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Urteilskopf

115 II 331


61. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 9. November 1989 i.S. G. gegen A. und Mitbeteiligte (Berufung)

Regeste

Miteigentümervorkaufsrecht (Art. 682 ZGB); vertragliches Vorkaufsrecht (Art. 681 ZGB und Art. 216 Abs. 3 OR); Erwerb des Grundeigentums bei freiwilliger öffentlicher Versteigerung (Art. 235 OR).
1. Der Ersteigerer eines Miteigentumsanteils kann bei einer freiwilligen öffentlichen Versteigerung das Miteigentümervorkaufsrecht nur geltend machen, nachdem er im Grundbuch als Miteigentümer eingetragen worden ist (E. 2a und b).
2. Die Veräusserer eines Miteigentumsanteils können das damit verbundene Vorkaufsrecht nur zusammen mit dem Grundeigentum übertragen. Eine Abtretung des Vorkaufsrechts vor dem Eigentumsübergang ist ausgeschlossen (E. 2c).
3. Steht ein Miteigentumsanteil einer Erbengemeinschaft zu, so können nur alle Erben gemeinsam das Vorkaufsrecht ausüben. Eine anteilsmässige Ausübung durch einzelne Miterben ist ausgeschlossen (E. 3).
4. Ein vertragliches Vorkaufsrecht kann nicht dadurch entstehen, dass ein solches bei einer freiwilligen öffentlichen Versteigerung in die Steigerungsbedingungen aufgenommen wird (E. 4).
5. Der Ersteigerer, der den Bestand eines in den Steigerungsbedingungen aufgeführten Vorkaufsrechts erst nach dem Zuschlag bestreitet, handelt nicht rechtsmissbräuchlich (E. 5).

Sachverhalt ab Seite 332

BGE 115 II 331 S. 332

A.- Die Liegenschaften GB X. Nr. 383 und Nr. 394, um die es im vorliegenden Rechtsstreit geht, standen je zur Hälfte im Miteigentum von Kaspar M. und der Erbengemeinschaft Johannes M. Auf Begehren zweier Miterben ordnete der Zivilgerichtspräsident mit Verfügung vom 30. März/30. November 1984 gestützt auf Art. 612 Abs. 3 ZGB die öffentliche Versteigerung der Miteigentumsanteile an, welche der Erbengemeinschaft zustanden. In der gleichen Verfügung wurden die Gantbedingungen festgelegt und das Waisenamt X. mit der Durchführung der Versteigerung beauftragt.
Das Waisenamt X. setzte diese öffentliche Versteigerung auf den 15. Februar 1986, 10.00 Uhr an. Gleichentags, aber auf 14.00 Uhr, setzte es auch die Versteigerung der Miteigentumsanteile an, welche dem bevormundeten Kaspar M. gehörten. Warum diese Miteigentumsanteile auch zur Versteigerung gelangten, ist den Akten nicht zu entnehmen.

B.- Am Morgen des 15. Februar 1986 ersteigerten die Miterben A., B., C. und D. die Miteigentumsanteile der Erbengemeinschaft
BGE 115 II 331 S. 333
an GB X. Nr. 383 für Fr. 150'000.-- und an Nr. 394 für Fr. 90'500.--. Am Nachmittag erhielt G. die Miteigentumsanteile von Kaspar M. an GB X. Nr. 383 für Fr. 80'000.-- und an Nr. 394 für Fr. 47'000.-- zugeschlagen.
Nachdem am Nachmittag vor der Versteigerung jedes Objekts in den Gantbedingungen auf ein "Vorkaufsrecht gem. Art. 682 Abs. 1 ZGB" hingewiesen worden war, machten die Ersteigerer vom Vormittag dieses geltend.
Mit Schreiben vom 14. März 1986 an das Grundbuchamt des Kantons Glarus meldete das Waisenamt X. A., B., C. und D. als neue Eigentümer der Liegenschaften GB X. Nr. 383 und Nr. 394 zur Eintragung an. Am 18. März 1986 zog das Waisenamt diese Anmeldung wieder zurück und ersuchte das Grundbuchamt, vorläufig von einer Eintragung abzusehen. Aufgrund einer neuen Anmeldung vom 1. April 1986 wurden als Miteigentümer der Liegenschaften GB X. Nr. 383 und Nr. 394 je zur Hälfte einerseits A., B., C. sowie D. und andererseits G. eingetragen.

