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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
8C_26/2018  
 
 
Urteil vom 27. September 2018  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin, 
Gerichtsschreiberin Berger Götz. 
 
Verfahrensbeteiligte 
 A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. André Largier, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Revision), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 27. November 2017 (IV 2015/190). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________ bezog bei einer zugrunde liegenden 100%igen Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit mit Wirkung ab 1. August 2004 eine ganze Rente der Invalidenversicherung. Infolge einer anonymen Verdachtsmeldung, wonach er im Reinigungsunternehmen seiner Ehefrau Schwarzarbeit verrichte, gab die IV-Stelle des Kantons St. Gallen eine Observation in Auftrag und holte anschliessend unter anderem ein Gutachten des Dr. med. B.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 3. Februar 2015 ein. Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens setzte die IV-Stelle die laufende Rente rückwirkend per 1. November 2013 auf eine halbe Rente herab und per 1. November 2014 stellte sie diese ein (Verfügung vom 29. Mai 2015). 
 
B.   
In teilweiser Gutheissung der dagegen erhobenen Beschwerde hob das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen die Verfügung vom 29. Mai 2015 auf, setzte die bisherige ganze Rente auf den 1. Januar 2014 auf eine halbe Rente herab und stellte die Rentenleistungen per 1. November 2014 ein; im Übrigen wies es die Beschwerde ab (Entscheid vom 27. November 2017). 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, in Abänderung des vorinstanzlichen Entscheids sei die IV-Stelle zu verpflichten, die ganze Invalidenrente jedenfalls bis Ende 2015 auszurichten. 
 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung des Rechtsmittels. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Stellungnahme. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen). 
 
2.   
Im Verfahren vor Bundesgericht stellt der Beschwerdeführer die Beweiskraft des psychiatrischen Gutachtens des Dr. med. B.________ vom 3. Februar 2015 nicht mehr in Frage. Auch die gestützt darauf erfolgte Renteneinstellung ficht er nicht mehr an. Streitig und zu prüfen ist einzig noch der Zeitpunkt der Rentenherabsetzung bzw. -einstellung. 
 
3.  
 
3.1. Die Vorinstanz geht gestützt auf das Gutachten des Dr. med. B.________ ab 1. Januar 2014 von einer 50%igen Arbeitsfähigkeit und ab 1. November 2014 von einer durchschnittlich 85%igen Arbeitsfähigkeit aus. Da eine zumindest leicht fahrlässige Meldepflichtverletzung anzunehmen sei, müssten die Rentenleistungen jeweils ab Eintritt der Sachverhaltsänderung, also ab 1. Januar 2014, auf eine halbe Rente herabgesetzt, bzw. per 1. November 2014 eingestellt werden.  
 
3.2. Der Versicherte macht geltend, die ganze Rente sei in Anwendung von Art. 88bis Abs. 2 lit. a IVV noch bis Ende 2015 auszurichten. Zur Begründung bringt er vor, das kantonale Gericht habe übersehen, dass Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV in der ab 1. Januar 2015 geltenden Fassung vorliegend nicht anwendbar sei. Die ihm vorgeworfene Meldepflichtverletzung habe im Januar 2014 keinen unrechtmässigen Leistungsbezug zur Folge gehabt, da der meldepflichtige Sachverhalt in jenem Zeitpunkt schon bekannt gewesen sei und die Kenntnis des verbesserten Gesundheitszustandes per 1. Januar 2014 nicht sofort zu einer Reduktion der laufenden Rente geführt hätte. Vielmehr hätte sich die IV-Stelle (bei rechtzeitiger Meldung der gesundheitlichen Verbesserung seinerseits im Januar 2014) einzig veranlasst gesehen, medizinische Abklärungen zu tätigen, um die Veränderung des Gesundheitszustandes sowie die Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit zu prüfen.  
 
3.3. Die IV-Stelle wendet dagegen ein, ob Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV in der neuen oder in der alten Fassung anwendbar sei, könne offen bleiben, weil die Rente infolge der Meldepflichtverletzung auf jeden Fall (rückwirkend) angepasst werden müsse.  
 
4.  
 
4.1. Ändert sich der Invaliditätsgrad einer Rentenbezügerin oder eines Rentenbezügers erheblich, so wird gemäss Art. 17 Abs. 1 ATSG die Rente von Amtes wegen oder auf Gesuch hin für die Zukunft entsprechend erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben. Die Herabsetzung oder Aufhebung der Renten, der Hilflosenentschädigungen und der Assistenzbeiträge erfolgt frühestens vom ersten Tag des zweiten der Zustellung der Verfügung folgenden Monats an (Art. 88bis Abs. 2 lit. a IVV); oder rückwirkend ab Eintritt der für den Anspruch erheblichen Änderung, wenn der Bezüger die Leistung zu Unrecht erwirkt hat oder der ihm nach Art. 77 IVV zumutbaren Meldepflicht nicht nachgekommen ist (Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV, sowohl in der bis Ende 2014 als auch gemäss erstem Satzteil in der seither geltenden Fassung).  
 
Gemäss Art. 77 IVV haben der Berechtigte oder sein gesetzlicher Vertreter sowie Behörden oder Dritte, denen die Leistung zukommt, jede für den Leistungsanspruch wesentliche Änderung, insbesondere eine solche des Gesundheitszustandes, der Arbeits- oder Erwerbsfähigkeit sowie der persönlichen und gegebenenfalls der wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten unverzüglich der IV-Stelle anzuzeigen. 
 
4.2. Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV wurde auf den 1. Januar 2015 hin revidiert. Seit dieser Revision und der damit eingefügten Ergänzung um den zweiten Satzteil kann bei einer Meldepflichtverletzung oder einer unrechtmässigen Erwirkung der Rente die Leistung rückwirkend auf den Zeitpunkt der erheblichen Änderung angepasst werden, ohne dass die Meldepflichtverletzung (oder die unrechtmässige Erwirkung) kausal für die Weiterausrichtung der Rente gewesen sein muss (vgl. Urteil 8C_813/2016 vom 10. März 2017 E. 5). Mit dieser Anpassung sollte einerseits sichergestellt werden, dass die IV-Stellen bei Verdacht auf eine Meldepflichtverletzung Renten nicht mehr länger übereilt sistieren müssen; anderseits sollte auch der ungerechtfertigte Anreiz für die versicherte Person, den Abklärungsprozess zu verzögern, eliminiert werden. Aus dieser Verordnungsänderung ergibt sich, dass der Zeitpunkt der Kenntnis der IV-Stelle über die Verbesserung des Gesundheitszustandes des Versicherten im Falle einer Meldepflichtverletzung nicht länger die Grenze der Rückforderbarkeit bildet (Urteil 8C_859/2017 vom 8. Mai 2018 E. 4.3).  
 
4.3.  
 
4.3.1. Es trifft hier zwar zu, dass die Vorinstanz Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV in seiner ab 1. Januar 2015 geltenden Fassung zitiert. Ob jedoch im vorliegenden Fall mit Blick auf die intertemporalrechtlichen Grundsätze diese oder die frühere Fassung der Bestimmung zur Anwendung gelangt, kann entgegen der Ansicht des Versicherten tatsächlich offen bleiben. Denn es kann ihm nicht gefolgt werden, soweit er geltend macht, die ihm vorgeworfene Meldepflichtverletzung sei ab 1. Januar 2014 nicht mehr kausal für die weiteren Rentenleistungen gewesen. Bei unstreitig fehlender Meldung der Verbesserung seitens des Versicherten war die IV-Stelle gezwungen, die gesundheitliche Situation in einem zeitraubenden Verfahren durch ein Fachgutachten abklären zu lassen. Es kann keine Rede davon sein, dass der meldepflichtige Sachverhalt dem Versicherungsträger bereits im Zeitpunkt des Eintritts der erheblichen gesundheitlichen Verbesserung (Januar 2014) bekannt gewesen wäre oder hätte bekannt sein können, bzw. dass auch bei rechtzeitiger Meldung der Verbesserung die Rente nicht auf Januar 2014 hätte angepasst werden können. Gemäss letztinstanzlich von keiner Seite mehr in Frage gestellter Expertise des Dr. med. B.________ war es spätestens ab Mitte 2013 zu einer deutlichen Verminderung der Arbeitsunfähigkeit gekommen. Dies veranlasste den Beschwerdeführer nicht zu einer entsprechenden Mitteilung an die IV-Stelle.  
 
4.3.2. Der Versicherte kann nichts zu seinen Gunsten daraus ableiten, dass - nach seinen Worten - die Überprüfung seines weiteren Leistungsanspruchs "längst im Gang" gewesen sei und seine Meldung gar keinen Einfluss "auf den Verfahrenslauf" gehabt hätte, weil die IV-Stelle aufgrund eines anonymen Hinweises vom 17. August 2012 eine Observierung in Auftrag gab, welche im Zeitraum vom 11. Oktober 2013 bis 25. Januar 2014 stattfand. Denn die Meldepflicht stellt - wie der Beschwerdeführer selber zu bedenken gibt - eine Konkretisierung des Grundsatzes von Treu und Glauben dar. Die versicherte Person, die Leistungen beziehen will oder solche bezieht, hat zur Ermittlung des anspruchsrelevanten Sachverhalts beizutragen. Sie weiss am besten, wie es um sie steht. Durch die Erfüllung der Meldepflicht wird dem Versicherungsträger die Abklärung des massgeblichen Sachverhalts erleichtert (Art. 43 Abs. 1 ATSG; Urteil 8C_601/2016 vom 29. November 2016 E. 6.1). Im vorliegenden Fall muss beachtet werden, dass frühestens mit dem psychiatrischen Gutachten vom 3. Februar 2015 Klarheit bezüglich der Verbesserung des Gesundheitszustandes mit entsprechend positiver Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit geschaffen werden konnte. Der Beschwerdeführer scheint bei seiner Argumentation auszublenden, dass er eine gesundheitliche Verbesserung - und in diesem Zusammenhang auch die Beweiskraft der Expertise - noch im vorinstanzlichen Beschwerdeverfahren (vgl. insbesondere die Beschwerde vom 23. Juni 2015 und die Replik vom 20. Oktober 2015) vehement bestritten hatte, obwohl schon seit dem Jahr 2012 konkrete Hinweise für eine wiedererlangte Arbeitsfähigkeit bestanden. Diese reichten jedoch bei fehlender Mitwirkung des Versicherten für eine Rentenrevision nicht aus.  
 
4.3.3. Anders als im vom Beschwerdeführer zitierten Urteil 9C_658/2015 vom 9. Mai 2016 (E. 4.3) ist im vorliegenden Fall ein kausaler Zusammenhang zwischen Meldepflichtverletzung und unrechtmässigen Rentenleistungen klar erstellt. Die IV-Stelle weist in ihrer letztinstanzlich eingereichten Vernehmlassung somit zu Recht darauf hin, dass auch in Anwendung des Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV in der bis Ende 2014 in Kraft gestandenen Fassung allein schon aufgrund dieser Meldepflichtverletzung eine rückwirkende Rentenanpassung erfolgen muss. Der angefochtene Gerichtsentscheid ist deshalb im Ergebnis so oder anders korrekt.  
 
5.   
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 27. September 2018 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz