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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 1/2} 
1P.20/2003 /zga 
 
Urteil vom 11. August 2003 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident, 
Bundesrichter Aeschlimann, Fonjallaz 
Gerichtsschreiberin Scherrer. 
 
Parteien 
Verein gegen Tierfabriken Schweiz VgT, Präsident 
Erwin Kessler, Im Büel 2, 9546 Tuttwil, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt 
Jean-Rodolphe Spahr, Walchestrasse 27, Postfach 564, 8035 Zürich, 
 
gegen 
 
Bezirksamt Frauenfeld, 8500 Frauenfeld, 
Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Staubeggstrasse 8, 8500 Frauenfeld. 
 
Gegenstand 
Rechtsverweigerung, 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid 
der Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau 
vom 21. November 2002. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Am 13. Mai 2002 erstattete Erwin Kessler als Vertreter des Vereins gegen Tierfabriken (VgT) beim Veterinäramt des Kantons Thurgau Anzeige gegen Paul Pfleghart wegen Verletzung von Richtlinien zur Schweinehaltung und ersuchte gegebenenfalls um Weiterleitung an die Strafbehörden. Gestützt auf eine Strafanzeige des Veterinäramtes und weitere Abklärungen, erliess das Bezirksamt Frauenfeld am 2. August 2002 eine Strafverfügung gegen den Angeschuldigten. 
B. 
Der VgT ersuchte hierauf das Bezirksamt am 4. September 2002 um Information über diesen Entscheid. Mit Schreiben vom 9. September 2002 teilte ihm das Bezirksamt mit, die Strafverfügung gegen Paul Pfleghart könne bis 30. September 2002 auf dem Amt eingesehen werden, er erhalte jedoch keine Kopie davon. 
 
Mit Fax vom 16. September 2002 kündigte Erwin Kessler namens des VgT dem Bezirksamt an, er habe vor, am 18. September 2002 die Entscheide gegen Paul Pfleghart, Landwirt Iseli und Bernhard Müller einzusehen. Er erschien jedoch am 18. September 2002 nicht, sondern teilte telefonisch mit, er komme erst vorbei, wenn sämtliche Angelegenheiten erledigt seien. 
 
Am 11. November 2002 teilte Erwin Kessler dem Bezirksamt schriftlich mit, er gehe davon aus, dass das Strafverfahren gegen Herrn Iseli inzwischen erledigt sei und ersuchte um Mitteilung, wann er als Anzeigeerstatter in den Entscheid Einsicht nehmen könne. Gleichzeitig wolle er Einsicht nehmen in den Entscheid gegen Paul Pfleghart. Das Bezirksamt teilte ihm gleichentags mit, als Anzeigeerstatter habe er kein Recht auf Akteneinsicht. 
C. 
Mit Beschwerde vom 14. November 2002 gelangte der VgT an die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau und beantragte, das Bezirksamt Frauenfeld sei anzuweisen, ihm Einsicht in die Entscheide in den Strafsachen Iseli und Pfleghart zu gewähren. 
 
Die Staatsanwaltschaft wies die Beschwerde am 21. November 2002 ab. 
D. 
Gegen dieses Urteil der Staatsanwaltschaft erhebt der VgT mit Eingabe vom 8. Januar 2003 staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht. Er beantragt, der Beschwerdeentscheid der Staatsanwaltschaft sei aufzuheben und die Vorinstanz habe im Sinne der Erwägungen neu zu entscheiden. Er macht geltend, die Verweigerung der Einsicht in den Schlussentscheid verstosse gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz für Gerichtsverfahren (Art. 30 Abs. 3 BV) und entbehre einer rechtlichen Grundlage (Art. 5 BV). Daneben rügt er eine Verletzung des Gebotes von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 BV). 
 
Die Staatsanwaltschaft schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne. 
 
Der Beschwerdeführer hält in seiner unaufgefordert eingereichten Replik an seinen Anträgen fest. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob und inwieweit es auf die bei ihm eingereichte staatsrechtliche Beschwerde eintreten kann. 
1.1 Gemäss Art. 86 Abs. 1 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde nur gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide zulässig. Die Staatsanwaltschaft wies den Beschwerdeführer in der Rechtsmittelbelehrung darauf hin, dass nach § 213 Abs. 3 des Gesetzes über die Strafrechtspflege vom 30. Juni 1970 (Strafprozessordnung; StPO/TG) gegen ihren Beschwerdeentscheid vom 21. November 2002 eine weitere Beschwerde an die Anklagekammer zulässig sei, allerdings nur wegen Gesetzwidrigkeit. Der Beschwerdeführer machte von diesem Rechtsmittel keinen Gebrauch, sondern erhob direkt gegen den Entscheid der Staatsanwaltschaft Beschwerde beim Bundesgericht. 
1.2 Nach § 211 Abs. 1 StPO/TG kann gegen das Verfahren und alle Entscheide der Strafverfolgungs- und Vollzugsbehörden, der Bezirksgerichte, ihrer Kommissionen und Präsidenten Beschwerde geführt werden, soweit kein anderes kantonales Rechtsmittel und keine Einsprache zulässig ist und das Gesetz die Anfechtung nicht ausdrücklich ausschliesst. Mit Beschwerde können Gesetzwidrigkeit oder Unangemessenheit des angefochtenen Entscheides oder des Verfahrens sowie Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung gerügt werden (§ 213 Abs. 1 StPO/TG). Entscheidet die Staatsanwaltschaft als Beschwerdeinstanz sieht § 213 Abs. 3 StPO/TG gegen deren Entscheid eine weitere Beschwerde an die Anklagekammer vor. Die Überprüfungsbefugnis dieser zweiten Beschwerdeinstanz ist auf Gesetzwidrigkeit beschränkt. 
1.2.1 Das Bezirksamt Frauenfeld entschied am 11. November 2002 sinngemäss, dem Beschwerdeführer stehe als Anzeigeerstatter - der im Strafverfahren keine Parteistellung nach § 49 StPO/TG innehat - kein Akteneinsichtsrecht gemäss §§ 78 und 80 StPO/TG zu. In seiner Beschwerde an die Staatsanwaltschaft machte der Beschwerdeführer hierauf geltend, das Bezirksamt habe ihm als Anzeigeerstatter auf rechtswidrige Weise, unter Missachtung des Öffentlichkeitsgebotes in Strafsachen, die Einsicht in die Entscheide Iseli und Pfleghart verweigert. Die Staatsanwaltschaft hielt in ihrem Entscheid sinngemäss fest, der Anzeiger habe grundsätzlich kein Akteneinsichtsrecht. Gemäss dem Grundsatz der öffentlichen Urteilsverkündung habe er jedoch Anspruch auf Kenntnisnahme des vollständigen, grundsätzlich ungekürzten und nicht anonymisierten Urteils, soweit gegen die öffentliche Urteilsverkündung keine öffentlichen oder privaten Interessen ins Feld geführt werden könnten. Vorliegend sei dem Beschwerdeführer mit Bezug auf die Strafverfügung Pfleghart während mehr als zwei Wochen Einsicht auf dem Amt angeboten worden, was dem erläuterten Anspruch genüge. Hinsichtlich des allfälligen Strafverfahrens gegen den Landwirt Iseli sei ihm dieser Anspruch nicht verweigert worden, weil noch keine Strafuntersuchung eröffnet worden sei und noch kein Entscheid vorliege. Sie erachtete demzufolge den vorinstanzlichen Entscheid als rechtmässig. 
1.2.2 In seiner staatsrechtlichen Beschwerde rügt der Beschwerdeführer, mit der generell gehaltenen Formulierung, wonach er kein Einsichtsrecht hätte, habe das Bezirksamt das Öffentlichkeitsgebot verletzt. Nach seiner Auffassung hätte die Staatsanwaltschaft darum die Beschwerde gutheissen und das Bezirksamt dazu verhalten müssen, ihm zu gegebener Zeit Einsicht in den Entscheid zu gewähren. Die Abweisung der Beschwerde mit der Begründung, das Verfahren gegen den Landwirt Iseli verletze die Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns, insbesondere das Gebot von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 BV) sei unmittelbar, denn das Bezirksamt habe die Verweigerung der Einsichtnahme nicht mit der Hängigkeit des Verfahrens begründet. Die Staatsanwaltschaft stelle sich auf den Standpunkt, er habe sein Recht auf Einsichtnahme wegen Ablauf der ursprünglich angesetzten Terminierung verwirkt. Für diese Rechtsauffassung fehle es an einer gesetzlichen Grundlage. Nach Meinung des Beschwerdeführers hätte eine solche Verwirkung überdies zuvor angedroht werden müssen. Der gesamte Entscheid sei erkennbar darauf ausgerichtet, die Ausübung des Rechts auf Einsichtnahme zu erschweren. Die Justizverwaltung habe naturgemäss kein Interesse an Transparenz und scheue die Öffentlichkeit wegen der möglichen öffentlichen Kritik. Das rechtfertige eine Behinderung des strafrechtlichen Öffentlichkeitsgebotes jedoch nicht. Staatliches Handeln müsse auf Recht und Gesetz beruhen und dem öffentlichen Interesse dienen (Art. 5 BV). 
1.3 Das Bundesgericht ist bereits im ebenfalls den Beschwerdeführer betreffenden Entscheid 1P.492/2002 vom 20. Februar 2003 zum Schluss gekommen, dass die Thurgauer Behörden den Begriff der Gesetzeswidrigkeit weit auslegen und darunter auch eine (direkte oder indirekte) Verletzung von Verfassungs- oder EMRK-Garantien verstehen, solange es nicht um Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung geht. Für eine weite Auslegung des Begriffes Gesetzeswidrigkeit spricht, dass gemäss § 211 Abs. 2 StPO/TG prozessleitende Entscheide im gerichtlichen Verfahren, die den Ausstand von Richtern, strafprozessuale Zwangsmittel, Ordnungsstrafen sowie die Verweigerung der notwendigen oder amtlichen Verteidigung oder Vertretung betreffen, mittels Beschwerde anfechtbar sind. Dabei muss die Beschwerdeinstanz bei der Überprüfung entsprechender Entscheide auf Gesetzwidrigkeit hin wohl auch die sich in diesen Sachbereichen aus der bundesgerichtlichen Verfassungsrechtsprechung ergebenden Grundsätze berücksichtigen. Gemäss Art. 35 Abs. 1 BV müssen ferner die Grundrechte in der ganzen Rechtsordnung zur Geltung kommen. Wer staatliche Aufgaben wahrnimmt, ist an die Grundrechte gebunden und verpflichtet, zur ihrer Verwirklichung beizutragen (Art. 35 Abs. 2 BV). Auch dieser Gesichtswinkel legt eine weite Auslegung des Begriffs Gesetzeswidrigkeit nahe. Allfällige Grundrechtsverletzungen durch kantonale Behörden sollen sinnvollerweise auch bereits vor kantonalen Instanzen gerügt werden können (Urteil 1P.492/2002 vom 20. Februar 2003, E. 1.2.3). 
 
Wenn der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall sinngemäss einen Verstoss gegen Art. 30 Abs. 3 BV (Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung), gegen das Legalitätsprinzip (Art. 5 Abs. 1 BV) und das Gebot von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 BV) rügt, so ist dies nicht anders zu beurteilen als im zitierten Entscheid 1P.492/2002: Mit seinen Vorbringen macht der Beschwerdeführer geltend, die kantonalen Instanzen hätten gegen Verfassungsgarantien verstossen und insofern gesetzeswidrig entschieden. Diese Rügen hätte der Beschwerdeführer im Sinn der vorstehenden Erwägungen zuerst vor der kantonalen Anklagekammer vorbringen müssen. 
1.4 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Beschwerdeführer den kantonalen Instanzenzug im Sinne von Art. 86 Abs. 1 OG nicht ausgeschöpft hat und die staatsrechtliche Beschwerde infolgedessen unzulässig ist. 
2. 
Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist somit nicht einzutreten. In Anbetracht der besonderen Verfahrensumstände ist ausnahmsweise von einer Kostenauflage abzusehen. Parteientschädigung ist keine auszurichten. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Bezirksamt Frauenfeld und der Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 11. August 2003 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: