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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_497/2022  
 
 
Urteil vom 19. Januar 2023  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, 
Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiber Nabold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, vertreten durch MLaw Rechtsanwältin Annemarie Gurtner, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Ausgleichskasse des Kantons Freiburg, Impasse de la Colline 1, 1762 Givisiez, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei Mutterschaft, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Freiburg vom 21. September 2022 (608 2022 39). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die 1982 geborene A.________ war vom 1. Mai 2014 bis 30. September 2015 als Juristin bei der B.________ AG angestellt. Vom 21. September bis 2. Oktober 2015 sowie vom 2. bis 21. November 2015 absolvierte sie Englischkurse im Vereinigten Königreich, bevor sie am 15. Februar 2016 ein LL.M.-Nachdiplomstudium an der Universität Freiburg aufnahm, welches sie am 7. Juli 2018 abschloss. 
Am 29. Dezember 2016 gebar A.________ einen Sohn. 
Am 19. Januar 2017 stellte A.________ bei der Ausgleichskasse des Kantons Freiburg ein Gesuch um Ausrichtung einer Mutterschaftsentschädigung. Diese lehnte einen solchen Anspruch mit Verfügung vom 21. März 2017 ab; auf Einsprache der Versicherten hin kam die Ausgleichskasse am 13. März 2018 zum Schluss, diese Verfügung sei wegen Unzuständigkeit nichtig und schrieb das Einspracheverfahren als gegenstandslos ab. In der Folge meldete sich A.________ bei der Ausgleichskasse "Versicherung" zum Bezug einer Mutterschaftsentschädigung an. Diese lehnte einen entsprechenden Anspruch mit Verfügung vom 22. November 2018 und Einspracheentscheid vom 15. Februar 2019 ab. Auf Beschwerde der Versicherten hin hob das Verwaltungsgericht des Kantons Bern den Einspracheentscheid mit Urteil vom 15. August 2019 auf und überwies die Sache zur materiellen Beurteilung an die Ausgleichskasse des Kantons Freiburg. Diese lehnte einen Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung mit Verfügung vom 21. Oktober 2019 und Einspracheentscheid vom 7. Februar 2022 ab, da die Versicherte im Zeitpunkt der Niederkunft nichterwerbstätige Studentin gewesen sei. 
 
B.  
Die von A.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Freibug mit Urteil vom 21. September 2022 ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, es sei ihr unter Aufhebung des kantonalen Urteils eine Mutterschaftsentschädigung auszurichten. 
Erwägungen: 
 
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 134 V 250 E. 1.2 mit Hinweisen; BGE 133 III 545 E. 2.2; BGE 130 III 136 E. 1.4). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 mit Hinweisen).  
 
1.2. Das Bundesgericht ist an den Sachverhalt gebunden, wie die Vorinstanz ihn festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser erweise sich in einem entscheidwesentlichen Punkt als offensichtlich falsch oder unvollständig ermittelt. Zur Sachverhaltsfeststellung gehört auch die auf Indizien gestützte Beweiswürdigung (Urteile 9C_9/2021 vom 3. Mai 2021 E. 1.2 und 2C_445/2019 vom 7. August 2019 E. 1.2). Inwiefern die vorinstanzliche Beweiswürdigung bzw. die Sachverhaltsfeststellung offensichtlich unhaltbar ist, muss in der Beschwerdeschrift klar und detailliert aufgezeigt werden (BGE 144 V 50 E. 4.2 mit Hinweisen; 134 II 244 E. 2.2; 130 I 258 E. 1.3); es gilt diesbezüglich eine qualifizierte Begründungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4.3). Namentlich genügt es nicht, lediglich einzelne Indizien anzuführen, die anders als im angefochtenen Entscheid hätten gewichtet werden können, und dem Bundesgericht in appellatorischer Kritik diesbezüglich ohne Verfassungsbezug bloss die eigene Auffassung zu unterbreiten (vgl. BGE 116 Ia 85 E. 2b).  
 
2.  
Streitig ist der Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Mutterschaftsentschädigung für die Zeit nach der Geburt ihres Sohnes am 29. Dezember 2016. Mit Blick auf ihre Vorbringen zu prüfen ist dabei einzig die Frage, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, als sie die Beschwerdeführerin nicht als arbeitslos, sondern als nicht erwerbstätige Studentin qualifizierte. 
 
3.  
 
3.1. Das Bundesgesetz vom 25. September 1952 über den Erwerbsersatz (Erwerbsersatzgesetz, EOG; SR 834.1) wurde mit der Änderung vom 18. Dezember 2020 (AS 2021 288) mit Inkrafttreten auf den 1. Juli 2021 revidiert. Da vorliegend eine Mutterschaftsentschädigung aufgrund einer am 29. Dezember 2016 erfolgten Niederkunft streitig ist, sind nach den allgemeinen intertemporalrechtlichen Grundsätze die Bestimmungen, wie sie vor dieser Novellierung galten, anwendbar (vgl. BGE 148 V 162 E. 3.2.1).  
 
3.2. Anspruch auf eine Mutterschaftsentschädigung hat gemäss Art. 16b Abs. 1 EOG eine Frau, die  
a. während der neun Monate unmittelbar vor der Niederkunft im Sinne des AHVG obligatorisch versichert war; 
b. in dieser Zeit mindestens fünf Monate lang eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat; und 
c. im Zeitpunkt der Niederkunft: 
 
1. Arbeitnehmerin im Sinne von Art. 10 ATSG (SR 830.1) ist, 
2. Selbständigerwerbende im Sinne von Art. 12 ATSG ist, oder 
3. im Betrieb des Ehemannes mitarbeitet und einen Barlohn bezieht. 
Laut Abs. 3 regelt der Bundesrat die Anspruchsvoraussetzungen für Frauen, die wegen Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit: 
a. die Voraussetzungen von Abs. 1 lit. a nicht erfüllen; 
b. im Zeitpunkt der Niederkunft nicht Arbeitnehmerinnen oder Selbständigerwerbende sind. 
Die in Art. 16b Abs. 1 lit. a-c EOG genannten Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein. Die Mutterschaftsentschädigung ist grundsätzlich auf Frauen beschränkt, die im Zeitpunkt der Niederkunft erwerbstätig waren, d.h. die am Tag der Geburt noch in einem gültigen privat- oder öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis oder Lehrverhältnis stehen oder im Zeitpunkt der Niederkunft von der AHV als Selbständigerwerbende anerkannt sind (Art. 16b Abs. 1 lit. c EOG; BGE 133 V 73 E. 4.1; Urteil 9C_171/2008 vom 28. Mai 2008 E. 4.2). Ausnahmen sollen nur dann gemacht werden, wenn eine Frau (im Zeitpunkt der Niederkunft) wegen Arbeitslosigkeit oder Arbeitsunfähigkeit nicht als erwerbstätig gilt (Art. 16b Abs. 3 EOG; BGE 142 V 502 E. 2.1; 136 V 239 E. 2). 
 
3.3. Nach Art. 29 der Erwerbsersatzverordnung vom 24. November 2004 (EOV; SR 834.11) hat eine Mutter, die im Zeitpunkt der Geburt arbeitslos ist oder infolge Arbeitslosigkeit die erforderliche Mindesterwerbsdauer nach Art. 16b Abs. 1 lit. b EOG nicht erfüllt, Anspruch auf Entschädigung, wenn sie:  
a. bis zur Geburt ein Taggeld der Arbeitslosenversicherung bezog; oder 
b. am Tag der Geburt die für den Bezug eines Taggeldes nach dem AVIG (SR 837.0) erforderliche Beitragsdauer erfüllt. 
 
3.4. Gemäss Ingress von Art. 16b Abs. 3 EOG und Art. 29 EOV ist Voraussetzung für den ausnahmsweisen Leistungsanspruch trotz Fehlens einer Erwerbstätigkeit, dass die Mutter im Zeitpunkt der Geburt arbeitslos ist. Nach Art. 10 Abs. 1 und 2 AVIG gilt als ganz bzw. teilweise arbeitslos, wer in keinem oder nur in einem teilzeitlichen Arbeitsverhältnis steht und eine Vollzeit- bzw. eine (weitere) Teilzeitbeschäftigung sucht. Laut Art. 10 Abs. 3 AVIG gilt der Arbeitsuchende erst dann als arbeitslos, wenn er sich beim Arbeitsamt seines Wohnorts zur Arbeitsvermittlung gemeldet hat. Die Rechtsprechung hat indessen erkannt, dass der Begriff "arbeitslos" gemäss Art. 16b Abs. 3 EOG und Art. 29 EOV nicht im Sinne von Art. 10 Abs. 3 AVIG zu verstehen ist. Damit die Mutter im Zeitpunkt der Geburt als arbeitslos gilt, ist mit andern Worten nicht vorausgesetzt, dass sie beim Arbeitsamt angemeldet ist. Eine Abweichung gegenüber dem AVIG ist jedoch nur hinsichtlich des formellen Erfordernisses der Anmeldung beim Arbeitsamt zulässig. Materiell muss Arbeitslosigkeit vorliegen (BGE 136 V 239 E. 2.1). Die Betroffene muss mithin gewillt sein, ihre Arbeitslosigkeit durch die Suche nach einer Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigung als Unselbständigerwerbende zu beenden (BGE 142 V 502 E. 4.1). Für die Mutter, die nicht bis zur Geburt ein Taggeld der Arbeitslosenversicherung bezogen hat (Art. 29 lit. a EOV), ist des Weitern vorausgesetzt, dass sie am Tag der Geburt die für den Bezug eines Taggeldes nach dem AVIG erforderliche Beitragsdauer erfüllt (lit. b der genannten Verordnungsbestimmung).  
 
4.  
 
4.1. Es steht fest und ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin in der Zeit vor der Geburt ihre Sohnes bereits seit über einem Jahr nicht mehr erwerbstätig war, sondern nach vorbereitenden Englischkursen im Herbst 2015 im Februar 2016 vollzeitlich ein LL.M.-Studium an der Universität Freiburg aufnahm. Unbestritten ist im Weiteren, dass die Versicherte bis mindestens 16. Dezember 2016 aufgrund von Präsenzveranstaltungen und Prüfungen auch ohne Schwangerschaft dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden hätte und sie damit nicht arbeitslos im Sinne von Art. 29 EOV war. Die Versicherte macht geltend, sie hätte ohne Schwangerschaft ab dem 17. Dezember 2016 eine Erwerbstätigkeit gesucht und sei damit im Zeitpunkt der Geburt ihres Sohnes (29. Dezember 2016) arbeitslos im Sinne der Verordnung gewesen. Demgegenüber stellte das kantonale Gericht unter Hinweis auf die bis zum 1. Februar 2017 zu erledigenden "Take Home-Arbeiten" für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich fest, dass sich die Versicherte auch ohne Schwangerschaft im Dezember 2016 nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt hätte, sondern sie sich weiterhin vollzeitlich dem Abschluss ihres Studiums gewidmet hätte.  
 
4.2. Was die Beschwerdeführerin gegen diese vorinstanzlichen Feststellungen vorbringt, vermag sie nicht als willkürlich oder sonstwie bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen. Ein Mangel in der Sachverhaltsfeststellung gemäss Art. 105 Abs. 2 BGG liegt nicht bereits dann vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre. Eine Beweiswürdigung erweist sich erst dann als willkürlich, wenn das Gericht Sinn und Tragweite eines Beweismittels offensichtlich verkannt hat, wenn es ohne sachlichen Grund ein wichtiges und entscheidwesentliches Beweismittel unberücksichtigt gelassen hat oder wenn es auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen unhaltbare Schlussfolgerungen gezogen hat (BGE 144 II 281 E. 3.6.2). Solche vermag die Beschwerdeführerin nicht darzutun. Selbst wenn man gemäss ihren Vorbringen davon ausgehen würde, sie habe im Herbst 2015 eine Stelle gesucht, welche ihr ein berufsbegleitendes Studium ermöglicht hätte, so könnte daraus nicht zwingend der Schluss gezogen werden, sie hätte ohne Schwangerschaft im Dezember 2016 nicht einen möglichst raschen Abschluss des Studiums, sondern einen umgehenden Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt angestrebt. Entgegen ihren Ausführungen erscheint auch unter Berücksichtigung ihres sonstigen Karriereverlaufs die vorinstanzliche Argumentation jedenfalls nicht als unhaltbar. Somit hat das kantonale Gericht kein Bundesrecht verletzt, als es die Beschwerdeführerin nicht als arbeitslos im Sinne von Art. 29 EOV qualifizierte.  
 
4.3. War die Versicherte im Zeitpunkt der Niederkunft weder erwerbstätig im Sinne von Art. 16b Abs. 1 EOG noch arbeitslos im Sinne von Art. 29 EOV, so hat die Vorinstanz zu Recht einen Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung verneint. Die Beschwerde ist damit abzuweisen.  
 
5.  
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Freiburg und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 19. Januar 2023 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Der Gerichtsschreiber: Nabold