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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_732/2019  
 
 
Urteil vom 5. Juni 2020  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Bundesrichter Muschietti, 
Gerichtsschreiber Matt. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Marc Labbé, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Entschädigung / Genugtuung (Einstellung), 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts 
des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 15. Mai 2019 (BK 19 128). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die Staatsanwaltschaft Berner Jura-Seeland wirft A.________ vor, seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau unangemeldet grosse Mengen von teilweise nicht nur ihr gehörenden Gegenständen und verderblichen Esswaren vor ihr neues Zuhause gestellt und sie dadurch dazu genötigt zu haben, die Gegenstände wegzuräumen. 
Mit Verfügung vom 28. Februar 2019 stellte die Staatsanwaltschaft Berner Jura-Seeland das gegen A.________ wegen Nötigung geführte Verfahren ein, auferlegte ihm aber Verfahrenskosten in Höhe von Fr. 500.-- und sprach ihm weder eine Entschädigung noch eine Genugtuung zu. Die dagegen erhobene Beschwerde von A.________ wies das Obergericht des Kantons Bern am 15. Mai 2019 ab. 
 
B.   
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, die Verfahrenskosten seien dem Kanton aufzuerlegen und ihm sei eine Entschädigung für die angemessene Ausübung seiner Verfahrensrechte auszurichten, eventualiter sei die Sache zu neuer Beurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. Dieses verzichtet auf eine Stellungnahme. Die Generalstaatsanwaltschaft lässt sich innert Frist nicht vernehmen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Der Beschwerdeführer rügt die Sachverhaltsfeststellung und macht eine Verletzung von Bundesrecht geltend. 
 
1.1.  
 
1.1.1. Gemäss Art. 426 Abs. 1 StPO trägt die beschuldigte Person die Verfahrenskosten, wenn sie verurteilt wird. Wird das Verfahren eingestellt oder die beschuldigte Person freigesprochen, so können ihr die Verfahrenskosten ganz oder teilweise auferlegt werden, wenn sie rechtswidrig und schuldhaft die Einleitung des Verfahrens bewirkt oder dessen Durchführung erschwert hat (Art. 426 Abs. 2 StPO). Unter denselben Voraussetzungen kann die Strafbehörde die der beschuldigten Person bei Verfahrenseinstellung grundsätzlich auszurichtende Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte (Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO) herabsetzen oder verweigern (Art. 430 Abs. 1 lit. a StPO). Der Kostenentscheid präjudiziert die Entschädigungsfrage. Bei Auferlegung der Kosten ist grundsätzlich keine Entschädigung auszurichten. Umgekehrt hat die beschuldigte Person Anspruch auf Entschädigung, soweit die Kosten von der Staatskasse übernommen werden (BGE 137 IV 352 E. 2.4.2 mit Hinweisen).  
 
1.1.2. Nach der Rechtsprechung verstösst eine Kostenauflage bei Freispruch oder Einstellung des Verfahrens gegen die Unschuldsvermutung (Art. 10 Abs. 1 StPO, Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK), wenn der beschuldigten Person in der Begründung des Kostenentscheids direkt oder indirekt vorgeworfen wird, es treffe sie ein strafrechtliches Verschulden. Damit käme die Kostenauflage einer Verdachtsstrafe gleich. Dagegen ist es mit Verfassung und Konvention vereinbar, einer nicht verurteilten beschuldigten Person die Kosten zu überbinden, wenn sie in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise, d.h. im Sinne einer analogen Anwendung der sich aus Art. 41 OR ergebenden Grundsätze, eine geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnorm, die sich aus der Gesamtheit der schweizerischen Rechtsordnung ergeben kann, klar verletzt und dadurch das Strafverfahren veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat. In tatsächlicher Hinsicht darf sich die Kostenauflage nur auf unbestrittene oder bereits klar nachgewiesene Umstände stützen. Das Verhalten einer angeschuldigten Person ist widerrechtlich, wenn es klar gegen Normen der Rechtsordnung verstösst, die sie direkt oder indirekt zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen verpflichten (vgl. Art. 41 Abs. 1 OR). Vorausgesetzt sind regelmässig qualifiziert rechtswidrige, rechtsgenüglich nachgewiesene Verstösse. Die Verfahrenskosten müssen mit dem zivilrechtlich vorwerfbaren Verhalten in einem adäquat-kausalen Zusammenhang stehen (BGE 144 IV 202 E. 2.2; Urteil 6B_290/2018 vom 19. Februar 2019 E. 3.1 mit Hinweisen).  
Das Bundesgericht prüft frei, ob der Kostenentscheid direkt oder indirekt den Vorwurf strafrechtlicher Schuld enthält und ob die beschuldigte Person in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise gegen geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnormen klar verstiess und dadurch das Strafverfahren veranlasste. Unter Willkürgesichtspunkten prüft es die diesbezügliche Sachverhaltsfeststellung sowie gegebenenfalls kantonales Recht (BGE 144 IV 202 E. 2.2; 120 Ia 147 E. 3b; 119 Ia 332 E. 1b; 112 Ia 371 E. 2a; Urteil 6B_1334/2018 vom 20. Mai 2019 E. 1.1). 
 
