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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
9C_691/2019  
 
 
Urteil vom 31. März 2020  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichterinnen Glanzmann, Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiber Williner. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Evalotta Samuelsson, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 21. August 2019 (IV.2018.00520). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der 1992 geborene A.________, seit August 2014 in einem Pensum von 100 % bei der B.________ AG als Bauzeichner tätig, leidet seit Geburt an einer hochgradigen Schwerhörigkeit, wofür ihm die IV-Stelle wiederholt Leistungen zusprach. Im November 2017 meldete er sich zum Bezug einer Hilflosenentschädigung für Erwachsene an. Die IV-Stelle tätigte verschiedene Abklärungen. Insbesondere veranlasste sie am 13. Februar 2018 eine Abklärung vor Ort (Abklärungsbericht vom 15. Februar 2018). Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren wies sie das Leistungsbegehren ab. 
 
B.   
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 21. August 2019 ab. 
 
C.   
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, es sei der Entscheid vom 21. August 2019 aufzuheben und ihm eine Hilflosenentschädigung leichten Grades ab dem 1. November 2017 zuzusprechen; eventualiter sei die Sache an die IV-Stelle zu ergänzenden Beweiserhebungen zurückzuweisen, damit diese hernach nochmals über den Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung entscheide. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Die Verletzung von Grundrechten prüft das Bundesgericht nur insoweit, als eine solche Rüge in der Beschwerde substanziiert vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 143 I 1 E. 1.4 S. 5; 136 I 49 E. 1.4.1 S. 53). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
1.2. Die richtige Auslegung und Anwendung des Rechtsbegriffs der Hilflosigkeit, die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 43 Abs. 1 und Art. 61 lit. c ATSG sowie der Anforderungen an den Beweiswert von Abklärungsberichten an Ort und Stelle beschlagen Rechtsfragen, die vom Bundesgericht frei zu prüfen sind (Art. 95 lit. a BGG). Die auf medizinische Abklärungen und auf einen Abklärungsbericht vor Ort gestützten gerichtlichen Feststellungen über Einschränkungen der versicherten Person in bestimmten Lebensverrichtungen betreffen demgegenüber Sachverhaltsfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 398 f.; SVR 2011 IV Nr. 11 S. 29, 9C_410/2009 E. 3). Tatsächlicher Natur ist auch die konkrete Beweiswürdigung (Urteil 9C_204/2009 vom 6. Juli 2009 E. 4.1, nicht publ. in: BGE 135 V 254, aber in: SVR 2009 IV Nr. 53 S. 164).  
 
1.3. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG; unechte Noven), was in der Beschwerde näher darzulegen ist (BGE 133 III 393 E. 3 S. 395). Der vorinstanzliche Verfahrensausgang allein bildet noch keinen hinreichenden Anlass im Sinne von Art. 99 Abs. 1 BGG für die Zulässigkeit von unechten Noven, die bereits im kantonalen Verfahren ohne Weiteres hätten vorgebracht werden können (BGE 143 V 19 E. 1.2 S. 22 f. mit Hinweisen).  
 
2.   
Das kantonale Gericht legte die gesetzlichen Bestimmungen und die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze, namentlich diejenigen zum Anspruch auf Hilflosenentschädigung (Art. 9 ATSG; Art. 42 Abs. 1 und 2 IVG; Art. 37 IVV), zum Tatbestand der lebenspraktischen Begleitung (Art. 42 Abs. 3 IVG; Art. 38 Abs. 1 IVV; BGE 133 V 450) sowie zu der im Sozialversicherungsrecht geltenden Schadenminderungspflicht (BGE 130 V 97 E. 3.2 S. 99; 129 V 460 E. 4.2 S. 463) zutreffend dar. Darauf wird verwiesen. 
 
3.   
Unbestrittenermassen ist der Beschwerdeführer weder in schwerem noch in mittelschwerem oder gestützt auf die Tatbestände von Art. 37 Abs. 3 lit. a-c in leichtem Grad hilflos. Streitig und zu prüfen ist einzig, ob er Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung für eine Hilflosigkeit leichten Grades hat, weil er im Sinne von Art. 37 Abs. 3 lit. d IVV trotz der Abgabe von Hilfsmitteln wegen einer Sinnestäuschung nur dank regelmässiger und erheblicher Dritthilfe gesellschaftliche Kontakte pflegen kann oder weil er im Sinne von Art. 37 Abs. 3 lit. e IVV dauernd auf lebenspraktische Begleitung angewiesen ist. 
 
4.   
Die Vorinstanz stellte fest, beim Beschwerdeführer liege aufgrund seiner schweren Hörschädigung (nicht korrigierbarer kompletter Hörverlust rechts, korrigierter Hörverlust von 60 % links) eine schwere Sinnesstörung vor. Sie verneinte indessen eine regelmässige Inanspruchnahme erheblicher Dienstleistungen Dritter im Sinne einer täglich benötigten Unterstützung zur Kontaktpflege und damit den Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung nach Art. 37 Abs. 3 lit. d IVV. In Bezug auf den Anspruch auf lebenspraktische Begleitung schloss das kantonale Gericht, der Bedarf an einer solchen erreiche unter Berücksichtigung der Schadenminderungspflicht nicht den für die Annahme einer leichten Hilflosigkeit erforderlichen Umfang von zwei Stunden pro Woche. 
Was in der Beschwerde dagegen vorgebracht wird, verfängt nicht: 
 
4.1. Der Beschwerdeführer bezweifelt vorerst den Beweiswert des Abklärungsberichts vom 15. Februar 2018 mit der Behauptung, die Abklärungsperson habe nicht über genügend Fachkenntnisse betreffend Sinnesbehinderungen und insbesondere der Gehörlosigkeit verfügt. Obwohl der Abklärungsbericht bereits zentrales Thema im kantonalen Beschwerdeverfahren war, wurde die fachliche Qualifikation der Abklärungsperson nie in Zweifel gezogen. Der Beschwerdeführer macht auch nicht geltend, erst der vorinstanzliche Entscheid hätte Anlass zu diesen neuen tatsächlichen, vor Bundesgericht damit unzulässigen (vgl. E. 1.3 hievor) Behauptungen gegeben. Im Übrigen ist der Beweiswert des Abklärungsberichts unbestritten.  
 
4.2. Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung. Zur Begründung macht er geltend, er sei wegen seiner Hörschädigung sowie der Taubheit seiner Frau für eine normale barrierefreie Kontaktpflege täglich auf Dritthilfe angewiesen, welche er sich indessen in Ermangelung einer Hilflosenentschädigung nicht leisten könne. Mithin sei er "für alle (Kontakt-) Lebensbereiche ausserhalb der vier Wänden" auf den Beizug eines Dritten angewiesen. Die tatsächliche Situation, dass er in seiner Rolle als Vater aber auch für sich selber den Beizug eines Gebärdendolmetschers oder seiner Mutter benötige, stehe in krassem Widerspruch zu der Argumentation der IV-Stelle, welche seine schwere Sinnestäuschung bagatellisiere und ihn in seiner Kommunikation einschränken möchte mit der Argumentation, er könne ja per Internet, brieflich oder per SMS und Mail kommunizieren.  
Auf diese Vorbringen ist zum vornherein nicht einzugehen, soweit sie sich auf angebliche Widersprüche in der Argumentation der Verwaltung beziehen. So bildet nicht deren Verfügung vom 2. Mai 2018, sondern der kantonale Entscheid vom 21. August 2019 Anfechtungsobjekt des bundesgerichtlichen Verfahrens (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG). Was in der Beschwerde gegen diesen vorgebracht wird, beschränkt sich im Ergebnis auf den Hinweis auf die Hörschädigung selbst sowie die Ansicht des Beschwerdeführers, allein schon deswegen für jegliche ausserhäusliche Kontaktaufnahme permanent auf die Dienstleistungen eines Gebärdendolmetschers angewiesen zu sein. Damit lässt er ausser Acht, dass seine Hörschädigung wohl eine schwere Sinnestäuschung darstellt, bei einer solchen - im Gegensatz etwa zur Blindheit - aber nicht per se die Erfüllung der Voraussetzungen einer Hilflosigkeit leichten Grades vermutet wird; vielmehr sind diese im Einzelfall zu prüfen (Urteil 8C_863/2011 vom 20. September 2012 E. 2.2; Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts I 114/98 vom 22. Oktober 1998 E. 2a und b und I 127/00 vom 26. März 2001 E. 3b/ee; Meyer/Reichmuth, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum IVG, 3. Aufl. 2014, N. 42 zu Art. 42; vgl. auch Rz. 8066 des Kreisschreibens über Invalidität und Hilflosigkeit in der Invalidenversicherung [KSIH; Stand 1. Januar 2018]). In dieser Einzelfallprüfung ist weder eine Verletzung der Rechtsgleichheit noch eine Bagatellisierung der Schwerhörigkeit oder ein Versuch zu erblicken, Betroffene in ihrer Kommunikation einzuschränken. 
Die Vorinstanz nahm eine entsprechende Prüfung vor und schloss gestützt auf den Abklärungsbericht vom 15. Februar 2018, der Beschwerdeführer benötige nicht regelmässig im Sinne von Art. 37 Abs. 3 lit. d IVV, sondern lediglich punktuell Unterstützung bei der Pflege gesellschaftlicher Kontakte. Das kantonale Gericht trug namentlich den Umständen Rechnung, dass er in der Fortbewegung nicht eingeschränkt sei, er insbesondere einen Führerausweis besitze, ihm zahlreiche Hilfsmittel zur Verfügung stünden, er seine Hörschädigung teilweise durch Lippenlesen kompensieren könne, er voll erwerbstätig sei, in seinem privaten Umfeld die meisten Personen die Gebärdensprache beherrschten und er im beruflichen Umfeld (bis zu einem monatlichen Höchstbetrag von Fr. 1755.-; Kostengutsprache vom 17. Oktober 2014) auf einen von der Invalidenversicherung finanzierten Gebärdendolmetscher zurückgreifen könne. Es ist weder ersichtlich noch in der Beschwerde dargelegt, inwiefern diese Feststellungen offensichtlich unrichtig sein sollen. Das Bundesgericht bleibt daran gebunden und der daraus gezogene Schluss ist nicht bundesrechtswidrig (vgl. E. 1.1 hievor). Nichts anderes gilt in Bezug auf die vorinstanzliche Feststellung, der für die Annahme einer leichten Hilflosigkeit erforderliche Umfang an lebenspraktischer Begleitung (zwei Stunden pro Woche) sei unter Berücksichtigung der Schadenminderungspflicht nicht erreicht. 
 
