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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
1C_1/2020  
 
 
Urteil vom 26. Mai 2020  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, Präsident, 
Bundesrichter Fonjallaz, Haag, 
Gerichtsschreiber Nabold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Yetkin Geçer, 
 
gegen  
 
Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern. 
 
Gegenstand 
Umtausch des ausländischen Führerausweises, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 4. Abteilung, vom 5. November 2019 
(7H 19 57/7U 19 32). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der 1986 geborene türkische Staatsangehörige A.________ stellte am 3. Juli 2018 beim Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern ein Gesuch um Umtausch eines irakischen Führerausweises in einen schweizerischen Führerausweis der Kategorie B. Der kriminaltechnische Dienst der Luzerner Polizei kam daraufhin am 17. Juli 2018 zum Schluss, dass der eingereichte irakische Führerausweis mindestens verfälscht sei. Nachdem gegen A.________ ein Strafverfahren wegen des Vorwurfs der Fälschung von Ausweisen eingeleitet worden war, gab dieser am 13. August 2018 zu Protokoll, seinen Führerausweis versehentlich gewaschen zu haben; die irakischen Behörden hätten es aber abgelehnt, ihm vor Ablauf der Gültigkeit des alten Führerausweises einen neuen auszustellen. In der Folge stellte die Staatsanwaltschaft Abteilung 2 Emmen das Strafverfahren mit Verfügung vom 19. September 2018 ein. Demgegenüber verweigerte das Strassenverkehrsamt mit Verfügung vom 23. Mai 2019 einen Umtausch dieses Führerausweises in einen schweizerischen, da erhebliche Zweifel an der Echtheit des vorgelegten irakischen Führerausweises bestünden. 
 
B.   
Die von A.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Luzern mit Urteil vom 5. November 2019 ab. 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und subsidiärer Verfassungsbeschwerde beantragt A.________, es sei unter Aufhebung des kantonalen Urteils sein irakischer Führerausweis, eventuell nach einer Kontrollfahrt, in einen schweizerischen Führerausweis umzutauschen. Gleichzeitig stellt A.________ ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. 
 
Das Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern und das Bundesamt für Strassen ASTRA schliessen auf Abweisung der Beschwerde. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid betreffend Administrativmassnahmen im Strassenverkehrsrecht. Dagegen steht grundsätzlich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht offen (vgl. Art. 82 ff. BGG). Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen (Art. 89 Abs. 1 Bst. a BGG) und ist als Adressat des angefochtenen Entscheids besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung (Art. 89 Abs. 1 Bst. b und c BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, weshalb die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig ist. Daraus folgt, dass auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde nicht einzutreten ist (vgl. Art. 113 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Das Bundesgericht wendet das (Bundes-) Recht von Amtes wegen (Art. 106 Abs. 1 BGG; BGE 143 V 19 E. 2.3 S. 23 f.) und mit uneingeschränkter (voller) Kognition an (Art. 95 lit. a BGG; BGE 141 V 234 E. 2 S. 236). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).  
 
2.2. Das Bundesgericht kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG).  
Die beschwerdeführende Partei, welche die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz anfechten will, muss substanziiert darlegen, inwiefern die Voraussetzungen einer Ausnahme gemäss Art. 105 Abs. 2 BGG gegeben sind und das Verfahren bei rechtskonformer Ermittlung des Sachverhalts anders ausgegangen wäre; andernfalls kann ein Sachverhalt, der vom im angefochtenen Entscheid festgestellten abweicht, nicht berücksichtigt werden (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 S. 18 mit Hinweisen). 
 
3.   
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzt hat, als es die Verfügung des Strassenverkehrsamtes, mit dem dieses den Umtausch des eingereichten irakischen Führerausweises in einen schweizerischen ablehnte, bestätigte. 
 
4.  
 
4.1. Wer ein Motorfahrzeug führt, bedarf des Führerausweises (Art. 10 Abs. 2 SVG) und muss über die Fahreignung und Fahrkompetenz verfügen (Art. 14 Abs. 1 SVG). Der erstmals erworbene Führerausweis für Motorräder und Motorwagen wird gemäss Art. 15a Abs. 1 SVG zunächst auf Probe erteilt. Die Probezeit beträgt drei Jahre. Inhabern des Führerausweises auf Probe wird nach Art. 15b Abs. 2 SVG der definitive Führerausweis erteilt, wenn die Probezeit abgelaufen ist und der Inhaber die vorgeschriebenen Weiterbildungskurse besucht hat. (Definitive) Führerausweise sind gemäss Art. 15c Abs. 1 SVG grundsätzlich unbefristet gültig; die kantonale Behörde kann in Anwendung von Art. 15c Abs. 3 SVG die Gültigkeitsdauer befristen, wenn die Fahreignung einer Person wegen bestehender Beeinträchtigungen häufiger kontrolliert werden muss.  
 
4.2. Nach Art. 42 Abs. 1 lit. a der Verordnung vom 27. Oktober 1976 über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr (Verkehrszulassungsverordnung, VZV; SR 741.6) darf ein ausländischer Motorfahrzeugführer in der Schweiz ein Motorfahrzeug führen, wenn er über einen gültigen nationalen Führerausweis verfügt. Einen schweizerischen Führerausweis benötigt ein Fahrzeugführer aus dem Ausland, wenn er seit zwölf Monaten in der Schweiz wohnt und sich in dieser Zeit nicht länger als drei Monate ununterbrochen im Ausland aufgehalten hat (Art. 42 Abs. 3bis lit. a VZV). Nach Art. 44 Abs. 1 VZV wird dem Inhaber eines gültigen ausländischen Ausweises der schweizerische Führerausweis der entsprechenden Kategorie erteilt, wenn er auf einer Kontrollfahrt nachweist, dass er die Verkehrsregeln kennt und Fahrzeuge der entsprechenden Kategorie sicher zu führen versteht.  
 
4.3. Gemäss dem klaren Wortlaut von Art. 44 Abs. 1 VZV wird für einen Umtausch des Führerausweises ein gültiger nationaler Führerausweis verlangt. Ein ungültiger ausländischer Ausweis kann keine Grundlage für den Umtausch bzw. die Ausstellung eines schweizerischen Ausweises ohne Ablegen einer Führerprüfung bilden (vgl. Art. 4 Abs. 3 VZV; Urteil 1C_556/2016 vom 14. Juni 2017 E. 4.2 mit Hinweis). Rechtsprechungsgemäss reicht es zudem grundsätzlich nicht aus, dass der ausländische Ausweis im Zeitpunkt der Gesuchstellung noch gültig gewesen war; vielmehr muss dieser auch im Zeitpunkt des Umtausches noch gültig sein (vgl. Urteil 1C_526/2018 vom 17. Januar 2019 E. 4.1).  
 
5.   
 
5.1. Das Strassenverkehrsamt lehnte das Gesuch des Beschwerde-führers vom 3. Juli 2018 auf Umtausch seines irakischen Führerausweises mit Verfügung vom 23. Mai 2019 ab, da der Nachweis der Echtheit des Ausweises nicht erbracht worden sei. Das kantonale Gericht liess die Frage nach der Echtheit des Ausweises offen, da dieser am 10. September 2018 abgelaufen sei und somit nicht länger umgetauscht werden könne. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorgehensweise des kantonalen Gerichts verstosse gegen Art. 29 BV.  
 
5.2. Art. 29 Abs. 1 BV verbietet unter anderem überspitzten Formalismus als besondere Form der Rechtsverweigerung. Eine solche liegt vor, wenn für ein Verfahren rigorose Formvorschriften aufgestellt werden, ohne dass die Strenge sachlich gerechtfertigt wäre, wenn die Behörde formelle Vorschriften mit übertriebener Schärfe handhabt oder an Rechtsschriften überspannte Anforderungen stellt und den Rechtsuchenden den Rechtsweg in unzulässiger Weise versperrt. Wohl sind im Rechtsgang prozessuale Formen unerlässlich, um die ordnungsgemässe und rechtsgleiche Abwicklung des Verfahrens sowie die Durchsetzung des materiellen Rechts zu gewährleisten. Nicht jede prozessuale Formstrenge steht demnach mit Art. 29 Abs. 1 BV in Widerspruch. Überspitzter Formalismus ist nur gegeben, wenn die strikte Anwendung der Formvorschriften durch keine schutzwürdigen Interessen gerechtfertigt ist, zum blossen Selbstzweck wird und die Verwirklichung des materiellen Rechts in unhaltbarer Weise erschwert oder verhindert (BGE 142 V 152 E. 4.2 S. 158 mit Hinweisen).  
 
5.3.   
 
5.3.1. Der Beschwerdeführer reichte den irakischen Führerausweis mehr als zwei Monate vor dessen Ablauf zum Umtausch ein. Eine rigorose Anwendung der Formvorschrift, wonach der Ausweis im Zeitpunkt des Umtausches noch gültig sein muss (vgl. E. 4.3 hievor), hätte zur Folge, dass der Beschwerdeführer sich nun - als in der Schweiz Asylsuchender - an die irakischen Behörden wenden müsste, damit sein Ausweis verlängert wird. Diesen verlängerten bzw. neu ausgestellten irakischen Ausweis hätte er daraufhin umgehend wieder beim kantonalen Strassenverkehrsamt zum Umtausch einzureichen. Dieses - mit erheblichem Aufwand an Zeit und Kosten verbundene - Prozedere führte im vorliegenden Fall zu einem prozessualen Leerlauf, wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt.  
 
5.3.2. Sinn und Zweck der Ausweispflicht gemäss Art. 10 Abs. 2 SVG besteht darin, sicherzustellen, dass Motorfahrzeugführer über Fahr-eignung und Fahrkompetenz im Sinne von Art. 14 Abs. 1 SVG verfügen. Verliert während des Umtauschverfahrens ein ausländischer Ausweis einzig aufgrund von Zeitablauf - und nicht etwa aufgrund eines Ausweisentzuges durch die ausländischen Behörden wie im erwähnten Urteil 1C_526/2018 vom 17. Januar 2019 - seine Gültigkeit, so besteht kein schutzwürdiges Interesse daran, den Ausweis zunächst im Ausland durch einen blossen Verwaltungsakt zu erneuern, ehe er in der Schweiz umgetauscht werden kann. Insbesondere trägt eine solche Verkomplizierung und Verteuerung des Verfahrensablaufs nicht einmal indirekt zur Verkehrssicherheit bei. Eine rigorose Anwendung der Formvorschrift würde im vorliegenden Fall zum blossen Selbstzweck verkommen. Zudem stünde sie im Widerspruch zur gesetzgeberischen Wertung gemäss Art. 15c Abs. 1 SVG, wonach Führerausweise grundsätzlich unbefristet gelten; die einmal erworbene und durch den Führerausweis verbriefte Fahrkompetenz somit in der Regel nicht alleine durch Zeitablauf verloren geht (vgl. zur Dauerhaftigkeit der Fahrkompetenz: JÜRG BICKEL, in: Basler Kommentar, Strassenverkehrsgesetz, 2014, N 4 f. zu Art. 15c SVG). Eine Verweigerung des Umtausches des irakischen Führerausweis einzig aufgrund des Umstandes, dass dieser während des Verwaltungsverfahrens abgelaufen ist, verstösst demnach gegen das Verbot des überspitzen Formalismus und ist damit bundesrechtswidrig.  
 
5.4. Kann demnach der Umtausch nicht einzig mit dem Argument verweigert werden, die Gültigkeitsdauer des irakischen Ausweises sei abgelaufen, so ist es auch nicht statthaft, die Frage nach der Echtheit des eingereichten Ausweises offenzulassen. Entsprechend ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten teilweise gutzuheissen und die Sache ist an das kantonale Gericht zurückzuweisen, damit sie über die Echtheit des Ausweises und damit über die Beschwerde des Rechtsuchenden neu entscheide. Dabei wird es namentlich zu berücksichtigen haben, dass - anderes als im Strafverfahren - im Administrativverfahren die Beweislast für die Gültigkeit und Echtheit des umzutauschenden Ausweises beim Beschwerdeführer liegt (vgl. Urteil 1C_526/2018 vom 17. Januar 2019 E. 4.2 mit weiteren Hinweisen).  
 
6.   
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG) und hat der Kanton dem Vertreter des Beschwerdeführers eine Entschädigung zu bezahlen (Art. 68 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nach Art. 64 BGG ist damit gegenstandslos. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.   
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird teilweise gutgeheissen. Das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 5. November 2019 wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuem Entscheid an das Kantonsgericht Luzern zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
3.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.   
Der Kanton Luzern hat dem Vertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Yektin Geçer, eine Entschädigung von Fr. 1'500.- zu bezahlen. 
 
5.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern, dem Kantonsgericht Luzern, 4. Abteilung, und dem Bundesamt für Strassen Sekretariat Administrativmassnahmen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 26. Mai 2020 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Chaix 
 
Der Gerichtsschreiber: Nabold