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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_1232/2022  
 
 
Urteil vom 20. Dezember 2022  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichterin Koch, 
Bundesrichter Hurni, 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Michael Weltert, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz, Verwertbarkeit von Beweismitteln; rechtliches Gehör; Nichteintreten, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern, 1. Strafkammer, vom 19. September 2022 (SK 22 397). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen, am 15. Oktober 2021 mit seinem Fahrzeug in einen Kreisverkehrsplatz gefahren zu sein und den Vortritt eines im Kreisverkehr fahrenden Motorradfahrers missachtet zu haben. Dieser habe aufgrund des Fahrverhaltens des Beschwerdeführers eine Vollbremsung einleiten müssen, sei ins Wanken geraten und gestürzt. 
Eine unbeteiligte Drittperson soll den Vorfall gemäss Anzeigerapport mitbekommen, eine Fotografie vom Fahrzeugheck des Beschwerdeführers mit Nummernschild erstellt und dem Motorradfahrer die Fotoaufnahme übergeben haben. Zur Drittperson seien keine Angaben bekannt. Der Zeugenaufruf in den Medien sei fruchtlos geblieben. 
Das Regionalgericht Oberland sprach den Beschwerdeführer mit Urteil vom 16. März 2022 von der Anschuldigung der einfachen Verletzung der Verkehrsregeln, angeblich begangen am 15. Oktober 2021, frei. Es begründete den Freispruch mit der Unverwertbarkeit sowohl der von der unbekannten Drittperson erstellten Fotoaufnahme als auch der Sekundärbeweise, insbesondere der Aussagen des Beschwerdeführers, welcher ohne das Foto bzw. das darauf ersichtliche Autokennzeichen nicht ausfindig gemacht und befragt hätte werden können. Die Unverwertbarkeit betreffe auch die sich auf die Fotoaufnahme beziehenden Aussagen des Motorradfahrers. Für eine Täterschaft des Beschwerdeführers gebe es keine weiteren Beweise. Anhand der (verwertbaren) Aussagen des Motorradfahrers könne nicht bewiesen werden, dass der Beschwerdeführer der Unfallfahrer gewesen sei. 
Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft Region Oberland hin hob das Obergericht des Kantons Bern das Urteil des Regionalgerichts vom 16. März 2022 am 19. September 2022 auf und wies die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an das erstinstanzliche Gericht zurück. Die Aufnahme des Autokennzeichens sei uneingeschränkt verwertbar. Erforderlich sei daher eine umfassende (Neu-) Überprüfung des Sachverhalts unter Berücksichtigung besagter Aufnahme und der allfälligen Folgebeweise, die dem Obergericht selber mit Blick auf Art. 398 Abs. 4 StPO verwehrt sei. Eine Rückweisung an die Vorinstanz nach Art. 409 Abs. 1 StPO sei deshalb unumgänglich. 
Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt, es sei der obergerichtliche Beschluss vom 19. September 2022 aufzuheben und das Urteil des Regionalgerichts Oberland vom 16. März 2022 zu bestätigen. 
 
2.  
 
2.1. Beim angefochtenen Beschluss handelt es sich um einen Zwischenentscheid, der das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer nicht abschliesst. Selbstständig eröffnete Zwischenentscheide sind nur unter den Voraussetzungen von Art. 92 oder Art. 93 BGG beim Bundesgericht anfechtbar. Da der Beschluss weder die Zuständigkeit noch den Ausstand betrifft (vgl. Art. 92 BGG), ist er nur anfechtbar, falls er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken könnte (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG). Ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG muss rechtlicher Natur sein und liegt vor, wenn er auch durch einen günstigen späteren Entscheid nicht mehr behoben werden kann (BGE 144 IV 127 E. 1.3.1).  
 
2.2. Kantonale Rückweisungsentscheide nach Art. 409 Abs. 1 StPO bewirken in der Regel keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG (BGE 148 IV 155 E. 1.1 und 2). In seiner früheren Rechtsprechung trat das Bundesgericht wiederholt auf Beschwerden gegen Rückweisungsbeschlüsse des Berufungsgerichts ein, wenn "nicht evident" war, dass das erstinstanzliche Verfahren an einem schwerwiegenden, im Berufungsverfahren nicht heilbaren Mangel im Sinne von Art. 409 Abs. 1 StPO litt (BGE 148 IV 155 E. 1.3 mit Hinweisen). Auf diese Rechtsprechung ist das Bundesgericht im Grundsatzentscheid BGE 148 IV 155 explizit zurückgekommen. Die Anfechtung eines Rückweisungsbeschlusses ist danach zwar nicht per se ausgeschlossen. Rügt die beschwerdeführende Partei mit hinreichender Begründung eine Rechtsverweigerung, kann auf das Erfordernis des nicht wieder gutzumachenden Nachteils verzichtet werden. Eine Rechtsverweigerung liegt namentlich vor, wenn ein Berufungsgericht wiederholt, mithin im Sinne einer eigentlichen Praxis systematisch Rückweisungsbeschlüsse wegen eines Verfahrensmangels erlässt, die entgegen der gefestigten bundesgerichtlichen Praxis nicht als schwerwiegend bzw. als heilbar zu qualifizieren ist (BGE 148 IV 155 E. 2.4 mit Hinweisen).  
 
