Avis important:
Les versions anciennes du navigateur Netscape affichent cette page sans éléments graphiques. La page conserve cependant sa fonctionnalité. Si vous utilisez fréquemment cette page, nous vous recommandons l'installation d'un navigateur plus récent.
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_543/2020  
 
 
Urteil vom 15. Juni 2020  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Gerichtsschreiberin Unseld. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen, Amt für Justizvollzug, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Stationäre therapeutische Massnahme; Zwangsmedikation; Nichteintreten, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 29. April 2020 
(AK.2020.92-AK, AK.2020.93-AK). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Das Kantonsgericht St. Gallen sprach den Beschwerdeführer am 29. August 2017 zweitinstanzlich der versuchten Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte schuldig. Es verurteilte ihn zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten, widerrief den bedingten Vollzug einer am 29. August 2014 ausgesprochenen Geldstrafe von 70 Tagessätzen und ordnete eine stationäre therapeutische Massnahme nach Art. 59 StGB an. 
Der Vollzug der stationären therapeutischen Massnahme erfolgte ab dem 15. Februar 2018 in der geschlossenen Betreuungsabteilung des Massnahmenzentrums Bitzi. Am 25. Februar 2019 wurde der Beschwerdeführer wegen Selbstgefährdung auf die Bewachungsstation des Inselspitals Bern verlegt. Am 5. März 2019 wechselte er auf die Station Etoine der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern und am 26. März 2019 auf die Sicherheitsstation der Klinik für Forensische Psychiatrie in Rheinau (nachfolgend: Klinik Rheinau). 
 
2.   
Die Klinik Rheinau beantragte am 21. August 2019 beim Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen die Anordnung einer Zwangsmedikation (antipsychotische Behandlung) beim Beschwerdeführer. Das Sicherheits- und Justizdepartement gab dem Antrag am 11. Oktober 2019 statt. Die vom Beschwerdeführer dagegen erhobene Beschwerde hiess die Anklagekammer des Kantons St. Gallen am 22. Januar 2020 gut, weil die Zwangsmedikation in sachlicher und zeitlicher Hinsicht nicht hinreichend klar beschränkt sei. 
Am 6. Februar 2020 beantragte die Klinik Rheinau erneut die Anordnung einer antipsychotischen Behandlung. Das Sicherheits- und Justizdepartement ermächtigte die zuständigen Ärzte der Klinik Rheinau mit Entscheid vom 4. März 2020, den Beschwerdeführer im Rahmen der laufenden stationären therapeutischen Massnahme nötigenfalls auch gegen seinen Willen baldmöglichst durch Verabreichung von Neuroleptika sowie im Bedarfsfall mit sedierenden als auch weiteren Medikamenten zur Behandlung von allfälligen Nebenwirkungen gemäss Schreiben vom 6. Februar 2020 medikamentös zu behandeln, längstens jedoch während einer Dauer von drei Monaten. Die vom Beschwerdeführer dagegen erhobene Beschwerde wies die Anklagekammer des Kantons St. Gallen am 29. April 2020 ab. 
Der Beschwerdeführer gelangt dagegen mit Beschwerde an das Bundesgericht. 
 
3.   
Die Anträge des Beschwerdeführers auf Ermächtigung zur Eröffnung eines Strafverfahrens gegen Regierungsrat B.________ und die Leiterin des Amtes für Justizvollzug (vgl. dazu Ziff. 1 und 2 des angefochtenen Entscheids) bilden Gegenstand des separaten Verfahrens 1C_242/2020. 
 
