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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5P.178/2003 /min 
 
Urteil vom 2. Juni 2003 
II. Zivilabteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Raselli, Präsident, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl, 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Parteien 
R.________, 
Beschwerdeführerin, vertreten durch Advokat lic. iur. Dominique Erhart, Bettenstrasse 5, Postfach 660, 4123 Allschwil, 
 
gegen 
 
S.________, 
Beschwerdegegnerin, 
Obergericht des Kantons Aargau, 4. Zivilkammer, Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau. 
 
Gegenstand 
Art. 9 BV (definitive Rechtsöffnung), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, 4. Zivilkammer, vom 14. Januar 2003. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Mit Nachtragsverfügung vom 9. Oktober 2001 stellte die S.________ R.________ als Inhaberin der Einzelfirma "P.________" für die Zeit vom 1. November 1997 bis 8. Juni 1999 Sozialversicherungsbeiträge über Fr. 25'773.75 in Rechnung. Die Verfügung wurde von R.________ nicht angefochten, weshalb sie in Rechtskraft erwuchs. 
B. 
In der Folge leitete die S.________ gegen R.________ die Betreibung ein, und am 6. August 2002 stellte sie in der Betreibung Nr. ... des Betreibungsamts N.________ ein Begehren um definitive Rechtsöffnung. In ihrer Vernehmlassung machte R.________ unter Beilage entsprechender Dokumente (Gründungsurkunde sowie Sacheinlage- und Sachübernahmevertrag vom 3. Juni 1999) geltend, sie habe ihre Einzelfirma rückwirkend per 1. November 1998 in die neu gegründete T.________ eingebracht. 
 
In seinem Entscheid vom 9. Oktober 2002 ging der Präsident des Bezirksgerichts Rheinfelden von einer Teilnichtigkeit der Nachtragsverfügung aus und erteilte für Fr. 5'384.50 definitive Rechtsöffnung. Demgegenüber erachtete das Obergericht des Kantons Aargau, 4. Zivilkammer, die Nachtragsverfügung nicht als geradezu nichtig und erteilte deshalb mit Entscheid vom 14. Januar 2003 definitive Rechtsöffnung für den vollen Betrag. 
C. 
Gegen diesen Entscheid hat R.________ staatsrechtliche Beschwerde erhoben, im Wesentlichen mit dem Begehren um dessen Aufhebung, eventuell um Rückweisung der Sache an die Vorinstanz. Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Die Vorinstanz hat erwogen, die Nichtigkeit von Verwaltungsverfügungen werde nach Massgabe der Evidenztheorie bei schwerwiegenden und zugleich offenkundigen oder zumindest leicht erkennbaren Rechtsfehlern als gegeben erachtet. Gemäss Art. 181 OR hafte der bisherige Schuldner auch für AHV-Beiträge noch während zwei Jahren solidarisch mit. Diese Frist scheine zwar bei Erlass der Nachtragsverfügung abgelaufen gewesen zu sein, doch könne dies nicht als schwerwiegender und zugleich offenkundiger Fehler angesehen werden, der zur (Teil)nichtigkeit führe. Die Beschwerdeführerin hätte die Verfügung anfechten können und müssen. 
2. 
Die Beschwerdeführerin hält diese Erwägungen für willkürlich. Art. 181 OR enthalte eine Verwirkungsfrist, die es zu beachten gelte. Die Nachtragsverfügung richte sich im Übrigen an das falsche Steuersubjekt und sei deshalb bereits anfänglich nichtig. Die Nichtigkeit sei von Amtes wegen zu beachten, andernfalls Willkür vorliege. Schliesslich sei ein schwerer Formfehler gegeben, weil die Verfügung nicht unterschrieben sei und es sich nicht um eine Massenverfügung, sondern um eine individuelle Nachzahlungsverfügung handle. 
3. 
3.1 Weder bestreitet die Beschwerdeführerin die grundsätzliche Eignung einer Nachtragsverfügung als definitiver Rechtsöffnungstitel, noch macht sie einen der in Art. 81 Abs. 1 SchKG genannten Einwände (Tilgung, Stundung, Verjährung) gegen einen an sich gültigen Titel geltend. Vielmehr behauptet sie, die Nachtragsverfügung sei nichtig und entsprechend bestehe gar kein verbindlicher Rechtsöffnungstitel. Dieses Vorbringen ist grundsätzlich zulässig, da eine nichtige Verfügung keine Rechtswirkungen entfaltet und die Nichtigkeit auch noch im Vollstreckungsverfahren geltend gemacht werden kann (Häfelin/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl., Zürich 2002, N. 955; Imboden/Rhinow, Schweizerische Verwaltungsrechtspflege, Band I, Basel 1976, S. 240). 
3.2 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist ein Entscheid nichtig, d.h. absolut unwirksam, wenn der ihm anhaftende Mangel besonders schwer ist, wenn er offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist und wenn zudem durch die Annahme der Nichtigkeit die Rechtssicherheit nicht ernsthaft gefährdet wird (BGE 98 Ia 568 E. 4 S. 571; 104 Ia 172 E. 2c S. 176 f.; 116 Ia 215 E. 2c S. 219; 122 I 97 E. 3a/aa S. 99). In Konkretisierung dieser Definition hat die Praxis verschiedene Fehler anerkannt, bei deren Vorliegen eine Verfügung als nichtig betrachtet wird. Dies ist in der Regel bei sachlicher oder funktioneller Unzuständigkeit der verfügenden Behörde, aber auch bei schwerwiegenden Form- und Verfahrensfehlern der Fall (vgl. Häfelin/ Müller, N. 959 ff., mit zahlreichen Beispielen). Demgegenüber führen inhaltliche Mängel in aller Regel lediglich zur Anfechtbarkeit der Verfügung, denn die These, dass die inhaltliche Rechtswidrigkeit schlechthin die Nichtigkeit zur Folge habe, würde bedeuten, dass das Vollstreckungsorgan praktisch an die Stelle der entscheidenden Behörde treten würde (Imboden, Der nichtige Staatsakt, Zürich 1944, S. 137). In Ausnahmefällen können jedoch auch ausserordentlich schwerwiegende inhaltliche Mängel zur Nichtigkeit der Verfügung führen. Als nichtig wäre namentlich eine Verfügung anzusehen, die einen unmöglichen Inhalt hat und bei der die Fehlerhaftigkeit an ihr selbst zum Ausdruck kommt (z.B. Aberkennung der Rechtsfähigkeit, provisorische Einbürgerung u.ä.; vgl. dazu Imboden, S. 141 f.). Ferner wäre Nichtigkeit bei tatsächlicher Unmöglichkeit des Vollzugs sowie bei einer unklaren oder unbestimmten Verfügung gegeben ( Imboden, S. 138 f.). 
 
