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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_139/2007 
 
Urteil vom 30. Mai 2008 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Lustenberger, Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard, 
Gerichtsschreiberin Kopp Käch. 
 
Parteien 
Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, 9016 St. Gallen, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Z.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Emil Nisple, Oberer Graben 26, 9000 St. Gallen. 
 
Gegenstand 
Ergänzungsleistung zur AHV/IV, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 27. Februar 2007. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Der 1953 geborene Z.________ bezieht seit November 1998 eine halbe und seit Oktober 2002 eine ganze Invalidenrente. Mit Verfügungen vom 24. Januar 2002 sprach die Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen dem Versicherten ab 1. Dezember 2001 Ergänzungsleistungen in der Höhe von Fr. 1659.- und ab 1. Januar 2002 von Fr. 1677.- zu. Der monatlich auszurichtende Betrag wurde in der Folge verschiedentlich angepasst und zuletzt mit Wirkung ab 1. Januar 2005 auf Fr. 1047.- festgesetzt. Nachdem der IV-Stelle des Kantons St. Gallen mitgeteilt worden war, dass sich Z.________ seit 14. Oktober 2005 in Untersuchungshaft befinde, sistierte diese mit Verfügung vom 28. Oktober 2005 die Invalidenrente ab sofort. Mit Verfügung vom 3. November 2005 wurde per 31. Oktober 2005 auch die Ausrichtung von Ergänzungsleistungen eingestellt. Einspracheweise liess Z.________ die rückwirkende vollständige Ausrichtung der Ergänzungsleistungen bis zu einer allfälligen rechtsgültigen Verurteilung beantragen. Am 26. Januar 2006 ordnete die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen per 30. Januar 2006 die Entlassung des Versicherten aus der Untersuchungshaft und dessen Einweisung in den vorzeitigen Strafvollzug an. Am 27. März 2006 wurden sowohl die Einsprache gegen die Sistierung der Invalidenrente wie auch diejenige gegen die Einstellung der Ergänzungsleistungen abgewiesen. 
 
B. 
Die gegen den Einspracheentscheid betreffend Sistierung der Ergänzungsleistungen erhobene Beschwerde, mit welcher Z.________ die rückwirkende Ausrichtung der Ergänzungsleistungen bis zu einer allfälligen rechtsgültigen Verurteilung, eventualiter deren rückwirkende Ausrichtung für die Dauer der Untersuchungshaft bis und mit Januar 2006 beantragen liess, hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 27. Februar 2007 teilweise gut, hob den angefochtenen Einspracheentscheid auf und wies die Angelegenheit zu weiterer Abklärung und neuer Entscheidung an die Sozialversicherungsanstalt zurück. 
 
C. 
Die Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt die Aufhebung des Entscheids des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 27. Februar 2007. 
Z.________ lässt die Abweisung der Beschwerde beantragen und um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ersuchen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen schliesst auf Gutheissung der Beschwerde. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2. 
Streitig und zu prüfen ist die Rechtsfrage, ob die Ausrichtung der jährlichen Ergänzungsleistungen zur Invalidenrente des Beschwerdegegners während der Dauer der Untersuchungshaft und des vorzeitigen Strafvollzuges eingestellt werden kann. 
 
2.1 Die Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen begründete die Einstellung der Ergänzungsleistungen per 31. Oktober 2005 in der Verfügung vom 3. November 2005 und im Einspracheentscheid vom 27. März 2006 damit, dass die Sistierung der Invalidenrente gemäss Art. 2c lit. a ELG zwingend auch diejenige der Ergänzungsleistungen zur Folge habe. 
 
2.2 Die Vorinstanz demgegenüber legte im Entscheid vom 27. Februar 2007 dar, dass die persönliche Voraussetzung zum Bezug von Ergänzungsleistungen gemäss Art. 2c lit. a ELG nicht in der tatsächlichen Ausrichtung einer Invalidenrente, sondern im Bestehen eines Anspruchs auf eine solche bestehe. Diese Voraussetzung - so das kantonale Gericht - sei während der ganzen Dauer der Untersuchungshaft und des vorzeitigen Strafvollzugs erfüllt, unabhängig davon, ob die Ausrichtung der Invalidenrente gestützt auf Art. 21 Abs. 5 ATSG ganz oder teilweise sistiert sei. Art. 21 Abs. 5 ATSG sodann sei auf Ergänzungsleistungen nicht anwendbar, da ihnen nicht der Charakter eines Erwerbsersatzes zukomme. Zu prüfen sei demzufolge eine Revision oder Anpassung der Ergänzungsleistungen gemäss Art. 17 Abs. 2 ATSG und Art. 25 ELV zufolge einer Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdegegners in der Untersuchungshaft und im vorzeitigen Strafvollzug. Dabei sei jedoch zu beachten, dass nicht über die Ausrichtung von Ergänzungsleistungen der aus der Sistierung der Invalidenrente resultierende Einkommensausfall ausgeglichen werde. 
 
2.3 Beschwerdeweise macht die Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen geltend, es könne offen bleiben, ob der Anspruch auf Ergänzungsleistungen an den tatsächlichen Bezug einer Invalidenrente oder aber an den Anspruch auf eine solche anknüpfe, da Art. 21 Abs. 5 ATSG auch auf die dem Beschwerdegegner zur Invalidenrente ausgerichteten jährlichen Ergänzungsleistungen anwendbar sei. Diese Auffassung teilt das Bundesamt für Sozialversicherungen. 
 
3. 
3.1 Die Auszahlung von Geldleistungen mit Erwerbsersatzcharakter kann gemäss Art. 21 Abs. 5 ATSG ganz oder teilweise eingestellt werden, solange sich die versicherte Person im Straf- oder Massnahmenvollzug befindet; ausgenommen sind die Geldleistungen für Angehörige im Sinne von Art. 21 Abs. 3 ATSG. Im Urteil 8C_176/2007 vom 25. Oktober 2007 in Sachen BSV/Beschwerdegegner hat das Bundesgericht die bisherige Rechtsprechung bestätigt, wonach - in Abweichung vom Wortlaut der Norm - Untersuchungshaft von einer Dauer von mehr als drei Monaten in gleicher Weise Anlass zur Sistierung gibt wie jede andere Form des von einer Strafbehörde angeordneten Freiheitsentzuges (BGE 133 V 1). Gleichzeitig hat es entschieden, dass dies erst recht für den vorzeitigen Strafvollzug gilt, der näher beim in der Bestimmung erwähnten Straf- und Massnahmenvollzug anzusiedeln ist als die Untersuchungshaft. Bezüglich Charakter des Art. 21 Abs. 5 ATSG als Kann-Vorschrift hat das Gericht an der Rechtsprechung festgehalten, wonach sich eine Sistierung der Rentenleistungen lediglich dort nicht rechtfertigt, wo die Vollzugsart der verurteilten versicherten Person die Möglichkeit bietet, eine Erwerbstätigkeit auszuüben und somit selber für die Lebensbedürfnisse aufzukommen, wie beispielsweise in der Halbgefangenschaft oder Halbfreiheit (BGE 133 V 1 E. 4.2.4.1 S. 6), und klargestellt, dass die Arbeitspflicht des Gefangenen gemäss Art. 81 Abs. 1 StGB nicht unter diese Erwerbstätigkeit fällt. 
 
3.2 Renten der Invalidenversicherung sind Geldleistungen mit Erwerbsersatzcharakter im Sinne von Art. 21 Abs. 5 ATSG, was unbestritten ist. Übersteigen die anerkannten Ausgaben einer invaliden Person mit Anspruch auf eine Invalidenrente die anrechenbaren Einnahmen, wozu die Rente zählt, hat die invalide Person zusätzlich Anspruch auf jährliche Ergänzungsleistungen im Betrag dieser Differenz (Art. 2c lit. a und Art. 3a Abs. 1 ELG). Die jährlichen Ergänzungsleistungen zur Invalidenrente sind Geldleistungen (Art. 3 Abs. 2 ELG) und knüpfen zumeist, wie das Bundesamt für Sozialversicherungen geltend macht, an den Erwerbsausfall an. Sie bezwecken die Ergänzung des durch die Invalidenrenten zuzüglich allfälligem übrigen Einkommen nicht ganz abgedeckten Ersatzes des Erwerbsausfalls. Wohl decken sie, wie Vorinstanz und Beschwerdegegner darlegen, das Risiko der Armut ab, aber eben nicht der Armut schlechthin, sondern nur der Armut zufolge invaliditätsbedingten Verlusts der Erwerbsfähigkeit. Aufgrund ihres Charakters als Bedarfsleistung, nicht als Fürsorgeleistung, orientieren sie sich betragsmässig an der Existenzsicherung und nicht am vorangegangenen Erwerbseinkommen. Dies ändert jedoch nichts am Charakter der jährlichen Ergänzungsleistung zur Invalidenrente als Geldleistung mit Erwerbsersatzcharakter und demzufolge an der Anwendbarkeit von Art. 21 Abs. 5 ATSG (vgl. auch Kieser, ATSG-Kommentar, N 80 zu Art. 21 ATSG). 
 
3.3 Da demzufolge die jährlichen Ergänzungsleistungen zur Invalidenrente unter die Geldleistungen mit Erwerbsersatzcharakter gemäss Art. 21 Abs. 5 ATSG zu subsumieren sind, ist deren Auszahlung während der Dauer der Untersuchungshaft und des vorzeitigen Strafvollzuges zu Recht eingestellt worden. Bei diesem Ergebnis kann offen bleiben, ob der Anspruch auf Ergänzungsleistungen zur Invalidenrente an die tatsächliche Ausrichtung dieser Rente oder aber an den Anspruch auf eine solche anknüpft. 
 
4. 
Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdegegner auferlegt (Art.66 Abs. 1 BGG). Gleichzeitig wird ihm die unentgeltliche Rechtspflege (Prozessführung und Verbeiständung; Art. 64 BGG) gewährt, da die hiefür erforderlichen Voraussetzungen (Bedürftigkeit, Gebotenheit einer Verbeiständung) gegeben sind (BGE 125 V 201 E. 4a S. 202 und 371 E. 5b S. 372, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 27. Februar 2007 aufgehoben. 
 
2. 
Dem Beschwerdegegner wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt. 
 
3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt, indes vorläufig auf die Gerichtskasse genommen. 
 
4. 
Rechtsanwalt Emil Nisple, St. Gallen, wird als unentgeltlicher Anwalt des Beschwerdegegners bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1500.- ausgerichtet. 
 
5. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen zurückgewiesen. 
 
6. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
Luzern, 30. Mai 2008 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Ursprung Kopp Käch