4.   
Anfechtungsobjekt des bundesgerichtlichen Verfahrens ist der kantonal letztinstanzliche Entscheid (Art. 80 Abs. 1 BGG). Die Frage einer allfälligen Beendigung oder Aufhebung der stationären Massnahme bildet nicht Gegenstand des angefochtenen Entscheids. Von vornherein nicht eingetreten werden kann daher auf die Beschwerde, soweit der Beschwerdeführer beantragt, er sei unverzüglich aus der stationären Massnahme zu entlassen. Im vorliegenden Verfahren nicht zu hören sind folglich insbesondere auch die Einwände des Beschwerdeführers, er habe die ihm vorgeworfenen Straftaten nicht begangen, das der stationären Massnahme zugrunde liegende Gutachten sei ein "wertloses Gefälligkeitsgutachten", es sei ein zweites forensisch-psychiatrisches Gutachten einzuholen, oder soweit er sich anderweitig gegen das Strafurteil vom 29. August 2017 bzw. das diesem zugrundeliegende Strafverfahren wendet. 
 
5.   
Der Beschwerdeführer ficht die angeordnete Zwangsmedikation an. Die Anordnung einer Zwangsmedikation während eines strafrechtlichen Massnahmevollzugs ist ein Entscheid über den Vollzug von Massnahmen im Sinne von Art. 78 Abs. 2 lit. b BGG. Dagegen kann Beschwerde in Strafsachen erhoben werden. Zuständig ist die Strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts (Urteile 6B_821/2018 vom 26. Oktober 2018 E. 2.2; 6B_1126/2016 vom 10. Oktober 2016 E. 1.3). 
 
6.   
Die Beschwerde an das Bundesgericht ist zu begründen (Art. 42 Abs. 1 BGG). In der Begründung ist unter Bezugnahme auf den angefochtenen Entscheid in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 143 I 377 E. 1.2 und 1.3 S. 380). Die Begründung muss sachbezogen sein und erkennen lassen, dass und weshalb nach Auffassung des Beschwerdeführers Recht verletzt ist (BGE 142 I 99 E. 1.7.1 S. 106; 140 III 86 E. 2 S. 88 ff.; 139 I 306 E. 1.2 S. 308 f.). Die Bestimmungen von Art. 95 ff. BGG nennen die vor Bundesgericht zulässigen Beschwerdegründe. Hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten besteht eine qualifizierte Rügepflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG). 
Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig bzw. willkürlich im Sinne von Art. 9 BV ist (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 143 IV 500 E. 1.1 S. 503, 241 E. 2.3.1 S. 244; 143 I 310 E. 2.2 S. 313). Die Rüge der Willkür muss in der Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 143 IV 500 E. 1.1 S. 503; 142 III 364 E. 2.4 S. 368; 141 IV 369 E. 6.3 S. 375), ansonsten darauf nicht einzutreten ist. 
 
7.   
Der Beschwerdeführer rügt, der am vorinstanzlichen Entscheid beteiligte Richter sei befangen gewesen, da er sowohl über die Ermächtigung zur Strafverfolgung als auch über die Zwangsmedikation entschieden habe. 
Damit vermag der Beschwerdeführer offensichtlich keinen Ausstandsgrund zu begründen. Gemäss Art. 56 lit. b StPO hat ein Richter in den Ausstand zu treten, wenn er in einer anderen Stellung, insbesondere als Mitglied einer Behörde, als Rechtsbeistand einer Partei, als Sachverständige oder Sachverständiger, als Zeugin oder Zeuge, in der gleichen Sache tätig war. Ist eine Gerichtsperson in derselben Stellung mit der gleichen Sache mehrfach befasst, liegt kein Fall der Vorbefassung gemäss Art. 56 lit. b StPO vor (Urteil 1B_269/2019 vom 9. Dezember 2019 E. 4.1). 
 
8.   
Die medikamentöse Zwangsbehandlung stellt einen schweren Eingriff in die körperliche und geistige Integrität (Art. 10 Abs. 2 BV und Art. 8 Ziff. 1 EMRK) dar (BGE 130 I 16 E. 3 S. 18; 127 I 6 E. 5 S. 10). Nebst der mit Blick auf den schweren Grundrechtseingriff erforderlichen formellgesetzlichen Grundlage verlangt der Eingriff nach der Rechtsprechung daher eine vollständige und umfassende Interessenabwägung. Zu berücksichtigen sind dabei die öffentlichen Interessen, die Notwendigkeit der Behandlung, die Auswirkungen einer Nichtbehandlung, die Prüfung von Alternativen sowie die Beurteilung von Selbst- und Fremdgefährdung (BGE 130 I 16 E. 4 und 5; Urteil 6B_821/2018 vom 26. Oktober 2018 E. 4.4). 
 
