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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_390/2022  
 
 
Urteil vom 7. September 2022  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichterinnen Heine, Viscione, 
Gerichtsschreiberin Durizzo. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Evalotta Samuelsson, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Groupe Mutuel Versicherungen GMA AG, Rechtsdienst, Rue des Cèdres 5, 1920 Martigny, vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Manuel Jaun, 
Beschwerdegegnerin, 
 
sana24 AG, Weltpoststrasse 19, 3000 Bern 15. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 6. Mai 2022 (VBE.2021.54). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________, geboren 1958, war seit 1995 als Sekundarlehrer bei der Schule B.________ beschäftigt und dadurch bei der Aargauischen Gebäudeversicherung (nachfolgend: AGV), heute Groupe Mutuel Assurances GMA AG (nachfolgend: GMA), gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen sowie Berufskrankheiten versichert. Gemäss Unfallmeldung vom 12. August 2019 hatte er sich am 28. Juni 2019 einen Zeckenbiss zugezogen. Er wurde im Zentrum für Innere Medizin, Aarau, vom 21. Juli bis 1. August 2019 stationär behandelt (Austrittsbericht der Prof. Dr. med. C.________, Innere Medizin und Infektiologie FMH, vom 31. Juli 2017). Die AGV holte ein Aktengutachten des Dr. med. D.________, Facharzt für Innere Medizin FMH, vom 9. Juli 2020 ein. Gestützt darauf lehnte sie ihre Leistungspflicht mit Verfügung vom 7. Februar 2020 ab. An ihrer Auffassung hielt sie auch auf Einsprache des Krankenversicherers Visana, sana24 AG, hin fest (Einspracheentscheid vom 14. Dezember 2020). 
 
B.  
Die dagegen von der sana24 AG erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau gestützt auf die von ihm veranlasste ergänzende Stellungnahme des Dr. med. D.________ vom 29. März 2022 mit Urteil vom 6. Mai 2022 ab. 
 
C.  
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils seien ihm die gesetzlichen Leistungen zuzusprechen, eventualiter sei die Sache zu weiteren Abklärungen an die GMA zurückzuweisen. 
 
Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 mit Hinweisen).  
 
1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).  
 
2.  
Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie eine Leistungspflicht aus Unfall ablehnte. Zur Frage steht dabei der natürliche Kausalzusammenhang zwischen den dem Unfallversicherer gemeldeten gesundheitlichen Beschwerden und dem am 28. Juni 2019 erlittenen Zeckenbiss. 
 
3.  
Das kantonale Gericht hat die Grundsätze zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers nach Art. 6 Abs. 1 UVG vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang (BGE 142 V 435 E. 1; 129 V 177 E. 3.1) zutreffend dargelegt. Zu ergänzen ist, dass ein Zeckenbiss als Unfall zu qualifizieren ist (BGE 122 V 230), wobei jedoch hinsichtlich der natürlichen Kausalität praxisgemäss besondere Regeln zu beachten sind. Ein mittels serologischer Untersuchungen belegter Kontakt mit dem Borreliose-Erreger genügt nicht für den Schluss auf eine daraus entstandene Lyme-Borreliose. Die Diagnose einer Lyme-Borreliose - gleich welchen Stadiums - setzt ein entsprechendes klinisches Beschwerdebild und den Ausschluss von Differentialdiagnosen voraus (SVR 2008 UV Nr. 3 S. 11, U155/06 E. 4.3; Urteile 8C_831/2016 vom 7. März 2017 E. 2.2; 8C_924/2011 vom 7. März 2012 E. 3). 
 
