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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
9C_197/2010 {T 0/2} 
 
Urteil vom 14. Dezember 2010 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Borella, Kernen, Seiler, 
Bundesrichterin Pfiffner Rauber, 
Gerichtsschreiber Schmutz. 
 
Verfahrensbeteiligte 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, 
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
S.________, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Hilfsmittel), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen 
vom 8. Februar 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
S.________, geboren 1946, leidet seit einer Gefässembolisation im Mai 2008 an motorisch kompletter, sensorisch inkompletter Tetraplegie und Dysregulation mit Blasen-, Darm- und Sexualfunktionsstörung (Bericht Schweizer Paraplegikerzentrum Nottwil vom 21. August 2008). Seit 1. Februar 2009 bezieht er eine ganze Invalidenrente und seit 1. Mai 2009 eine Entschädigung wegen mittlerer Hilflosigkeit (Verfügung vom 9. Oktober 2009). 
 
Der Versicherte stellte am 7. November 2008 ein Gesuch um Übernahme der Kosten behinderungsbedingter Anpassungen und Änderungen im Wohnbereich. Gemäss der individuellen Abklärung der Wohnsituation am 16. September 2008 (Protokoll der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung vom 2. Oktober 2008) waren der Zugang von der Wohnung im dritten Stock zum Lift und der Lift rollstuhlgängig. Die Wohnräume waren mit Ausnahme des Sanitärraums gross genug für die Nutzung mit einem Rollstuhl. Folgende Anpassungen wurden als notwendig bezeichnet: Automatischer Türöffner an der Haustüre im Erdgeschoss, Umbau des Sanitärraums, Anheben des Balkonbodens, Anmieten eines zweiten Parkplatzes zum Ein- und Ausstieg, automatischer Öffner für die Türe zwischen Tiefgarage und Lift. Die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft Hilfsmittelberatung für Behinderte und Betagte (SAHB) berichtete am 3. November 2008, der Versicherte könne die Hauseingangstüre und die Tür zwischen Lift und Tiefgarage nicht selber bedienen, sodass er nur mit Hilfe anderer Personen aus dem Haus und dorthin zurück gelangen könne. Mit Schreiben vom 17. Dezember 2008 bestätigte die SAHB, der Versicherte könne den Rollstuhl-Hilfsantrieb ohne fremde Hilfe bedienen und damit selbstständig in der näheren und weiteren Umgebung seines Wohnortes unterwegs sein. 
 
Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen erteilte S.________ Kostengutsprache für einen Rollstuhl mit Zuggerät (Mitteilung vom 27. Februar 2009) und für bauliche Massnahmen in der Dusche und auf dem Balkon (Mitteilung vom 11. Mai 2009). Mit Vorbescheid vom 8. Juni 2009 und Verfügung vom 20. Juli 2009 verneinte sie den Anspruch auf Übernahme der Kosten der beiden Türöffner und der Miete eines zweiten Parkplatzes. 
 
B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 8. Februar 2010 teilweise gut; es sprach dem Versicherten ein Hilfsmittel in der Form eines automatischen Türöffners für die Hauseingangstüre zu; zur Regelung der Details dieser Hilfsmittelversorgung wies es die Sache an die Verwaltung zurück. 
 
C. 
Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, der kantonale Entscheid sei aufzuheben; es sei festzuhalten, dass der Versicherte nicht Anspruch auf den automatischen Haustüröffner habe. 
Vorinstanz und S.________ beantragen Abweisung der Beschwerde; das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf Abgabe eines elektrischen Türöffnungsantriebes für die Hauseingangstüre als Hilfsmittel zu Lasten der Invalidenversicherung. 
 
1.1 Gemäss Art. 21 Abs. 1 Satz 1 IVG hat der Versicherte im Rahmen einer vom Bundesrat aufzustellenden Liste Anspruch auf jene Hilfsmittel, deren er für die Ausübung der Erwerbstätigkeit oder der Tätigkeit im Aufgabenbereich, zur Erhaltung oder Verbesserung der Erwerbsfähigkeit, für die Schulung, die Aus- und Weiterbildung oder zum Zwecke der funktionellen Angewöhnung bedarf. Der Versicherte, der infolge seiner Invalidität für die Fortbewegung, für die Herstellung des Kontaktes mit der Umwelt oder für die Selbstsorge kostspieliger Geräte bedarf, hat im Rahmen der vom Bundesrat aufzustellenden Liste ohne Rücksicht auf die Erwerbsfähigkeit Anspruch auf solche Hilfsmittel (Art. 21 Abs. 2 IVG). 
 
1.2 Der Bundesrat hat in Art. 14 IVV dem Eidgenössischen Departement des Innern den Auftrag übertragen, die Liste der in Art. 21 IVG vorgesehenen Hilfsmittel zu erstellen. Nach Art. 2 der entsprechenden Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung (HVI) besteht im Rahmen der im Anhang aufgeführten Liste Anspruch auf Hilfsmittel, soweit diese für die Fortbewegung, die Herstellung des Kontaktes mit der Umwelt oder für die Selbstsorge notwendig sind (Abs. 1). Der Anspruch erstreckt sich auch auf das invaliditätsbedingt notwendige Zubehör und die invaliditätsbedingten Anpassungen (Abs. 3). Die im Anhang zur HVI enthaltene Liste ist insofern abschliessend, als sie die in Frage kommenden Hilfsmittelkategorien aufzählt (Art. 21 IVG; vgl. Art. 2 Abs. 1 HVI; BGE 131 V 9 E. 3.4.2 S. 14 f.). 
 
2. 
2.1 Nach der Rechtsprechung (vgl. BGE 135 I 161 E. 4.1 S. 164 f.) unterliegt die Hilfsmittelversorgung den allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen gemäss Art. 8 IVG (Geeignetheit, Erforderlichkeit, Eingliederungswirksamkeit; BGE 122 V 212 E. 2c S. 214). Die Selbstständigkeit in der Fortbewegung mit einem elektromotorisch angetriebenen Rollstuhl ist Eingliederungsziel und Voraussetzung für die Abgabe eines Elektrofahrstuhls an die versicherte Person (BGE 121 V 258 E. 3b/bb S. 261 f., ZAK 1988 S. 181 E. 2a, je mit Hinweisen). Der Eingliederungsbereich umfasst hier die selbstständige Verschiebung im häuslichen Bereich wie auch ausserhalb des Hauses (Urteile I 712/04 vom 13. Oktober 2005 E. 2.3; I 298/01 vom 15. Februar 2002 E. 1c; I 340/93 vom 25. Mai 1994 E. 2b; I 269/90 vom 25. März 1991 E. 2b). Ein Schub- oder Zuggerät geht nur dann zu Lasten der Invalidenversicherung, wenn es vom Versicherten selbst bedient werden kann (vgl. ZAK 1988 S. 180). 
 
2.2 Die Beschwerdeführerin hat dem Beschwerdegegner am 27. Februar 2009 mit dem Betreff "Kostengutsprache für einen Rollstuhl mit Zuggerät" schriftlich mitgeteilt, sie übernehme die Kosten für die leihweise Abgabe eines Rollstuhls (inkl. invaliditätsbedingte Anpassungen und Zubehör) und erteile zusätzlich Kostengutsprache für ein Sitzkissen mit Ersatzbezug; zudem übernehme sie die Kosten für die leihweise Abgabe eines Rollstuhlzuggerätes Swiss-Trac. 
 
3. 
3.1 Mit der leihweisen Zusprache des Zuggeräts hat die Beschwerdeführerin zu erkennen gegeben, dass die dargelegten Abgabevoraussetzungen erfüllt sind und die damit verbundenen Ziele erreicht werden können. Die Erforderlichkeit und Eingliederungswirksamkeit des genannten Hilfsmittels ist insofern unbestritten, als der Versicherte damit im häuslichen Bereich wie auch ausserhalb des Hauses sich selbstständig bewegen kann. Es fragt sich, ob zum Erreichen dieses Ziels auch ein automatischer Haustüröffner abzugeben ist. 
 
3.2 Die Vorinstanz hat dies dahingehend bejaht, dass gemäss Ziff. 15.05 HVI-Anhang, die unter dem Titel "Hilfsmittel für den Kontakt mit der Umwelt" steht, auch Umweltkontrollgeräte zu den abzugebenden Hilfsmitteln gehören. Diese Hilfsmittelart diene nicht der notwendigerweise innerhalb der eigenen Wohnung stattfindenden Selbstsorge und auch nicht der Fortbewegung innerhalb der eigenen Wohnung, sondern dem Kontakt mit der Umwelt. Sie sei dazu bestimmt, das Verlassen und das Aufsuchen der eigenen Wohnung zu ermöglichen, damit die versicherte Person mit der Umwelt, d.h. mit der Welt ausserhalb ihrer eigenen Wohnung, in Kontakt treten kann. Die Ziff. 15.05 HVI-Anhang umfasse gerade nicht den automatischen Türöffner in der Wohnung, sondern denjenigen zur Überwindung des Wohnungszugangs. Der Versicherte sei behinderungsbedingt nicht in der Lage, die Eingangstür des Mehrfamilienhauses selbstständig zu öffnen um das Haus zu verlassen und es zu betreten. Er sei deshalb als schwerstgelähmt im Sinne von Ziff. 15.05 HVI-Anhang zu betrachten, sodass er Anspruch auf eine Versorgung mit einem automatischen Türöffner für die Eingangstür habe. 
 
3.3 Die Beschwerdeführerin bestreitet den vorinstanzlich aufgrund von Ziff. 15.05 HVI-Anhang anerkannten Anspruch auf Abgabe eines Öffners für die Hauseingangstüre. Sie bringt vor, diese Umweltkontrollgeräte würden an Versicherte abgegeben, die wegen der Behinderung im Unter- und Oberkörper dermassen eingeschränkt seien, dass keine Kontaktpflege oder keine Fortbewegung mit dem Elektrorollstuhl in der Wohnung mehr möglich sei. Hier könne der Türöffner dazu dienen, um innerhalb der Wohnung in den Empfangsbereich des Telefons oder einer Rufanlage gelangen zu können. Die Wohnungstüre könne nicht in direkten Zusammenhang mit der Kontaktpflege gebracht werden. Die Regelung besage, dass "nur durch diese Vorrichtung mit der Umwelt in Kontakt" getreten werden kann, was heisse, dass die versicherte Person ohne das Gerät keine einzige Möglichkeit habe, sich "bemerkbar" zu machen. Hier könne der Beschwerdegegner jedoch selber telefonieren und sei zur Kontaktpflege nicht auf ein Umweltkontrollgerät angewiesen. Die Beschwerdeführerin beruft sich auf das Bundesgerichtsurteil I 133/06 vom 15. März 2007, wonach nur automatische Türöffner innerhalb des Wohnbereiches von der Regelung der Ziff. 15.05 HVI-Anhang erfasst würden; wenn ein automatischer Türöffner der Überwindung des Wohnungszuganges diene, so sei dieses Hilfsmittel gestützt auf Ziff. 13.05* HVI-Anhang bei erwerbstätigen oder im Aufgabenbereich tätigen Personen zu übernehmen, falls es eingliederungswirksam sei. Der Beschwerdegegner falle nicht unter diese Kategorie. 
 
3.4 Die vorinstanzliche Argumentation trifft insofern zu, als in Ziff. 15.05 die Kontaktnahme mit der Umwelt und die Fortbewegung im Wohnbereich alternativ genannt sind. Hingegen meint "mit der Umwelt in Kontakt treten" im Sinne dieser Ziffer offensichtlich nicht das physische Verlassen der Wohnung, sondern das Telefonieren, Alarmieren mit Rufanlagen usw. (vgl. auch Rz. 15.05 KHMI), worauf schon der Wortlaut "Umweltkontrollgeräte" hinweist. Es geht um minimale Kontakte mit der Umwelt. Auch ein Anspruch gestützt auf Ziff. 14.05 HVI-Anhang in Verbindung mit Art. 2 Abs. 5 HVI (Austauschbefugnis) kann nicht zum Tragen kommen, weil kein Anspruch auf einen Treppenfahrstuhl oder eine Rampe besteht. 
 