9.   
Der Beschwerdeführer beanstandet, auf der Sicherheitsstation der Klinik Rheinau, wo er sich befinde, gebe es keine Ärzte, die eine Zwangsmedikation durchführen könnten. Er vermute sogar, dass die Station geschlossen werde. Insoweit geht es um durch nichts belegte, unsubstanziierte Behauptungen, auf welche nicht weiter einzugehen ist. 
Der Beschwerdeführer kritisiert zudem, in der Klinik Rheinau gebe es keine Gesprächstherapien, weshalb er sich der Therapie nie habe verweigern können. Damit widerspricht er den Akten und letztlich auch dem angefochtenen Entscheid (vgl. auch Verfügung des Sicherheits- und Justizdepartements vom 4. März 2020, S. 5), ohne jedoch Willkür darzutun. Die Zwangsmedikation wurde beantragt, weil der Beschwerdeführer in unmediziertem Zustand jegliche therapeutischen Gespräche wie auch die Teilnahme am übrigen Therapieangebot anblehnte. Die Ärzte erhoffen sich von der neuroleptischen Behandlung den Rückgang der Krankheitssymptome und die Entwicklung einer Krankheitseinsicht, so dass der Beschwerdeführer zu einer realitätsgerechteren Wahrnehmung und Einschätzung seiner Situation gelangen sowie adäquate Handlungsalternativen ausbilden kann. Die Zwangsmedikation sei notwendig, um beim Beschwerdeführer eine Behandlungsakzeptanz erreichen zu können (kant. Akten, act. 234, Antrag vom 6. Februar 2020, S. 3 f.). Dem Beschwerdeführer muss parallel zur Zwangsmedikation daher auch ein effektives und ausreichendes Therapieangebot zur Verfügung stehen. Anzumerken ist insoweit, dass stationäre Behandlungen nach Art. 59 StGB namentlich hinsichtlich Stundenfrequenz und Konfrontationsdichte tendenziell eine hohe Intensität aufweisen müssen. Lediglich eine Therapiestunde pro Woche reicht in der Regel nicht aus (Urteil 6B_625/2012 vom 27. Juni 2013 E. 4.3; MARIANNE HEER, in: Basler Kommentar, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Bd. 1, 4. Aufl. 2019, N. 93 zu Art. 59 StGB). 
Unerheblich ist, dass der Antrag auf Anordnung der Zwangsmedikation nicht von der fallführenden Assistenzärztin persönlich, sondern von einem Stellvertreter ("i.V.") unterzeichnet wurde (Beschwerde S. 5 in fine). Weshalb dies die Gültigkeit der vorinstanzlichen Anordnung tangieren könnte, ist weder dargetan noch ersichtlich, zumal der Antrag vom 6. Februar 2020 vom zuständigen Oberarzt sowie vom stellvertretenden Klinikdirektor mitunterzeichnet wurde. 
Insgesamt legt der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde nicht rechtsgenügend dar, weshalb die von der Vorinstanz angeordnete Zwangsmedikation gegen Bundesrecht verstossen könnte. Er zeigt insbesondere nicht auf, dass und weshalb die Massnahme angesichts der konkreten Umstände unverhältnismässig sein könnte. 
 
10.   
Den beantragten Verzicht auf die vorinstanzliche Entscheidgebühr von Fr. 1'500.-- (Antrag Ziff. 4) begründet der Beschwerdeführer nicht näher, weshalb darauf ebenfalls nicht einzutreten ist. 
 
11.   
Auf die Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 108 BGG nicht einzutreten. Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
Das Gesuch des Beschwerdeführers um aufschiebende Wirkung wird mit dem Entscheid in der Sache gegenstandslos. 
 
 
 Demnach erkennt der Präsident:  
 
1.   
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien und der Anklagekammer des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 15. Juni 2020 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Unseld