beschwerdeverfahren zu befreien und ihm einen unentgeltlichen Rechtsbeistand zu bestellen, gutgeheissen mit folgenden
Erwägungen:
2. Gemäss § 204 Abs. 1 des luzernischen Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege (vom 3. Juli 1972; G XVIII 193) befreit die Behörde eine bedürftige Partei auf ihr begründetes Gesuch ganz oder teilweise von der Kosten- und Vorschusspflicht. Indessen geht - wie der angefochtene Entscheid unter Hinweis auf die kantonale Rechtsprechung (LGVE 1980 III Nr. 8) festhält und
BGE 112 Ia 14 S. 15
auch vom Beschwerdeführer nicht bestritten wird - aus Abs. 2 und 3 dieser Bestimmung unmissverständlich hervor, dass der kantonale Gesetzgeber einen unentgeltlichen Rechtsbeistand nur für das Verwaltungsgerichtsverfahren vorsehen wollte. Insoweit der Regierungsrat es gestützt auf das kantonale Recht abgelehnt hat, dem Beschwerdeführer für das bei ihm anhängig gemachte Verfahren einen Armenanwalt zu bestellen, kann deshalb sein Entscheid nicht als willkürlich bezeichnet werden.Nun hat aber der Regierungsrat des Kantons Luzern dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtspflege überhaupt verweigert, ihn also auch von der Bezahlung der Verfahrenskosten nicht befreit, weil nach der Meinung der Regierung das materielle Rechtsbegehren des Beschwerdeführers als aussichtslos erscheint. Ob der Regierungsrat sich auf kantonales Recht stützen kann oder ob dieses durch den angefochtenen Entscheid in willkürlicher Weise verletzt worden ist, kann offenbleiben, wenn unmittelbar aus Art. 4 BV ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege abgeleitet werden kann. Auf diesen Standpunkt stellt sich der Beschwerdeführer.
3. a) Das Bundesgericht hat in ständiger Rechtsprechung in nicht aussichtslosen Zivilprozessen einen unmittelbar auf Art. 4 BV gestützten Anspruch bedürftiger Personen auf unentgeltliche Rechtspflege bejaht, der - sofern die Wahrung der Interessen es verlangt - auch die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes mit einschliesst (BGE 110 Ia 27 E. 2, BGE 109 Ia 7 ff. E. 2-5, BGE 104 Ia 32 E. 2 und 73 E. 1, BGE 99 Ia 327 E. 2, mit Hinweisen). Ebenso hat in einem Strafverfahren der unbemittelte Angeklagte unmittelbar aufgrund von Art. 4 BV einen Anspruch auf unentgeltliche Verteidigung, wenn es sich nicht um einen Bagatellfall handelt und der Straffall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, denen der Angeklagte nicht gewachsen ist (BGE 109 Ia 13 E. 3b, BGE 103 Ia 5 E. 2, BGE 100 Ia 187 E. 4b). Schliesslich hat auch das Eidgenössische Versicherungsgericht für alle Zweige der bundesrechtlichen Sozialversicherung einen Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung anerkannt; dieser Anspruch, der auch im kantonalen Beschwerdeverfahren in Sozialversicherungssachen besteht, gründet sich allerdings nicht auf Art. 4 BV, sondern auf materielles Bundesrecht (BGE 103 V 46 ff.).
Entgegen der Meinung, die offenbar beim Beschwerdeführer besteht, ist es jedoch nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts keineswegs selbstverständlich, dass von Bundesrechts
BGE 112 Ia 14 S. 16
wegen ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und Beiordnung eines Armenanwaltes auch im Verfahren vor den Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichten der Kantone besteht. Das Bundesgericht hat erst in einem Entscheid vom 8. März 1985 einen Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand für das Verwaltungsgerichtsverfahren bejaht (ZBl 86/1985, S. 412 ff.; EuGRZ 1985, S. 485 ff.); es hat diese neue Praxis in einem zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmten Urteil vom 17. Oktober 1985 (in Sachen M. gegen Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft) bestätigt. Was das verwaltungsinterne Verfahren der Kantone anbetrifft, hat das Bundesgericht in seinem Entscheid vom 28. März 1985 (BGE 111 Ia 7 ff. E. 2) die Frage aufgeworfen, ob nicht auch hiefür ein unmittelbar aus Art. 4 BV abgeleiteter Anspruch sowohl auf unentgeltliche Rechtspflege als auch auf Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes anerkannt werden sollte.b) Ein unentgeltlicher Rechtsvertreter ist in Verwaltungssachen bisher vor allem deshalb als entbehrlich betrachtet worden, weil das Verwaltungsverfahren und das Verwaltungsgerichtsverfahren von der Offizialmaxime beherrscht werden. Hiebei wird aber übersehen, dass dies auch auf das Strafverfahren zutrifft und dass auch in Zivilprozessen, die ganz oder teilweise der Offizialmaxime unterstellt sind - so in Scheidungs-, Ehelichkeitsanfechtungs- und Vaterschaftsprozessen sowie in bezug auf die Kinderzuteilung und in Verfahren auf Abänderung des Scheidungsurteils -, ein Anspruch auf unentgeltliche Prozessvertretung der bedürftigen Partei besteht. Das Bundesgericht hat denn auch bezüglich des Zivilprozesses erkannt, dass die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes in Verfahren, welche von der Offizialmaxime beherrscht werden, nicht von vorneherein ausgeschlossen sein könne (BGE 104 Ia 77 E. 3b).
Man mag auch argumentieren, dass in einem reinen Zweiparteienverfahren, in welchem die eine Seite durch einen Anwalt vertreten ist, ein grösseres Bedürfnis bestehe, der nicht vertretenen Partei unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit einen unentgeltlichen Rechtsbeistand beizugeben, als in einem nur mit Verwaltungsbehörden ausgetragenen Rechtsstreit (BGE 111 Ia 7 E. 2). Doch zeigt gerade der vorliegende Fall, dass tatsächlich ein anderer Privater am Ausgang des Verfahrens unmittelbar interessiert sein mag, obwohl prozessual lediglich eine Behörde als Gegenpartei in Erscheinung tritt. Davon abgesehen, wird die Unparteilichkeit
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von Verwaltungsbehörden wohl überschätzt, wenn man ihnen zumutet, dass sie in vollkommen unvoreingenommener Weise gleichzeitig das öffentliche Interesse wahrnehmen und dafür Sorge tragen, dass der an der verwaltungsrechtlichen Auseinandersetzung beteiligte Bürger nicht benachteiligt wird.Es ist auch nicht zu übersehen, dass das (materielle) Verwaltungsrecht an Umfang und Komplexität stark zugenommen hat. Damit ist nicht nur das Bedürfnis des Bürgers gewachsen, in Verwaltungsstreitigkeiten von einem sachkundigen Rechtsbeistand beraten und vertreten zu werden. Vielmehr besteht auch auf seiten der Verwaltungsbehörden ein Interesse daran, in schwierigen Fällen für die Rechtsprechung auf die Unterstützung eines Rechtsbeistandes zählen zu können, der den Bürger sach- und rechtskundig vertritt. Wo der Bürger aus wirtschaftlichen Gründen nicht in der Lage ist, einen Rechtsanwalt beizuziehen, soll ihm dies daher - auch im Interesse von Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichten - durch Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ermöglicht werden.
Rechtfertigt sich aus den dargelegten Gründen die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes, so lässt sich vollends keine Erklärung dafür finden, weshalb der bedürftige Bürger im Zivilprozess von der Bezahlung der Verfahrenskosten sollte befreit werden können, während dies in Verwaltungsstreitigkeiten nicht möglich ist. Das Bedürfnis des unbemittelten Bürgers, der einen Rechtsstreit auszutragen hat, auf Entlastung von den Kosten ist in allen Verfahren das gleiche. Gerade in den Grenzgebieten von Zivilrecht und Verwaltungsrecht - die vorliegende Auseinandersetzung um den Namen der Kinder des Beschwerdeführers ist eines von vielen Beispielen - darf es nicht vom Zufall des vom Gesetzgeber gewählten Verfahrensweges abhängen, ob ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege besteht oder nicht.
c) Nach dem Gesagten ist ein unmittelbar aus Art. 4 BV fliessender Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege im Verwaltungsverfahren und im Verwaltungsgerichtsverfahren anzuerkennen, wie er in jüngerer Zeit auch von der Lehre befürwortet wird (ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 180 f.; BLAISE KNAPP, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Basel und Frankfurt am Main 1983, N. 403; ALFRED KÖLZ, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, Zürich 1978, N. 9 zu § 16 unter Bezugnahme auf die zürcherische Praxis; PETER SALADIN, Das Verfassungsprinzip der Fairness,
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in: Erhaltung und Entfaltung des Rechts in der Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts, Basel 1975, S. 49 ff.). Dieser Anspruch befreit ganz oder teilweise von der Bezahlung der Verfahrenskosten und damit auch eines Kostenvorschusses, jedoch nicht von der Entrichtung einer allfälligen Entschädigung an die obsiegende Gegenpartei für ihre Umtriebe. Wo dies zur Wahrung der Interessen des unbemittelten Bürgers erforderlich ist, ergibt sich aus Art. 4 BV zudem ein Anspruch auf die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes im Verwaltungsverfahren und im Verwaltungsgerichtsverfahren.Wie schon im erwähnten Bundesgerichtsurteil vom 8. März 1985 festgehalten, ist - ausser der Bedürftigkeit der um unentgeltliche Rechtspflege ersuchenden Partei - Voraussetzung, dass das Rechtsbegehren nicht zum vorneherein aussichtslos erscheint und die verlangten Prozesshandlungen nicht offensichtlich prozessual unzulässig sind (BGE 110 Ia 27 E. 2, BGE 104 Ia 73 E. 1, mit Hinweis). Der Entscheid muss ausserdem für die gesuchstellende Partei von erheblicher Tragweite sein. Schliesslich kann der Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand nur in den Fällen bejaht werden, wo sich die aufgeworfenen Fragen nicht leicht beantworten lassen und die das Gesuch stellende Partei selber nicht rechtskundig ist (BGE 104 Ia 77 E. 3c, mit Hinweisen).