C.- Gemäss Leitschein vom 5. September 1986 klagten A., B., C. sowie D. gegen G. beim Augenscheingericht des Kantons Glarus. Sie verlangten sinngemäss, dass der auf G. als Miteigentümer lautende Eintrag im Grundbuch zu berichtigen und sie als alleinige Gesamteigentümer der besagten Liegenschaften einzutragen seien. Mit Entscheid vom 23. September 1987 wies das Augenscheingericht die Klage ab.
Gegen dieses Urteil appellierten die Kläger an das Obergericht des Kantons Glarus, welches in Gutheissung der Klage am 14. November/19. Dezember 1988 entschied, dass die Kläger sowohl die hälftigen Miteigentumsanteile der Erbengemeinschaft des Johannes M. an den Liegenschaften GB X. Nr. 383 und Nr. 394 als auch die hälftigen Miteigentumsanteile von Kaspar M. zu Eigentum erworben hätten und demnach als Gesamteigentümer (einfache Gesellschaft) in das Grundbuch einzutragen seien. Überdies wies das Obergericht das Grundbuchamt an, die entsprechenden Berichtigungen im Grundbuch vorzunehmen.

D.- Gegen das obergerichtliche Urteil hat G. Berufung an das Bundesgericht erhoben. Er beantragt sinngemäss, das vorinstanzliche Urteil sei aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Kläger und das Obergericht beantragen die Abweisung der Berufung.
BGE 115 II 331 S. 334

Erwägungen

Auszug aus den Erwägungen:

2. Das Obergericht hiess die Klage in erster Linie deshalb gut, weil es davon ausging, dass den Klägern durch das Ersteigern der Miteigentumsanteile der Erbengemeinschaft bei der Versteigerung der Miteigentumsanteile des Kaspar M. ein Vorkaufsrecht nach Art. 682 ZGB zustand. Mit der Berufung bestreitet G. das Vorhandensein eines entsprechenden Rechts.
a) Beide Versteigerungen erfolgten nicht im Zusammenhang mit einer Zwangsvollstreckung. Es handelte sich vielmehr um freiwillige öffentliche Versteigerungen (vgl. CAVIN, Kauf, Tausch, Schenkung, in: SPR Bd. VII/1, Basel und Stuttgart 1977, S. 162 f.), bei welchen der Kaufvertrag mit dem Zuschlag zustande kommt (Art. 229 Abs. 2 OR), die Eigentumsübertragung jedoch erst mit dem Eintrag im Grundbuch erfolgt (Art. 235 Abs. 1 OR). Im Zeitpunkt der Versteigerung der zweiten Miteigentumshälften waren die am Morgen geschlossenen Rechtsgeschäfte noch nicht im Grundbuch vollzogen. Die Kläger waren deshalb noch nicht als Miteigentümer im Grundbuch eingetragen. Davon ging auch die Vorinstanz in ihrem Urteil aus.
b) Das Obergericht nahm aber an, ein Vorkaufsrecht nach Art. 682 ZGB stehe nicht nur demjenigen zu, der bereits als Miteigentümer im Grundbuch eingetragen sei, sondern könne schon vor der Eigentumsübertragung vom Erwerber einer Miteigentumshälfte geltend gemacht werden. Der Gesetzgeber wolle mit Art. 682 ZGB die Aufhebung der Miteigentumsverhältnisse fördern und den einzelnen Miteigentümern die Möglichkeit geben, das Eindringen unliebsamer Dritter in das Gemeinschaftsverhältnis zu verhindern. Diese Zwecksetzung fordere eine ausdehnende Auslegung bzw. eine analoge Anwendung des Miteigentümervorkaufsrechts auf den Erwerber, der noch nicht Miteigentümer geworden ist.
Entgegen der Auffassung des Obergerichts kann den von ihm angeführten Literaturstellen nichts entnommen werden, was eine derart extensive Auslegung des Vorkaufsrechts rechtfertigen würde. HAAB/SIMONIUS äussern sich an der zitierten Stelle nicht zur Art der Auslegung (Zürcher Kommentar, N. 51 zu Art. 681/682 ZGB). MEIER-HAYOZ legt nur dar, dass das Vorkaufsrecht insbesondere hinsichtlich des Vorkaufsfalls nicht mit grösster Zurückhaltung ausgelegt werden dürfe, obgleich es nur mit Bedenken Eingang im Gesetz gefunden habe und unter den Eigentumsbeschränkungen eingereiht sei (Berner Kommentar, N. 12 ff. zu Art. 682 ZGB). Die
BGE 115 II 331 S. 335
Ablehnung einer einschränkenden Auslegung spricht indessen noch nicht für eine ausdehnende.
Nach dem klaren Wortlaut des Art. 682 ZGB steht das Vorkaufsrecht nur den Miteigentümern zu. Berechtigt kann somit nur derjenige sein, der bereits gemeinschaftliches Eigentum hat (vgl. MEIER-HAYOZ, a.a.O., N. 52 zu Art. 682 ZGB; HAAB/SIMONIUS, a.a.O., N. 52 zu Art. 681/682 ZGB; ALPHONS WIEDERKEHR, Das gesetzliche Vorkaufsrecht des Miteigentümers, Diss. Zürich, 1936, S. 103; DORIS BINZ-GEHRING, Das gesetzliche Vorkaufsrecht im schweizerischen Recht, Diss. Bern 1975, S. 80). Es besteht kein Anlass, darüber hinaus auch demjenigen ein Vorkaufsrecht zuzugestehen, der aufgrund eines Kaufvertrages nur einen obligatorischen Anspruch auf Übertragung eines Miteigentumsanteils gegenüber dem Veräusserer hat. Ob er infolge des Erwerbstitels jemals tatsächlich Eigentümer wird, steht in keiner Weise fest. Die Übertragung kann durch eine Verfügungsbeschränkung verhindert werden, wie sie beispielsweise ein Konkurs bewirkt, oder die Übertragung kann an einen anderen Erwerber erfolgen (vgl. BGE 110 II 129 ff.).
c) Das Obergericht nimmt zudem an, mit dem Zuschlag der ersten Miteigentumshälfte an die Kläger habe die Erbengemeinschaft diesen auch ihr Vorkaufsrecht übertragen. Die Kläger hätten das Vorkaufsrecht zwar im eigenen Namen, aber für die im Grundbuch eingetragene Erbengemeinschaft ausgeübt, der sie angehören. Die Vorinstanz verkennt damit, dass das Miteigentümervorkaufsrecht mit dem Miteigentumsanteil untrennbar verknüpft ist. Es ist als solches nicht übertragbar. Es teilt vielmehr das Schicksal des Miteigentumsanteils und kann somit nur mit ihm zusammen übertragen werden (WIEDERKEHR, a.a.O., S. 112). Wie aufgezeigt, war der Miteigentumsanteil im massgeblichen Zeitpunkt aber noch nicht auf die Kläger übergegangen. Hätten die Kläger das Vorkaufsrecht der Erbengemeinschaft ausgeübt, wäre überdies der Miteigentumsanteil von dieser und nicht von den Klägern erworben worden. Die Berufung erweist sich somit insoweit als begründet, als dem Obergericht vorgeworfen wird, es habe zu Unrecht ein Miteigentümervorkaufsrecht angenommen.

