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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_562/2022  
 
 
Urteil vom 25. April 2023  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichter Maillard, 
Bundesrichterinnen Heine, Viscione, 
Bundesrichter Abrecht, 
Gerichtsschreiberin Berger Götz. 
 
Verfahrensbeteiligte 
IV-Stelle Basel-Stadt, 
Aeschengraben 9, 4051 Basel, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Advokat Martin Lutz, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente; medizinische Massnahmen), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 25. Mai 2022 (IV.2021.193). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. In Gutheissung einer von A.________, geboren 1962, gegen die rentenablehnende Verfügung der IV-Stelle Basel-Stadt vom 29. Mai 2018 erhobenen Beschwerde hatte das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt die IV-Stelle im Rahmen einer Rückweisung angewiesen, die erwerblichen Auswirkungen einer Arbeitsunfähigkeit von 50 % in angepasster Tätigkeit und eine Behandlungsauflage zu prüfen (Urteil vom 7. Januar 2019). Daraufhin teilte die IV-Stelle A.________ mit Einschreiben vom 6. Juni 2019 mit, aufgrund seiner erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigung habe er Anspruch auf eine Invalidenrente. Der entsprechende Entscheid werde mit separater Post zugestellt. Ausserdem gab sie ihm folgende Schadenminderungsauflage bekannt: "kontinuierliche mindestens wöchentliche Psychotherapie bei einem anerkannten Psychiater, Ausschöpfung der psychopharmakologischen Optionen einschliesslich 'therapeutic drug monitoring', suchtspezifische Behandlung (Alkoholkonsum) mit objektiver Kontrolle; bei ungenügendem Ansprechen halbstationäre oder zwischengeschaltet stationäre Behandlung". Im gleichen Schriftstück machte sie A.________ darauf aufmerksam, dass er gemäss Art. 21 Abs. 4 ATSG gesetzlich verpflichtet sei, sämtliche zumutbaren Massnahmen durchzuführen, welche die Wiedererlangung oder Verbesserung der Erwerbsfähigkeit versprechen würden. Zudem setzte sie ihm Frist bis 26. August 2019 für die Einreichung einer schriftlichen Bestätigung des behandelnden Therapeuten und wies darauf hin, dass Anspruch auf die Invalidenrente grundsätzlich nur bestehe, wenn die erwähnte Massnahme durchgeführt werde - er müsse mit der Aufhebung seiner Invalidenrente rechnen, sollte er diese Auflage nicht einhalten oder ohne Wissen der IV-Stelle vorzeitig abbrechen; das Ergebnis werde anlässlich der nächsten Rentenrevision im Oktober 2020 überprüft. Ebenfalls am 6. Juni 2019 liess sie A.________ den Vorbescheid zukommen, mit welchem ihm eine Dreiviertelsrente ab 1. November 2013 auf der Basis eines 60%igen Invaliditätsgrades in Aussicht gestellt wurde. Dr. med. B.________, Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, bestätigte mit Schreiben vom 21. August 2019, dass sich A.________ seit 23. Juli 2019 in seiner regelmässigen fachärztlichen psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung befinde. In der Folge sprach die IV-Stelle A.________ - wie angekündigt - rückwirkend ab 1. November 2013 eine Dreiviertelsrente zu (Verfügung vom 15. Oktober 2019).  
 
A.b. Im Rahmen der im Oktober 2020 eingeleiteten Rentenrevision erfuhr die IV-Stelle erst auf mehrmaliges Nachfragen hin von Dr. med. B.________ am 23. Februar 2021 schliesslich telefonisch, dass A.________ die fachärztliche Therapie bei ihm bereits vor längerer Zeit abgebrochen hatte. Ausserdem erlangte sie Kenntnis davon, dass er die ambulante Psychotherapie in der Klinik C.________ ebenfalls nach zwei Terminen (27. August und 15. September 2020) ausgesetzt hatte, obwohl seitens der Klinik C.________ eine stationäre Aufnahme zum Alkoholentzug und zur medikamentösen Einstellung geplant gewesen war (Bericht der Klinik C.________vom 15. Juni 2021). Nach Rückfrage bei Dr. med. D.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD; Bericht vom 16. Juli 2021), kündigte die IV-Stelle A.________ mit Vorbescheid vom 22. Juli 2021 an, die Rentenzahlungen einzustellen, dies unter Hinweis darauf, dass ein neues Gesuch gestellt werden könne, wenn Bereitschaft bestehe, der Schadenminderungspflicht nachzukommen. Entsprechend ihrer Ankündigung stellte sie mit Verfügung vom 29. Oktober 2021 die Rentenleistungen per sofort ein und entzog einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung.  
 
