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Urteilskopf

127 II 91


9. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. Januar 2001 i.S. EDI gegen Genossenschaftsverband Schweizer Milchproduzenten (SMP), Gesundheits- und Fürsorgedirektion sowie Verwaltungsgericht des Kantons Bern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

Regeste

Art. 10 EMRK und Art. 27 BV; Art. 18 LMG; Art 19 Abs. 1 lit. c und d LMV; lebensmittelrechtliche Zulässigkeit einer Werbung, wonach das in einem Nahrungsmittel enthaltene Kalzium mithilft, "der Knochenbrüchigkeit im Alter vorzubeugen, der sogenannten Osteoporose" ("Kuh-Lovely-Werbung").
Eintretensvoraussetzungen bei Behördenbeschwerde im Lebensmittelbereich (E. 1).
Art. 19 Abs. 1 lit. c LMV, der Hinweise irgendwelcher Art verbietet, die einem Lebensmittel krankheitsvorbeugende, behandelnde oder heilende Wirkung zuschreiben oder den Eindruck entstehen lassen, dass solche Eigenschaften vorhanden sind, hält sich - losgelöst vom Wahrheitsgehalt der konkreten Anpreisung - im Rahmen der Vorgaben von Art. 2 Abs. 4 lit. b, Art. 3 Abs. 2 sowie Art. 18 LMG; zwischen Lebensmittel- und Heilmittelgesetzgebung besteht keine planwidrige Unvollständigkeit (E. 2 und 3).
Art. 19 Abs. 1 lit. c LMV untersagt im öffentlichen - gesundheitspolizeilichen - Interesse krankheitsbezogene Anpreisungen von Lebensmitteln; der entsprechende Eingriff in die Meinungsäusserungsfreiheit bzw. Wirtschaftsfreiheit ist im Sinne von Art. 10 Ziff. 2 EMRK bzw. Art. 36 BV gerechtfertigt (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 92

BGE 127 II 91 S. 92
Der Genossenschaftsverband Schweizer Milchproduzenten (SMP) warb in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 in verschiedenen Printmedien mit einem Inserat, das den Slogan "Milch gibt starke Knochen" trug und folgenden Text enthielt:
"Mit Milch wird man gross und stark. Und bleibt es auch. Denn das Kalzium in der Milch hilft mit, der Knochenbrüchigkeit im Alter vorzubeugen, der sogenannten Osteoporose. Von dieser Krankheit ist heute bereits jede dritte Frau über 50 betroffen. Und zunehmend leiden auch Männer darunter. Jeder Mensch sollte deshalb täglich mindestens drei Portionen Milch zu sich nehmen: zum Beispiel 1 Glas Milch, 1 Becher Joghurt und 1 Stück Käse. Weitere Informationen finden Sie unter www.swissmilk.ch".
BGE 127 II 91 S. 93
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) forderte am 25. Oktober 1999 das Kantonale Laboratorium Bern auf, "in koordinierter Vorgehensweise mit dem Kantonsapotheker" die sich bezüglich dieser Anpreisung "aufdrängenden" Massnahmen einzuleiten. Dieses untersagte dem Genossenschaftsverband in der Folge, weiterhin die Aussage zu verwenden, "hilft mit, der Knochenbrüchigkeit im Alter vorzubeugen, der sog. Osteoporose. Von dieser Krankheit...". Auf Einsprache hin bestätigte es die Anordnung am 3. November 1999; die hiergegen gerichtete Beschwerde an die Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern blieb ohne Erfolg. Zur Begründung führte die Direktion aus, dass die umstrittene Werbung eine mit Art. 19 Abs. 1 lit. c der Lebensmittelverordnung vom 1. März 1995 (LMV; SR 817.02) unvereinbare Heilanpreisung enthalte; indem sie die Ausdrücke "Osteoporose" und "Krankheit" verwende, erwecke sie den Eindruck, der Milchkonsum habe eine vorbeugende Wirkung gegen eine Krankheit. Da für diese Behauptung der heilmittelrechtlich notwendige Beweis nicht erbracht sei, verstosse der Hinweis gegen das Täuschungsverbot gemäss Art. 18 des Bundesgesetzes vom 9. Oktober 1992 über Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände (Lebensmittelgesetz, LMG; SR 817.0). Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern hob diesen Entscheid am 18. August 2000 auf, da der zu beurteilende Sachverhalt ("Anpreisung von Nahrungsmittel als Heilmittel") weder der Heil- noch der Lebensmittelgesetzgebung zugeordnet werden könne und deshalb eine gesetzliche Grundlage für das umstrittene, in Grundrechtspositionen eingreifende Verbot fehle.
Hiergegen hat das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) am 29. September 2000 Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht. Das Bundesgericht heisst diese gut, hebt den angefochtenen Entscheid auf und bestätigt die Verfügung des Kantonalen Laboratoriums Bern

Erwägungen

aus folgenden Erwägungen:

1. Gegen die auf der eidgenössischen Lebensmittelgesetzgebung beruhende Verfügung des Kantonalen Laboratoriums Bern steht letztinstanzlich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht offen (vgl. BGE 117 Ib 441 E. 1d S. 445, mit Hinweisen; Art. 54 LMG; Art. 97 OG in Verbindung mit Art. 5 VwVG [SR 172.021] sowie Art. 98 lit. g und Art. 98a OG). Es gilt dabei die Beschwerdefrist von 30 Tagen nach Art. 106 OG und nicht jene von 10 Tagen gemäss Art. 55 Abs. 2 LMG (unveröffentlichtes
BGE 127 II 91 S. 94
Urteil des Bundesgerichts vom 23. Juni 2000 i.S. EDI, E. 1c). Auf die frist- und formgerecht eingereichte Eingabe des nach Art. 103 lit. b OG beschwerdelegitimierten Departements (vgl. BGE 125 II 192 E. 2b S. 196) ist demnach einzutreten.

2. Das Kantonale Laboratorium und die Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern untersagten den umstrittenen Teil der Werbung des Beschwerdegegners gestützt auf Art. 19 Abs. 1 lit. c LMV. Danach sind werbende Hinweise irgendwelcher Art verboten, die einem Lebensmittel Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder den Eindruck erwecken, es könnten solche vorhanden sein. Zulässig sind Hinweise auf die Wirkung von Zusätzen essentieller oder ernährungsphysiologisch nützlicher Stoffe zu Lebensmitteln aus Gründen der Volksgesundheit sowie auf die besondere Zweckbestimmung oder die ernährungsphysiologische Wirkung von Speziallebensmitteln. Das Verwaltungsgericht verneinte die Zulässigkeit des Verbots, weil sich Art. 19 Abs. 1 LMV nur insoweit auf Art. 18 Abs. 2 und 3 LMG stützen könne, als sich die in Frage stehende Anpreisung als "tatsachenwidrig" erweise, was hier nicht der Fall sei. Nach Art. 18 LMG sei es verboten, ein Lebensmittel mit Beschaffenheitsangaben anzupreisen, die nicht den Tatsachen entsprächen (Art. 18 Abs. 1 LMG) oder den Konsumenten täuschten (Art. 18 Abs. 2 LMG), was namentlich für Angaben gelte, die geeignet erschienen, beim Konsumenten falsche Vorstellungen über besondere Wirkungen und den Wert des Lebensmittels zu wecken (Art. 18 Abs. 3 LMG). Das Täuschungsverbot von Art. 19 Abs. 1 lit. c LMV, das sämtliche Heilanpreisungen - und nicht nur die tatsachenwidrigen - für unzulässig erkläre, sprenge diesen gesetzlichen Rahmen. Im Übrigen fielen Grundnahrungsmittel wie die Milch nicht mehr unter das Lebensmittelrecht, sobald mit einer krankheitsvorbeugenden Wirkung geworben werde. Das entsprechende Anpreisungsverbot finde in der Abgrenzung von Lebens- und Heilmitteln keine hinreichende gesetzliche Grundlage, denn der Ausschluss bestimmter Sachverhalte vom Anwendungsbereich eines Gesetzes ermächtige den Verordnungsgeber nicht, "(ausgerechnet) über diese Gegenstände gesetzesergänzende Regelungen aufzustellen". Nach dem Heilmittelrecht liege dem Arzneimittelbegriff ein zweckgerichteter Ansatz zugrunde; danach sei entscheidend, "ob das Erzeugnis vorrangig zu Ernährungszwecken oder zur medizinischen Verwendung hergestellt und vermarktet" werde, während das Lebensmittelrecht lediglich darauf abstelle, ob das
BGE 127 II 91 S. 95
umstrittene Erzeugnis "als Heilmittel angepriesen" werde (Art. 3 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 4 lit. b LMG, wonach das Lebensmittelgesetz nicht für Stoffe und Erzeugnisse gilt, "die von der Heilmittelgesetzgebung erfasst werden"). Nach der heilmittelrechtlichen Umschreibung falle die Milch wegen ihrer primären Zweckbestimmung als Nahrungsmittel nicht unter das Arzneimittelrecht; umgekehrt komme das lebensmittelrechtliche Verbot nicht zur Anwendung, da die Milch mit einer nicht tatsachenwidrigen krankheitsvorbeugenden Wirkung angepriesen worden sei. Der Bundesgesetzgeber habe im Lebensmittelrecht insofern eine planwidrige Unvollständigkeit geschaffen, die nicht durch das Gericht zu korrigieren sei.

3. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts verkennen das Verhältnis zwischen Lebensmittel- und Arzneimittelrecht:
a) aa) Art. 19 LMV will zum Schutz der Konsumenten tatsachenwidrige Informationen verhindern. Dementsprechend hält er fest, dass die für Lebensmittel verwendeten Bezeichnungen, Angaben, Abbildungen, Packungen und Packungsaufschriften sowie Arten der Aufmachung den Tatsachen entsprechen müssen und nicht zur Täuschung über Natur, Herkunft, Herstellung, Zusammensetzung, Produktionsart, Inhalt, Haltbarkeit usw. Anlass geben dürfen (Art. 19 Abs. 1 LMV). Insofern deckt er sich mit Art. 18 Abs. 3 LMG, wonach täuschend "namentlich" Angaben und Aufmachungen sind, die geeignet erscheinen, beim Konsumenten falsche Vorstellungen über Herstellung, Zusammensetzung, Beschaffenheit, Produktionsart, Haltbarkeit, Herkunft, besondere Wirkungen und Wert des Lebensmittels zu wecken. Daneben kommt Art. 19 LMV aber auch - was das Verwaltungsgericht verkennt - Sicherungsfunktion hinsichtlich der Abgrenzung zu den Arzneimitteln zu, da auch insofern - losgelöst vom konkreten Wahrheitsgehalt der werbenden Aussage - Täuschungsgefahr besteht. Nahrungsmittel sind zur Ernährung bestimmt und dienen mit ihrem Anteil an Wasser, Eiweiss, Fetten, Kohlenhydraten, Mineralstoffen, Vitaminen und Ballaststoffen dem Aufbau und Unterhalt des menschlichen Körpers (so die Botschaft des Bundesrats vom 30. Januar 1989 zum Lebensmittelgesetz, BBl 1989 I 893 ff. insbesondere S. 919); sie bezwecken als solche nicht die Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit; dies ist den Heilmitteln vorbehalten. Art. 3 Abs. 2 LMG bezeichnet jene Erzeugnisse als Nahrungsmittel, "die dem Aufbau oder dem Unterhalt des menschlichen Körpers dienen und nicht als Heilmittel angepriesen werden"; das Lebensmittelgesetz gilt seinerseits nicht
BGE 127 II 91 S. 96
für Stoffe und Erzeugnisse, die von der Heilmittelgesetzgebung erfasst werden (Art. 2 Abs. 4 lit. b LMG). Bei Erlass des Lebensmittelgesetzes haben sich Bundesrat wie Parlament mit Blick auf die Abgrenzungsschwierigkeiten zwar auf den Standpunkt gestellt, dass es den Anbietern überlassen sein soll, ihre Produkte als Heilmittel oder als Lebensmittel auf den Markt zu bringen (vgl. Botschaft des Bundesrats vom 1. März 1999 zu einem Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte; Heilmittelgesetz; BBl 1999 S. 3453 ff. insbesondere S. 3481). Hieraus lässt sich indessen nicht ableiten, dass ein Nahrungsmittel, das (in Missachtung eines Werbeverbots) mit einer krankheitsvorbeugenden Wirkung beworben wird, weder unter die Lebensmittel- noch unter die Heilmittelgesetzgebung fällt, läge es doch sonst in der Hand des Lebensmittelherstellers, darüber zu befinden, ob das lebensmittelrechtliche Verbot auf sein Produkt anwendbar ist oder nicht. Die Missachtung eines Werbeverbots lässt keinen Rückschluss auf die Klassifikation als Lebensmittel oder Heilmittel zu (vgl. KIETHE/GROESCHKE, Die Bewerbung funktioneller Lebensmittel mit gesundheitsdienlichen Aspekten, in: Wettbewerb in Recht und Praxis [WRP] 15/1999 S. 973 ff. insbesondere S. 975). Zu Recht geht vorliegend denn auch niemand ernsthaft davon aus, die Milch sei kein Lebens-, sondern ein Arzneimittel.