3. a) Es ist allerdings zu beachten, dass die Kläger Mitglieder der veräussernden Erbengemeinschaft sind und im Zeitpunkt der zweiten Versteigerung noch in dieser Eigenschaft an den Grundstücken dinglich berechtigt waren. Es fragt sich deshalb, ob die Kläger aus ihrer Erbenstellung ein Vorkaufsrecht geltend machen können.
BGE 115 II 331 S. 336
b) Die Frage, ob das Miteigentümervorkaufsrecht, das einer Erbengemeinschaft zusteht, nur von allen Erben gemeinsam und für alle Mitglieder der Erbengemeinschaft ausgeübt werden kann oder nicht, stellte sich dem Bundesgericht bereits in einem unveröffentlichten Entscheid von 1943 (Entscheid der II. ZA v. 17. Dez. 1943 i.S. V. und cons. c. F.). Es entschied, dass aufgrund der Berechtigung zur gesamten Hand nur alle Erben gemeinsam das Vorkaufsrecht ausüben können (vgl. WIEDERKEHR, a.a.O., S. 112). Es schloss eine anteilsmässige Ausübung einzelner Berechtigter aus und lehnte auch die Auffassung ab, dass die Rechte jener Berechtigten, die das Vorkaufsrecht nicht ausüben wollen, den anderen anwüchsen. Die vom deutschen Recht gewählte gegenteilige Lösung (§ 513 BGB zweiter Satz) könne für das schweizerische Recht sicher insoweit nicht übernommen werden, als es sich um das gesetzliche Vorkaufsrecht der Miteigentümer handle. Dieses bezwecke, das Rechtsverhältnis, welches mit der gemeinschaftlichen Berechtigung verbunden sei, zu vereinfachen. Wüchsen aber die Rechte aus der Vorkaufsberechtigung jener Miterben, die es nicht ausüben, jenen an, die es ausüben wollen, so werde das Rechtsverhältnis nicht einfacher. Vielmehr bestünden weiterhin zwei Miteigentumshälften, deren eine der Erbengemeinschaft gehöre, während die andere denjenigen Miterben zustehe, die das Vorkaufsrecht ausgeübt hätten (E. 1 des zitierten Entscheides). In BGE 92 II 148 ff. nahm das Bundesgericht sodann bei einem zwei Personen vertraglich eingeräumten Vorkaufsrecht an, dass die Berechtigung des einen dem anderen anwachse, wenn der erste auf deren Ausübung verzichtet habe (BGE 92 II 154 f.; vgl. die Besprechung beider Urteile durch LIVER in ZbJV Bd. 104 (1968), S. 12 ff.).
Verzichtet einer oder verzichten mehrere Erben zugunsten der übrigen Erben auf einen dem Nachlass zustehenden Anspruch, so liegt eine Teilliquidation bezüglich dieses Vermögenswerts vor, und die verbleibenden Erben können das Recht in ihrem Namen geltend machen (BGE 51 II 268ff.). Gehört zu einem Nachlass ein vertragliches Vorkaufsrecht und verzichten einzelne Miterben auf dessen Ausübung, so können es somit die verbleibenden ausüben. Im vorliegenden Fall handelt es sich aber nicht um ein vertraglich begründetes Vorkaufsrecht, sondern um ein gesetzliches. Es ist untrennbar mit der Miteigentümerstellung verbunden. Da die Erbengemeinschaft aber vor der Übertragung des Miteigentumsanteils an die Kläger mit Bezug auf diesen Nachlasswert nicht liquidiert war, konnte auch das Vorkaufsrecht nicht den Klägern
BGE 115 II 331 S. 337
anwachsen (so wohl auch LIVER, ZbJV Bd. 104 (1968), S. 15 ff., und BINZ-GEHRING, a.a.O., S. 173 f.; HAAB/SIMONIUS, a.a.O., N. 38 zu Art. 681/682 ZGB, und MEIER-HAYOZ, a.a.O., N. 230 zu Art. 681 ZGB, geben nicht an, ob ihre gegenteilige Auffassung nur für das vertraglich eingeräumte Vorkaufsrecht oder auch für dasjenige der Miteigentümer gelten soll). Die Kläger können somit auch nicht aufgrund ihrer Erbenstellung ein Vorkaufsrecht an den Miteigentumshälften beanspruchen, die am 15. Februar 1986 nachmittags versteigert wurden.