B.  
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt hiess die dagegen geführte Beschwerde gut, hob die Verfügung vom 29. Oktober 2021 auf und ordnete an, die mit Verwaltungsakt vom 15. Oktober 2019 zugesprochene Dreiviertelsrente sei rückwirkend ab Leistungseinstellung wieder auszurichten (Urteil vom 25. Mai 2022). 
 
C.  
Die IV-Stelle Basel-Stadt führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des kantonalgerichtlichen Urteils sei die Verfügung vom 29. Oktober 2021 zu bestätigen. Ferner wird um Gewährung der aufschiebenden Wirkung ersucht. 
A.________ lässt beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen und das Urteil des kantonalen Gerichts sei zu bestätigen; zudem sei ihm für das Verfahren vor Bundesgericht die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt schliesst ebenfalls auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
D.  
Mit Verfügung vom 18. Januar 2023 hat der Instruktionsrichter der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdegegner stellt die Sachurteilsvoraussetzungen, namentlich die Einhaltung der Beschwerdefrist, in Frage.  
 
1.2. Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die weiteren Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen (Art. 29 Abs. 1 BGG) und mit freier Kognition (vgl. BGE 146 V 331 E. 1; 146 II 276 E. 1). Eine Beschwerde an das Bundesgericht ist samt Begründung (vgl. Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) innert 30 Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung des angefochtenen Entscheids beim Bundesgericht einzureichen (Art. 100 Abs. 1 BGG).  
Im vorliegenden Fall ist das vorinstanzliche Urteil am 25. August 2022 bei der Beschwerdeführerin eingegangen. Diese hat die Beschwerde beim Bundesgericht nachweislich am 23. September 2022 und somit rechtzeitig innert der 30tägigen, am 26. September 2022 abgelaufenen Beschwerdefrist (vgl. Art. 45 Abs. 1 BGG) der Post aufgegeben. Da auch die übrigen formellen Voraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten. 
 
2.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 141 V 234 E. 1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG; zum Ganzen: BGE 145 V 57 E. 4). 
 
3.  
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die Verfügung der IV-Stelle vom 29. Oktober 2021 aufhob und anordnete, die Dreiviertelsrente sei rückwirkend ab Leistungseinstellung wieder auszurichten. 
 
4.  
 
4.1. Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) sowie im ATSG (SR 830.1) in Kraft (Weiterentwicklung der IV [WEIV]; Änderung vom 19. Juni 2020, AS 2021 705, BBl 2017 2535), dies mitsamt entsprechendem Verordnungsrecht. Die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende Verfügung erging vor dem 1. Januar 2022. Nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts und des zeitlich massgebenden Sachverhalts (statt vieler: BGE 144 V 210 E. 4.3.1; 129 V 354 E. 1 mit Hinweisen) sind daher die Bestimmungen des IVG und diejenigen der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV; SR 831.201) sowie des ATSG und der ATSV (SR 830.11) in der bis 31. Dezember 2021 gültig gewesenen Fassung anwendbar (BGE 148 V 174 E. 4.1).  
 
4.2.  
 
