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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
1C_408/2016  
   
   
 
 
 
Urteil vom 3. April 2017  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Fonjallaz, Kneubühler, 
Gerichtsschreiber Stohner. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.A.________ und B. A.________, 
2. C.________, 
3. D.D.________ und E. D.________, 
4. F.F.________ und G. F.________, 
Beschwerdeführer, 
alle vier vertreten durch Rechtsanwalt Markus Heer, 
 
gegen  
 
Politische Gemeinde Bichelsee-Balterswil, vertreten durch den Gemeinderat, Auenstrasse 6, 8363 Bichelsee, 
Politische Gemeinde Fischingen, vertreten durch den Gemeinderat, Kurhausstrasse 31, 8376 Fischingen, 
Departement für Bau und Umwelt des Kantons Thurgau, Verwaltungsgebäude, Promenade, Postfach, 8510 Frauenfeld. 
 
Gegenstand 
Strassenprojekt Radweg Itaslen-Dussnang, 
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 29. Juni 2016 des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Am 16. Oktober 2015 stellte der Gemeinderat der Politischen Gemeinde Fischingen beim Tiefbaubamt des Kantons Thurgau den Antrag, es sei auf der Strecke zwischen Dussnang-Tannegg (Politische Gemeinde Fischingen) und Itaslen (Politische Gemeinde Bichelsee-Balterswil) ein Radweg zu erstellen, wie er im Kantonalen Richtplan (KRP/TG) vorgesehen sei. Der KRP/TG wurde vom Grossen Rat des Kantons Thurgau am 16. Dezember 2009 beschlossen und am 27. Oktober 2010 vom Bundesrat genehmigt. 
In Absprache mit den Behörden der beiden beteiligten Gemeinden erarbeitete das Tiefbauamt ein Bauprojekt, welches im Wesentlichen eine Führung des Radweges entlang der Kantonsstrasse K38 (Landstrasse bzw. ltaslenstrasse) vorsieht. Während der öffentlichen Auflage dieses Strassenprojekts vom 22. November 2013 bis 11. Dezember 2013 erhoben unter anderem A.A.________ und B.A.________, C.________, D.D.________ und E.D.________ sowie F.F.________ und G.F.________, deren Land für die Realisierung des Radwegs- teilweise beansprucht werden müsste, mit Eingabe vom 5. Dezember 2013 beim Departement für Bau und Umwelt des Kantons Thurgau (DBU/TG) Einsprache. Dieses führte am 11. April 2014 einen Augenschein durch. Mit Entscheid vom 19. Juni 2015 wies das DBU/TG die Einsprachen ab, soweit es auf diese eintrat. 
Mit Eingabe vom 12. Juli 2015 fochten A.A.________ und B.A.________, C.________, D.D.________ und E.D.________ sowie F.F.________ und G.F.________ den Einspracheentscheid mit Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau an. Dieses führte am 4. November 2015 einen Augenschein durch. Mit Entscheid vom 29. Juni 2016 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde ab. 
 
B.   
Mit Eingabe vom 7. September 2016 führen A.A.________ und B.A.________, C.________, D.D.________ und E.D.________ sowie F.F.________ und G.F.________ Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Entscheids des Verwaltungsgerichts. Eventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung und Entscheidfindung zurückzuweisen. 
Das Verwaltungsgericht und das DBU/TG beantragen die Beschwerdeabweisung. Die Politische Gemeinde Fischingen verzichtet auf eine Vernehmlassung. Die Politische Gemeinde Bichelsee-Balterswil hat sich nicht vernehmen lassen. Die Bundesämter für Landwirtschaft und Strassen haben Stellungnahmen eingereicht, ohne Anträge zu stellen. 
Die Beschwerdeführer halten in weiteren Eingaben an ihrem Standpunkt und an ihren Anträgen fest. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der angefochtene Entscheid des Verwaltungsgerichts ist ein Entscheid einer letzten kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG). Ihm liegt ein Beschwerdeverfahren über ein Strassenprojekt (Radweg Itaslen-Dussnang) und damit eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit zu Grunde (Art. 82 lit. a BGG). Die Beschwerdeführer haben an den Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen. Sie sind als Eigentümer von Grundstücken, welche durch das angefochtene Strassenprojekt dauernd in Anspruch genommen werden sollen, durch den Entscheid der Vorinstanz besonders berührt und haben ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung (Art. 89 Abs. 1 BGG).  
 
1.2. Im bundesgerichtlichen Verfahren rügen die Beschwerdeführer insbesondere eine Verletzung der bundesrechtlichen Bestimmungen über die Fruchtfolgeflächen.  
Die Vorinstanz erachtet diese Rüge unter Berufung auf Art. 99 Abs. 1 BGG als unzulässig, da die Frage des Fruchtfolgeflächenverlusts im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht thematisiert worden sei (Stellungnahme des Verwaltungsgerichts im bundesgerichtlichen Verfahren vom 20. September 2016 S. 3 f.). 
Dieser Argumentation der Vorinstanz kann nicht gefolgt werden. Die im vorinstanzlichen Verfahren nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer brachten mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht vor, es seien "keine Informationen/Abklärungen eingeholt worden für eine Variante, (...) die keinen gröberen Kulturlandverlust aufweisen würde". Die Beschwerdeführer thematisierten damit bereits im vorinstanzlichen Verfahren den aus ihrer Sicht drohenden Kulturlandverlust; dass sie als juristische Laien den Fachbegriff der Fruchtfolgefläche nicht erwähnten, kann ihnen nicht zum Nachteil gereichen. Im Übrigen aber handelt es sich bei der im bundesgerichtlichen Verfahren erhobenen Rüge um ein  rechtliches Vorbringen, welches von vornherein nicht unter das Novenverbot von Art. 99 Abs. 1 BGG fällt (vgl. Urteil 1C_582/2013 vom 25. September 2013 E. 1.4), und wendet das Bundesgericht das Bundesrecht ohnehin von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG).  
 
2.  
 
2.1. Die Beschwerdeführer bringen vor, das Radwegprojekt nehme Fruchtfolgeflächen in Anspruch. Demgegenüber befänden sich die für die Realisierung der von ihnen vorgeschlagenen Varianten erforderlichen Neubauwege ausserhalb der Fruchtfolgeflächen. Gemäss Art. 15 Abs. 3 RPG (SR 700) seien die Fruchtfolgeflächen zu erhalten, und gestützt auf Art. 26 der Raumplanungsverordnung vom 28. Juni 2000 (RPV; SR 700.1) sicherten die Kantone den Erhalt der Fruchtfolgeflächen mit räumlichen Massnahmen. Es werde nicht ausgewiesen, ob und in welchem Umfang die mit dem angefochtenen Radwegprojekt beanspruchten Fruchtfolgeflächen kompensiert würden. Es müsse davon ausgegangen werden, dass überhaupt keine Kompensation erfolge. Es sei auch nicht gewährleistet, dass der Kanton Thurgau den vom Bund vorgeschriebenen Mindestumfang an Fruchtfolgeflächen überhaupt erreiche. Das von der Vorinstanz geschützte Projekt verletze ohne Not, d.h. trotz vorhandener Alternativvorschläge, die Integrität der Fruchtfolgeflächen (Beschwerde S. 9 f.).  
 
2.2. Die Vorinstanz hat im angefochtenen Urteil in Bezug auf den gerügten Kulturlandverlust festgehalten, die von den Beschwerdeführern vorgeschlagene Linienführung verbinde die gewachsenen Siedlungen zwischen Dussnang-Tannegg und Itaslen weit weniger direkt und benötige mindestens so viel Kulturland wie die geplante Linienführung direkt entlang der Hauptstrasse K38 (Urteil S. 12). Ausführungen zur Frage des Fruchtfolgeflächenverlusts finden sich indes keine.  
 
2.3. Bund, Kantone und Gemeinden sorgen dafür, dass der Boden haushälterisch genutzt wird (Art. 75 Abs. 1 BV; Art. 1 Abs. 1 RPG). Sie unterstützen mit Massnahmen der Raumplanung Bestrebungen, die natürlichen Lebensgrundlagen wie Boden, Luft, Wasser, Wald und die Landschaft zu schützen (Art. 1 Abs. 2 lit. a RPG) und die ausreichende Versorgungsbasis des Landes zu sichern (Art. 1 Abs. 2 lit. d RPG). Die mit Planungsaufgaben betrauten Behörden müssen darauf achten, die Landschaft zu schonen; insbesondere sollen der Landwirtschaft genügende Flächen geeigneten Kulturlands erhalten bleiben (Art. 3 Abs. 2 lit. a RPG). Besonderen Schutz verdienen dabei die Fruchtfolgeflächen (Art. 26 ff. RPV). Fruchtfolgeflächen sind gemäss Art. 26 Abs. 1 RPV Teil der für die Landwirtschaft geeigneten Gebiete (Art. 6 Abs. 2 lit. a RPG); sie umfassen das ackerfähige Kulturland, vorab das Ackerland und die Kunstwiesen in Rotation sowie die ackerfähigen Naturwiesen, und werden mit Massnahmen der Raumplanung gesichert. Nach Art. 29 RPV legt der Bund im Sachplan Fruchtfolgeflächen den Mindestumfang der Fruchtfolgeflächen und deren Aufteilung auf die Kantone fest.  
Der Kanton Thurgau muss demnach mindestens 30'000 ha Fruchtfolgeflächen ausweisen (vgl. Bundesratsbeschluss Sachplan Fruchtfolgeflächen: Festsetzung des Mindestumfanges der Fruchtfolgeflächen und deren Aufteilung auf die Kantone vom 8. April 1992, BBl 1992 II 1649). 
Der Bundesrat hat am 27. Oktober 2010 gestützt auf den Prüfungsbericht des Bundesamts für Raumentwicklung ARE vom 27. September 2010 den Richtplan des Kantons Thurgau genehmigt. Zugleich forderte der Bundesrat den Kanton Thurgau auf, im Rahmen der nächsten Richtplananpassung "im Objektblatt 2.2 Landwirtschaftsgebiete den aktuellen Stand der Fruchtfolgeflächen sowie die Art der Interessenabwägung bei Nutzungskonflikten mit Fruchtfolgeflächen zu verankern" (Richtplan des Kantons Thurgau, Genehmigung der Gesamtüberarbeitung des Richtplans, 30. November 2010, BBl 2010 8182). Diese Richtplananpassung ist noch nicht erfolgt. 
 
2.4. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, Fruchtfolgeflächen zu anderen als landwirtschaftlichen Zwecken in Anspruch zu nehmen, wenn dies durch entgegenstehende, höher zu gewichtende Interessen gerechtfertigt erscheint. Hierfür ist aber eine umfassende Abwägung aller privaten und öffentlichen Interessen erforderlich (Art. 3 RPV). Dies setzt grundsätzlich den Nachweis der Prüfung von Alternativen ohne oder mit weniger Beanspruchung von Fruchtfolgeflächen (einschliesslich Kompensationsmöglichkeiten) voraus. Weiter muss sichergestellt sein, dass der Anteil des Kantons am Mindestumfang der Fruchtfolgeflächen dauernd erhalten bleibt (Art. 30 Abs. 2 RPV; vgl. BGE 134 II 217 E. 3 S. 219 f.; Urteile 1C_429/2015 vom 28. September 2016 E. 6.2 und 1C_94/2012 vom 29. März 2012 E. 4.1).  
Gemäss Art. 34 Abs. 3 RPG ist das Bundesamt für Landwirtschaft BLW zur Beschwerde berechtigt gegen Entscheide über Vorhaben, die Fruchtfolgeflächen beanspruchen. 
 
2.5. Im technischen Bericht zum Neubau des Radwegs Itaslen-Dussnang ist festgehalten, dass die für die Realisierung des Radwegs gesamthaft abzutretende Landfläche ausserhalb des Baugebiets ca. 2'476 m2 betrage (vgl. Technischer Bericht des Kantonalen Tiefbauamts vom 9. Oktober 2013 S. 6 Ziff. 19). Es lässt sich jedoch den Akten nicht entnehmen, in welchem Ausmass Fruchtfolgeflächen konkret beansprucht werden sollen.  
Entsprechende Feststellungen hat auch die Vorinstanz nicht getroffen, obwohl sie in ihren Stellungnahmen im bundesgerichtlichen Verfahren nicht in Abrede stellt, dass bei Erstellung des projektierten Radwegs Fruchtfolgeflächen verloren gingen. Die Vorinstanz hat keine den Anforderungen von Art. 3 RPV genügende, umfassende raumplanerische Interessenabwägung vorgenommen. Sie hat auch keine Alternativen ohne oder mit weniger Fruchtfolgeflächenverlust (einschliesslich Kompensationsmöglichkeiten) geprüft und insbesondere nicht abgeklärt oder jedenfalls nicht in nachvollziehbarer Weise dokumentiert, in welchem Umfang die von den Beschwerdeführern gemachten Alternativvorschläge Fruchtfolgeflächen tangieren würden. Auch sind dem angefochtenen Entscheid keine Feststellungen zum aktuellen Stand der Fruchtfolgeflächen zu entnehmen, so dass nicht sichergestellt ist, dass der Anteil des Kantons am Mindestumfang der Fruchtfolgeflächen dauernd erhalten bleibt. Schliesslich ist der angefochtene Entscheid dem Bundesamt für Landwirtschaft nicht eröffnet worden, obwohl dieses gestützt auf Art. 34 Abs. 3 RPG zur Beschwerde berechtigt ist gegen Entscheide über Vorhaben, die Fruchtfolgeflächen beanspruchen. 
Damit genügt der angefochtene Entscheid den umschriebenen bundesrechtlichen Anforderungen (E. 2.4 hiervor) nicht. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren Rügen der Beschwerdeführer. 
 
3.   
Die Beschwerdeführer dringen mit ihren Anträgen durch. Die Beschwerde ist gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Dem Ausgang des bundesgerichtlichen Verfahrens entsprechend sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Thurgau hat den Beschwerdeführern eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 29. Juni 2016 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Beurteilung im Sinne der Erwägungen an das Verwaltungsgericht zurückgewiesen. 
 
2.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.   
Der Kanton Thurgau hat die Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, der Politischen Gemeinde Bichelsee-Balterswil, der Politischen Gemeinde Fischingen, dem Departement für Bau und Umwelt des Kantons Thurgau, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, dem Bundesamt für Landwirtschaft und dem Bundesamt für Strassen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 3. April 2017 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Stohner