4. Das Obergericht hiess die Klage auch deshalb gut, weil es ein vertragliches Vorkaufsrecht annahm. Ein entsprechender Vertrag sei dadurch zustande gekommen, dass die Parteien sich mit den Gantbedingungen einverstanden erklärt hätten.
a) Mit der Vereinbarung eines Vorkaufsrechts räumt eine Partei der anderen das Recht ein, die Übertragung des Eigentums an einer Sache zu verlangen, sobald erstere sie einem Dritten veräussert (MEIER-HAYOZ, a.a.O., N. 19 zu Art. 681 ZGB; OTT, Die Abtretung vertraglicher Vorkaufs-, Kaufs- und Rückkaufsrechte als Vertragsübernahme, ZBGR 59. Jahrg. (1978), S. 260). Es handelt sich somit um einen Vertrag zwischen dem bisherigen Eigentümer und dem Vorkaufsberechtigten.
Ein vertragliches Vorkaufsrecht kann im vorliegenden Fall somit nur angenommen werden, falls eine entsprechende Vereinbarung zwischen den Klägern und Kaspar M. nachgewiesen ist. Gemäss Art. 216 Abs. 3 OR bedarf der Vorkaufsvertrag der schriftlichen Form. Eine entsprechende, von den Parteien bzw. deren Vertretern unterzeichnete Urkunde ist im vorliegenden Fall nicht nachgewiesen. Das Obergericht nahm aber an, bei einer öffentlichen Versteigerung gelte diese Formvorschrift nicht. Gemäss Art. 229 Abs. 2 OR kommt bei einer freiwilligen öffentlichen Versteigerung der Kaufvertrag durch den Zuschlag zustande, ohne dass weitere Formvorschriften berücksichtigt werden müssten. Vertragsparteien sind aber der Veräusserer und der Ersteigerer. Mit der Versteigerung am Vormittag kam ein Vertrag zwischen der Erbengemeinschaft und den Klägern zustande, und am Nachmittag waren Kaspar M. und G. die Vertragsparteien. Mit der Versteigerung kann somit gar kein Vertrag zwischen den Klägern und Kaspar M. zustande gekommen sein.
Unentgeltlich hätte den Klägern wohl auch gar kein Vorkaufsrecht eingeräumt werden können. Rechtsgrund eines solchen Geschäfts könnte nur eine Schenkung sein. Nach Art. 408 ZGB
BGE 115 II 331 S. 338
dürfen aber zu Lasten eines Bevormundeten keine erheblichen Schenkungen vorgenommen werden. Der Umstand, dass für die Miteigentumshälften der Erbengemeinschaft nahezu doppelt soviel bezahlt wurde wie für die Miteigentumshälften von Kaspar M., zeigt, dass eine entsprechende Schenkung erheblich wäre.
b) Wollen die Kläger ihr Recht aus einem Vertrag zwischen ihnen und G. ableiten, könnte es sich demgegenüber nicht um ein Vorkaufs-, sondern nur um ein Kaufsrecht handeln. Hätte nämlich der Beklagte den Klägern ein Vorkaufsrecht eingeräumt, wäre der Erwerb der Miteigentumshälften durch den Beklagten kein Vorkaufsfall. Ein solcher läge erst vor, wenn G. seine Miteigentumsanteile weiter veräusserte. Dem vorinstanzlichen Urteil ist nichts zu entnehmen, das auf den Abschluss eines Kaufsrechtsvertrages zwischen den Klägern und dem Beklagten schliessen liesse.
Entgegen der Auffassung des Obergerichts können sich die Kläger somit auch nicht auf ein vertragliches Vorkaufs- oder Kaufsrecht berufen.

