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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_160/2022  
 
 
Urteil vom 10. Januar 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichterin Jametti, 
Bundesrichter Kölz, 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ AG, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Benedict Burg, 
 
gegen  
 
B.________, 
Beschwerdegegner, 
vertreten durch Rechtsanwältin Prof. Dr. Isabelle Häner, 
 
Staatsanwaltschaft See/Oberland, 
Weiherallee 15, Postfach, 8610 Uster, 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich. 
 
Gegenstand 
Ermächtigung, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss vom 2. Februar 2022 des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer (TB210233-O/U/AEP). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 28. Januar 2020 erstattete die A.________ AG Strafanzeige gegen den Leiter des Betreibungsamts Dübendorf, B.________. Sie warf ihm vor, bei der Verwertung von zwei Grundstücken, die sie verpfändet hatte, Amtsmissbrauch begangen zu haben. Die Staatsanwaltschaft See/Oberland überwies die Sache via die Oberstaatsanwaltschaft Zürich zum Entscheid über die Ermächtigung zur Eröffnung einer Strafuntersuchung dem Obergericht des Kantons Zürich. Mit Beschluss vom 15. Mai 2020 verweigerte dieses die Ermächtigung. Es bestünden keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten. Eine von der A.________ AG dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesgericht mit Urteil 1C_356/2020 vom 19. Oktober 2020 ab. 
Noch während das erwähnte Ermächtigungsverfahren hängig war, reichte die A.________ AG eine weitere, vom 2. April 2020 datierende Strafanzeige gegen B.________ ein. Mit Beschluss vom 2. Februar 2022 verweigerte das Obergericht die Ermächtigung zur Strafverfolgung erneut. 
 
B.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht vom 9. März 2022 beantragt die A.________ AG, der Beschluss des Obergerichts vom 2. Februar 2022 sei aufzuheben und der Staatsanwaltschaft sei die Ermächtigung zur Eröffnung einer Strafuntersuchung im Sinne der Erwägungen zu erteilen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich haben auf eine Stellungnahme verzichtet. Der Beschwerdegegner beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. In ihrer Replik vom 3. Juni 2022 hält die Beschwerdeführerin an ihren Anträgen fest. In einer weiteren, jedoch erst nach Ablauf der Replikfrist eingereichten Stellungnahme vom 26. September 2022 äussert sie sich erneut zur Sache. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Ermächtigung zur Strafverfolgung stellt eine Prozessvoraussetzung für das Strafverfahren dar, wird jedoch in einem davon getrennten Verwaltungsverfahren erteilt. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist deshalb das zutreffende Rechtsmittel (BGE 137 IV 269 E. 1.3.1 mit Hinweisen).  
Angefochten ist ein Entscheid einer letzten kantonalen Instanz, der das Verfahren abschliesst (Art. 86 Abs. 1 lit. d und Art. 90 BGG). Eine Ausnahme von der Zulässigkeit der Beschwerde nach Art. 83 BGG besteht nicht. Lit. e dieser Bestimmung, wonach Entscheide über die Verweigerung der Ermächtigung zur Strafverfolgung von Behördenmitgliedern oder von Bundespersonal von der Beschwerdemöglichkeit ausgenommen sind, ist nur auf die obersten Vollziehungs- und Gerichtsbehörden anwendbar, denn nur bei diesen dürfen politische Gesichtspunkte in den Entscheid einfliessen (BGE 137 IV 269 E. 1.3.2 mit Hinweis). Der Beschwerdegegner fällt nicht in diese Kategorie. 
Die Beschwerdeführerin hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen. Sie ist vom behaupteten Straftatbestand des Amtsmissbrauchs gemäss Art. 312 StGB insoweit potenziell direkt betroffen, als sie geltend macht, sie selbst habe aufgrund des Verhaltens des Beschwerdegegners einen Nachteil erlitten (vgl. Urteil 1C_395/2018 vom 21. Mai 2019 E. 1.2 mit Hinweis). Die Berechtigung zur Beschwerde nach Art. 89 Abs. 1 BGG ist in dieser Hinsicht gegeben. Hingegen ist die Beschwerdeführerin nicht berechtigt, mit Beschwerde vor Bundesgericht geltend zu machen, der Beschwerdegegner habe C.________ als Grundpfandgläubiger absichtlich benachteiligt. Dass sie in diesem Zusammenhang auch selbst potenziell direkt betroffen wäre, legt sie nicht dar (vgl. Art. 42 Abs. 1 BGG und BGE 141 IV 289 E. 1.3 mit Hinweisen). 
 
1.2. Unbeachtlich ist das erst nach Ablauf der Replikfrist eingereichte Schreiben vom 26. September 2022. Bei dem damit eingereichten Zahlungsbefehl vom 19. September 2022 handelt es sich zudem um ein nach Art. 99 Abs. 1 BGG unzulässiges neues Beweismittel.  
 
1.3. Die vorinstanzlichen Akten wurden dem Antrag der Beschwerdeführerin entsprechend beigezogen.  
 
2.  
 
2.1. Nach Art. 7 Abs. 1 StPO sind die Strafbehörden verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeit ein Verfahren einzuleiten und durchzuführen, wenn ihnen Straftaten oder auf Straftaten hinweisende Verdachtsgründe bekannt werden. Gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO können die Kantone allerdings vorsehen, dass die Strafverfolgung der Mitglieder ihrer Vollziehungs- und Gerichtsbehörden wegen im Amt begangener Verbrechen oder Vergehen von der Ermächtigung einer nicht richterlichen oder richterlichen Behörde abhängt. Diese Möglichkeit steht den Kantonen für sämtliche Mitglieder ihrer Vollziehungs- und Gerichtsbehörden offen. Dazu gehören auch Gemeindeangestellte und somit auch der Beschwerdegegner als Leiter des Betreibungsamts U.________ (BGE 137 IV 269 E. 2.7 mit Hinweisen). Die kantonalgesetzliche Grundlage für das Ermächtigungsverfahren ist § 148 des Gesetzes des Kantons Zürich vom 10. Mai 2010 über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess (GOG; LS 211.1).  
 
2.2. Das Ermächtigungserfordernis soll namentlich dem Zweck dienen, Behördenmitglieder und Beamte vor mutwilliger Strafverfolgung zu schützen und damit das reibungslose Funktionieren staatlicher Organe sicherzustellen. Ein Strafverfahren soll erst durchgeführt werden können, wenn die zuständige Behörde vorher ihre Zustimmung erteilt hat. Der förmliche Entscheid über die Eröffnung oder die Nichtanhandnahme obliegt kraft ausdrücklicher bundesrechtlicher Regelung der Staatsanwaltschaft (Art. 309 und 310 StPO; BGE 137 IV 269 E. 2.3).  
 
2.3. Im Ermächtigungsverfahren dürfen - ausser bei obersten Vollziehungs- und Gerichtsbehörden - nur strafrechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden (BGE 137 IV 269 E. 2.4 mit Hinweis). Allerdings begründet nicht jeder behördliche Fehler die Pflicht zur Ermächtigungserteilung. Erforderlich ist vielmehr ein Mindestmass an Hinweisen auf ein strafrechtlich relevantes Verhalten; ein solches muss in minimaler Weise glaubhaft erscheinen. In Zweifelsfällen ist die Ermächtigung zu erteilen; es gilt der Grundsatz "in dubio pro duriore". Ist zum Zeitpunkt des Ermächtigungsentscheids die Sach- oder Rechtslage nicht von vornherein klar, darf die zuständige Behörde die Ermächtigung zur Strafverfolgung nicht mit der Begründung verweigern, es fehle an einem hinreichenden Tatverdacht (zum Ganzen: Urteil 1C_395/2018 vom 21. Mai 2019 E. 2 mit Hinweisen).  
 
3.  
 
3.1. Die Strafanzeige gegen den Beschwerdegegner steht gemäss dem angefochtenen Entscheid im Zusammenhang mit dem Freihandverkauf zweier Grundstücke der Beschwerdeführerin, die damit eine bevorstehende Zwangsversteigerung abwenden wollte. Am 28. Januar 2020 habe die Beschwerdeführerin mit der D.________ AG einen Kaufvertrag über die beiden Grundstücke abgeschlossen. Dabei sei vereinbart worden, dass Fr. 30'329'702.53 an das Betreibungsamt U.________ zu bezahlen seien. Dieses sei damit beauftragt worden, sämtliche Gläubiger gemäss Lastenverzeichnis mit Ausnahme der Position Nr. xxx zu befriedigen. In der Folge habe die Beschwerdeführerin gegenüber dem Betreibungsamt erklärt, sie mache betreffend den Kaufvertrag einen Grundlagenirrtum geltend. Trotz Aufforderung des Beschwerdegegners habe sie in der Folge die Käuferin darüber jedoch nicht informiert, worauf der Beschwerdegegner, wie zuvor angekündigt, weitere Zahlungen an die Gläubiger geleistet habe.  
 
3.2. Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Beschwerdegegner hätte ihr schon lange Fr. 319'082.19 auszahlen müssen, da dieser Betrag für die Zwangsvollstreckung nicht benötigt werde. Das habe er trotz mehrfacher Aufforderung jedoch nicht getan. Das Obergericht sei auf die betreffenden Vorbringen in der Strafanzeige in Verletzung der Begründungspflicht nicht eingegangen. Zudem ist die Beschwerdeführerin der Auffassung, dass der von der Käuferin des Grundstücks an das Betreibungsamt bezahlte Betrag gemäss Kaufvertrag nicht zur Erfüllung von zwei Pfändungsforderungen über Fr. 62'910.30 und Fr. 24'658.40 verwendet werden dürfe, wie dies der Beschwerdegegner gemäss seinem E-Mail vom 13. Dezember 2021 zu tun gedenke. Auch in dieser Hinsicht habe das Obergericht die Begründungspflicht verletzt. Schliesslich wirft sie dem Beschwerdegegner vor, er sei seinen Pflichten aus dem Grundstückkaufvertrag teilweise nicht nachgekommen, weil er Schuldscheine nicht beigebracht und Veräusserungsbeschränkungen nicht gelöscht habe.  
 
3.3. Das Obergericht ging nicht speziell auf den von der Beschwerdeführerin erwähnten Betrag von Fr. 319'082.19 ein. Es legte jedoch dar, dass der Beschwerdegegner mit Schreiben vom 13. Dezember 2021 einen sich noch auf dem Konto des Betreibungsamts befindlichen Restbetrag von Fr. 939'082.19 ausgewiesen und gleichzeitig dargelegt habe, wie er damit zu verfahren gedenke. Eine strafbare Handlung sei insofern nicht erkennbar. Diese Ausführungen genügen der Begründungspflicht nach Art. 29 Abs. 2 BV (vgl. dazu BGE 143 III 65 E. 5.2), zumal im ausgewiesenen Restbetrag auch die von der Beschwerdeführerin erwähnte, ihrer Auffassung nach nicht für die Zwangsvollstreckung benötigte Summe enthalten ist. Hinzu kommt, dass sie ihre (vom Beschwerdegegner bestrittene) Behauptung, sie habe den betreffenden Betrag mehrfach eingefordert, nicht belegt.  
Unklar ist, weshalb es eine Amtspflichtverletzung darstellen soll, wenn der Beschwerdegegner der Beschwerdeführerin schriftlich mitteilt, dass er Fr. 62'910.30 und Fr. 24'658.40 zur Befriedigung von Pfändungsforderungen an das Betreibungsamt Buchs zahlen wolle. Die Beschwerdeführerin erläutert dies nicht und legt auch sonst nicht dar, inwiefern darin Hinweise auf einen Amtsmissbrauch im Sinne von Art. 312 StGB zu sehen sein sollen. Vor diesem Hintergrund ist ausreichend, wenn das Obergericht pauschal festhielt, es bestünden keinerlei Hinweise auf ein strafrechtlich relevantes Verhalten des Beschwerdegegners. 
Auch der Vorwurf, der Beschwerdegegner sei seinen Pflichten aus dem Grundstückkaufvertrag teilweise (noch) nicht nachgekommen, lässt den angefochtenen Entscheid nicht als bundesrechtswidrig erscheinen. Selbst wenn eine Pflichtverletzung zu bejahen wäre, läge darin noch kein Amtsmissbrauch. Dieser Straftatbestand setzt voraus, dass Mitglieder einer Behörde oder Beamte ihre Amtsgewalt missbrauchen, um sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen oder einem andern einen Nachteil zuzufügen. Wie das Bundesgericht bereits im ebenfalls die Beschwerdeführerin betreffenden Urteil 1C_356/2020 vom 19. Oktober 2020 dargelegt hat, erfüllt eine formelle Rechtsverweigerung allein den Straftatbestand noch nicht (a.a.O., E. 3.2.4 mit Hinweis). Hinzu kommt, dass der Beschwerdegegner nicht Vertragspartei des Grundstückkaufvertrags ist und ihm deshalb darin auch keine Pflichten auferlegt werden konnten. 
Das Obergericht durfte somit die Ermächtigung verweigern, ohne Bundesrecht zu verletzen. 
 
4.  
Die Beschwerde ist aus diesen Erwägungen abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. 
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführerin hat dem Beschwerdegegner eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft See/Oberland, der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 10. Januar 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Der Gerichtsschreiber: Dold