1.2. Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer habe durch sein Verhalten in Kauf genommen, dass die Ehefrau den entstandenen Abfall und weitere Gegenstände kostenpflichtig habe entsorgen oder weiterleiten müssen. Ihr sei damit ein - wenn auch kleiner - Vermögensschaden entstanden. Dieser sei zudem widerrechtlich, weil der Beschwerdeführer gegen eine allgemein gültige Verhaltensnorm verstossen habe, wonach kostenpflichtig zu entsorgender Abfall bzw. Gegenstände selbst entsorgt werden müssten und nicht einer anderen Person hierzu weitergeleitet werden dürften. Überdies habe der Beschwerdeführer in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise in Kauf genommen, dass die im Freien deponierten Wertgegenstände seiner Ehefrau zerstört oder gestohlen werden könnten. Der in Kauf genommene Sachschaden sei als Verletzung des Eigentums stets widerrechtlich im Sinne von Art. 41 OR.  
 
1.3.  
 
1.3.1. Der Beschwerdeführer beschränkt sich in tatsächlicher Hinsicht darauf, seine bereits vor Vorinstanz erhobenen Einwände zu wiederholen, was zum Nachweis von Willkür nicht genügt (oben E. 1.1.2). Dies ist namentlich der Fall, wenn er wiederum vorbringt, eine Absprache mit der Ehefrau sei nicht möglich gewesen, weil diese heimlich ausgezogen sei (Beschwerde S. 9). Wie die Vorinstanz indes nachvollziehbar ausführt, hat keine Partei im Verfahren je geltend gemacht, versucht zu haben, die Angelegenheit in gegenseitiger Absprache zu regeln. Zudem ist unbestritten, dass sich der Beschwerdeführer mit seiner Ehefrau telefonisch in Verbindung setzen konnte, zumal er sie über die strittigen Transporte jeweils kurzfristig informierte. Nach eigener Aussage habe er befürchtet, die Ehefrau würde den Empfang bei rechtzeitiger Avisierung verweigern. Unter diesen Umständen ist es nachvollziehbar, wenn die Vorinstanz erwägt, dass es dem Beschwerdeführer ohne Weiteres möglich gewesen wäre, die Transporte anzukündigen, bzw. diese mit der Ehefrau abzusprechen, sodass sie sie hätte entgegen nehmen können. Wie sie ferner zutreffend erwägt, ist nicht ersichtlich, inwiefern der Versuch einer Absprache zu mehr Konflikten geführt hätte, als sie nun eingetreten sind. Soweit der Beschwerdeführer eine aktenwidrige Sachverhaltsfeststellung moniert und einwendet, er habe die Transporte sehr wohl abgesprochen und der Ehefrau regelmässig anlässlich persönlicher Kontakte betreffend die Belange der gemeinsamen Kinder Gegenstände vorbeigebracht, so betrifft dies offensichtlich nicht die strittigen Transporte. Diese wurden von Transportfirmen durchgeführt und es handelte sich um grosse Lieferungen. Wie die Vorinstanz schliesslich zutreffend erwägt, ändert die Tatsache, dass die Strafanzeige der Ehefrau aus taktischen Überlegungen im Scheidungsverfahren erfolgt sein mag, am Sachverhalt grundsätzlich nichts.  
 