4.2.1. Die Vorinstanz legte die massgeblichen rechtlichen Bestimmungen und Grundsätze zur Pflicht der versicherten Person, sich im Rahmen der ihr obliegenden Schadenminderungspflicht (Art. 7 Abs. 1 IVG) einer zumutbaren medizinischen Behandlung zu unterziehen, die zur Erhaltung des bestehenden Arbeitsplatzes, zu ihrer Eingliederung ins Erwerbsleben oder in einen dem Erwerbsleben gleichgestellten Aufgabenbereich dient (Art. 7 Abs. 2 lit. d IVG), zur Kürzung oder Verweigerung von Leistungen, wenn die versicherte Person der Schadenminderungspflicht nicht nachkommt (Art. 7b IVG), sowie zum Mahn- und Bedenkzeitverfahren (Art. 21 Abs. 4 ATSG; BGE 145 V 2 E. 4.2.2; Urteil 8C_345/2022 vom 12. Oktober 2022 E. 5.4.1 f. mit Hinweisen) zutreffend dar. Darauf wird verwiesen.  
 
4.2.2. Während Art. 7b Abs. 1 IVG für den Regelfall auf Art. 21 Abs. 4 ATSG verweist, enthält Art. 7b Abs. 2 IVG vier abschliessend aufgezählte Tatbestände, die, wenn erfüllt, die IV-Stelle berechtigen, die Leistungen in Abweichung von Art. 21 Abs. 4 ATSG unverzüglich und ohne Mahn- und Bedenkzeitverfahren zu kürzen oder zu verweigern. Es sind dies die Verletzungen der Auskunfts-, Melde- und Anmeldepflicht sowie die unrechtmässige Leistungserwirkung mitsamt dem Versuch dazu. Hervorzuheben ist hier Art. 7b Abs. 2 lit. b IVG, der die Leistungskürzung oder -verweigerung bei einer Meldepflichtverletzung nach Art. 31 Abs. 1 ATSG betrifft. Die Rechtsprechung hat den Anwendungsbereich von Art. 7b Abs. 2 IVG auf Fälle qualifizierter Pflichtverletzung beschränkt, z.B. strafrechtlich relevante Betrugshandlung oder wenigstens bewusste Verfälschung medizinischer Untersuchungsergebnisse, etwa durch Vortäuschen eines beeinträchtigten Gesundheitszustandes mit dem Ziel, Versicherungsleistungen zu erschleichen; in allen anderen Fällen ist selbst bei unentschuldbarer Verletzung der Mitwirkungspflicht zunächst das Mahn- und Bedenkzeitverfahren durchzuführen (MEYER/REICHMUTH, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum IVG, 4. Aufl. 2022, S. 86 Rz. 30 zu Art. 7-7b IVG mit Hinweis auf das Urteil 9C_744/2011 vom 30. November 2011; Urteil 8C_400/2017 vom 29. August 2017 E. 4.2).  
 
5.  
Das kantonale Gericht befasste sich eingehend mit den beschwerdeweise vorgebrachten Einwänden, insbesondere mit der bestrittenen Zumutbarkeit der Psychotherapie vor dem Hintergrund des (nach der Renteneinstellung neu) geltend gemachten sexuellen Missbrauchs durch Psychiater in der Kindheit und im Erwachsenenalter und der dadurch aufgebauten Verweigerungshaltung, die zu Panikattacken vor den Therapien und entsprechend häufigen Absagen geführt hätten. Es erwog, die von der IV-Stelle mit Schreiben vom 6. Juni 2019 gegenüber dem Beschwerdegegner angeordnete Schadenminderungsauflage sei auch mit Blick auf diese Umstände als zumutbar zu qualifizieren. Sie stelle keine Gefahr für Leben und Gesundheit dar und sei bei einzelfallbezogener Betrachtung angemessen und verhältnismässig gewesen, weil bereits 2017 aus gutachterlicher, fachpsychiatrischer Sicht ausdrücklich festgehalten worden sei, dass konsequente Psychotherapiemassnahmen und die Weiterführung einer antidepressiven Medikation dringend indiziert seien. Darüber hinaus habe Dr. med. D.________ in seiner Stellungnahme vom 10. Januar 2022 zu Recht darauf hingewiesen, dass dem Beschwerdegegner angesichts der bisherigen Lebens- und Therapieerfahrung mit mehreren, häufig abgebrochenen, ambulanten und stationären psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlungen bekannt sein dürfte, dass erfahrene Psychotherapeuten auf ein grosses Arsenal von beschwerdelindernden Behandlungsmöglichkeiten gegen situativ auftretende Panikgefühle der Patienten zurückgreifen könnten. Zudem sei der Beschwerdegegner aktenkundig mehrfach medizinisch behandelt worden und habe dabei eine gewisse Linderung erfahren. Schliesslich anerkenne auch der Beschwerdegegner, dass eine Psychotherapie absolut notwendig und die gemachten Auflagen sinnvoll gewesen seien. Allerdings habe die IV-Stelle das für eine Leistungseinstellung bzw. Leistungsaufhebung im Bereich der Invalidenversicherung von der Rechtsprechung zwingend vorgeschriebene Mahn- und Bedenkzeitverfahren nicht durchgeführt. Deshalb sei die Verfügung vom 29. Oktober 2021 aufzuheben und die IV-Stelle müsse die Rente rückwirkend ab Einstellung der Leistungen wieder auszahlen. 
 