Wird ein Produkt nicht ausdrücklich als Heilmittel in den entsprechenden Verfahren auf den Markt gebracht und in diesem Sinn "angepriesen", gelten die Regeln des Lebensmittelrechts, einschliesslich des Verbots, diesem Eigenschaften zur Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuzuschreiben. Solche sind den Arzneimitteln - nach dem entsprechenden Verfahren und mit den nötigen Auflagen zum Schutz des Konsumenten ("Kontra"-Indikationen usw.) - im Rahmen der Werbevorschriften von Art. 7 des Regulativs vom 25. Mai 1972 über die Ausführung der interkantonalen Vereinbarung über die Kontrolle der Heilmittel (unzulässige Reklame) bzw. von Art. 31 ff. des (noch nicht in Kraft stehenden) Bundesgesetzes vom 15. Dezember 2000 über Arzneimittel und Medizinprodukte vorbehalten. Die vom Verwaltungsgericht geortete Lücke bzw. planwidrige Unvollständigkeit in der Gesetzgebung beruht auf einer unzutreffenden - entgegen der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht harmonisierten (unveröffentlichtes Urteil vom 4. November 1991 i.S. H., E. 3b und d) - Auslegung des Lebens- und Heilmittelbegriffs und auf einer Verkennung der Tragweite von Art. 3 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 4 lit. b LMG.
BGE 127 II 91 S. 97
bb) Die Problematik der Abgrenzung von Lebens- und Heilmitteln bildete Gegenstand der parlamentarischen Beratungen des Lebensmittelgesetzes. Auf Vorschlag der ständerätlichen Kommission fand Art. 2 Abs. 5 in dieses Aufnahme, wonach Streitigkeiten über die Anwendbarkeit der Lebensmittel- oder Heilmittelgesetzgebung bei bestimmten Stoffen und Erzeugnissen durch das Eidgenössische Departement des Innern nach Anhörung der betroffenen Behörden entschieden werden. Bei dieser Regelung ging es gerade darum, negative Kompetenzkonflikte, d.h. eine Situation zu verhindern, bei der sich wegen Abgrenzungsproblemen weder die Lebensmittel- noch die Heilmittelbehörden für zuständig erachten und deshalb keine handelt, obwohl ein Einschreiten geboten wäre (AB 1990 S 768). Ein rechtsfreier Raum, wie ihn das Verwaltungsgericht aufgrund der Tatsache schafft, dass der Produzent eines Lebensmittels dieses nicht als Arzneimittel anpreist bzw. anpreisen kann, mit diesem aber dennoch krankheitsvorbeugende Angaben verbindet, sollte damit vermieden werden, weshalb die Vorinstanz auch aus diesem Grund zu Unrecht eine Gesetzeslücke angenommen hat. Eine strikte Trennung der Anwendungsbereiche von Lebensmittel- und Heilmittelrecht ist nicht möglich, was am Beispiel des Lebensmittels (oder Gebrauchsgegenstands) mit unzulässiger Heilanpreisung deutlich wird, das aus Sicht der Heilmittelgesetzgebung als nicht registriertes Arzneimittel erscheint: Sowohl die Betrachtungsweise eines "Lebensmittels oder Gebrauchsgegenstands mit unzulässiger Heilanpreisung" wie auch jene eines "nicht registrierten Heilmittels" sind denkbar. Dem Bundesrat kann unter diesen Umständen nicht die Kompetenz abgesprochen werden, im Rahmen der Vollzugsregelungen zum Lebensmittelrecht Vorschriften zu erlassen, die verhindern, dass Lebensmittel oder Gebrauchsgegenstände, die nicht als Arzneimittel auf den Markt kommen, mit Heilanpreisungen versehen werden (vgl. BBl 1989 I 949). Derartige Bestimmungen dienen gesundheitspolizeilichen Zielen und nicht allein dem Schutz der Konsumenten vor Täuschung, denn sie stellen sicher, dass die Heilmittelgesetzgebung nicht unterlaufen wird. Als gesundheitspolizeiliche Vorschrift kann sich Art. 19 Abs. 1 lit. c LMV (bzw. der mit ihm verwandte Art. 19 Abs. 1 lit. d LMV, wonach "Aufmachungen irgendwelcher Art" verboten sind, die einem Lebensmittel den Anschein eines Heilmittels geben) deshalb auf Art. 3 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 37 LMG stützen (vgl. unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 23. Juni 2000 i.S. EDI, E. 2b/dd).
BGE 127 II 91 S. 98
cc) Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts geht es vorliegend aber auch um eine Täuschung im Sinne von Art. 18 Abs. 2 LMG: Gemäss dem künftigen Heilmittelgesetz (HMG) gelten Produkte chemischen oder biologischen Ursprungs als Arzneimittel, die zur medizinischen Einwirkung auf den menschlichen oder tierischen Organismus bestimmt sind oder angepriesen werden, insbesondere zur Erkennung, Verhütung oder Behandlung von Krankheiten, Verletzungen und Behinderungen (Art. 4 Abs. 1 lit. a HMG). Wer einem Lebensmittel vorbeugende oder heilende Eigenschaften zuschreibt, dieses aber nicht als Arzneimittel nach dem Heilmittelrecht anpreist, führt den Konsumenten insofern irre, als er den Eindruck entstehen lässt, sein Produkt wirke wie ein solches und sei entsprechend geprüft. Dies will Art. 19 Abs. 1 lit. c LMV verhindern. Die Anpreisung mit einer vorbeugenden Wirkung gegen eine menschliche Krankheit täuscht den Konsumenten nämlich - losgelöst vom Wahrheitsgehalt der werbenden Aussage - im Sinne von Art. 18 Abs. 2 LMG über die Natur des Produkts, weshalb sich die entsprechende bundesrätliche Bestimmung zwanglos im Rahmen des Lebensmittelgesetzes hält. Werden bestimmte Erzeugnisse als vorbeugend oder heilend angepriesen, so darf das Publikum darauf vertrauen, dass sie als Heilmittel geprüft und zugelassen sind. Wer mit krankheitsvorbeugenden, behandelnden oder heilenden Wirkungen werben will, hat im entsprechenden (heilmittelrechtlichen) Verfahren hierfür die nötigen Beweise zu erbringen. Es kann - auch vom aufmerksamen und verständigen - Verbraucher nicht erwartet werden, dass er im Stande ist, den Wahrheits- und Vollständigkeitsgehalt entsprechender mit einem Lebensmittel verbundenen Hinweise jeweils selber zu prüfen. Hiervon ging das Bundesgericht im Resultat bereits in einem Urteil vom 6. Februar 1996 aus, wo es um Lutschtabletten aus Kirschen- und Orangenfruchtbestandteilen mit beigefügtem organischem Zink und deren Anpreisung gegen Erkältungskrankheiten ging. Es führte dort aus, dass die von der damaligen Beschwerdeführerin gewählten Werbemethoden, welche über ernährungsphysiologische Wirkungen eines Speziallebensmittels hinausgingen, beim Konsumenten den - unzutreffenden - Eindruck erweckten, mit dem Kauf der umstrittenen Bonbons ein Heilmittel gegen Erkältungskrankheiten zu erwerben. Die Beschwerdeführerin habe deshalb gegen das Verbot von Heilanpreisungen für Lebensmittel verstossen (Art. 19 Abs. 1 lit. c und d LMV). Hierbei handle es sich "um einen Spezialtatbestand des im revidierten Lebensmittelgesetz nun allgemein statuierten Täuschungsverbots
BGE 127 II 91 S. 99
(Art. 18 LMG)". Die kantonalen Behörden seien deshalb - im Rahmen ihrer lebensmittelpolizeilichen Aufsichtskompetenzen - befugt gewesen, das nicht gesetzeskonforme Werbematerial zu beschlagnahmen und die weitere widerrechtliche Werbung zu untersagen (Urteil vom 6. Februar 1996 i.S. A., E. 3c, veröffentlicht in: SMI 1996 S. 504 ff.).
b) aa) Bei der Frage, ob sich der Bundesrat mit Art. 19 Abs. 1 lit. c LMV an den ihm gesetzten Delegationsrahmen gehalten hat, ist schliesslich auch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber ihm - trotz gewisser Einschränkungen gegenüber den bisherigen Befugnissen - einen weiten Ermessensspielraum bei der Konkretisierung dessen einräumen wollte, was als Anpreisung, Aufmachung und Verpackung der Lebensmittel geeignet erscheint, den Konsumenten im Sinne von Art. 18 Abs. 2 LMG zu täuschen (vgl. BBl 1989 I 949). Dieser Spielraum ist für die rechtsanwendenden Behörden verbindlich (vgl. BGE 126 II 399 E. 4a S. 404 f., mit Hinweisen); es soll damit den im Lebensmittelbereich erforderlichen technischen Anpassungen an die sich rasch wandelnden Entwicklungen Rechnung getragen werden können (vgl. BBl 1989 I 973). Das Lebensmittelgesetz regelt die Grundsätze, die technischen Einzelheiten werden dagegen auf Verordnungsstufe erfasst. Dementsprechend führte der Bundesrat in seiner Botschaft aus, dass sich das Problem der Verträglichkeit mit dem internationalen Recht erst auf diesem Niveau stelle. Es werde deshalb jeweils vor Erlass des Verordnungsrechts zu prüfen sein, ob es inhaltlich und in seinen Auswirkungen mit diesem vereinbar erscheine. Vorschriften, die den entsprechenden Erfordernissen nicht genügten, müssten auf einer sachlich begründeten Notwendigkeit beruhen (BBl 1989 I 973).
bb) Vor diesem Hintergrund bestätigt die Regelung in der "Richtlinie 1979/112/EWG des Rates vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür", dass mit Art. 18 Abs. 2 LMG der Bundesrat - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts - nicht nur und ausschliesslich ermächtigt werden sollte, "tatsachenwidrige" Heilanpreisungen von Lebensmitteln zu verbieten. Nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie dürfen die Etikettierung und die Art und Weise, in der sie erfolgt, bzw. die Werbung (Art. 2 Abs. 3 lit. b), nicht geeignet sein, den Käufer irrezuführen (lit. a), und zwar insbesondere nicht (i) über die Eigenschaften des Lebensmittels, namentlich über Art, Identität,
BGE 127 II 91 S. 100
Beschaffenheit, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprung oder Herkunft und Herstellungs- oder Gewinnungsart oder (ii) durch Angaben von Wirkungen oder Eigenschaften, die das Lebensmittel nicht besitzt, bzw. (iii) indem zu verstehen gegeben wird, dass das Lebensmittel besondere Eigenschaften besitzt, obwohl alle vergleichbaren Lebensmittel ebenfalls hierüber verfügen. Daneben erfasst die Richtlinie in lit. b eigenständig - ohne dass noch eine spezifische Täuschung des Konsumenten durch eine falsche Werbeaussage erforderlich wäre - das gesundheitspolizeilich motivierte heilmittelspezifische Werbeverbot. Demnach darf die Etikettierung bzw. Werbung nicht, "vorbehaltlich der Vorschriften über Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind, einem Lebensmittel Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Erkrankung zuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaft entstehen lassen". Dem gleichen Zweck dienen - wie dargelegt - Art. 19 Abs. 1 lit. c und d LMV im Rahmen von Art. 18 bzw. Art. 3 Abs. 2 LMG, auch wenn die Strukturierung und Stossrichtung der verschiedenen Werbeverbote im schweizerischen Recht weniger klar erscheinen als in Art. 2 der EU-Richtlinie. Die entsprechenden Bestimmungen der Lebensmittelverordnung halten sich an den dem Bundesrat eingeräumten Delegationsrahmen, nachdem mit dem Lebensmittelgesetz gegenüber dem bisherigen Recht keine Praxisänderung bezüglich des Begriffs der Täuschung beabsichtigt war (BBl 1989 I 933) und sich eine solche in der Folge auch nicht aus den vom Gesetzgeber vorgenommenen Änderungen ergab. Bereits Art. 19 aLMV in der Fassung vom 26. Mai 1936 (AS 1936 S. 310) und vom 4. November 1987 (AS 1987 S. 1729) enthielten das Verbot, für Lebensmittel mit Heilanpreisungen zu werben.

4. Der Beschwerdegegner macht für den Fall, dass Art. 19 Abs. 1 lit. c LMV über eine hinreichende gesetzliche Grundlage verfügen sollte, geltend, das umstrittene Verbot beeinträchtige ihn in unzulässiger Weise in seiner durch Art. 10 EMRK geschützten Meinungsäusserungsfreiheit bzw. in seiner Wirtschaftsfreiheit gemäss Art. 27 BV. Im Übrigen führe die beanstandete Massnahme zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung von Grundnahrungs- und Speziallebensmitteln.
