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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_495/2022  
 
 
Urteil vom 9. Januar 2023  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, als präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
Bundesrichter Hurni, 
Gerichtsschreiberin Lustenberger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Christof Egli, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern, 
Postfach 3439, 6002 Luzern, 
2. B.________, 
Beschwerdegegnerinnen. 
 
Gegenstand 
Einstellung (üble Nachrede, Verleumdung); rechtliches Gehör, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Kantonsgerichts Luzern, 1. Abteilung, vom 7. März 2022 (2N 21 183). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Eingaben vom 14. November 2019 und vom 5. August 2020 stellte B.________ gegen A.________ und seine Ehefrau ein Arrestgesuch beim Bezirksgericht Frauenfeld. Darin erhob sie namentlich den Vorwurf der Urkundenfälschung und der Begehung von Konkursdelikten. Verfasst wurden die Eingaben von Rechtsanwalt C.________. 
Am 24. Februar 2020 erhob A.________ Strafantrag gegen B.________ und Rechtsanwalt C.________ wegen übler Nachrede und Verleumdung. Die Staatsanwaltschaft Abteilung 1 Luzern stellte die Verfahren am 17. September 2021 ein. 
 
B.  
Gegen die Verfahrenseinstellung betreffend B.________ erhob A.________ Beschwerde beim Kantonsgericht Luzern, welches diese mit Beschluss vom 7. März 2022 abwies. 
 
C.  
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, der angefochtene Beschluss sei aufzuheben und die Sache zur Durchführung der Strafuntersuchung an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen. Eventualiter sei der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Privatklägerschaft ist zur Beschwerde in Strafsachen nur berechtigt, wenn sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG). Als Zivilansprüche im Sinne dieser Bestimmung gelten Ansprüche, die ihren Grund im Zivilrecht haben und deshalb ordentlicherweise vor dem Zivilgericht durchgesetzt werden müssen. Es geht dabei in erster Linie um Ansprüche auf Schadenersatz und Genugtuung gemäss Art. 41 ff. OR (BGE 146 IV 76 E. 3.1; 141 IV 1 E. 1.1). Richtet sich die Beschwerde gegen die Einstellung oder Nichtanhandnahme eines Verfahrens, hat die Privatklägerschaft im Strafverfahren nicht notwendigerweise bereits vor den kantonalen Behörden Zivilansprüche geltend gemacht. Die Prüfung der Eintretensvoraussetzungen durch das Bundesgericht erfolgt ohne eingehende Auseinandersetzung mit der Sache. Entsprechend ist - namentlich bei komplexen Fällen, in welchen allfällige Zivilansprüche nicht offensichtlich sind - einleitend und in gedrängter Form darzulegen, inwiefern die Eintretensvoraussetzungen erfüllt sind. Genügt die Beschwerde diesen strengen Begründungsanforderungen nicht, kann darauf nur eingetreten werden, wenn aufgrund der Natur der untersuchten Straftat ohne Weiteres ersichtlich ist, um welche Zivilforderung es geht (BGE 141 IV 1 E. 1.1 mit Hinweisen; Urteile 6B_48/2022 vom 11. November 2022 E. 1.2; 6B_726/2021 vom 25. Mai 2022 E. 1.2; je mit Hinweisen).  
 
1.2. Zu seiner Beschwerdelegitimation bringt der Beschwerdeführer vor, die streitigen Eingaben von B.________ (Beschwerdegegnerin 2) ans Bezirksgericht Frauenfeld enthielten Unterstellungen der Urkundenfälschung (insbesondere der Fälschung der Buchhaltung mit dem Ziel, die betroffene Gesellschaft auszuhöhlen, die Gläubiger zu schädigen und sich selber zu bereichern) sowie der Begehung von Konkursdelikten. Dabei handle es sich um schwere Straftaten, weshalb die Vorwürfe objektiv schwer wiegen würden und ihn auch in subjektiver Hinsicht schwer getroffen hätten. Daraus folgend werde er im Strafverfahren eine adhäsionsweise Genugtuungsforderung von Fr. 1'000.-- geltend machen. Die Durchsetzung dieses Anspruchs werde durch den angefochtenen Beschluss verunmöglicht. Damit gehe er im Hinblick auf die Beweisbeschaffung dem Untersuchungsgrundsatz sowie den Zwangsmassnahmen der Staatsanwaltschaft verlustig und es drohe die Verjährung, wenn die Forderung auf den Zivilweg verwiesen werde.  
Mit diesen Ausführungen ist hinlänglich dargetan, welche Zivilforderungen der Beschwerdeführer aus den zur Anzeige gebrachten Handlungen ableitet und wie sich der angefochtene Beschluss auf diese Forderungen auswirkt. Die Beschwerdelegitimation ist zu bejahen. 
 
2.  
 
2.1. In der Sache rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör resp. der richterlichen Begründungspflicht (Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK). Die Vorinstanz habe seine Beschwerde mit einer von der streitigen Einstellungsverfügung gänzlich abweichenden, für ihn nicht vorhersehbaren Begründung abgewiesen und dabei seine Argumentation unbehandelt gelassen.  
 
2.2. Gemäss Art. 391 Abs. 1 lit. a StPO ist die Rechtsmittelinstanz bei ihrem Entscheid nicht an die Begründung der Parteien gebunden. Ausserdem ist die Beschwerde nach Art. 393 Abs. 2 StPO ein vollkommenes Rechtsmittel, weshalb die Rechtsmittelinstanz aufgrund ihrer umfassenden Kognition die ihrer Ansicht nach zutreffende Rechtsauffassung an diejenige der ersten Instanz setzen kann (Urteil 6B_446/2020 vom 29. Juni 2021 E. 2.4.2 mit Hinweisen). Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verlangt jedoch, dass die Justizbehörde die Vorbringen der Parteien auch tatsächlich hört, prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt. Daraus folgt insbesondere die Verpflichtung der Behörde, ihren Entscheid ausreichend und nachvollziehbar zu begründen (BGE 146 II 335 E. 5.1; 145 IV 99 E. 3.1; 143 III 65 E. 5.2; je mit Hinweisen). Damit zusammenhängend hat die betroffene Person das Recht, sich vor Erlass eines in ihre Rechtsstellung eingreifenden Entscheids zur Sache zu äussern (vgl. auch Art. 3 Abs. 2 lit. c und Art. 107 Abs. 1 lit. d StPO, Art. 6 Ziff. 1 EMRK). Dieses Recht bezieht sich in erster Linie auf die Feststellung des Sachverhalts. Ein Anspruch der Parteien auf Anhörung zu Rechtsfragen besteht nur beschränkt, wenn sich die Behörde auf Rechtsnormen stützen will, deren Berücksichtigung von den Parteien vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, wenn sich die Rechtslage geändert hat oder wenn ein besonders weiter Ermessensspielraum besteht. Dies bedeutet nicht, dass das Gericht den Parteien ihre beabsichtigte Argumentation im Voraus zur Stellungnahme unterbreiten muss (BGE 145 I 167 E. 4.1; Urteil 6B_1272/2021 vom 28. April 2022 E. 3.1; je mit Hinweisen). Beabsichtigt es jedoch, seinen Entscheid mit einer Rechtsnorm oder einem Rechtsgrund zu begründen, die im bisherigen Verfahren nicht beigezogen wurden, auf die sich die beteiligten Parteien nicht berufen haben und mit deren Erheblichkeit sie im konkreten Fall nicht rechnen konnten, ist das rechtliche Gehör zu gewähren (BGE 145 IV 99 E. 3.1; 145 I 167 E. 4.1; Urteile 6B_1272/2021 vom 28. April 2022 E. 3.1; 6B_446/2020 vom 29. Juni 2021 E. 2.4.2; je mit Hinweisen).  
 
2.3. Zusammengefasst begründete die Staatsanwaltschaft die Verfahrenseinstellung damit, dass sich die streitigen Äusserungen der Beschwerdegegnerin 2 ausschliesslich auf die berufliche Tätigkeit der Funktionäre der D.________ AG und der E.________ AG beziehen und somit vom Schutzbereich der Ehrverletzungsdelikte nach Art. 173 f. StGB nicht erfasst würden. Die Äusserungen seien zudem sachlich gewesen, nicht über das Notwendige hinausgegangen und aufgrund begründeter Veranlassung erfolgt, weshalb die Beschwerdegegnerin 2 zum Wahrheits- und Gutglaubensbeweis zuzulassen sei. Dieser sei erbracht, denn die geäusserten Verdachtsmomente würden auf ernsthaften Recherchen beruhen. Ausserdem habe die Beschwerdegegnerin 2 im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens gehandelt, weshalb die Äusserungen durch Art. 14 StGB (gesetzlich erlaubte Handlung) gerechtfertigt seien.  
Dagegen argumentiert die Vorinstanz, die umstrittenen Äusserungen seien allesamt auf dem Briefpapier der Kanzlei C.________ festgehalten und von Rechtsanwalt C.________ unterzeichnet worden. Urheber der inkriminierten Äusserungen sei folglich Rechtsanwalt C.________ als Vertreter der Beschwerdegegnerin 2. Das gegen ihn geführte Strafverfahren sei jedoch rechtskräftig eingestellt worden. Dessen Äusserungen könnten nicht ohne Weiteres der Beschwerdegegnerin 2 zugerechnet werden. Aus den Akten ergebe sich nicht, dass sie die Eingaben verfasst oder ihren Rechtsvertreter zu entsprechenden Äusserungen angestiftet hätte. Ohnehin wäre eine allfällige Anstiftung aufgrund limitierter Akzessorietät zufolge Straflosigkeit von Rechtsanwalt C.________ straflos. 
 
2.4.  
 
2.4.1. Wie die obigen Ausführungen zeigen, führte die Vorinstanz bei der Abweisung der Beschwerde gänzlich andere Gründe an als die Staatsanwaltschaft in ihrer Einstellungsverfügung. Dabei verlagerte sie den Schwerpunkt der Argumentation auf einen anderen Bereich des Sachverhalts. Gleichzeitig stellte sie einzelne Elemente davon neu fest, so etwa, dass die Einstellungsverfügung betreffend Rechtsanwalt C.________ in Rechtskraft erwachsen sei, dass er für die streitigen Aussagen alleine verantwortlich sei und dass diese der Beschwerdegegnerin 2 nicht zugerechnet werden könnten. Mit der Zurechnung und der Frage nach einer allfälligen Anstiftung (Art. 24 StGB) kamen dabei auch neue rechtliche Aspekte ins Spiel.  
 
2.4.2. Zwar stand es der Vorinstanz grundsätzlich frei, die Beschwerde mit einer von der Staatsanwaltschaft abweichenden Begründung abzuweisen. Aus dem angefochtenen Entscheid ergibt sich jedoch nicht, dass die Argumentation, wonach die im Arrestverfahren anwaltlich vertretene Beschwerdegegnerin 2 als Täterin oder Teilnehmerin mangels Zurechnung gar nicht in Betracht kommt, zuvor bereits im Raum gestanden hätte. Hinzu kommt, dass die Vorbringen eines Rechtsanwalts im Rahmen eines Gerichtsverfahrens für gewöhnlich auf der Instruktion seiner Klientschaft beruhen und diese hierfür entsprechend mitverantwortlich ist (zur Vertretung im Zivilprozess siehe Art. 68 ZPO). Dem Beschwerdeführer kann vor diesem Hintergrund gefolgt werden, wenn er vorbringt, der vorinstanzliche Begründungsstandpunkt sei für ihn überraschend und unvorhersehbar gewesen. Angesichts der abrupten Änderung der Argumentationslinie hätte die Vorinstanz die Parteien vorgängig zur Stellungnahme einladen müssen. Dem angefochtenen Entscheid sind keine Hinweise dafür zu entnehmen, dass eine solche Anhörung stattgefunden hätte. Folglich verletzt er den Anspruch auf rechtliches Gehör des Beschwerdeführers.  
 
2.5. Eine im kantonalen Verfahren erfolgte Gehörsverletzung kann vor Bundesgericht geheilt werden, wenn ausschliesslich Rechtsfragen streitig sind, die das Bundesgericht mit freier Kognition beurteilen kann, und wenn dem Beschwerdeführer durch die Heilung kein Nachteil erwächst (BGE 147 IV 340 E. 4.11.3 mit Hinweisen; 133 I 100 E. 4.9).  
Vorstehend wurde dargelegt, dass die Vorinstanz in ihrer Entscheidbegründung nicht nur neue rechtliche Gesichtspunkte aufbrachte, sondern auch auf der Ebene des Sachverhalts neue Feststellungen traf. Diese werden in der vorliegenden Beschwerde weitgehend bestritten. Vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellungen überprüft das Bundesgericht nur auf Willkür und damit mit beschränkter Kognition (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG; vgl. auch BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 88 E. 1.3.1; 145 IV 154 E. 1.1; je mit Hinweisen). Unter diesen Umständen fällt eine Heilung der vorinstanzlichen Gehörsverletzung im bundesgerichtlichen Verfahren ausser Betracht. Die Sache wird zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
3.  
Die Beschwerde erweist sich als begründet und wird gutgeheissen, was zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führt. 
Der Mangel, der zur teilweisen Gutheissung der Beschwerde führt, ist rein verfahrensrechtlicher Natur, weshalb auf das Einholen von Vernehmlassungen verzichtet werden kann (Urteile 6B_200/2022 vom 23. Mai 2022 E. 6; 6B_1147/2020 vom 26. April 2021 E. 4.2; 6B_124/2021 vom 24. März 2021 E. 3, nicht publ. in: BGE 147 I 259). 
Bei diesem Verfahrensausgang werden keine Gerichtskosten erhoben (Art. 66 Abs. 4 BGG) und der Beschwerdeführer ist vom Kanton Luzern für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Der Beschwerdegegnerin 2 sind vor Bundesgericht keine entschädigungswürdigen Aufwände entstanden. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 7. März 2022 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Luzern hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- auszurichten. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Luzern, 1. Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 9. Januar 2023 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Denys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Lustenberger