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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
2C_1008/2019  
 
 
Urteil vom 13. März 2020  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Seiler, Präsident, 
Bundesrichter Donzallaz, 
Bundesrichterin Hänni, 
Gerichtsschreiber Klopfenstein. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Marc Spescha, 
 
gegen  
 
Migrationsamt des Kantons Zürich, 
 
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich. 
 
Gegenstand 
Widerruf der Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA, 
 
Beschwerde gegen das Urteil 
des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 2. Abteilung, vom 23. Oktober 2019 (VB.2019.00581). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der italienische Staatsangehörige A.________ (geb. 1966) reiste am 28. Juni 2014 in die Schweiz ein und erhielt zunächst eine Kurzaufenthaltsbewilligung EU/EFTA. Am 12. November 2014 erteilte ihm das Migrationsamt des Kantons Zürich eine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA zwecks Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit. Im Dezember 2014 erlitt A.________ einen 2. Herzinfarkt. Daraufhin wurde ihm am 24. Dezember 2014 seine Arbeitsstelle gekündigt. Beim Arbeitsamt hat er sich nie gemeldet. Ab Januar 2015 musste er (fortdauernd) mit Sozialhilfegeldern von bislang Fr. 109'000.-- unterstützt werden. Am 9. Juni 2016 stellte er ein IV-Gesuch. 
Am 30. August 2016 widerrief das Migrationsamt die Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA von A.________ wegen Verlusts der Arbeitnehmereigenschaft und Sozialhilfeabhängigkeit unter Ansetzung einer Ausreisefrist bis zum 31. Oktober 2016. Am 2. Juli 2019 lehnte die IV-Stelle der Sozialversicherungsanstalt Zürich (SVA) das IV-Gesuch ab. Seit Dezember 2015 ist A.________ in bisheriger Tätigkeit vollständig arbeitsunfähig, aber in leichter Tätigkeit vollständig arbeitsfähig. 
Ein Rekurs von A.________ gegen den Widerruf der Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA bei der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich blieb erfolglos, und mit Urteil vom 23. Oktober 2019 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich die Beschwerde gegen den Direktionsentscheid vom 21. Juli 2019 ebenfalls ab, unter gleichzeitiger Abweisung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege. 
 
B.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 4. Dezember 2019 gelangte A.________ an das Bundesgericht und beantragt in der Hauptsache, das letztgenannte Urteil sei aufzuheben und es sei ihm - dem Beschwerdeführer - eine Niederlassungsbewilligung zu erteilen, eventuell ihm die Aufenthaltsbewilligung EU/ EFTA zu belassen bzw. dieselbe nach Ablauf der Gültigkeitsfrist zu verlängern. 
Mit Verfügung vom 10. Dezember 2019 wurde der Beschwerde - antragsgemäss - aufschiebende Wirkung zuerkannt. 
 
Das Migrationsamt des Kantons Zürich hat sich nicht vernehmen lassen. Die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich verzichtete auf Vernehmlassung. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Der Beschwerdeführer leitet in vertretbarer Weise einen Aufenthaltsanspruch bzw. einen Anspruch auf Niederlassungsbewilligung aus dem Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit vom 21. Juni 1999 (FZA; SR 0.142.112.681) bzw. aus dem Abkommen zwischen der Schweiz und Italien über die Auswanderung italienischer Arbeitskräfte nach der Schweiz vom 10. August 1964 ("Italiener-Abkommen" [SR 0.142.114.548] ab. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist zulässig (Art. 82 lit. a, Art. 83 lit. c Ziff. 2, Art. 86 Abs. 1 lit. d, Abs. 2 und Art. 90 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft jedoch unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) nur die geltend gemachten Rechtsverletzungen, sofern rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 142 I 135 E. 1.5 S. 144). In Bezug auf die Verletzung von Grundrechten gilt eine qualifizierte Rüge- und Substanziierungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 139 I 229 E. 2.2 S. 232; 136 II 304 E. 2.5 S. 314).  
 