1.3.2. In rechtlicher Hinsicht ist zunächst unbestritten, dass die Auferlegung von Verfahrenskosten an den Beschwerdeführer weder direkt noch indirekt den Vorwurf strafbaren Verhaltens enthält. Eine Verletzung der Unschuldsvermutung liegt mithin nicht vor. Gestützt auf die willkürfreien Feststellungen der Vorinstanz ist sodann erstellt, dass die vom Beschwerdeführer bei seiner Ehefrau deponierten Lebensmittel und Gegenstände entweder dieser alleine oder den Ehegatten gemeinsam gehörten. Vor diesem Hintergrund ist die von der Vorinstanz zur Begründung der Kostenauflage herangezogene Verhaltensnorm, wonach kostenpflichtig zu entsorgender Abfall bzw. Gegenstände nicht einer anderen Person hierzu weitergeleitet werden dürften, nicht einschlägig und nicht geeignet, ein widerrechtliches Verhalten des Beschwerdeführers zu begründen. Dessen Ehefrau ist offensichtlich keine "andere Person" im Sinne dieser Verhaltensnorm. Sie ist im Gegenteil genauso wie der Beschwerdeführer selbst Trägerin der Pflicht zur Entsorgung eigenen Abfalls, sodass ihr insoweit aus der Deponierung von Gegenständen auch kein Schaden entstanden sein kann. Angesichts der gemeinsamen Verantwortung für die Gegenstände kann auch nicht von einem qualifizierten Verstoss des Beschwerdeführers gegen die besagte Verhaltensnorm gesprochen werden, was eine Kostenauflage rechtfertigen würde. Dies muss umso mehr gelten, als die Vorinstanz selbst von einem geringen Schaden spricht und es für nachvollziehbar hält, dass sich der Beschwerdeführer zahlreicher Gegenstände seiner Ehefrau entledigen wollte. Hinsichtlich der deponierten Möbel resp. Wertgegenstände der Ehefrau ist zudem kein Schaden entstanden. Soweit die Vorinstanz dem Beschwerdeführer vorwirft, sich nicht um eine gütliche Regelung bemüht zu haben, trifft dies zwar zu, es gilt aber für die Ehefrau gleichermassen. Ein besonderer Vorwurf ergibt sich daraus deshalb nicht. Nachdem ferner unbestritten ist, dass die Ehefrau bei ihrem Auszug praktisch den gesamten Hausrat beim Beschwerdeführer zurückliess, wobei sich die Angelegenheit offenbar über Monate hinzog, ist ihm nicht in qualifizierter Weise vorzuwerfen, dass er alleine handelte. In diesem Zusammenhang ist im Übrigen zu erwähnen, dass sich der Beschwerdeführer - hätte er Gegenstände des gemeinsamen Hausrats selbständig entsorgt - allenfalls dem Vorwurf ausgesetzt hätte, gemeinschaftliches Eigentum vernichtet zu haben. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass die Kostenauflage an die beschuldigte Person trotz Verfahrenseinstellung Ausnahmecharakter hat (THOMAS DOMEISEN, Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 29 zu Art. 426 StPO).  
Soweit die Vorinstanz die Kostenauflage damit begründet, der Beschwerdeführer habe in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise in Kauf genommen, dass im Freien deponierte Wertgegenstände seiner Ehefrau zerstört oder gestohlen werden könnten, scheint sie im Übrigen zu verkennen, dass dieser Vorwurf nicht Gegenstand des Strafverfahrens bildete. Die Staatsanwaltschaft warf dem Beschwerdeführer, soweit ersichtlich, einzig eine Nötigung vor, indem er seine Ehefrau mit seinem Verhalten gezwungen habe, Esswaren und Hausrat auf eigene Kosten zu entsorgen oder wegzuschaffen. Es fehlt daher insoweit von vornherein an einem Kausalzusammenhang zwischen den Verfahrenskosten und dem inkriminierten Verhalten. 
 
2.   
Die Beschwerde ist gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ausgangsgemäss sind keine Kosten zu erheben und der Kanton Bern hat dem Beschwerdeführer eine angemessene Entschädigung auszurichten (Art. 66 Abs. 1 und 4, Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der angefochtene Entscheid wird aufgehoben und die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.   
Der Kanton Bern bezahlt dem Beschwerdeführer Fr. 3'000.-- Parteientschädigung. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 5. Juni 2020 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Matt