Richtig wiedergegeben werden im angefochtenen Entscheid die hinsichtlich des Beweiswerts von Arztberichten zu beachtenden Grundsätze (BGE 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3a), insbesondere von versicherungsinternen beziehungsweise von vertrauensärztlichen Verlautbarungen (BGE 139 V 225 E. 5.2; 135 V 465 E. 4.4; 125 V 351 E. 3b/ee; 122 V 157 E. 1d; Urteile 8C_646/2019 vom 6. März 2020 E. 4.3; 9C_634/2019 vom 12. November 2019 E. 4.3; 8C_71/2016 vom 1. Juli 2016 E. 5.2). Zu ergänzen ist, dass auch reine Aktengutachten beweiskräftig sind, sofern ein lückenloser Befund vorliegt und es im Wesentlichen nur um die fachärztliche Beurteilung eines an sich feststehenden medizinischen Sachverhalts geht, mithin die direkte ärztliche Befassung mit der versicherten Person in den Hintergrund rückt (SVR 2010 UV Nr. 17 S. 63, 8C_239/2008 E. 7.2; SZS 2008 S. 393, I 1094/06 E. 3.1.1 a.E.; Urteil U 10/87 vom 29. April 1988 E. 5b, nicht publ. in: BGE 114 V 109, aber in: RKUV 1988 Nr. U 56 S. 366; Urteil 8C_780/2016 vom 24. März 2017 E. 6.1). 
 
4.  
 
4.1. Gemäss den vorinstanzlichen Feststellungen ist gestützt auf die Stellungnahmen des Dr. med. D.________ nicht ausgewiesen, dass die ab 21. Juli 2019 stationär behandelten Beschwerden in einem natürlichen Kausalzusammenhang mit dem am 28. Juni 2019 erlittenen Zeckenstich standen. Zwar habe die Blutuntersuchung Borrelia burgdorferi gezeigt, im Liquor seien aber keine Antikörper nachgewiesen worden. Damit sei eine Neuroborrelliose auszuschliessen und die diagnostizierte Meningoenzephalitis müsse auf eine andere - wenn auch nicht weiter abgeklärte - Ursache zurückgeführt werden. Auch das von den behandelnden Ärzten erwähnte, aber nicht detailliert beschriebene Erythema migrans könne den erforderlichen Beweis für eine unfallbedingte Ursache der geltend gemachten Beschwerden nicht erbringen.  
 
4.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, das kantonale Gericht hätte auf das Gutachten des Dr. med. D.________ nicht abstellen dürfen. Dass anlässlich der Liquoruntersuchung am 23. Juli 2019 keine Antikörper gegen Borrelia burgdorferi nachweisbar gewesen seien, schliesse die von der behandelnden Ärztin gestellte Borrelioseninfektion (jedenfalls im Sinne einer Ausnahme) nicht aus. Dr. med. D.________ habe unberücksichtigt gelassen, dass ihm, so der Beschwerdeführer weiter, bereits vor der Liquoruntersuchung Antibiotika verabreicht worden seien. Der beratende Arzt setze sich mit dem klinischen Bild, insbesondere mit der Blutuntersuchung und dem von der behandelnden Ärztin festgestellten Erythem, nicht auseinander und diskutiere auch mögliche andere durch den Zeckenbiss verursachte Borreliosenvarianten nicht. Zudem gebe er in seinem Gutachten keine Fachliteratur an. Angesichts der Komplexität der medizinischen Fragestellung und des fehlenden Facharzttitels in Infektiologie des Vertrauensarztes (im Gegensatz zur behandelnden Ärztin) hätte die Vorinstanz eine versicherungsexterne Begutachtung anordnen müssen.  
 
5.  
 
5.1. Gemäss Vorinstanz kritisierte die behandelnde Ärztin das Gutachten des Dr. med. D.________ in ihrer Stellungnahme vom 16. Dezember 2019 namentlich insoweit, als sie die Borrelien-Serologie als hinreichend für die Borreliosen-Diagnose erachtete. Dies genügt indessen praxisgemäss nicht für die Annahme einer natürlich-kausalen Verursachung der geklagten Beschwerden durch den Zeckenbiss. Zu der von Dr. med. D.________ genannten Voraussetzung der im Liquor nachgewiesenen Antikörper im Sinne einer weltweit anerkannten notwendigen Voraussetzung ("conditio sine qua non") habe sich die behandelnde Ärztin, so die Vorinstanz weiter, nicht geäussert. Inwiefern die Stellungnahme der behandelnden Ärztin auch nur geringe Zweifel an den vertrauensärztlichen Feststellungen zu begründen vermöchte, lässt sich daher nicht ersehen. Dass anlässlich der Liquoruntersuchung keine Borrellien-Antikörper nachgewiesen wurden, bestreitet der Beschwerdeführer nicht.  
 
5.2. Die Vorinstanz zog weiter in Erwägung, dass sich Dr. med. D.________ in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 29. März 2022 auch ausführlich geäussert habe zu der von der behandelnden Ärztin im Austrittsbericht vom 31. Juli 2019 aufgestellten Vermutung, dass die bereits in einem (zu) frühen Stadium der Erkrankung erfolgte Liquoruntersuchung den gemäss Dr. med. D.________ erforderlichen Antikörpernachweis noch gar nicht habe erbringen können. Der Gutachter habe dazu erläutert, dass angesichts der zum Zeitpunkt der Liquoruntersuchung floriden, das heisst nicht beginnenden, sondern sich in vollem Gange befindlichen Meningoenzephalitis praktisch zwingend auch Antikörper hätten nachgewiesen werden müssen. Auch insoweit lassen sich aufgrund der Stellungnahme der behandelnden Ärztin keine Zweifel am Gutachten des Dr. med. D.________ ausmachen, zumal sie ihre Vermutung ("am 23.07.2019 keine intrathekale Antikörper nachweisbar für Borrelien burgdorferi [da wh. zu früh]") nicht begründete und sich dazu auch in ihrer Stellungnahme vom 16. Dezember 2019 nicht weiter äusserte. Gleiches gilt insoweit, als sich der Beschwerdeführer auf die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zur Neuroborreliose (2018) beruft, wonach gemäss einem fachärztlichen Artikel aus dem Jahr 1991 nicht auszuschliessen sei, dass bei sehr früher antibiotischer Behandlung keine Antikörper nachgewiesen würden (S. 21). Inwiefern sich daraus ein Widerspruch zu den erwähnten Erörterungen des Gutachters ergeben sollte, wonach der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Liquoruntersuchung trotz bereits erfolgter antibiotischer Behandlung unter einer floriden Meningoenzephalitis gelitten habe, lässt sich nicht ersehen.  
 
5.3. Soweit sich der Beschwerdeführer auf eine fehlende Auseinandersetzung des Dr. med. D.________ mit dem Befund eines Erythems beruft, bleibt darauf hinzuweisen, dass dieser allein nicht genügt für einen Nachweis des natürlichen Kausalzusammenhangs zwischen einem Zeckenbiss und nachfolgend geklagten Beschwerden. Für die Borrelliosen-Diagnose wird zudem rechtsprechungsgemäss ein Ausschluss von Differentialdiagnosen vorausgesetzt (vgl. E.3). Entsprechende Abklärungen wurden von der behandelnden Ärztin jedoch nicht durchgeführt, wie Dr. med. D.________ anmerkt. Dass solche Ursachen angesichts fehlender weiterer Untersuchungen anlässlich der Hospitalisierung später hätten eruiert werden können, lässt sich nicht ersehen und wird beschwerdeweise nicht dargetan. Es wären daher auch von ergänzenden Abklärungen keine neuen Erkenntnissen zu erwarten gewesen. Der vorinstanzliche Verzicht auf entsprechende Weiterungen ist nicht zu beanstanden.  
 
5.4. Die Beweiskraft der Stellungnahmen des Dr. med. D.________ wird schliesslich auch durch die übrigen Einwände des Beschwerdeführers - fehlender Facharzttitel in Infektiologie, keine weiterführenden Literaturhinweise - nicht geschmälert, zumal die Spezialisierung des Dr. med. D.________ auf dem Gebiet der Borreliose gerichtsnotorisch ist und beschwerdeweise nicht substanziiert wird, inwiefern es ihm an der fachlichen Eignung als Experte fehlen sollte.  
 
5.5. Zusammengefasst ist nicht erkennbar, inwiefern das kantonale Gericht unrichtige Sachverhaltsfeststellungen getroffen oder die bei Zeckenbissen zu beachtenden Regeln betreffend die natürliche Kausalität beziehungsweise die massgeblichen Beweiswürdigungsregeln verletzt haben sollte. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.  
 
6.  
Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, der sana24 AG, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 7. September 2022 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Die Gerichtsschreiberin: Durizzo