6.  
 
6.1. Die Beschwerdeführerin rügt unter anderem, das kantonale Gericht habe die massgeblichen Bestimmungen betreffend das Mahn- und Bedenkzeitverfahren, namentlich Art. 21 Abs. 4 ATSG, rechtsfehlerhaft angewendet, indem es das im Schreiben vom 6. Juni 2019 durchgeführte Mahn- und Bedenkzeitverfahren nicht als solches anerkenne. Soweit es sich auf den nicht weiter begründeten Standpunkt stelle, eine Mahnung könne nicht gleichzeitig mit der Auflage erfolgen, andernfalls sie sinnentleert wäre und der Zielsetzung der positiven Verhaltensbeeinflussung widerspräche, sei ihr nicht zu folgen. Zwar dürfe eine Person nicht die Folgen eines Verhaltens tragen, über dessen Auswirkungen sie sich nicht bewusst gewesen sein könne. Dies bedeute jedoch nicht, dass die Mahnung unter Ansetzung einer Bedenkfrist in jedem Fall erst dann erfolgen dürfte, nachdem sich die versicherte Person einer zumutbaren Behandlung entzogen oder sich dieser widersetzt habe. Eine solche zeitliche Begrenzung des Mahn- und Bedenkzeitverfahrens sei dem Wortlaut von Art. 21 Abs. 4 IVG nicht zu entnehmen. Im Forschungsbericht 2020 "Auflagen zur Leistungsgewährung im Rahmen der Schadenminderungspflicht in der Invalidenversicherung", Beiträge zur sozialen Sicherheit des Bundesamtes für Sozialversicherungen, Berichtnummer 1/20, S. 80 ff., sei festgehalten worden, dass beim Mahn- und Bedenkzeitverfahren zwischen einem einstufigen und einem zweistufigen Vorgehen unterschieden werden könne. Bei der einstufigen Vorgehensweise werde mit der ersten formellen Mitteilung der Auflage auch eine verbindliche Umsetzungsfrist mitgeteilt. Bei Nichteinhaltung verfüge die IV-Stelle die Leistungskürzung oder -ablehnung. Bei der zweistufigen Vorgehensweise teile die IV-Stelle zuerst die Auflage ohne Umsetzungsfrist mit und erkundige sich nach einem von ihr bestimmten Zeitraum bei der versicherten Person, ob sie die Auflage umgesetzt oder damit begonnen habe. Sei dies nicht der Fall, erfolge ein Mahnschreiben mit einer verbindlichen Frist. Etwas mehr als die Hälfte der IV-Stellen würden ausschliesslich eine Form von Vorgehen anwenden, wobei hier das einstufige und zweistufige Verfahren ungefähr gleich häufig genannt worden seien. Die Vorinstanz verkenne, dass sowohl das einstufige als auch das zweistufige Mahn- und Bedenkzeitverfahren zulässig und gesetzeskonform seien. Im vorliegenden Fall seien dem Beschwerdegegner alle Informationen zur pflichtgemässen Erfüllung seiner Selbsteingliederung aus dem Schreiben vom 6. Juni 2019 bekannt gewesen und er habe sich ohne Weiteres die nachteiligen Folgen seines Verhaltens vergegenwärtigen können, weshalb er sich dieses anrechnen lassen müsse. Die Aufhebung der Rente ohne nochmaliges Mahn- und Bedenkzeitverfahren sei deshalb rechtens.  
 