4. 
Auch über Ziff. 9.02 HVI-Anhang und Art. 2 Abs. 3 HVI lässt sich der Anspruch nicht begründen. Letztere Bestimmung bezieht sich auf Zubehör zu und Anpassungen an den in der Liste genannten Hilfsmitteln selber (z.B. Anpassungen an einem Motorfahrzeug im Sinne von Ziff. 10 der Liste [BGE 119 V 255]; Kopfhelm als Zubehör zu Rollator [Urteil I 768/02 vom 28. Juli 2003 E. 3.3]; Fernbedienung des Hörgeräts selber, das als solches unter Ziff. 5.07 HVI-Anhang fällt [Urteil I 439/05 vom 16. Februar 2006]; Vorspannrad am Rollstuhl selber, der als solcher unter Ziff. 9.01 fällt [Urteil I 317/00 vom 30. Juli 2001]; Beleuchtung des Rollstuhls selber [Urteil I 304/90 vom 22. August 1991]). Ein Türöffner kann selbst bei weitester Auslegung nicht mehr als Zubehör oder Anpassung eines Rollstuhls betrachtet werden. Hier geht es um die Anpassung an einem anderen Objekt als am Rollstuhl. Wenn man es unter Art. 2 Abs. 3 HVI subsumiert, dann müsste man konsequenterweise auch die Fahrbarmachung eines nicht rollstuhlgängigen Hauszugangs oder andere Abänderungen von baulichen Hindernissen als Anpassungen eines Rollstuhls betrachten. Eine solche Betrachtung ginge über eine verfassungs- und gesetzeskonforme Auslegung im Sinne von BGE 135 I 161 hinaus. Dort wurde gestützt auf eine gesetzeskonforme Auslegung (Art. 21 Abs. 2 IVG) ein Anspruch auf ein Gerät bejaht, das als solches in der Liste genannt ist. Es kann nun nicht eine Vorkehr, auf die als solche gemäss Liste kein Anspruch besteht, zugesprochen werden mit der Argumentation, ohne diese Vorkehr könne der in Art. 21 Abs. 2 IVG genannte Eingliederungszweck nicht erreicht werden. Dies würde darauf hinauslaufen, dass die Gerichte die Hilfsmittelliste frei daraufhin überprüfen, ob sie geeignet ist, den Eingliederungszweck von Art. 21 Abs. 2 IVG zu erreichen, um sie dann gegebenenfalls selber zu vervollständigen. Nach der Rechtsprechung ist die Liste abschliessend (BGE 131 V 107 E. 3.4.3 S. 114; 131 V 9 E. 3.4.2 S. 14). 
 
5. 
Nach dem Gesagten lässt sich der Anspruch auf den Türöffner als IV-pflichtiges Hilfsmittel nicht begründen. Das ist gesetzmässig, weil Art. 21 Abs. 2 IVG kein Anrecht auf Beseitigung aller Hindernisse gibt, die der Kontaktaufnahme mit der Umwelt im Wege stehen. Es gibt keinen Rechtsanspruch darauf, dass Behinderte so selbstständig wie eine nichtbehinderte Person leben können, sondern nur die Berechtigung auf Abgabe oder Vergütung kostspieliger Geräte im Rahmen einer vom Bundesrat bzw. vom Departement aufzustellenden Liste, dies unter Vorbehalt der gerichtlichen Inzidenzkontrolle, welche praktisch auf Willkür beschränkt ist (BGE 117 V 177), wovon hier sicherlich nicht gesprochen werden kann. Deshalb ist es auch nicht widersprüchlich, den Rollstuhl zu gewähren, nicht aber den Türöffner. Es ist die Folge davon, dass die Liste abschliessend ist und nicht alles enthält, was als sinnvoll und nützlich erscheinen mag, um den in Art. 21 Abs. 2 IVG genannten Eingliederungszweck zu erreichen. 
 
6. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdegegner die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 8. Februar 2010 aufgehoben. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 14. Dezember 2010 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Meyer Schmutz