5. Schliesslich machen die Kläger in der Berufungsantwort wie schon vor erster Instanz geltend, es verstosse gegen Treu und Glauben, wenn G. das Vorkaufsrecht nun bestreite, nachdem er anlässlich der Versteigerung keine Einwände gegenüber den Gantbedingungen erhoben habe.
a) Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz der Gebundenheit an das eigene Handeln (MERZ, Berner Kommentar, N. 401 zu Art. 2 ZGB). Setzt sich jemand zu seinem früheren Verhalten in Widerspruch, ist darin nur dann ein Verstoss gegen Treu und Glauben zu erblicken, wenn das frühere Verhalten ein schutzwürdiges Vertrauen begründet hat, welches durch die neuen Handlungen enttäuscht würde (vgl. MERZ, a.a.O., N. 402 zu Art. 2 ZGB). Ist eine Rechtslage unklar oder zweifelhaft, so widerspricht es nicht Treu und Glauben, wenn jemand widersprüchliche Positionen einnimmt, um seine Rechte unabhängig vom Ausgang einzelner Rechtsstandpunkte optimal zu wahren (vgl. MERZ, a.a.O., N. 453 zu Art. 2 ZGB). Was den Sonderfall der Berufung auf den Formmangel eines Rechtsgeschäfts betrifft, hat das Bundesgericht wiederholt festgestellt, dass sich aus dem Rechtsmissbrauchsverbot grundsätzlich kein Erfüllungsanspruch ergeben kann. Rechtsmissbräuchlich ist das Geltendmachen des Formmangels nur, wenn der Vertrag in wesentlichen Punkten bereits freiwillig und in Kenntnis des Formmangels erfüllt wurde (vgl. BGE 104 II 101 ff.; 112 II
BGE 115 II 331 S. 339
111 f.; MERZ, a.a.O., N. 485 ff. zu Art. 2 ZGB). Ob ein Rechtsmissbrauch vorliege, hat der Richter nicht in Anwendung von starren Regeln zu entscheiden, sondern unter Würdigung aller Umstände des konkreten Falles (BGE 104 II 101 mit Verweisen).
b) Der Umstand, dass G. vorgängig der Versteigerung das Miteigentümervorkaufsrecht der Kläger nicht bestritt, kann nicht dazu führen, dass dieses entstanden ist. Wie die angeführte Rechtsprechung zum formungültigen Vertrag zeigt, kann Art. 2 ZGB grundsätzlich keinen Erfüllungsanspruch aus einem ungültigen Vertrag entstehen lassen.
Wohl hat das Waisenamt X. zuerst die Kläger als neue Eigentümer beim Grundbuchamt angemeldet. Diese Anmeldung führte aber nicht zur Eintragung, da das Waisenamt zur - wie sich nun herausstellt - richtigen Ansicht gelangte, dass ein Vorkaufsrecht nicht bestehe, die Anmeldung zurückzog und durch die neue ersetzte, welche die Übertragung der Miteigentumshälften an G. vorsah. Eine freiwillige und irrtumsfreie Erfüllungshandlung liegt somit nicht vor - schon gar nicht von seiten des Beklagten -, welche die Berufung auf den Nichtbestand des Miteigentümervorkaufsrechts als rechtsmissbräuchlich erscheinen lassen könnte.
In diesem Zusammenhang fragt sich allerdings, ob im Lichte der neuen Rechtsprechung der Anmeldungsrückzug einseitig überhaupt möglich war. Mit Entscheid vom 20. Juni 1989 hat das Bundesgericht den einseitigen Rückzug einer Grundbuchanmeldung grundsätzlich als unzulässig bezeichnet (BGE 115 II 221 ff.). Aus den dort aufgeführten Erwägungen ergibt sich, dass der einseitige Rückzug durchaus auch dann unzulässig sein soll, wenn er erfolgt, weil der Veräusserer zur Ansicht gelangt, das Grundgeschäft sei nicht gültig. Es ist zweifellos richtig, bezüglich ungültiger Rechtsgeschäfte keine Ausnahme vom Grundsatz vorzusehen, dass der Rückzug nur mit Zustimmung beider Parteien möglich sein soll. Die Frage, ob das der Anmeldung zugrunde liegende Rechtsgeschäft gültig ist oder nicht, kann verbindlich nur vom Zivilrichter, nicht auch vom Grundbuchverwalter entschieden werden. Der Umstand, dass der Anmeldungsrückzug nach der neuesten bundesgerichtlichen Rechtsprechung gar nicht zulässig war, ist aber im vorliegenden Fall nicht entscheidend, da die Erfüllung im Irrtum über die Gültigkeit des Grundgeschäftes die Berufung auf die Ungültigkeit nicht von vornherein als Verstoss gegen Art. 2 ZGB erscheinen lässt und überdies die Anmeldung nicht von G. ausging.
BGE 115 II 331 S. 340
c) Auch der Umstand, dass G. nach der Versteigerung die Rückvergütung seiner Anzahlungen vom Waisenamt entgegennahm, vermag keine Erfüllungshandlung darzustellen, die die Berufung auf die Ungültigkeit als rechtsmissbräuchlich erscheinen liesse. In diesem Moment war es für ihn kaum möglich, die wirkliche Rechtslage abzuklären.
d) Das Verhalten des Beklagten anlässlich der Versteigerung war auch nicht geeignet, bei den Klägern ein schutzwürdiges Vertrauen zu erwecken. Wohl mag es dazu geführt haben, dass sie an der Gant nicht mitboten. Wenn sie sich auf eine falsche Auskunft des Versteigerers verliessen, kann dies aber nicht dem Beklagten angelastet werden. Zudem ist dadurch den Klägern kein unwiderruflicher Rechtsnachteil erwachsen. Sie hätten vielmehr, wie jeder andere Interessierte, die Möglichkeit gehabt, die Versteigerung nach Art. 230 OR anzufechten.
Der Vergleich, den die Kläger 2-4 mit einem Gerichtsverfahren anstellen, in dem die Parteien einen Richter so früh wie möglich ablehnen müssen, wenn sie ihren Anspruch auf Ausstand nicht verwirken wollen, hält nicht stand. In einem Gerichtsverfahren entsteht durch eine verspätete Ablehnung immer ein Nachteil, weil dadurch der Prozess verzögert wird. Hätte G. sofort erklärt, er anerkenne das Vorkaufsrecht nicht, wäre dadurch keine Klärung der Rechtslage erfolgt. Es ist kaum anzunehmen, dass das Waisenamt deshalb die entsprechende Bestimmung in den Gantbedingungen sofort gestrichen oder die Gant bloss deshalb bis zur weiteren Klärung der Rechtslage verschoben hätte.

6. Zusammenfassend erweist sich somit die Berufung als begründet. Das obergerichtliche Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Inhalt

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Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 2 3 4 5 6

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