2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Eine Berichtigung oder Ergänzung der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen ist von Amtes wegen (Art. 105 Abs. 2 BGG) oder auf Rüge hin (Art. 97 Abs. 1 BGG) möglich. Von den tatsächlichen Grundlagen des vorinstanzlichen Urteils weicht das Bundesgericht jedoch nur ab, wenn diese offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG beruhen und die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 142 I 135 E. 1.6 S. 144 f.).  
 
2.3. Der Beschwerdeführer erhebt keine Sachverhaltsrügen. Damit ist bei der rechtlichen Beurteilung der vom Verwaltungsgericht festgestellte Sachverhalt zugrunde zu legen ( vgl. vorne lit. A und Art. 105 Abs. 1 BGG sowie BGE 133 II 249 E. 1.4.3 S. 254 f.; 133 III 350 E. 1.3 S. 351 f.).  
 
3.  
Zuerst ist der Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zu behandeln (damit würde der Antrag auf Erteilung einer FZA-Aufenthaltsbewilligung gegenstandslos). 
Das "Italienerabkommen" ist gemäss seinem Art. 1 nur anwendbar für "Arbeitskräfte". Der Beschwerdeführer ist gemäss eigener Darstellung arbeitsunfähig und daher keine "Arbeitskraft", so dass das Abkommen auf ihn nicht anwendbar ist (Urteil 2C_439/2018 vom 7. Mai 2019 E. 3.3). Ziff. 1 Abs. 2 der Erklärung über die Anwendung des Niederlassungs- und Konsularvertrages vom 22. Juli 1968 zwischen der Schweiz und Italien vom 5. Mai 1934 (SR 0.142.114.541.2) in Verbindung mit Art. 10 Ziff. 2 des Abkommens zwischen der Schweiz und Italien über die Auswanderung italienischer Arbeitskräfte nach der Schweiz vom 10. August 1964 (SR 0.142.114.548) verschafft italienischen Staatsangehörigen frühestens nach fünf Jahren ordnungsgemässen Aufenthalts in der Schweiz Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung. Ebenso gäbe das "Italienerabkommen" in seinem Art. 11.1 nach derselben Regelung (ordnungsgemässer Aufenthalt von fünf Jahren) Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung am bisherigen Arbeitsplatz oder für die Stellensuche oder einen Berufswechsel, nicht aber auf eine Bewilligung für eine Anwesenheit ohne Arbeitstätigkeit. 
Der Beschwerdeführer hat damit keinen Anspruch auf eine Niederlassungsbewilligung. 
 
4.  
Zur FZA-Bewilligung: 
 
4.1. Eine Bewilligung als Arbeitnehmer darf nicht entzogen werden weil der Anspruchsberechtige wegen Krankheit oder Unfall vorübergehend arbeitsunfähig oder unfreiwillig arbeitslos ist, sofern dies vom Arbeitsamt ordnungsgemäss bestätigt wird (Art. 6 Abs 6 Anhang I FZA). Aber wenn der Betroffene seine Arbeitnehmereigenschaft verloren hat, kann er sich nicht mehr auf Art. 6 Abs. 6 Anhang I FZA berufen (BGE 144 II 129 E. 3.1 S. 124 f.). Zwar besteht ein Verbleiberecht, wenn er infolge dauernder Arbeitsunfähigkeit seine Beschäftigung aufgegeben musste, sofern er mindestens zwei Jahre ständigen Aufenthalt hatte (Art. 4 Anhang I FZA in Verbindung mit der Verordnung [EWG] Nr. 1251/70 der Kommission vom 29. Juni 1970 über das Recht der Arbeitnehmer, nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates zu verbleiben [ABl 1970, L 142 vom 30. Juni 1970 S. 24 ff., Art. 2.1.b. Dies setzt aber eine vorgängige Arbeitnehmereigenschaft voraus, ebenso, dass die Beschäftigung aufgrund der Arbeitsunfähigkeit aufgegeben wurde (Urteil 2C_134/2019 vom 12. November 2019 E. 3.3). Dauernde Arbeitsunfähigkeit meint auch Unfähigkeit in angepasster Tätigkeit (Urteil 2C_134/2019 vom 12. November 2019 E. 4).  
 
4.2. Gemäss den Feststellungen der Vorinstanz hat der Beschwerdeführer spätestens Mitte 2015 seinen Status als Arbeitnehmer verloren, weil er trotz Arbeitsfähigkeit in angepasster Tätigkeit seit 2015 keine Arbeitstätigkeit mehr ausgeübt hatte. Da er in diesem Zeitpunkt weniger als zwei Jahre in der Schweiz anwesend war, besteht kein Verbleiberecht (vgl. vorne. 4.1), auch wenn er seither dauerhaft arbeitsunfähig wäre. Da er aber in angepasster Tätigkeit vollständig arbeitsfähig ist und er folglich seine Beschäftigung nicht infolge dauernder Arbeitsunfähigkeit aufgeben musste, steht ein Verbleiberecht ohnehin nicht zur Diskussion.  
 
4.3. Der Beschwerdeführer beruft sich auf BGE 141 II 1 E. 4 und macht geltend, der Widerruf der Aufenthaltsbewilligung sei nicht zulässig, solange die IV nicht entschieden habe. Diese Rüge dringt nicht durch: Das Verwaltungsgericht erhebt die zur Abklärung des Sachverhalts notwendigen Beweise von Amtes wegen (vgl. § 60 des kantonalen Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 24. Mai 1959) und ist damit verpflichtet, den Sachverhalt bis zum Zeitpunkt seines Urteils zu berücksichtigen. In diesem Zeitpunkt (23. Oktober 2019) lag der IV-Entscheid vor (vgl. vorne lit. A). Bis dahin durfte der Beschwerdeführer denn auch in der Schweiz bleiben; der angefochtene Entscheid steht daher nicht im Widerspruch zu BGE 141 II 1. Der Beschwerdeführer war zwar nach seinem 2. Herzinfarkt zumindest vorübergehend arbeitsunfähig. Allein deswegen konnte Bewilligung nicht widerrufen werden (Art. 6 Abs. 6 Anhang I FZA). Er war nach eigener Angabe auf der Suche nach Arbeit, wobei er zwar nicht im Arbeitslosenamt gemeldet war, aber beim Sozialdienst. Er macht geltend, das sei gleichwertig wie eine Anmeldung beim Arbeitslosenamt. Dies kann offen bleiben: Jedenfalls hatte er nach eigenen Angaben ab Februar 2016 keine Erwerbstätigkeit mehr; das per se lässt die Arbeitnehmereigenschaft nicht untergehen. In der Folge verlor er seine Arbeitnehmereigenschaft, ohne dass ein Verbleiberecht entstehen konnte, weil der Beschwerdeführer in angepasster Tätigkeit vollständig arbeitsfähig ist (vorne E. 4.2), was er nicht bestreitet. Er ist zwar der Meinung, massgebend sei Arbeitsunfähigkeit in bisheriger Tätigkeit, was aber nicht zutrifft (s. vorne E. 4.1, am Ende).  
 
4.4. Würde man umgekehrt auf die Auffassung des Beschwerdeführers abstellen, wonach für ein Verbleiberecht Arbeitsunfähigkeit in der bisherigen Beschäftigung massgebend sei (Beschwerde S. 12 Ziff. 7), hätte auch dann ein Verbleiberecht nicht entstehen können, weil der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben ab Dezember 2015 ununterbrochen und vollumfänglich in der bisherigen Tätigkeit arbeitsunfähig war. Damals war er aber noch nicht 2 Jahre in der Schweiz und hätte deshalb mangels Einhaltung der Zweijahresfrist kein Verbleiberecht in der Schweiz.  
 
5.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Gerichtskosten (Art. 65 und Art. 66 BGG). Seinem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege kann nicht entsprochen werden: Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass die Rechtsprechung gemäss Urteil 2C_134/2019 vom 12. November 2019 im Zeitpunkt der Beschwerdeeinreichung noch nicht bekannt war, muss die Beschwerde als aussichtlos bezeichnet werden (Art. 64 Abs. 1 BGG), denn auch bei der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers hatte dieser kein Verbleibrecht (vorne E. 4.5). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 2. Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 13. März 2020 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Seiler 
 
Der Gerichtsschreiber: Klopfenstein