6.2.  
 
6.2.1. Die Beschwerdeführerin weist zu Recht darauf hin, dass die IV-Stelle den Beschwerdegegner mit Schreiben vom 6. Juni 2019 nicht bloss in allgemeiner Form auf seine Mitwirkungspflicht hingewiesen, sondern unter explizitem Hinweis auf Art. 21 Abs. 4 ATSG ein eigentliches Mahn- und Bedenkzeitverfahren durchgeführt hatte. Der Beschwerdegegner war unter Ansetzung einer Frist von zweieinhalb Monaten aufgefordert worden, eine "kontinuierliche, mindestens wöchentliche Psychotherapie (...) " aufzunehmen und die Behandlungsaufnahme zu melden. Über die Rechtsfolge der Rentenaufhebung bei Nichtaufnahme oder vorzeitigem Abbruch der Psychotherapie war er ebenfalls informiert worden. Damit verfügte er über alle Informationen zur Erfüllung seiner Schadenminderungspflicht und konnte sich die nachteiligen Folgen seines Verhaltens vergegenwärtigen, weshalb er sich dieses auch anrechnen lassen muss. Soweit das kantonale Gericht - grundsätzlich zutreffend - angibt, eine versicherte Person solle nicht die Folgen eines Verhaltens tragen, über dessen Auswirkungen sie sich möglicherweise keine Rechenschaft abgelegt habe, lässt sich daraus mithin nichts zu Gunsten des Beschwerdegegners ableiten.  
 
6.2.2. Die vorinstanzliche Aufhebung der Verfügung vom 29. Oktober 2021 kann entgegen der Ansicht des kantonalen Gerichts auch nicht damit begründet werden, dass der in der Schadenminderungsauflage vom 6. Juni 2019 enthaltene Hinweis, wonach bei Nichteinhalten der Massnahme mit der Aufhebung der Rente gerechnet werden müsse, das "fehlende Mahn- und Bedenkzeitverfahren" nicht habe ersetzen können, weil eine Mahnung nicht gleichzeitig mit der Auflage erfolgen könne. Ebenfalls ohne Belang bleibt bei der vorliegenden Ausgangslage die kantonalgerichtliche Erwägung, die Meldepflichtverletzung nach Art. 31 ATSG erlaube nicht in jeglichen Fällen die Sanktionierung ohne die Durchführung eines Mahn- und Bedenkzeitverfahrens, da die Rechtsprechung den Anwendungsbereich von Art. 7b Abs. 2 IVG auf Fälle qualifizierter Pflichtverletzung beschränkt habe. Mit dieser Argumentation wird übersehen, dass hier ein Mahn- und Bedenkzeitverfahren bereits vor der - an die Erfüllung der Schadenminderungsauflage gekoppelten - Rentenzusprache durchgeführt worden war und sich der Beschwerdegegner durch die Behandlungsaufnahme und entsprechende Bestätigung des Psychiaters innert der eingeräumten Frist bereit erklärt hatte, die medizinische Massnahme vorgabengetreu durchzuführen. Nicht nachzuvollziehen ist in diesem Zusammenhang der Einwand des Beschwerdegegners, die Meldepflicht sei von ihm nicht als solche erkannt worden. Denn er wusste aufgrund der ausdrücklichen Hinweise im Schreiben vom 6. Juni 2019, dass die Rentenausrichtung nicht nur an die Behandlungsaufnahme, sondern auch an die regelmässige (wöchentliche) Absolvierung der Psychotherapie geknüpft war, woraus sich zwangsläufig seine Meldepflicht bei Abbruch der medizinischen Massnahme ergibt. Daher verfängt der vorinstanzliche Vorwurf eines unterbliebenen (zweiten) Mahn- und Bedenkzeitverfahrens nach Bekanntwerden des Therapieabbruchs im Rahmen des im Folgejahr eingeleiteten Revisionsverfahrens nicht.  
 
6.2.3. In welchen Konstellationen und unter welchen Umständen gemäss den Überlegungen der Beschwerdeführerin und den letztinstanzlich dagegen vorgebrachten Einwänden der Vorinstanz ein "einstufiges" oder ein "zweistufiges" Mahn- und Bedenkzeitverfahren zur Anwendung kommen muss, kann an dieser Stelle offen gelassen werden. Denn durch die Koppelung der Therapieauflage mit der Rentenzusprache im Rahmen des mit Schreiben vom 6. Juni 2019 initiierten Mahn- und Bedenkzeitverfahrens vor der Rentenverfügung durfte und musste vom Beschwerdegegner erwartet werden, dass er der IV-Stelle einen allfälligen Therapieabbruch melden würde. Es bestand keine Notwendigkeit, ihn ein weiteres Mal auf die Konsequenzen einer Verletzung seiner Schadenminderungspflicht aufmerksam zu machen, da er bereits wissen musste, dass der Therapieabbruch auch die Renteneinstellung nach sich ziehen würde. Im Übrigen hätte der Beschwerdegegner sogar noch während des Vorbescheidverfahrens Gelegenheit gehabt, die Psychotherapie wieder aufzunehmen, da die Rente erst mit Erlass der Verfügung vom 29. Oktober 2021 eingestellt wurde. Die IV-Stelle durfte deshalb die Rente am 29. Oktober 2021 per sofort, insbesondere ohne Durchführung eines erneuten Mahn- und Bedenkzeitverfahrens, einstellen. Es fällt in diesem Zusammenhang zwar auf, dass sie sich in der Verfügung vom 29. Oktober 2021 zur Verhältnismässigkeit der Sanktion der Leistungsverweigerung nicht weiter äusserte, obwohl Art. 21 Abs. 4 ATSG sowie Art. 7b Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 IVG beim Entscheid über die Kürzung oder Verweigerung von Leistungen eine Einzelfallabwägung vorsieht. Weiterungen dazu erübrigen sich aber bereits deshalb, weil dem Beschwerdegegner aufgrund des engen zeitlichen Konnexes zwischen Therapieauflage und Rentenzusprache bewusst sein musste, dass der Therapieabbruch auch die Renteneinstellung zur Folge haben würde. Seine unterlassene Meldung des Therapieabbruchs wiegt vor diesem Hintergrund umso schwerer. Zudem war Dr. med. D.________ davon ausgegangen, dass sich der Gesundheitszustand unter konsequenter Therapie beim hervorragend ausgebildeten Verhaltenstherapeuten Dr. med. B.________ und der von der Klinik C.________ vorgeschlagenen stationären Behandlung massgeblich gebessert hätte (Bericht vom 16. Juli 2021). Nicht zuletzt stellte er auch fest, das psychische Leiden sei kein Grund gewesen, keinen Therapeuten aufsuchen zu können, respektive die IV-Stelle nicht über den Therapieabbruch zu informieren (Bericht vom 21. Oktober 2021). Deshalb war die Rentensistierung hier verhältnismässig. Die Beschwerde ist begründet und gutzuheissen.  
 
7.  
Ausgangsgemäss trägt der Beschwerdegegner die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 erster Satz BGG), wobei ihm im Sinne seines Antrags die unentgeltliche Rechtspflege gewährt werden kann (Art. 64 BGG). Er hat der Gerichtskasse Ersatz zu leisten, wenn er später dazu in der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 25. Mai 2022 wird aufgehoben und die Verfügung der IV-Stelle Basel-Stadt vom 29. Oktober 2021 bestätigt. 
 
2.  
Dem Beschwerdegegner wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Advokat Martin Lutz wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt, indes vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen. 
 
4.  
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdegegners wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet. 
 
5.  
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt zurückgewiesen. 
 
6.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 25. April 2023 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz