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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5P.341/2004 /bie 
 
Urteil vom 8. März 2005 
II. Zivilabteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Raselli, Präsident, 
Bundesrichterinnen Escher, Hohl, 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jürg Peyer, 
 
gegen 
 
Verein Y.________, Beschwerdegegner, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Urs Glaus, 
Kantonsgericht St. Gallen, I. Zivilkammer, 
Klosterhof 1, 9001 St. Gallen. 
 
Gegenstand 
Art. 9 BV (Abschreibung einer Vereinsklage; Kosten), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid 
des Kantonsgerichts St. Gallen, I. Zivilkammer, 
vom 1. Juli 2004. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Mit Klage vom 23. April 2002 gegen den Verein Y.________ stellte X.________ verschiedene vereinsrechtliche Begehren. Mit Schreiben vom 14. April 2004 zog er die Klage zurück, worauf das Kreisgericht St. Gallen das Verfahren mit Entscheid vom 29. April 2004 als erledigt abschrieb und dabei die Gerichts- und Parteikosten X.________ auferlegte. In der Rechtsmittelbelehrung wurde er darauf hingewiesen, dass er gegen diesen Entscheid innert 30 Tagen ab Zustellung Berufung beim Kantonsgericht erheben könne. 
 
Gestützt auf diese Rechtsmittelbelehrung erhob X.________ am 2. Juni 2004 gegen Ziff. 2 und 3 des erstinstanzlichen Entscheides (Kostenauflage) Berufung. Durch den Gerichtsschreiber des Kantonsgerichts am 4. Juni 2004 dahingehend informiert, dass bei erstinstanzlichen Abschreibungsbeschlüssen der Kostenentscheid als solcher nach der Praxis des Kantonsgerichts nicht berufungsfähig sei, sondern dagegen nur die Rechtsverweigerungsbeschwerde zur Verfügung stehe, stellte er am 14. Juni 2004 die Begehren, die Berufung vom 2. Juni 2004 sei als Rechtsverweigerungsbeschwerde entgegenzunehmen und die Frist zur Beschwerdebegründung sei wieder herzustellen und dafür eine 10-tägige Frist anzusetzen. 
 
Mit Entscheid vom 1. Juli 2004 wies das Kantonsgericht das Fristwiederherstellungsgesuch ab und trat auf die Rechtsverweigerungsbeschwerde nicht ein. 
B. 
Dagegen hat X.________ am 6. September 2004 staatsrechtliche Beschwerde erhoben, im Wesentlichen mit dem Begehren um Aufhebung des angefochtenen Entscheides. In seiner Vernehmlassung vom 2. Februar 2005 hat der Beklagte das Begehren gestellt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Das Kantonsgericht hat auf den von ihm in GVP 1996 Nr. 68 publizierten Entscheid verwiesen, wonach der Klagerückzug das Verfahren unmittelbar beende und im Zeitpunkt des Abschreibungsbeschlusses kein Streitwert mehr vorliege, weshalb der blosse Kostenentscheid nicht berufungsfähig sei, sondern einzig der Rechtsverweigerungsbeschwerde unterliege. Dennoch sei die Rechtsmittelbelehrung des Kreisgerichts korrekt gewesen, weil der Klagerückzug mit Willensmängeln hätte behaftet sein können und deshalb in der Sache selbst die Berufung möglich gewesen wäre. Auf die Rechtsverweigerungsbeschwerde gegen den Kostenpunkt habe sodann nicht hingewiesen werden müssen, weil es sich dabei um ein ausserordentliches Rechtsmittel handle. 
 