a) Seine Einwände überzeugen nicht: Zwar kann auch eine Werbebotschaft in den Geltungsbereich von Art. 10 EMRK fallen (vgl. BGE 123 II 402 E. 5a S. 414; BGE 120 Ib 142 E. 4 S. 148) und ist mit dem beanstandeten Werbeverbot ein Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit
BGE 127 II 91 S. 101
verbunden, doch beruht dieser mit Art. 19 Abs. 1 lit. c LMV auf einer klaren gesetzlichen Grundlage. Er liegt insofern im öffentlichen Interesse, als er aus gesundheitspolizeilichen Gründen die Anwendung der Heilmittel- von der Lebensmittelgesetzgebung abgrenzt; mit Blick auf eine allenfalls untaugliche "Selbstmedikation" wegen einer angeblich mit einem Lebensmittel verbundenen vorbeugenden bzw. heilenden Wirkung wirkt er gesundheitsgefährdenden Irrtümern im Publikum entgegen (vgl. zum deutschen Recht KIETHE/GROESCHKE, a.a.O., S. 978 Ziff. 1d). Dem Beschwerdegegner ist einzuräumen, dass dies bei der Milch und dem von ihm damit verbundenen Hinweis auf die positive Wirkung des darin enthaltenen Kalziums nur beschränkt der Fall sein dürfte, doch verkennt er, dass eine umfassende Sicherung der auf dem Spiele stehenden gewichtigen Interessen der Volksgesundheit nur über ein allgemeines Verbot krankheitsbezogener Aussagen im Zusammenhang mit Lebensmitteln wirksam erreicht wird. Dürfte diesen - ausserhalb der arzneimittelrechtlichen Verfahren - "Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit" zugeschrieben werden, kämen Interventionen zum Schutze des öffentlichen Interesses regelmässig zu spät. Das Verbot einer krankheitsbezogenen Werbung rechtfertigt sich umso mehr, als es der Hersteller regelmässig in der Hand hat, sein Produkt als Arzneimittel auf den Markt zu bringen, wobei die gefährdeten öffentlichen Interessen dann im Rahmen der heilmittelrechtlichen Gesetzgebung geschützt werden.
b) Dem Beschwerdegegner wird zudem nicht jegliche gesundheitsbezogene Werbung untersagt, sondern lediglich der Gebrauch von Hinweisen, die sich auf eine vorbeugende oder heilende Wirkung bezüglich einer menschlichen Krankheit - im konkreten Fall die Knochenbrüchigkeit (Osteoporose) - beziehen. Art. 19 Abs. 1 lit. c LMV untersagt im öffentlichen Interesse eine krankheits-, hingegen nicht auch eine allgemeine, gesundheitsbezogene Werbung, soweit diese auf vertretbaren Tatsachen beruht und ihrerseits wieder zu keiner Täuschung des Publikums Anlass gibt. So ist es dem Beschwerdegegner etwa unbenommen, in seiner Werbung darauf hinzuweisen, dass ein regelmässiger Milchkonsum gut für die Gesundheit sei, weil dem Körper dadurch natürlicherweise Kalzium zugeführt werde, was für den Knochenbau vorteilhaft erscheine. Der Beschwerdegegner kann auch betonen, dass Ernährungsspezialisten den Konsum von drei Portionen Milch empfehlen, etwa einem Glas Milch, einem Becher Joghurt und einem Stück
BGE 127 II 91 S. 102
Käse; er darf dabei indessen wiederum nicht - was ihm das Kantonale Laboratorium einzig untersagt hat - einen Bezug zu einer vorbeugenden Wirkung bezüglich der Osteoporose herstellen. Art. 19 Abs. 1 lit. c LMV will nicht - auch im Interesse des Konsumenten liegende (vgl. KIETHE/GROESCHKE, a.a.O., S. 979 Ziff. 1e/aa) - gesundheitsdienliche Produkteinformationen verhindern, sondern krankheitsspezifischer Werbung und damit gesundheitsgefährdender Pseudowissenschaftlichkeit vorbeugen, wie sie mit krankheitsbezogenen Aussagen in Werbekampagnen regelmässig verbunden ist. Hinweise auf vorbeugende, behandelnde
BGE 127 II 91 S. 103
oder heilende Wirkungen sollen wissenschaftlich erhärtet und im heilmittelrechtlichen Verfahren erstellt sein; entsprechende Angaben gehören nicht in die Anpreisung von Lebensmitteln, ansonsten - vorliegend - etwa auch darauf hinzuweisen wäre, dass der Körper Kalzium nur aufnehmen kann, wenn ihm gleichzeitig Vitamin D zugeführt wird, oder dass der Konsum stark fetthaltiger Lebensmittel, etwa von Käse, zur Erhöhung des Cholesteringehaltes im Blut führen und damit, bei regelmässigem Verzehr, wiederum das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen erhöhen kann. Der mit dem Verbot krankheitsbezogener Werbung verbundene Eingriff in die Meinungsäusserungsfreiheit (Art. 10 EMRK) bzw. die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) ist - mit Blick auf die damit verfolgten gewichtigen öffentlichen Interessen - nicht schwerwiegend und sowohl erforderlich wie geeignet, um diese zu schützen. Er ist deshalb im Sinne von Art. 10 Ziff. 2 EMRK bzw. Art. 36 BV gerechtfertigt.
c) aa) Bei dieser Auslegung von Art. 19 Abs. 1 lit. c LMV werden die Grundnahrungsmittel gegenüber den Spezialnahrungsmitteln bzw. den mit essentiellen oder physiologisch nützlichen Stoffen angereicherten Nahrungsmitteln (Art. 6 LMV und Nährwertverordnung vom 26. Juni 1995 [SR 817.021.55]) auch nicht in unzulässiger Weise ungleich behandelt: Dem Beschwerdegegner ist es nicht verwehrt, im Rahmen der Anpreisung seiner Produkte auf die gesundheitsfördernde Wirkung eines in der Milch natürlicherweise vorhandenen Elements hinzuweisen; umgekehrt haben sich auch die Hersteller von angereicherten Lebensmitteln im Rahmen der nach Art. 19 Abs. 1 lit. c Ziff. 1 LMV zulässigen Hinweise spezifisch krankheitsvorbeugender, behandelnder oder heilender Anpreisungen zu enthalten. Ihre Ausführungen haben sich auf die allgemeinen gesundheitsfördernden Wirkungen des konkreten Zusatzes zu beschränken; auch ihnen ist es gestützt auf Art. 3 Abs. 2 und Art. 18 Abs. 2 LMG verwehrt, auf eine vorbeugende, behandelnde oder heilende Wirkung bezüglich einer konkreten Krankheit in der hier umstrittenen Weise Bezug zu nehmen. Es ist ihnen gestattet, auf den gegenüber den Grundnahrungsmitteln erhöhten Gehalt an einem essentiellen oder ernährungsphysiologisch nützlichen Stoff (dem konkreten Zusatz) und auf die damit die Volksgesundheit allenfalls gesteigert fördernde Wirkung ihres Produkts zu verweisen; auch dermassen angereicherte Lebensmittel dürfen sich aber nicht den Anschein eines Heilmittels geben (Art. 19 Abs. 1 lit. d LMV). Die angereicherten Lebensmittel werden damit bezüglich der krankheitsbezogenen Anpreisung gleich behandelt wie die Grundnahrungsmittel; eine allfällige werbemässige Ungleichbehandlung bezieht sich allein auf den - gegenüber dem Grundnahrungsmittel - erhöhten Gehalt an essentiellen oder ernährungsphysiologisch nützlichen Stoffen und beruht damit auf einem sachlichen Unterschied in der Zusammensetzung der Produkte.
bb) Das Gleiche gilt für die besondere Zweckbestimmung oder die ernährungsphysiologische Wirkung von Speziallebensmitteln: Dabei geht es um Produkte, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind und aufgrund ihrer Zusammensetzung oder des besonderen Verfahrens ihrer Herstellung den Ernährungsbedürfnissen von Menschen entsprechen, die aus gesundheitlichen Gründen eine andersartige Kost benötigen (beispielsweise für Diabetiker verwendbare Lebensmittel, lactosearme bzw. lactosefreie Produkte usw.), oder die dazu beitragen, bestimmte ernährungsphysiologische Wirkungen zu erzielen (Art. 165 LMV). Bei solchen speziellen Nahrungsmitteln liegt es in der Natur der Sache, dass sie einen näheren Bezug zu einem pathologischen Zustand haben als die Grundnahrungsmittel, bilden sie doch oft gerade die mit Blick auf spezifische Ernährungsbedürfnisse erforderliche Alternative zu diesen. Auch ihnen darf indessen nicht der Anschein eines Heilmittels geben werden (Art. 19 Abs. 1 lit. d LMV). Die Werbung bezüglich ihrer spezifischen Verwendung soll allein der sachgemässen Kundeninformation hinsichtlich ihrer Spezialität dienen, d.h. wiederum bezüglich jenes Punktes, in dem sie sich von den Grundnahrungsmitteln unterscheiden. Von einer Verletzung des verfassungsmässigen Gleichbehandlungsgebots kann unter diesen Umständen ebenso wenig die Rede sein wie von einer unzulässigen Diskriminierung im Sinne von Art. 14 in Verbindung mit Art. 10 EMRK (vgl. BGE 123 II 402 E. 5c/bb S. 417 f.).

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