2.3. Das Bundesgericht bejaht in ständiger Rechtsprechung einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zudem, wenn die Staatsanwaltschaft durch eine Rückweisung gezwungen wird, einer von ihr als falsch erachteten Weisung Folge zu leisten, ohne dass sie dies später anfechten kann (BGE 144 IV 377 E. 1, 321 E. 2.3; Urteile 6B_897/2021 vom 7. Oktober 2021 E. 1.3.1; 6B_473/2021 vom 12. Mai 2021 E. 1.4.3; 1B_271/2021 vom 1. April 2022 E. 1.3.1; 6B_13/2021 vom 9. Februar 2021 E. 1.3.1; 1B_103/2019 vom 10. Januar 2020 E. 1, nicht publ. in: BGE 146 IV 145; 1B_553/2018 vom 20. Februar 2019 E. 1.2; 6B_32/2017 vom 29. September 2017 E. 3.3, nicht publ. in: BGE 143 IV 408).  
 
3.  
 
3.1. Die Vorinstanz hält die Fotoaufnahme des Autokennzeichens entgegen der Rechtsauffassung der ersten Instanz und des Beschwerdeführers für uneingeschränkt verwertbar und weist die Angelegenheit zur umfassenden (Neu-) Überprüfung des Sachverhalts unter Berücksichtigung besagter Aufnahme und der allfälligen Sekundärbeweise an die erste Instanz zurück. Die rechtliche Wirkung des angefochtenen Rückweisungsentscheids erschöpft sich im Wesentlichen darin, dass die erste Instanz einen neuen Entscheid wird fällen müssen, der vom Beschwerdeführer wiederum angefochten werden kann. Wie in der Beschwerde zwar grundsätzlich zutreffend eingewendet wird, hat die vorinstanzliche Rückweisung zur Folge, dass die Frage der Verwertbarkeit der Fotoaufnahme des Autokennzeichens sowie der Folgebeweise bis zum Abschluss des kantonalen Strafverfahrens nicht mehr vorgebracht werden kann. Darin ist indessen entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kein nicht wieder gutzumachender rechtlicher Nachteil gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu erblicken, da der Ausgang des Verfahrens noch immer offen und selbst ein (erneuter) Freispruch vor der Erstinstanz nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Zudem kann die Frage der Verwertbarkeit des Beweismittels (Foto Autokennzeichen und Folgebeweise) dem Bundesgericht im Rahmen einer eventuellen Anfechtung des letztinstanzlichen kantonalen Endentscheids zur Überprüfung unterbreitet werden. Dass die Rechtswidrigkeit des Beweismittels (Foto Autokennzeichen) aufgrund des Gesetzes und der Umstände des vorliegenden Falles ohne weiteres feststehen soll und der Beschwerdeführer ein gewichtiges rechtliches Interesse an einer unverzüglichen Feststellung der Unverwertbarkeit des im Recht liegenden Beweises haben könnte (siehe insofern BGE 141 IV 284 und BGE 141 IV 289), ist nicht substanziiert dargetan und im Übrigen auch nicht ersichtlich. Der vorinstanzliche Rückweisungsbeschluss ist unter dem Gesichtspunkt von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nicht anfechtbar.  
 
3.2. Eine Gutheissung der Beschwerde könnte vorliegend zwar sofort einen Endentscheid herbeiführen und würde damit einen Aufwand an Zeit oder Kosten für ein Beweisverfahren ersparen. Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG verlangt jedoch, dass ein bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren eingespart wird. Diese Voraussetzung wird im Strafverfahren restriktiv ausgelegt (BGE 133 IV 288 E. 3.2). Die Aufwendungen müssen über diejenigen eines gewöhnlichen Strafverfahrens hinausgehen. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn ein komplexes oder gar mehrere Gutachten eingeholt, zahlreiche Zeugen befragt oder rogatorische Einvernahmen im entfernteren Ausland durchgeführt werden müssten (vgl. Urteile 6B_64/2022 vom 9. November 2022 E. 3.2.2; 6B_814/2020 vom 11. August 2020 E. 3.4; 6B_1292/2019 vom 27. November 2019 E. 3.3; 6B_799/2018 vom 29. Januar 2019 E. 1.3; 6B_927/2018 vom 8. Oktober 2018 E. 2.4). Das vorliegende Strafverfahren erscheint indessen weder mit Blick auf den Sachverhalt noch auf die sich stellenden Rechtsfragen besonders komplex. Inwiefern die Rückweisung im Sinne der vorinstanzlichen Erwägungen aussergewöhnliche Kosten verursachen oder weitere umfangreiche bzw. aufwändige Beweiserhebungen erfordern und damit insgesamt einen Aufwand an Zeit und Kosten generieren würde, welcher (deutlich) über denjenigen eines gewöhnlichen Strafverfahrens hinausginge, ist weder dargetan noch im Ansatz ersichtlich. Die Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG sind somit nicht erfüllt. Der vorinstanzliche Rückweisungsentscheid ist folglich auch unter dem Gesichtspunkt von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG nicht anfechtbar.  
 
4.  
Auf die Beschwerde ist nach dem Gesagten im Verfahren nach Art. 109 BGG nicht einzutreten. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (vgl. Art. 66 Abs. 1 BGG). In Berücksichtigung des relativ geringen Aufwands ist eine reduzierte Entscheidgebühr angemessen. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 20. Dezember 2022 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill