Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
1B_656/2020
Urteil vom 30. September 2021
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Chaix, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Müller, Bundesrichter Merz,
Gerichtsschreiber Härri.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Guido Hensch,
gegen
B.________ AG,
Beschwerdegegnerin,
Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis, Büro B-4,
Bahnhofplatz 10, Postfach, 8953 Dietikon.
Gegenstand
Strafverfahren; Ablehnung der Sistierung,
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts
des Kantons Zürich, III. Strafkammer,
vom 23. November 2020 (UH200259).
Sachverhalt:
A.
Am 13. März 2020 erhob die Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis bei der Einzelrichterin am Bezirksgericht Dietikon (im Folgenden: Einzelrichterin) Anklage gegen A.________ wegen mehrfacher, teilweise geringfügiger Veruntreuung zum Nachteil ihrer damaligen Arbeitgeberin, der B.________ AG. Die Staatsanwaltschaft beantragte die Aussprechung einer bedingten Freiheitsstrafe von 8 Monaten und einer Busse von Fr. 2'000.--.
B.
Am 15. Juni 2020 beantragte A.________ der Einzelrichterin die Sistierung des bezirksgerichtlichen Verfahrens bis zur Erledigung der von A.________ gleichentags eingereichten Zivilklage gegen die B.________ AG, da sich im Zivilverfahren die Hintergründe der gegen A.________ erhobenen Vorwürfe "noch besser erhellen" liessen.
Mit Verfügung vom 3. August 2020 lehnte die Einzelrichterin die Sistierung ab.
Auf die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde trat das Obergericht des Kantons Zürich (III. Strafkammer) mit Beschluss vom 23. November 2020 nicht ein. Es befand, die Ablehnung der Sistierung stelle einen verfahrensleitenden Entscheid der Einzelrichterin dar. Ein solcher sei nur mit Beschwerde anfechtbar, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken könne. An einem derartigen Nachteil fehle es.
C.
A.________ führt beim Bundesgericht Beschwerde mit dem Antrag, den Beschluss des Obergerichts aufzuheben. Dieses habe auf die Beschwerde einzutreten und "folgerichtig" das Sistierungsgesuch gutzuheissen.
D.
Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft haben auf Gegenbemerkungen verzichtet. Die B.________ AG hat sich nicht vernehmen lassen.
Erwägungen:
1.
In der Sache geht es um die Sistierung des einzelrichterlichen Verfahrens in sinngemässer Anwendung von Art. 314 Abs. 1 lit. b StPO, also um eine Strafsache. Damit ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben und nicht, wie die Beschwerdeführerin darlegt, die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist somit nach Art. 80 BGG zulässig. Die Beschwerdeführerin ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Der angefochtene Beschluss schliesst das Strafverfahren nicht ab. Er stellt einen Zwischenentscheid dar. Die Beschwerdeführerin macht eine formelle Rechtsverweigerung geltend. Es geht darum, ob gegen die Verfügung der Einzelrichterin die Beschwerde an die Vorinstanz offensteht. In einem derartigen Fall verzichtet die Rechtsprechung auf das Erfordernis des nicht wieder gutzumachenden Nachteils gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG (BGE 143 I 344 E. 1.2; 138 IV 258 E. 1.1; je mit Hinweisen). Die Beschwerde in Strafsachen ist somit zulässig.
2.
2.1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist der Beschuldigte nicht zur Beschwerde gegen die Ablehnung der Sistierung der Strafuntersuchung durch die Staatsanwaltschaft berechtigt (Urteil 1B_657/ 2012 vom 8. März 2013). Es erwog, da das Gesetz die Beschwerde gegen die Ablehnung der Sistierung durch die Staatsanwaltschaft nicht ausschliesse, müsste die Beschwerde nach Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO offen stehen (E. 2.3.2). Es verneinte jedoch die Beschwerdelegitimation gemäss Art. 382 Abs. 1 StPO mangels aktuellen und konkreten Nachteils aufgrund der Fortführung der Strafuntersuchung (E. 2.3.3 und 2.4; ebenso Urteile 1B_669/2012 vom 12. März 2013 E. 2 und 1B_151/2019 vom 10. April 2019 E. 4).
2.2. Im vorliegenden Fall geht es nicht um die Ablehnung der Sistierung der Strafuntersuchung durch die Staatsanwaltschaft, sondern um die Ablehnung der Sistierung der Hauptverhandlung durch die Einzelrichterin. Anwendbar ist somit nicht - wie in den erwähnten Urteilen - Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO, der die Beschwerde gegen Verfügungen und Verfahrenshandlungen unter anderem der Staatsanwaltschaft regelt, sondern Art. 393 Abs. 1 lit. b StPO. Danach ist die Beschwerde zulässig gegen die Verfügungen und Beschlüsse sowie die Verfahrenshandlungen der erstinstanzlichen Gerichte; ausgenommen sind verfahrensleitende Entscheide. Diese Bestimmung hängt zusammen mit Art. 65 Abs. 1 StPO. Danach können verfahrensleitende Anordnungen der Gerichte nur mit dem Endentscheid angefochten werden. Die Entscheide, gegen welche die Beschwerde gemäss Art. 65 Abs. 1 und Art. 393 Abs. 1 lit. b zweiter Halbsatz StPO ausgeschlossen ist, betreffen den Gang des Verfahrens. Dabei geht es insbesondere um Entscheide zum Fortgang und Ablauf des Verfahrens vor oder während der Hauptverhandlung. Was die vor der Eröffnung der Hauptverhandlung getroffenen Entscheide zur Führung des Verfahrens betrifft, lässt die Rechtsprechung die Beschwerde nach Art. 393 Abs. 1 lit. b StPO jedoch grundsätzlich zu, wenn sie dem Betroffenen einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG verursachen können (BGE 143 IV 175 E. 2.2 f. mit Hinweisen).
2.3. Die Ablehnung der Sistierung der Hauptverhandlung durch die Einzelrichterin betrifft den Gang des Verfahrens (vgl. BGE 143 IV 175 E. 2.4). Sie ist demnach - wovon die Vorinstanz zutreffend ausgeht - nur mit Beschwerde nach Art. 393 Abs. 1 lit. b StPO anfechtbar, wenn sie der Beschwerdeführerin einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil verursachen kann.
2.4. Aufgrund der Ablehnung der Sistierung durch die Einzelrichterin nimmt das bezirksgerichtliche Verfahren seinen Fortgang. Gemäss Art. 6 StPO gilt der Untersuchungsgrundsatz. Danach klären die Strafbehörden von Amtes wegen alle für die Beurteilung der Tat und der beschuldigten Person bedeutsamen Tatsachen ab (Abs. 1). Sie untersuchen die belastenden und entlastenden Umstände mit gleicher Sorgfalt (Abs. 2). Zu den Strafbehörden gehört gemäss Art. 13 lit. b StPO auch das erstinstanzliche Gericht und somit die Einzelrichterin. Diese ist folglich an den Untersuchungsgrundsatz gebunden und muss insbesondere die entlastenden Umstände mit gleicher Sorgfalt prüfen wie die belastenden (BGE 144 I 234 E. 5.6.2; Urteil 6B_288/2015 vom 12. Oktober 2015 E. 1.5.4). Die Beschwerdeführerin kann der Einzelrichterin Beweisanträge stellen (Art. 331 Abs. 2 f. und Art. 345 StPO). Sie kann vor der Einzelrichterin alles vorbringen, was zu ihren Gunsten sprechen könnte, insbesondere das, was sie insoweit bereits im Zivilverfahren vorgetragen hat oder dort allenfalls noch vorzutragen gedenkt. Weshalb die Fortführung des einzelrichterlichen Verfahrens eine Verletzung des Anspruchs der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) mit sich bringen sollte, ist damit nicht erkennbar. Sollte die Einzelrichterin die Beschwerdeführerin schuldig sprechen, könnte diese dagegen Berufung und anschliessend gegebenenfalls Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht erheben. Dabei könnte sie wiederum auf sämtliche Gesichtspunkte hinweisen, die sie entlasten könnten. Sollten sich im Verfahren vor der Einzelrichterin zivilrechtliche Fragen stellen, hätte sich diese vorfrageweise dazu zu äussern. Unter diesen Umständen ist nicht auszumachen, inwiefern die Ablehnung der Sistierung der Beschwerdeführerin einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können sollte. Sie legt das auch nicht nachvollziehbar dar.
2.5. Mangels nicht wieder gutzumachenden Nachteils ist die Beschwerde - anders als in den oben (E. 2.1) dargelegten Fällen - bereits nach Art. 393 Abs. 1 StPO unzulässig. Vieles spricht dafür, dass auch in der vorliegenden Konstellation die Beschwerdelegitimation nach Art. 382 Abs. 1 StPO zu verneinen gewesen wäre. Wie es sich damit verhält, kann jedoch dahingestellt bleiben.
Wenn die Vorinstanz auf die bei ihr erhobene Beschwerde nicht eingetreten ist, verletzt das demnach kein Bundesrecht.
3.
Die Beschwerde ist daher abzuweisen.
Die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nach Art. 64 BGG kann nicht bewilligt werden, weil die Beschwerde aussichtslos war. Unter den gegebenen Umständen - die Beschwerdeführerin bezieht eine IV-Rente und ist offenbar gesundheitlich angeschlagen - rechtfertigt es sich jedoch, auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft Limmattal/ Albis und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 30. September 2021
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Chaix
Der Gerichtsschreiber: Härri