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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_349/2021  
 
 
Urteil vom 2. Juni 2021  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
Bundesrichter Hurni 
Gerichtsschreiber Held. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Einsprache gegen Strafbefehl (versuchte einfache Körperverletzung, Beschimpfung); Strafzumessung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 29. Januar 2021 (SBK.2020.314). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit Strafbefehl vom 31. Oktober 2019 sprach die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten gegen den Beschwerdeführer eine unbedingte Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu Fr. 1'330.- respektive eine Ersatzfreiheitsstrafe von 100 Tagen aus. Der Strafbefehl wurde dem Beschwerdeführer am 2. November 2019 zur Abholung bis zum 9. November 2019 gemeldet. Der Beschwerdeführer verlängerte am 8. November 2019 die Aufbewahrungsfrist bei der Post und holte den Strafbefehl am 20. November 2019 ab. Mit Eingabe vom gleichen Tag erhob er gegen den Strafbefehl Einsprache. 
Mit Verfügung vom 6. Oktober 2020 trat das Bezirksgericht Laufenburg auf die Einsprache nicht ein und hielt fest, dass der Strafbefehl damit in Rechtskraft erwächst. 
 
2.   
Die hiergegen erhobene Beschwerde wies die Vorinstanz mit Entscheid vom 29. Januar 2021 ab. Sie erwägt, soweit vorliegend von Relevanz, der Beschwerdeführer habe mit der Zustellung des Strafbefehls rechnen müssen. Dass er der Staatsanwaltschaft seine Abwesenheit (im Zeitpunkt der Zustellung des Strafbefehls) angezeigt habe, sei nicht erstellt. Die von ihm angeblich übermittelte Abwesenheitsliste, befinde sich nicht in den Verfahrensakten; auch im Verfahrensprotokoll der Staatsanwaltschaft sei kein Eingang einer Abwesenheitsmitteilung vermerkt. Die Verlängerung der postalischen Abholfrist habe nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung keinen Einfluss auf den Eintritt der Zustellfiktion gemäss Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO, weshalb der Strafbefehl als am 9. November 2019 zugestellt gelte und die hiergegen erhobene Einsprache vom 20. November 2019 verspätet sei. 
 
3.   
Der Beschwerdeführer beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in Strafsachen sinngemäss, der Entscheid der Vorinstanz sei aufzuheben und die Sache an diese mit der Auflage zurückzuweisen, auf die Beschwerde einzutreten und ihn freizusprechen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege. 
Der Beschwerdeführer rügt, die Feststellung der Vorinstanz, der Strafbefehl sei am 31. Oktober 2019 in Rechtskraft erwachsen, sei falsch. Der am 31. Oktober 2019 versandte Strafbefehl wäre ihm unter normalen Umständen am 1. November 2019 zugestellt worden. Da der 1. November 2019 an seinem Wohnort ein Feiertag (Allerheiligen) gewesen sei, wäre ihm das Schreiben hingegen erst am darauf folgenden Montag, dem 4. November 2019 zugestellt worden, an dem er es hätte entgegennehmen können. Mit der siebentägigen Abholfrist wäre die vom EGMR ohnehin als zu kurz kritisierte zehntägige Einsprachefrist erst am 21. November 2019 abgelaufen. Aber selbst wenn man den 2. November 2019 als Zustelldatum nehmen würde - obwohl an Samstagen keine Einschreiben zugestellt würden - endete die Einsprachefrist am 19. November 2019, zu deren Wahrung die Postaufgabe genüge. Damit wäre der Staatsanwaltschaft die Einsprache durch die Post frühestens am 20. November 2019 zugestellt worden, mithin am selben Tag, an dem sie auch tatsächlich seine Einsprache erhalten habe. 
 
4.  
 
4.1. Gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Beschwerdebegründung in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt, wobei für die Anfechtung des Sachverhalts qualifizierte Begründungsanforderungen gelten (vgl. Art. 97 Abs. 1, Art. 106 Abs. 2 BGG).  
 
4.2. Die Zustellung einer eingeschriebenen Postsendung, die nicht abgeholt worden ist, gilt am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als erfolgt, sofern die Person mit einer Zustellung rechnen musste (Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO; Urteile 6B_324/2020 vom 7. September 2020 E. 1.2; 6B_110/2016 vom 27. Juli 2016 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 142 IV 286; je mit Hinweisen).  
 
5.  
 
5.1. Anfechtungsobjekt des bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahrens bildet ausschliesslich der Entscheid der Vorinstanz vom 29. Januar 2021 als letztinstanzlicher kantonaler Entscheid (vgl. Art. 80 Abs. 1 und Art. 90 BGG). Auf die vom Beschwerdeführer gegen den Strafbefehl und das erstinstanzliche Urteil erhobenen Rügen ist nicht einzutreten.  
 
5.2. Die vom Beschwerdeführer gegen die Nicht-Einhaltung der Einsprachfirst erhobenen Rügen erweisen sich als unbegründet, soweit auf sie eingetreten werden kann. Sein Vorbringen, "aus den Unterlagen geht klar hervor, dass der Beschwerdeführer die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten über seine Abwesenheiten informierte", findet in den Akten keine Stütze. Die Vorinstanz geht im angefochtenen Entscheid mithin nicht von Tatsachen aus, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen, weshalb sie zu Recht eine Zustellung des Strafbefehls zur Unzeit verneint.  
Die Vorinstanz gibt die Grundsätze zur Zustellfiktion im angefochtenen Entscheid zutreffend wieder. Was der Beschwerdeführer hiergegen vorbringt, geht an der Sache vorbei. Soweit er ausführt, aufgrund des Feiertages (Allerheiligen) wäre ihm das Einschreiben grundsätzlich am Montag zugestellt worden, weicht er von den insoweit nicht bestrittenen und für das Bundesgericht verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz ab (Art. 105 Abs. 1 BGG), wonach ihm der per Einschreiben versandte Strafbefehl am 2. November 2019 mit Frist zur Abholung bis zum 9. November 2019 gemeldet wurde, den er - nach Verlängerung der Aufbewahrungsfrist - am 20. November 2019 am Schalter entgegennahm. Zudem übersieht der Beschwerdeführer, dass bei einer hypothetischen Zustellung an ihn am 4. November 2019 die Zustellfiktion von Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO nicht zur Anwendung gelangt, sondern die Frist zur Einsprache nach dem Tag der tatsächlichen Entgegennahme zu laufen begonnen und bereits am 14. November 2019 geendet hätte (vgl. Art. 85 Ab.s 3 i.V.m. Art 90 Abs. 1 StPO). Nichts zu seinen Gunsten ableiten kann der Beschwerdeführer aus dem Umstand, dass die Staatsanwaltschaft die Einsprache ebenfalls (erst) am 20. November 2019 erhalten hätte, wenn er die Eingabe am letzten Tag der Frist per Post aufgegeben hätte. Er übersieht, dass gemäss Art 91 Abs. 2 StPO Eingaben spätestens am letzten Tag der Frist bei der Strafbehörde abgegeben oder zu deren Handen der Schweizerischen Post, einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben werden müssen und gesetzliche Fristen nicht erstreckt werden können (Art. 89 Abs. 1 StPO). 
 
6.   
Die Beschwerde ist im Verfahren gemäss Art. 109 BGG abzuweisen, soweit auf sie eingetreten werden kann. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist infolge Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Dem Beschwerdeführer sind reduzierte Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 i.V.m. Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.   
Dem Beschwerdeführer werden Gerichtskosten in Höhe von Fr. 1'200.- auferlegt. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 2. Juni 2021 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Der Gerichtsschreiber: Held