Das Kantonsgericht verneinte in der Folge das Vorliegen eines unverschuldeten Hindernisses und wies das Gesuch um Fristwiederherstellung für eine Rechtsverweigerungsbeschwerde ab. Die als Berufung eingereichte ursprüngliche Eingabe des Beschwerdeführers nahm es zwar als Rechtsverweigerungsbeschwerde entgegen, trat aber auf diese nicht ein mit der Begründung, es seien keine Beschwerdegründe geltend gemacht und die Ausführungen erschöpften sich in appellatorischer Kritik am erstinstanzlichen Entscheid. 
2. 
Mit Bezug auf die Abweisung des Gesuchs um Fristwiederherstellung rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des Willkürverbots. Er macht geltend, als ausserkantonaler Anwalt habe er die Rechtsprechung des Kantonsgerichts St. Gallen nicht kennen müssen, sondern auf die Rechtsmittelbelehrung vertrauen dürfen. In Bezug auf den Nichteintretensentscheid rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, indem das Kantonsgericht auf seine Ausführungen zur Kostenauflage gar nicht eingegangen sei, sondern lediglich festgehalten habe, diese erschöpften sich in appellatorischer Kritik. 
3. 
Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden (Art. 9 BV). Ob eine Rechtsmittelbelehrung begründetes Vertrauen erweckt, bemisst sich nach dem Grundsatz von Treu und Glauben. Die Abgrenzung gegenüber dem Willkürverbot ist insofern von Bedeutung, als die Kognition des Bundesgerichts im Zusammenhang mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht auf Willkür beschränkt ist (BGE 103 Ia 505 E. 1 S. 508; 117 Ia 285 E. 2b S. 287). 
 
Nach konstanter bundesgerichtlicher Rechtsprechung darf einer Partei aus einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung kein Nachteil erwachsen, soweit sich eine Prozesspartei nach Treu und Glauben darauf verlassen durfte. Wer die Fehlerhaftigkeit einer Rechtsmittelbelehrung erkennt oder bei gebührender Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen, kann sich nicht auf die darin enthaltenen unzutreffenden Angaben berufen. Allerdings sind nur grobe Fehler einer Partei geeignet, eine falsche Rechtsmittelbelehrung aufzuwiegen. So geniesst eine Partei keinen Vertrauensschutz, wenn sie oder ihr Anwalt die Mängel der Rechtsmittelbelehrung durch Lektüre des massgebenden Gesetzestextes allein erkennen konnte. Indes wird in diesem Zusammenhang auch von einem Anwalt nicht verlangt, dass er neben dem Gesetzestext Literatur oder Rechtsprechung nachschlägt (BGE 106 Ia 13 E. 3 S. 16 ff.; 112 Ia 305 E. 3 S. 310; 117 Ia 421 E. 2a S. 422). 
 
Bei BGE 106 Ia 13 ging es um eine vormundschaftliche Massnahme, gegen die nach der Rechtsmittelbelehrung innert 30 Tagen Beschwerde geführt werden konnte; indes betrug die Frist nach der einschlägigen Prozessbestimmung lediglich 10 Tage. Die Anwältin machte in der staatsrechtlichen Beschwerde geltend, sie habe nicht blind auf die Rechtsmittelbelehrung vertraut, sondern die massgebliche Prozessordnung konsultiert, sei aber zum Schluss gelangt, dass ein Fall von Rechtsverweigerung vorliege. Die Justizdirektion räumte in ihrer Vernehmlassung ein, dass die betreffende Norm zu knapp formuliert sei, wies jedoch darauf hin, dass Lehre und Praxis diese mittlerweile unmissverständlich konkretisiert hätten. Das Bundesgericht erwog, dass die Anwältin letztlich nicht durch die Rechtsmittelbelehrung, sondern durch das Gesetz irregeführt worden sei. Angesichts der Lehre und Praxis hätte zwar kein Zweifel mehr fortbestehen können; indes habe sich die richtige Schlussfolgerung aus dem Gesetzestext nicht auf den ersten Blick aufdrängen müssen. 
 
Bei BGE 112 Ia 305 ging es um eine Busse wegen Missachtung eines Campingverbots. Als Rechtsmittel wurde die Beschwerde gemäss Strafprozessordnung beim Verwaltungsgericht angegeben. Dieses trat jedoch auf die durch einen ausserkantonalen Anwalt verfasste Beschwerde nicht ein mit der Begründung, dieser habe keine Berufsausübungsbewilligung. In seiner Vernehmlassung zur staatsrechtlichen Beschwerde räumte das Verwaltungsgericht ein, dass Bussen vom Ausschuss des Verwaltungsgerichts beurteilt würden und für diese Verfahren jeder handlungsfähige Bürger zur Parteivertretung zugelassen sei. Die angefochtene Verfügung habe indessen nicht nur eine Busse, sondern auch einen Räumungsbefehl enthalten, über dessen Rechtmässigkeit die Vollkammer befinde, vor welcher keine freie Rechtsvertretung möglich sei. Das Bundesgericht erwog, die Rechtsmittelbelehrung habe nur auf die Möglichkeit des Rekurses an den Ausschuss des Verwaltungsgerichts hingewiesen, weshalb sie unvollständig, ja sogar unrichtig gewesen sei. 
 
BGE 117 Ia 421 betraf eine Unterhaltsklage. Gemäss dem erstinstanzlichen Urteil konnte binnen 10 Tagen Berufung erklärt werden. Die obere Instanz trat auf diese nicht ein mit der Begründung, im beschleunigten Verfahren seien alle Rechtsmittelfristen auf die Hälfte verkürzt, was der Anwalt aus der Zivilprozessordnung hätte erkennen können. Das Bundesgericht erwog, die Verkürzung der Fristen sei zwar aus dem Gesetz zu ersehen, aber für den Praktiker sei nicht immer einfach zu erkennen, ob ein bestimmter Streitfall dem beschleunigten Verfahren unterliege. Das Erkennen der Fehlerhaftigkeit einer Rechtsmittelbelehrung setze ein entsprechendes Bewusstsein des Anwaltes voraus. 
4. 
Im vorliegenden Fall stützte sich die erstinstanzliche Rechtsmittelbelehrung offensichtlich auf Art. 224 lit. d ZPO/SG, wonach die Berufung an das Kantonsgericht zulässig ist gegen Urteile, Erledigungsbeschlüsse und Teilentscheide des Kreisgerichts. Dieser Norm lässt sich lediglich entnehmen, dass gegen Erledigungsbeschlüsse das gleiche Rechtsmittel zu ergreifen ist wie gegen Sachurteile. Hingegen enthält die Zivilprozessordnung des Kantons St. Gallen im Unterschied zu vielen anderen kantonalen Prozessgesetzen weder ein eigenes Rechtsmittel für die auf den Kostenpunkt beschränkte Weiterziehung (z.B. Kostenrekurs) noch überhaupt Bestimmungen zur Anfechtung des Kostenentscheides. 
 
Der publizierten Rechtsprechung des Kantonsgerichts lässt sich entnehmen, dass der Kostenpunkt (Verlegung der Kosten und Höhe der Gerichtskosten) zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gemacht werden kann, sobald es auch die Hauptsache worden ist (GVP 1983, Nr. 63). Sodann kann die Kostenverlegung als solche zum Gegenstand einer Berufung gemacht werden, selbst wenn die Hauptsache nicht angefochten ist, weil es sich dabei um einen Punkt handelt, der zwischen den Parteien streitig sein kann (GVP 1983, Nr. 63; indirekt auch GVP 1982, Nr. 50). Hingegen kann die Höhe der Gerichtskosten nicht zum alleinigen Gegenstand einer Berufung gemacht werden, weil es sich dabei um ein hoheitliches Verhältnis zwischen Bürger und Staat handelt, das nicht zwischen den Parteien streitig sein kann (GVP 1982, Nr. 50; auch GVP 1983, Nr. 63). Hier steht nur die Rechtsverweigerungsbeschwerde zur Verfügung (Leuenberger/Uffer, Kommentar zur Zivilprozessordnung des Kantons St. Gallen, Bern 1999, N. 6a zu Art. 254 und N. 3 zu Art. 263). 
 
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass einerseits Art. 224 ZPO/SG Abschreibungsbeschlüsse mit Bezug auf die Berufung den Sachurteilen gleichstellt und dass andererseits bei Sachurteilen im Unterschied zu vielen anderen Prozessordnungen keine Gabelung des Rechtsweges stattfindet, wenn nur der Kostenpunkt angefochten wird und dabei (wie vorliegend) nicht allein die Höhe der Gerichtskosten zur Diskussion steht. Aus Art. 254 ZPO/SG, der die Rechtsverweigerungsbeschwerde regelt, ergibt sich sodann kein Fingerzeig, dass diese nach der kantonalen Rechtsprechung das massgebliche Rechtsmittel sein könnte, wenn ein Abschreibungsbeschluss bloss im Kostenpunkt angefochten werden soll; vielmehr erweckt Art. 224 ZPO/SG den gegenteiligen Anschein, stärker noch als die Bestimmung, die bei BGE 106 Ia 13 zur Diskussion stand. 
 
Vor diesem Hintergrund ist die Argumentation, die Rechtsmittelbelehrung sei infolge der Möglichkeit, den Abschreibungsbeschluss wegen eines mit Willensmängeln behafteten Klagerückzuges anzufechten, korrekt gewesen und auf ausserordentliche Rechtsmittel müsse nicht hingewiesen werden, abwegig und jedenfalls formaljuristisch. Abschreibungsbeschlüsse werden ganz überwiegend wegen der Kostenliquidation angefochten, während das Vorbringen von Willensmängeln den absoluten Ausnahmefall darstellt. Insofern erweist sich die nicht auf Ziff. 1 des Dispositivs (Abschreibung des Verfahrens) beschränkte, sondern den ganzen Entscheid betreffende Rechtsmittelbelehrung als unvollständig und irreführend. Aufgrund ihrer Vorbehaltslosigkeit hat sie in Verbindung mit Art. 224 ZPO/SG begründetes Vertrauen erweckt, dass die Berufung auch mit Bezug auf den Kostenpunkt das richtige Rechtsmittel sei, was - ähnlich wie beim Fall, der BGE 117 Ia 421 zugrunde lag - geeignet war, den Anwalt des Beschwerdeführers davon abzuhalten, weitere Nachforschungen anzustellen. Umgekehrt darf davon ausgegangen werden, dass er dies bei einer präzisierten, d.h. sich lediglich auf Ziff. 1 beziehenden Rechtsmittelbelehrung getan hätte. Jedenfalls war es dem Anwalt durch Lektüre des Gesetzes allein nicht möglich, dass massgebliche Rechtsmittel herauszufinden. 
Dies hat nach der in E. 3 zusammengestellten Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Folge, dass der Beschwerdeführer auf die vorbehaltlose und im Zusammenhang mit Art. 224 ZPO/SG begründetes Vertrauen erweckende Rechtsmittelbelehrung abstellen durfte, weil er trotz anwaltlicher Vertretung nicht gehalten war, die - immerhin publizierte (GVP 1996 Nr. 68) und auch im einschlägigen Kommentar aufgeführte (Leuenberger/Uffer-Tobler, a.a.O., N. 2b zu Art. 76 und N. 1b zu Art. 224) - Rechtsprechung des Kantonsgerichts nachzuschlagen. 
5. 
Ist folglich das angefochtene Urteil aufzuheben und wird der Beschwerdeführer im Rahmen der Fristwiederherstellung eine als solche begründete Rechtsverweigerungsbeschwerde einreichen können, wird die Rüge der Gehörsverletzung im Zusammenhang mit der Behandlung seiner ursprünglichen Rechtsmitteleingabe gegenstandslos. 
6. 
Zufolge Gutheissung der Beschwerde wird der Beschwerdegegner kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
In Gutheissung der staatsrechtlichen Beschwerde wird der Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, I. Zivilkammer, vom 1. Juli 2004 aufgehoben. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdegegner auferlegt. 
3. 
Der Beschwerdegegner hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, I. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 8. März 2005 
Im Namen der II. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: