Urteilskopf
142 II 446
40. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Eidgenössische Steuerverwaltung gegen A. sowie Kantonales Steueramt Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_857/2015 vom 27. Juli 2016
Regeste
Verordnung über die pauschale Steueranrechnung vom 22. August 1967;
Art. 23 VStG; Vermeidung der internationalen Doppelbesteuerung; pauschale Steueranrechnung; Antragsfrist.
Für ausländische und dort effektiv versteuerte Erträgnisse können in der Schweiz ansässige natürliche oder juristische Personen eine pauschale Anrechnung an die in der Schweiz erhobene Steuer beantragen, womit eine doppelte Besteuerung vermieden wird (E. 2.1 und 2.2).
Dieser Antrag auf pauschale Steueranrechnung ist innert drei Jahren nach Ablauf der Steuerperiode, in der die Erträgnisse fällig geworden sind, einzureichen (E. 2.3). Für eine lückenfüllende Anwendung von Art. 23 VStG bleibt kein Raum (E. 2.4). Abweisung der Beschwerde (E. 2.5).
A. A. (nachfolgend Steuerpflichtiger) reichte für die Steuerperioden 2010 und 2011 keine Steuererklärung bzw. unvollständige Steuererklärungen betreffend die direkte Bundessteuer und die Staats- und Gemeindesteuer ein. Er wurde deshalb nach pflichtgemässem Ermessen veranlagt, wogegen er kein Rechtsmittel erhob. Nach Erstattung einer Selbstanzeige beim Steueramt des Kantons Zürich
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reichte der Steuerpflichtige im Dezember 2013 eine Nachdeklaration für die Steuerperioden 2010 und 2011 ein. Diese Nachdeklaration enthält die mit nicht rückforderbaren ausländischen Quellensteuern belasteten Kapitalerträge im Bruttobetrag sowie Anträge auf pauschale Steueranrechnung in der Höhe von Fr. 29'492.- für die Steuerperiode 2010 und Fr. 24'685.- für die Steuerperiode 2011. Am 11. Juni 2014 wies das kantonale Steueramt diese Anträge und mit Rückerstattungsentscheiden im Einspracheverfahren vom 5. Januar 2015 die vom Steuerpflichtigen erhobenen Einsprachen ab.
B. Mit Entscheid vom 19. August 2015 hiess das Steuerrekursgericht des Kantons Zürich die vom Steuerpflichtigen gegen die Einspracheentscheide erhobenen Beschwerden gut und setzte die Rückzahlungsbeträge für die pauschale Steueranrechnung für die Fälligkeitsjahre 2010 und 2011 auf Fr. 29'492.- bzw. auf Fr. 24'685.- fest.
C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht vom 23. September 2015 beantragt die Eidgenössische Steuerverwaltung ESTV, der Entscheid vom 19. August 2015 des Steuerrekursgerichts des Kantons Zürich in Sachen Steuerpflichtiger gegen die Schweizerische Eidgenossenschaft, vertreten durch das kantonale Steueramt Zürich, betreffend pauschale Steueranrechnung, Fälligkeiten 2010 und 2011 (Verfahrensnummer 1 VS.2015.2) sei vollumfänglich aufzuheben. Die Rückerstattungsentscheide im Einspracheverfahren vom 5. Januar 2015 für die pauschalen Steueranrechnungen in den Fälligkeitsjahren 2010 und 2011 des kantonalen Steueramtes seien zu bestätigen und die Rückzahlungsbeträge seien für die Fälligkeitsjahre 2010 und 2011 auf je Fr. 0.- festzusetzen. Eventualiter sei die Angelegenheit an die Veranlagungsbehörde zur erneuten Beurteilung bzw. zur erstmaligen formellen Prüfung und Berechnung des zulässigen Maximalbetrags zurückzuweisen.
Die Vorinstanz hat auf die Einreichung einer Vernehmlassung verzichtet. Das kantonale Steueramt schliesst auf Beschwerdegutheissung, während der Steuerpflichtige die kostenfällige Abweisung der Beschwerde beantragt. In je einer weiteren Eingabe halten sowohl die Beschwerdeführerin wie auch der Beschwerdegegner an ihren Anträgen fest.
Aus den Erwägungen:
2. Die Vorinstanz hat im angefochtenen Entscheid erwogen, gemäss der Verordnung vom 22. August 1967 über die pauschale
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Steueranrechnung (SR 672.201; im Folgenden: PStAV) ziehe eine unterlassene Deklaration nicht die Verwirkung des Anspruches auf pauschale Steueranrechnung nach sich: Der Verweis in Art. 18 PStAV erstrecke sich nur auf das Verfahren und beziehe sich nicht auf Art. 23 des Verrechnungssteuergesetzes vom 13. Oktober 1965 (VStG; SR 624.21). Die beschwerdeführende Bundesbehörde ESTV rügt im Verfahren vor Bundesgericht, der Zweck der pauschalen Steueranrechnung sei mit demjenigen der Verrechnungssteuer identisch und beinhalte die Sicherung der ordentlichen Deklaration der Einkünfte im Inland im Rahmen der Einkommensbesteuerung; beide Steuern würden demnach eine Sicherungsfunktion erfüllen. Die Pflicht zur Deklaration im Rahmen des ordentlichen Veranlagungsverfahrens sei in Art. 3 Abs. 2 PStAV festgehalten, weshalb der Anspruch auf pauschale Steueranrechnung bei einer Verletzung der Deklarationspflicht in analoger Anwendung von
Art. 23 VStG verwirke. Die steuerpflichtigen Beschwerdegegner hätten ihre Einkünfte nicht im ordentlichen Veranlagungsverfahren der direkten Steuern, sondern erst im Rahmen einer spontanen Selbstanzeige und dem dadurch ausgelösten Nachsteuerverfahren deklariert, weshalb ihnen die pauschale Steueranrechnung infolge Anspruchsverwirkung nicht mehr gewährt werden könne.
2.1 Ist eine Person in der Schweiz aufgrund persönlicher Zugehörigkeit steuerpflichtig (
direkte Bundessteuer: Art. 3 und Art. 50 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer[DBG; SR 642.11];
Staats- und Gemeindesteuer: Art. 3 und Art. 20 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden [StHG; SR 642.14]), so ist ihreSteuerpflicht grundsätzlich unbeschränkt (
direkte Bundessteuer:
Art. 6 Abs. 1 und Art. 52 DBG;
Staats- und Gemeindesteuer:
Art. 7 Abs. 1 und Art. 24 StHG) und erstreckt sich insbesondere auf aus ausländischen Quellen stammende Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren (
direkte Bundessteuer:
Art. 20 und Art. 58 DBG;
Staats- und Gemeindesteuer:
Art. 7 und Art. 24 StHG). Diese Kapitalerträgnisse werden regelmässig bereits im Quellenstaat besteuert, weshalb die Besteuerung in der Schweiz und im Quellenstaat zu einer aktuellen Doppelbesteuerung führt (Urteil 2C_750/2013 / 2C_796/2013 vom 9. Oktober 2014 E. 2.2.1, in: StR 69/2014 S. 875; MAX WIDMER, Die pauschale Steueranrechnung, StR 38/1983 S. 57; MAIBACH/KELLER, Straflose Selbstanzeige - Verweigerung der pauschalen Steueranrechnung, StR 70/2015 S. 571 f.).
2.2 Ziel von Doppelbesteuerungsabkommen (nachfolgend: DBA) ist insbesondere die Behebung dieser doppelten Besteuerung. Art. 10
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des Musterabkommens 2014 der OECD zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (nachfolgend: OECD-MA 2014) teilt zwecks Behebung der doppelten Besteuerung von Dividendenzahlungen die Steuerhoheit zwischen den Vertragsstaaten auf: Die Besteuerung im Quellenstaat wird der Höhe nach begrenzt, und im Ansässigkeitsstaat besteht eine unbeschränkte Steuerpflicht unter Anrechnung der Steuer des Quellenstaates (Art. 10 Abs. 1 und 2, Art. 23A Abs. 2 oder Art. 23B OECD-MA 2014; LOHBECK/TISCHBIREK, Kommentar Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl. 2015, N. 1 Vor Art. 10-12 OECD-MA 2014). Zahlreiche, von der Schweiz abgeschlossene DBA enthalten eine
grundsätzlich (vgl. zum helvetischen Element der "Pauschalität" der Steueranrechnung WIDMER, a.a.O., S. 59) mit Art. 10 OECD-MA 2014 übereinstimmende geteilte Steuerhoheit (Urteil 2C_750/2013 / 2C_796/2013 vom 9. Oktober 2014 E. 2.2.1, in: StR 69/2014 S. 875, mit zahlreichen Hinweisen; grundlegend Botschaft vom 13. Juli 1965 an die Bundesversammlung über die Genehmigung des zwischen der Schweiz und Schweden abgeschlossenen Abkommens zur Vermeidung der Doppelbelastung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, BBl 1965 II 704, 708 f.).
2.3 Gestützt auf ein solches DBA können in der Schweiz ansässige natürliche und juristische Personen für die in einem Vertragsstaat erhobene begrenzte Steuer von aus diesem Vertragsstaat stammenden Erträgnissen innert drei Jahren (Art. 14 Abs. 2 PStAV) nach Ablauf der Steuerperiode, in der sie fällig geworden sind, eine
pauschale Steueranrechnung beantragen (Art. 2 Abs. 1 PStAV), wobei die Erträgnisse, für die die Anrechnung beansprucht wird, ohne Abzug der Steuer des Vertragsstaates zu deklarieren sind (Art. 3 Abs. 3 PStAV). Angesichts der unterschiedlichen
Zwecksetzung kommt der Deklaration der Erträgnisse jedoch nicht dieselbe Bedeutung zu wie im Verrechnungssteuerrecht: Während die pauschale Steueranrechnung die Behebung der doppelten Besteuerung gewisser Einkünfte beheben will (vgl. dazu oben, E. 2.2), bezweckt die Verrechnungssteuer zumindest in Inlandverhältnissen vorab die Sicherung der Deklaration steuerbarer Einkünfte, weshalb sie in diesem Zusammenhang auch als "Defraudantensteuer" bezeichnet wird (ausführlich
BGE 136 II 525 E. 3.3.1 S. 533;
BGE 131 III 546 E. 2.1 S. 549;
BGE 125 II 348 E. 4 S. 353; Urteil 2A.300/2004 vom 13. Dezember 2004 E. 4.1; MAJA BAUER-BALMELLI, Der Sicherungszweck der Verrechnungssteuer, 2000, S. 199 ff.; BLUMENSTEIN/LOCHER, System des schweizerischen Steuerrechts, 7. Aufl. 2016, S. 234). Voraussetzung der Gewährung
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der eine
aktuelle Doppelbesteuerung vermeidenden pauschalen Steueranrechnung in der Schweiz (als Ansässigkeitsstaat) ist in Übereinstimmung mit ihrer Zwecksetzung denn auch nicht die Deklaration an sich, sondern die effektive
Versteuerung der ausländischen Erträgnisse in der Schweiz. Werden die betreffenden Erträgnisse nicht im Fälligkeitsjahr, sondern in den folgenden drei Steuerperioden (nach-) deklariert, so kann vor Ablauf des dritten Jahres somit die pauschale Steueranrechnung noch beantragt werden (WIDMER, a.a.O., S. 68; MAIBACH/KELLER, a.a.O., S. 572 f.). In Übereinstimmung mit Ziel und Zweck der pauschalen Steueranrechnung kennt das bundesrätliche Verordnungsrecht demzufolge nur eine Befristung des Antragsrechts auf drei Jahre (Art. 14 Abs. 2 PStAV), jedoch keine Verwirkungsfolge bei unterlassener Deklaration im ordentlichen Veranlagungsverfahren. Als Untergangsgrund eines die Steuerlast mindernden Anspruchs bedürfte dessen Verwirkung einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage (MICHAEL BEUSCH, Der Untergang der Steuerforderung, 2012, S. 22).
2.4 Dass sich die rechtliche Regelung der pauschalen Steueranrechnung teilweise an das Verrechnungssteuerrecht anlehnt, erfüllt dieses Erfordernis an sich noch nicht: Der Verweis in Art. 18 PStAV bezieht sich nur auf das verrechnungssteuerrechtliche Verfahren, und der Untergang des Antragsrechts in Art. 14 Abs. 2 PStAV knüpft an eine zeitliche Limitierung und nicht an eine unterlassene Deklaration an. Unter Berücksichtigung der Zwecksetzung der pauschalen Steueranrechnung ist denn auch nicht davon auszugehen, dass die Ausführungsbestimmungen in der bundesrätlichen Verordnung in planwidriger Unvollständigkeit (vgl. zum Begriff der echten Lücke
BGE 138 II 1 E. 4.2 S. 3;
BGE 135 III 385 E. 2.1 S. 386;
BGE 135 V 279 E. 5.1 S. 284) keine solche Verwirkungsfolge enthalten, weshalb für eine lückenfüllende Anwendung von
Art. 23 VStG kein Raum bleibt (anders für die Entlastung der Dividenden von der Verrechnungssteuer im internationalen Verhältnis gestützt auf das Abkommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über Regelungen, die den in der Richtlinie 2003/48/EG des Rates im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen festgelegten Regelungen gleichwertig sind [Zinsbesteuerungsabkommen; SR 0.641.926.81], siehe
BGE 138 II 536 E. 6 S. 544 f.).
2.5 Gemäss der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung hat der Beschwerdegegner im Oktober 2013 Selbstanzeige erstattet, mit nicht rückforderbaren ausländischen Quellensteuern belastete
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Kapitalerträge im Bruttobetrag für die Steuerperioden 2010 und 2011 nachdeklariert und gleichzeitig einen Antrag auf pauschale Steueranrechnung gestellt; im Rechtsmittelverfahren hat die Vorinstanz den Antrag gutgeheissen und den anrechenbaren Betrag festgesetzt. Mit der Vorinstanz ist davon auszugehen, dass der Umstand der Nachdeklaration nicht bereits die Verwirkung des Anspruches auf pauschale Steueranrechnung zur Folge hat (oben, E. 2.3). Die beschwerdeführende Behörde hat keine Hinweise in das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren eingebracht, dass die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung der pauschalen Steueranrechnung nicht vorliegen würden, weshalb keine Gründe für eine Gutheissung der Beschwerde ersichtlich sind. Unbegründet ist auch der Eventualantrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils und Rückweisung der Streitsache an die Vorinstanz zwecks Bezeichnung des zulässigen Maximalbetrags. Die Vorinstanz hat - nachdem sich das kantonale Steueramt hatte vernehmen lassen - verbindlich (
Art. 105 BGG) festgestellt, dass der beantragte Anrechnungsbetrag nicht mehr streitig sei. Die Beschwerde ist vollumfänglich abzuweisen. (...)