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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_139/2022  
 
 
Urteil vom 25. August 2022  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichterin Jametti, 
nebenamtliche Bundesrichterin Pont-Veuthey, 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.________, 
2. B.________, 
3. C.________, 
Beschwerdeführer, 
alle drei vertreten durch Rechtsanwalt David Sassan Müller, 
 
gegen  
 
Kantonsrat des Kantons Solothurn, 
Rathaus, Barfüssergasse 24, 4509 Solothurn. 
 
Gegenstand 
Beschlüsse des Kantonsrates von Solothurn, 
anlässlich der 2. Sitzung der I. Session vom 26. Januar 2022. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 28. November 2019 wurde im Kanton Solothurn die Volksinitiative mit dem Titel "'Jetz si mir draa', für eine Senkung der Steuern für mittlere und tiefe Einkommen" in Form einer Anregung gemäss Art. 29 Abs. 3 KV/SO (SR 131.221) eingereicht. Am 21. Dezember 2021 verabschiedete der Regierungsrat des Kantons Solothurn Botschaft und Entwurf zu Handen des Kantonsrats und legte darin einen ausformulierten Entwurf und einen Gegenvorschlag vor. Beide Vorlagen sahen verschiedene Änderungen des kantonalen Gesetzes vom 1. Dezember 1985 über die Staats- und Gemeindesteuern (Steuergesetz; BGS 614.11) vor. 
Als vorberatende Kommission behandelte die Finanzkommission des Kantonsrats die Vorlage am 12. Januar 2022. Sie verabschiedete einen Änderungsantrag, der die Aufnahme eines zusätzlichen Artikels zu den Abzügen für Drittbetreuungskosten (§ 41 Steuergesetz) in den Gegenvorschlag verlangte. 
Gleichentags publizierte der Ratssekretär die Einladung und die Tagesordnung zur I. Kantonsratssession 2022 vom 25. und 26. Januar 2022. Für den 2. Sitzungstag vom 26. Januar 2022 von 8:30 Uhr bis 12:30 Uhr war die Behandlung des Geschäfts VI 248/2021 (Volksinitiative 'Jetz si mir draa', Für eine Senkung der Steuern für mittlere und tiefe Einkommen; ausformulierter Entwurf und Gegenvorschlag) vorgesehen. Aufgrund der epidemiologischen Lage fand die Session im Tissot Velodrome in Grenchen statt. Zu Beginn des 2. Sitzungstags liess die Kantonsratspräsidentin über einen Ordnungsantrag abstimmen, der vorsah, dass die Session bis zum Abschluss der Behandlung des Geschäfts VI 248/2021 verlängert wird. Der Antrag wurde von einer Mehrheit des Kantonsrats angenommen. Um 14:57 Uhr erfolgte die Schlussabstimmung. 
 
B.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht vom 25. Februar 2022 verlangen drei Mitglieder des Kantonsrats, A.________, B.________ und C.________ in der Hauptsache, der Beschluss des Kantonsrats zum Ordnungsantrag betreffend Verlängerung der Sitzungszeit am Sessionstag vom 26. Januar 2022 sei aufzuheben und es seien sämtliche Beschlüsse des Kantonsrats, wie sie im Rahmen der verlängerten Sitzung am Sessionstag vom 26. Januar 2022 nach 13:00 Uhr beschlossen worden seien, aufzuheben und zur Neudurchführung der Abstimmungen an den Beschwerdegegner zurückzuweisen. Eventualiter sei die Aufhebung und Rückweisung auf fünf das Geschäft VI 248/2021 betreffende Beschlüsse zu beschränken. 
Der Kantonsrat beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Die Beschwerdeführer haben eine Replik eingereicht. 
 
C.  
Mit Präsidialverfügung vom 7. April 2022 hat das Bundesgericht das Gesuch der Beschwerdeführer um aufschiebende Wirkung abgewiesen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, ihre Beschwerde falle sowohl unter Art. 82 lit. a BGG (Beschwerden gegen Entscheide in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts) als auch unter Art. 82 lit. c BGG (Beschwerden betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen sowie betreffend Volkswahlen und -abstimmungen). Die an der Sitzung des Kantonsrats vom 26. Januar 2022 nach 13 Uhr gefällten Beschlüsse seien Entscheide im Sinne von Art. 82 lit. a BGG. Die Beschwerdeführerin 1 und der Beschwerdeführer 2 hätten zudem aufgrund teilweise willkürlich festgelegter Abstimmungsverfahren ihre Stimmrechte nicht korrekt und frei ausüben können. Dem Beschwerdeführer 3 sei es verwehrt gewesen, sein Stimmrecht auszuüben, weil er an jenem Nachmittag habe arbeiten müssen und nicht weiter an der Kantonsratssitzung habe teilnehmen können. Zudem würden alle angefochtenen Beschlüsse schlussendlich in Vorlagen münden, über die das Stimmvolk in einer Abstimmung zu befinden habe oder gegen die mit den zur Verfügung stehenden direktdemokratischen Institutionen ein Referendum verlangt werden könne, weshalb auch ihre politischen Rechte als im Kanton Solothurn wohnhafte Stimmberechtigte tangiert seien. Es liege also auch eine Stimmrechtssache vor.  
 