Im vorliegenden Fall ist die Nachtragsverfügung offensichtlich von der zuständigen Behörde erlassen worden und formelle Fehler werden nicht behauptet; vielmehr wird ein inhaltlicher Mangel geltend gemacht. In dieser Hinsicht könnte sich die Nachtragsverfügung allenfalls dann als nichtig erweisen, wenn die Beschwerdeführerin von vornherein nicht AHV-pflichtig und damit per definitionem nicht Verfügungsadressatin einer Beitragsverfügung sein könnte. Demgegenüber handelt es sich bei der Rüge, sie sei für eine Zeitperiode als beitragspflichtig erklärt worden, in der ihre Einzelfirma bereits in eine juristische Person eingebracht gewesen sei, um einen rein materiell-rechtlichen Einwand, der typischerweise im Rechtsmittelverfahren hätte erhoben werden müssen. Im Übrigen lässt sich auch nicht sagen, der behauptete Fehler sei offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar: Die Beschwerdeführerin hat effektiv eine Einzelfirma betrieben und sie verweist als Beleg für ihr Vorbringen auf verschiedene Dokumente. Allein schon dieser Umstand zeigt, dass die geltend gemachte Nichtigkeit nicht ins Auge springt und auch nicht aus der Verfügung selbst hervorgeht. Insofern erweist es sich jedenfalls nicht als willkürlich, wenn die Vorinstanz im Ergebnis davon ausgegangen ist, der Rechtsöffnungsrichter sei an die in Rechtskraft erwachsene Verfügung gebunden und er dürfe sie nicht nach- bzw. auf ihre materielle Richtigkeit hin überprüfen. 
3.3 Nicht restlos geklärt ist, inwiefern zur Schriftform einer Verfügung auch die eigenhändige oder faksimilierte Unterschrift gehört. Bei einer Massenverfügung, wie sie namentlich im Bereich der Sozialversicherung auftritt, ist die Unterschrift jedoch kein Gültigkeitserfordernis; vielmehr muss die verfügende Instanz hier die Möglichkeit haben, sich gedruckter Formulare zu bedienen oder Verfügungen auf dem elektronischen Weg zu erlassen. Dies gilt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung und entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin insbesondere auch für die Nachzahlungsverfügungen der Ausgleichskassen (BGE 105 V 248 E. 4b S. 252). Entsprechend lässt sich nicht sagen, die Vorinstanz habe in willkürlicher Weise die Nichtigkeit der Nachtragsverfügung verneint. Die staatsrechtliche Beschwerde ist folglich abzuweisen. 
4. 
Zufolge Abweisung ist die Gerichtsgebühr der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 ZGB). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, 4. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 2. Juni 2003 
Im Namen der II. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: