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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
9C_22/2019  
 
 
Urteil vom 7. Mai 2019  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann, Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiber Fessler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Barbara Laur, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, 
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 16. November 2018 (IV 2018/211). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________ bezog ab 1. August 2002 eine halbe Rente, ab 1. Januar 2004 eine Dreiviertelsrente und ab 1. Februar 2011 eine Viertelsrente der Invalidenversicherung. Im November 2015 ersuchte er um eine Erhöhung der Rente. Nach Abklärungen und durchgeführtem Vorbescheidverfahren sprach ihm die IV-Stelle des Kantons St. Gallen mit Verfügung vom 20. Dezember 2017 eine Dreiviertelsrente ab          1. November 2015 zu. 
 
B.   
Am 1. Februar 2018 reichte A.________ beim Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen Beschwerde ein, womit er die Aufhebung der Verfügung vom 20. Dezember 2017 und die Zusprache einer ganzen Rente beantragte (Verfahren IV 2018/44). Mit Verfügung vom 5. April 2018 widerrief die IV-Stelle die Verfügung vom 20. Dezember 2017 und merkte an, die bisherige (Viertels-) Rente werde weiter ausgerichtet. "Sobald wir die notwendigen Abklärungen durchgeführt haben, werden wir Ihnen eine neue beschwerdefähige Verfügung zustellen". Dagegen erhob der Versicherte Beschwerde (Verfahren IV 2018/211), welche das kantonale Versicherungsgericht mit Entscheid vom         16. November 2018 abwies. 
 
C.   
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid des kantonalen Versicherungsgerichts vom 16. November 2018 und die Verfügung der IV-Stelle vom "4. April 2018" seien aufzuheben; die Sache sei an die Vorinstanz zurückzuweisen und diese anzuweisen, die Beschwerde im Verfahren IV 2018/44 zu behandeln und ihm Gelegenheit zu geben, die gegen die Verfügung vom 20. Dezember 2017 erhobene Beschwerde zurückzuziehen. 
Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Vorinstanz hat den Widerruf der angefochtenen Verfügung durch die IV-Stelle als gültig und damit rechtswirksam erachtet und die dagegen erhobene Beschwerde abgewiesen. Das sistierte Verfahren betreffend die aufgehobene Verfügung (IV 2018/44) beabsichtigt sie als gegenstandslos am Protokoll abzuschreiben (vgl. Schreiben vom    12. April 2018). In Auslegung des Gesetzes ist die Vorinstanz zum Ergebnis gelangt, nach Art. 53 Abs. 3 ATSG und Art. 58 VwVG habe die verfügende Behörde ein uneingeschränktes Recht, die angefochtene Verfügung bis zu ihrer Vernehmlassung zu widerrufen. Der Widerruf müsse zwar in Verfügungsform eröffnet werden, was bedeute, dass er anfechtbar sei. Das Gesetz enthalte jedoch keine inhaltlichen Kriterien, anhand derer die Rechtmässigkeit eines Widerrufs geprüft werden könnte. In aller Regel werde das Versicherungsgericht daher eine dagegen erhobene Beschwerde ohne weiteres abweisen. 
 
2.   
Der Beschwerdeführer rügt, die Aufhebung der angefochtenen Verfügung, mit welchem ihm eine Dreiviertelsrente der Invalidenversicherung zugesprochen worden sei, ohne dass ihm die Vorinstanz Gelegenheit zum Rückzug der Beschwerde gegeben habe, verletze Bundesrecht (Art. 95 lit. a BGG). Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf die Rechtsprechung (u.a. BGE 127 V 228 und BGE 137 V 314). 
 
3.   
 
3.1. Der Versicherungsträger kann eine Verfügung oder einen Einspracheentscheid, gegen die Beschwerde erhoben wurde, so lange wiedererwägen, bis er gegenüber der Beschwerdebehörde Stellung nimmt (Art. 53 Abs. 3 ATSG). Nach der Rechtsprechung kommt diese Bestimmung nur zum Tragen, wenn die Behörde zu Gunsten der Beschwerde führenden Partei verfügt. Denn eine lite pendente erlassene Verfügung beendet den Streit nur insoweit, als damit den Begehren der Beschwerde führenden Partei entsprochen wird (BGE 127 V 228 E. 2b/bb S. 232 f. und Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts       I 653/03 vom 20. April 2004 E. 1; vgl. auch Urteil 2C_553/2015 vom 26. November 2015 E. 2.3). Die vorinstanzlichen Erwägungen, namentlich der Hinweis auf den (offenen) Wortlaut von Art. 53 Abs. 3 ATSG, welcher die blosse Aufhebung der angefochtenen Verfügung lite pendente nicht von vornherein ausschliesse, geben keinen Anlass zu einer vertieften Auseinandersetzung mit dieser Regelung (zu den Voraussetzungen für eine Praxisänderung BGE 141 II 297 E. 5.5.1    S. 303; 137 V 417 E. 2.2.2 S. 422; je mit Hinweisen).  
 
3.2. Im vorliegenden Fall wurde das Beschwerdeverfahren durch die Widerrufsverfügung vom 5. April 2018 nicht hinfällig. Das kantonale Versicherungsgericht hätte daher die Rechtmässigkeit der angefochtenen Verfügung prüfen müssen, dies unter Beachtung der Verfahrensrechte der Parteien, wie sie sich unter anderem aus Art. 61 lit. d ATSG ergeben, welche Bestimmung auch bei einer beabsichtigten Rückweisung der Sache an die Verwaltung zu ergänzenden Abklärungen und zu neuer Verfügung zur Anwendung kommt (BGE 137 V 314).  
 
4.   
Nach dem Gesagten war die lite pendente erlassene Verfügung vom 5. April 2018 unzulässig und hätte daher von der Vorinstanz aufgehoben werden müssen (Urteil 2C_553/2015 vom 26. November 2015    E. 2.3 mit Hinweisen). Der angefochtene Entscheid verletzt somit Bundesrecht und ist aufzuheben. Das kantonale Versicherungsgericht wird das sistierte Verfahren IV 2018/44 fortsetzen, wobei es Art. 61 lit. d ATSG und die dazu ergangene Rechtsprechung (BGE 137 V 314; 127 V 228 E. 2b/bb S. 232 ff.) zu beachten hat. Die Beschwerde ist begründet. 
 
5.   
Ausgangsgemäss hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Die Parteikosten des vorangegangenen Verfahrens (Art. 61 lit. g ATSG) wird die Vorinstanz im Rahmen des Endentscheids festzusetzen haben. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 16. November 2018und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons St. Gallen vom 5. April 2018 werden aufgehoben. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 7. Mai 2019 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Der Gerichtsschreiber: Fessler