1.2. Art. 82 lit. c BGG schliesst die Gesamtheit der politischen Rechte ein. Der sachliche Anwendungsbereich ist bezogen auf die politischen Rechte umfassend. Der Wortlaut von Art. 82 lit. c BGG bringt jedoch zum Ausdruck, dass (entsprechend der bundesgerichtlichen Praxis vor Inkrafttreten des BGG) die unmittelbare Ausübung politischer Rechte von Stimmberechtigten in Frage stehen muss. Es genügt nicht, allgemein eine willkürliche Anwendung kantonalen Rechts zu rügen. Vielmehr muss eine Verletzung des Stimm- und Wahlrechts geltend gemacht werden. Eine solche setzt eine Einschränkung der Rechte der Stimmbürger voraus. Nicht dazu gehören Fragen des parlamentarischen Verfahrens (Urteile 1C_167/2016 vom 8. Dezember 2016 E. 1.2; 1C_251/2011 vom 21. Juli 2011 E. 1.2; 1C_175/2007 vom 13. November 2007 E. 1.1; 1P.571/2000 vom 16. November 2000 E. 1, in: ZBl 102/2001 S. 223; je mit Hinweisen).  
Die Beschwerdeführer rügen, die Verlängerung der Kantonsratssitzung vom 26. Januar 2022 über 13:00 Uhr hinaus sei widerrechtlich gewesen. Zudem sei § 49 des Geschäftsreglements des Kantonsrats von Solothurn vom 10. September 1991 (BGS 121.2) verletzt worden. Danach dürfe über Anträge, deren finanzielle Tragweite nicht abgeklärt ist, erst abgestimmt werden, wenn der Regierungsrat und die zuständige Kommission dazu Stellung genommen hätten. Schliesslich seien vier Abstimmungen mit Namensaufruf nicht nach dem in § 61quater des Geschäftsreglements vorgesehenen Verfahren durchgeführt worden. 
Die von den Beschwerdeführern vorgetragenen Kritikpunkte betreffen ausschliesslich das parlamentarische Verfahren und haben keinen unmittelbaren Bezug zu den politischen Rechten der Stimmberechtigten. Die Stimmrechtsbeschwerde ist deshalb unzulässig. 
 
1.3. Die Beschwerde gegen Entscheide in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG) setzt voraus, dass über Rechte und Pflichten mit Rechtsverbindlichkeit entschieden wird, das heisst, dass der Entscheid oder die Verfügung die Rechtsstellung des Einzelnen berührt und ihn verbindlich zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen verpflichtet oder sonstwie seine Rechtsbeziehungen zum Staat verbindlich festlegt (BGE 145 I 121 E. 1.1.2; 138 I 6 E. 1.2; 135 II 30 E. 1.1; 135 II 22 E. 1.2; Urteil 1C_36/2020 vom 20. August 2020 E. 1.2; je mit Hinweisen). Die Beschwerdeführer führen in ihren Rechtsbegehren sechs Beschlüsse an, die der Kantonsrat am erwähnten Sitzungstag gefällt habe. Bei diesen handelt es sich um behördeninterne Akte im Rahmen des parlamentarischen Gesetzgebungsprozesses, die nicht unmittelbar Rechte und Pflichten der Bürger begründen. Gleich wie bei verwaltungsorganisatorischen Massnahmen steht dagegen die Beschwerde nach Art. 82 lit. a BGG nicht zur Verfügung (vgl. BGE 136 I 323 E. 4.4 mit Hinweisen; YVES DONZALLAZ, Loi sur le Tribunal fédéral, 2008, Rz. 2692).  
 
1.4. Die Beschwerdeführer erheben keine Beschwerde gegen einen kantonalen Erlass gemäss Art. 82 lit. b BGG. Es erübrigt sich deshalb, auf die Voraussetzungen dieser Ausprägung der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten einzugehen.  
 
2.  
Auf die Beschwerde ist somit nicht einzutreten. Die Beweisanträge (insbesondere die Edition des definitiven Sitzungsprotokolls und die Einvernahme der Kantonsratspräsidentin als Zeugin) erweisen sich bei diesem Ergebnis als obsolet und sind abzuweisen. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten den Beschwerdeführern aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen (Art. 68 Abs. 1-3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden den Beschwerdeführern auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsrat des Kantons Solothurn schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 25. August 2022 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Der Gerichtsschreiber: Dold