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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5A_525/2022  
 
 
Urteil vom 3. August 2022  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Herrmann, Präsident, 
Bundesrichter Marazzi, von Werdt, 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.A.________ und B.A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Benjamin Nüesch, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Münchwilen, Wilerstrasse 19, 8370 Sirnach. 
 
Gegenstand 
Anordnung eines Erziehungsfähigkeitsgutachtens, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 14. April 2022 (KES.2022.11). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Beschwerdeführer sind die verheirateten Eltern des 2021 geborenen C.________. Die Mutter hat eine weitere, im Jahr 2004 geborene Tochter namens E.________, welche fremdplatziert ist. 
 
Bereits am 13. August 2020 hatte die KESB Münchwilen aufgrund einer Gefährdungsmeldung der Kantonspolizei Zürich für die Mutter ein Verfahren zur Prüfung von Erwachsenenschutzmassnahmen eröffnet, dieses aber am 12. Oktober 2020 wieder eingestellt. 
 
Nachdem die KESB von der Geburt von C.________ erfahren hatte, eröffnete sie für ihn ein Verfahren zur Prüfung von Kindesschutzmassnahmen. Nach einer Anhörung der Eltern eröffnete sie diesen, dass sie die Erstellung eines Erziehungsfähigkeitsgutachtens beabsichtige, womit diese nicht einverstanden waren. Am 1. Februar eröffnete die KESB den Eltern, dass sie Dr. D.________, Fachstelle Gutachten und Jugendforensik des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes Thurgau, mit der Erstellung des Gutachtens beauftragen werde, und gewährte ihnen die Möglichkeit, Einwände gegen den Gutachter zu erheben und Ergänzungsfragen zu stellen. 
 
B.  
Mit Entscheid vom 1. März 2022 ordnete die KESB die Einholung des Gutachtens an und unterbreitete dem Gutachter den Fragenkatalog. 
 
Die hiergegen erhobene Beschwerde der Eltern wies das Obergericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 14. April 2022 ab. 
 
C.  
Gegen den obergerichtlichen Entscheid haben die Eltern am 7. Juli 2022 beim Bundesgericht eine Beschwerde eingereicht. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Zwischenentscheid über die Anordnung eines Erziehungsfähigkeitsgutachtens, wobei der nicht wieder gutzumachende Nachteil in der Beschwerde dargelegt wird; die Beschwerde in Zivilsachen steht somit offen (Art. 72 Abs. 1, Art. 75 Abs. 1 und Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG). 
 
2.  
Der von der Vorinstanz festgestellte Sachverhalt ist für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich (Art. 105 Abs. 1 BGG). Diesbezüglich kann nur eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung gerügt werden, für welche das strenge Rügeprinzip gilt (Art. 97 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 2 BGG), was bedeutet, dass das Bundesgericht nur klar und detailliert erhobene und belegte Rügen prüft, während es auf ungenügend substanziierte Rügen und rein appellatorische Kritik am Sachverhalt nicht eintritt (BGE 140 III 264 E. 2.3; 141 IV 249 E. 1.3.1). 
 
In rechtlicher Hinsicht hat die Beschwerde eine Begründung zu enthalten, in welcher in gedrängter Form dargelegt wird, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG), was eine sachbezogene Auseinandersetzung mit dessen Begründung erfordert (BGE 140 III 115 E. 2; 142 III 364 E. 2.4). 
 
3.  
Das Obergericht hat in genereller bzw. rechtlicher Hinsicht erwogen, dass die KESB den Sachverhalt von Amtes wegen abzuklären und die notwendigen Beweise zu erheben habe; Art. 314 Abs. 1 i.V.m. Art. 446 Abs. 2 ZGB bilde die gesetzliche Grundlage zur Anordnung des Gutachtens, wobei gemäss Art. 448 Abs. 1 ZGB die am Verfahren beteiligten Personen und Dritte zur Mitwirkung verpflichtet seien. Im Zusammenhang mit der Verhältnismässigkeit und Erforderlichkeit der Begutachtung hat es folgende tatsächliche Feststellungen getroffen: 
 
- Die Beiständin habe berichtet, dass die (im Jahr 2004 geborene und fremdplatzierte, vgl. Lit. A) Halbschwester E.________ sie gebeten habe, die Besuche der Mutter zu sistieren; sie konsumiere nach wie vor Drogen, lege für jeden Entscheid Tarotkarten und habe schräge Fantasien. Die Beiständin berichtete weiter, dass sie der Tochter die Schuld am Brand im Europapark Rust gegeben habe und die Aussagen bei E.________ massive Ängste ausgelöst hätten. 
- Dem Bericht der Kantonspolizei vom 10. August 2020 sei zu entnehmen, dass gewisse Wahrnehmungen und Aussagen der Mutter realitätsfremd seien und sie sich in einer der Wirklichkeit entrückten Gedankenwelt bewege; seit Ende Juni 2020 habe sie der Polizei rund 60 E-Mails mit Notizen, Screenshots und weiteren Dateien übermittelt, die ein sehr undurchsichtiges Gedankenmuster eröffnen würden. 
- Seit dem 10. August 2021 befinde sich die Mutter erneut in psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung. 
- In ihrer Stellungnahme vom 12. Dezember 2021 berichte E.________ über ihre Erfahrungen mit der Mutter. Diese sei ihr gegenüber oft desinteressiert gewesen, habe ihr keine Mahlzeiten zubereitet und einen Mann zu ihr ins Bett gelassen, der sie berührt habe; ihre Mutter habe sie verschiedentlich manipuliert und belogen und teilweise habe es auch an Hygiene gemangelt, beispielsweise habe sie nicht gelernt, wie man die Zähne putze. 
Das Obergericht hat festgehalten, dass die Stellungnahme von E.________ aufgrund ihrer Differenzen mit der Mutter mit Vorsicht zu würdigen sei. Es ergebe sich aber das Gesamtbild, dass die Mutter in ihrer psychischen Gesundheit beeinträchtigt sein könnte. Den Beschwerdeführern sei zwar beizupflichten, dass eine mögliche Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit nicht zwangsläufig zu einer herabgesetzten Erziehungsfähigkeit führe, aber es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Beeinträchtigung negative Auswirkungen auf die Entwicklung und das Wohl von C.________ haben könnte. Dazu komme, dass die Mutter offenbar nach wie vor Drogen konsumiere. Sie habe bei der persönlichen Anhörung vom 4. November 2021 angegeben, dass sie dies zum Spannungsabbau täglich tue, wenn C.________ im Bett sei. E.________ habe in ihrer Stellungnahme festgehalten, dass sie sich u.a. genau deshalb Sorgen um ihren Halbbruder C.________ mache. Insgesamt seien die Auswirkungen auf die Erziehungsfähigkeit unklar, aber es lägen genügend Risikofaktoren vor, welche die Erstellung eines Gutachtens als angezeigt und mangels milderer Mittel auch als erforderlich erscheinen lassen würden. Nichts daran ändere das von der Therapeutin der Mutter zuhanden der Behörde erstellte Schreiben, wonach keine Beurteilung der Erziehungsfähigkeit vorgenommen werden könne und aufgrund der psychiatrischen Diagnosen keine akute Gefährdung des Kindeswohls vorliege, weil damit nichts darüber gesagt sei, ob bei der Mutter Einschränkungen im Bereich der Erziehungsfähigkeit bestünden und ob sich dies negativ auf C.________ auswirken könnte. 
 
4.  
Wiederholt wird mit pauschalen und somit den Begründungsanforderungen nicht genügenden Ausführungen sinngemäss eine mögliche Beeinträchtigung der Erziehungsfähigkeit in Abrede gestellt. Daran schliesst der (ferner mit einer Gehörsrüge verbundene) Hauptvorwurf, die KESB habe entgegen ihrer Verpflichtung keine weiteren Abklärungen getroffen mit der Folge, dass die als möglich angesehene Kindeswohlgefährdung objektiv gar nicht greifbar sei und keine Anhaltspunkte für die angebliche Notwendigkeit eines Gutachtens vorlägen. Statt weniger eingreifende Massnahmen wie Einholen von Berichten oder Hausbesuche habe die KESB sogleich die Erstellung eines Gutachtens angeordnet und damit auch das Prinzip der Subsidiarität verletzt. Insgesamt habe sie auf für den vorliegenden Fall irrelevante Tatsachen abgestellt, statt die entscheidrelevanten Umstände zu berücksichtigen. Wenigstens anerkenne das Obergericht, dass die Aussagen von E.________ keine Bedeutung haben könnten. Im Übrigen nehme sie nur ganz sporadisch Drogen, und zwar medizinisch indiziert zum Spannungsabbau; als Lastwagenfahrerin wäre angesichts der Nulltoleranz auch gar nichts anderes möglich. Vor diesem Hintergrund sei das Obergericht mit der Anordnung eines Gutachtens grundlos von in der Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgerückt, die Eingriffsschwelle für die Anordnung eines Gutachtens sei klarerweise nicht erreicht. 
 
5.  
Abgesehen davon, dass die Vorbringen teils neu und damit unzulässig sind (Art. 99 Abs. 1 BGG; namentlich das Vorbringen, Lastwagenführerin zu sein, ist neu, wäre aber ohnehin kein Beleg für Drogenabstinenz, nachdem die Mutter kurz zuvor selbst gegenteilige Aussagen gemacht hatte) und sich die Kritik zum grossen Teil direkt gegen die KESB richtet, was unzulässig ist, weil einzig der obergerichtliche Entscheid das Anfechtungsobjekt bildet (vgl. Art. 75 Abs. 1 BGG), beschlagen die Ausführungen weitestgehend den Sachverhalt, bleiben aber von der Sache her rein appellatorisch, woran das ab und zu eingestreute Wort "willkürlich" nichts ändert; eine Willkürrüge im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung wäre erst dann substanziiert, wenn im Einzelnen aufgezeigt würde, dass und inwiefern das Gericht den Sinn und die Tragweite eines Beweismittels offensichtlich nicht erkannt, ohne vernünftigen Grund ein entscheidendes Beweismittel ausser Acht gelassen oder aus den vorhandenen Beweismitteln einen unhaltbaren Schluss gezogen hätte (BGE 129 I 8 E. 2.1; 136 III 552 E. 4.2; 137 III 226 E. 4.2; 140 III 264 E. 2.3). 
 
Davon kann vorliegend keine Rede sein. Das Obergericht hat eine ganze Anzahl von Sachverhaltselementen angeführt, welche in objektiver Weise an der uneingeschränkten Erziehungsfähigkeit der Mutter zweifeln lassen, wobei nicht klar ist, ob das Kindeswohl von C.________ konkret in Gefahr ist. Eben dies gilt es abzuklären und hierfür ist ein Erziehungsfähigkeitsgutachten das geeignete Mittel. Mit anderen Worten ist der Nachweis einer konkreten Kindeswohlgefährdung nicht die Voraussetzung für die Anordnung eines Gutachtens, sondern vielmehr ist dieses das Instrument zur Abklärung einer allfälligen Gefährdung. 
 
Insgesamt liegen genügend Anhaltspunkte vor, welche eine entsprechende Abklärung gebieten, so dass in rechtlicher Hinsicht ein Gutachten als erforderlich anzusehen ist. Schliesslich sind angesichts der zahlreichen Anhaltspunkte weitere Berichte, Hausbesuche u.ä. nicht zielführend, um Klarheit über die sich stellenden Fragen zu haben; vielmehr schafft einzig ein umfassendes Erziehungsfähigkeitsgutachten die notwendige Basis für weitere Entscheidungen und insofern ist dieses auch unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität unabdingbar. Daran ändert der Hinweis nichts, freiwillig psychiatrische Hilfe in Anspruch zu nehmen, denn dies schafft nicht den notwendigen Wissensstand, wie er für die weiteren Entscheidungsschritte seitens der KESB erforderlich ist. 
 
6.  
Vor dem Hintergrund des Gesagten gehen schliesslich die bei den einzelnen Vorbringen verschiedentlich zusätzlich eingestreuten Gehörsrügen (die KESB habe den Sachverhalt zu wenig abgeklärt; sie stütze sich auf frühere und bedeutungslose Vorfälle; sie wolle nicht zur Kenntnis nehmen, dass keinerlei Kindeswohlgefährdung vorliege; u.ä.m.) an der Sache vorbei, soweit es dabei überhaupt um Gehörsfragen geht. 
 
7.  
Zusammenfassend ergibt sich, dass in Bezug auf die beweiswürdigende Sachverhaltsfeststellung keine Verfassungsrügen vorliegen und im Übrigen keine Rechtsverletzung auszumachen ist. 
 
Mit dem sofortigen Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos. 
 
8.  
Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 3 ZGB). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, der KESB Münchwilen und dem Obergericht des Kantons Thurgau mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 3. August 2022 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Herrmann 
 
Der Gerichtsschreiber: Möckli