4.3. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Diskriminierungsverbots gemäss Art. 8 Abs. 2 BV. Soweit er diese pauschal bzw. lediglich unter Verweis auf einen im Internet abrufbaren Forschungsbericht damit begründet, die für die Annahme einer Hilflosigkeit massgebenden Kriterien seien einseitig auf "Körperbehinderungen des Bewegungsapparates und auf die Körperpflege" ausgerichtet, genügt dies den qualifizierten Begründungsanforderungen gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG (vgl. E. 1.1 hievor) klar nicht. Fehl geht in diesem Zusammenhang auch die Behauptung, die IV-Stelle habe die Abklärung vor Ort nicht behindertengerecht ausgestaltet, weil sie keinen Gebärdendolmetscher beigezogen habe. So wurde der Beschwerdeführer bei der Erhebung von seiner Mutter begleitet, welche mittels Gebärdensprache übersetzte. Im Übrigen wäre es ihm offen gestanden, an ihrer statt auf Kosten der Verwaltung einen professionellen Dolmetscher beizuziehen, wie er dies etwa anlässlich des Standortgesprächs vom 15. Januar 2018 getan hatte und im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit regelmässig eigenständig tut.  
 
4.4. An der Sache vorbei zielt die Rüge, die Vorinstanz habe die Sprachenfreiheit gemäss Art. 18 BV verletzt, weil der Beschwerdeführer ohne Gebärdendolmetscher nur mit einem kleinen Kreis an Personen in seiner Familie, seinem unmittelbaren Umfeld sowie am Arbeitsplatz kommunizieren könne. Ob der sachliche Schutzbereich von Art. 18 BV die Gebärdensprache überhaupt umfasst, kann hier offen bleiben (bejahend jedenfalls Jörg Paul Müller/Markus Schefer, Grundrechte in der Schweiz, 4. Aufl. 2008, S. 293 mit Hinweis auf weitere Autoren). So oder anders garantiert der einzig angerufene private Bereich der Sprachenfreiheit (vgl. dazu Urteil 2C_291/2014 vom 15. Dezember 2017 E. 4.1, nicht publ. in: BGE 141 I 36; BGE 139 I 229 E. 5.4 S. 234) wohl das Recht, die Muttersprache oder eine andere Sprache nach Wahl zu benützen; eine Garantie, dass die Mitmenschen das Gesagte (allenfalls mit Hilfe eines Dolmetschers) auch tatsächlich verstehen, lässt sich daraus aber nicht ableiten. Es ist auch weder ersichtlich noch substanziiert dargetan (vgl. E. 1.1 hievor), inwiefern die ebenfalls angerufenen Art. 13 Abs. 1 und Art. 14 BV derlei garantierten.  
 
5.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Der unterliegende Beschwerdeführer hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 31. März 2020 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Der Gerichtsschreiber: Williner